UFSKW Paper of the Month
Das UFSKW Paper of the Month gibt der aktuellen kognitionswissenschaftlichen Forschung des UFSKW eine besondere Bühne. Das Paper of the Month wird monatlich vom Auswahlgremium aus allen Einreichungen ausgewählt.
Alle Mitglieder des Forschungsschwerpunkts können jederzeit eigene Paper vorschlagen.
Dazu können Sie als Mitglied eine E-Mail an den UFSKW-Koordinator, Raúl Bendezú Araujo (raul.bendezu.araujo at uni-potsdam.de), senden.
Ihre E-Mail muss folgende Angaben enthalten:
(1) die DOI und (2) einen Link zum veröffentlichten Paper ODER zum Preprint des Papers (bei nicht-open access Artikeln) sowie (3) einen kurzen Kommentar dazu, was Ihr Paper besonders macht.
Paper of the Month, April 2023
A sensorimotor perspective on numerical cognition
Autoren: Elena Sixtus, Florian Krause, Oliver Lindemann, Martin Fischer
Komentar: With this paper we aim to unify existing knowledge in the field of embodied numerical cognition and reconcile it with more traditional accounts. Numerical information is usually encountered in one of three symbolic formats: number words (e.g. “seven”), numerals (e.g. “7”) and sensorimotor symbols (e.g. holding up 7 fingers). But how does this information become meaningful to us? From an embodied cognition perspective, conceptual knowledge becomes meaningful by relating it to sensorimotor experiences with physical entities in the world. We argue that number symbols evoke not one but three distinct underlying semantic concepts: magnitude (continuous amount), ordinality (position in a sequence) and cardinality (discrete amount). We propose that number comprehension and numerical proficiency emerge from differently grounding these three numerical core concepts in (multiple) sensorimotor experiences. We discuss potential implications for education and treatment/prevention of numerical deficits, and we hope that this proposal stimulates further discussion as well as future research.
Paper of the Month, März 2023
Music and language in the crib: Early cross-domain effects of experience on categorical perception of prominence in spoken language
Autoren: Alan Langus, Natalie Boll-Avetisyan, Sandrien van Ommen & Thierry Nazzi
Komentar: Die vorliegende Studie zeigt erstmals, dass frühkindliche Musikerfahrung im Elternhaus im Zusammenhang mit Sprachwahrnehmungfähigkeiten im Babyalter steht. Außerdem ist sie die erste, die demonstriert, das Wortbetonung mittels kategoriellen Wahrnehmungsfiltern verarbeitet wird. Die Psycholinguistik stellt seit einigen Jahren vermehrt die Frage, inwieweit nichtsprachliche Erfahrung Sprachverarbeitungsprozesse beeinflusst. So konnte die Forschung mit Erwachsenen zeigen, dass Musikerfahrung zu höheren Sprachleistungen führt – vor allem auf der Ebene der Prosodie. Unerforscht war bisher, ob Säuglinge in der frühen Phase des Spracherwerbs von musikalischem Input im Elternhaus profitieren. In unserer Studie fragten wir Eltern von sechsmonatigen Babys, ob und wie häufig zuhause Instrumente gespielt, Lieder gesungen und Kinderbücher vorgelesen wurden. Außerdem sollten die Eltern ihre Musikalität einschätzen und wie melodisch sie mit ihrem Kind sprachen. Per Eyetracking maßen wir die Pupillengröße der Babys in Reaktion auf Nichtwörter, die sich prosodisch in der Wortbetonung auf einem akustischen Kontinuum kategorisch (GAba vs gaBA) oder nur akustisch (GAba vs GAba) oder gar nicht (GAba vs GAba) unterschieden. Auf Gruppenebene fanden wir keine Reaktion auf Betonungsunterschiede. Jedoch zeigten diejenigen Babys mit überdurchschnittlicher kindgerichteter Musik- und Spracherfahrung starke Effekte der kategoriellen Wahrnehmung: Ihre Pupillen reagierten deutlich auf Betonungsunterschiede (GAba vs gaBA), aber nicht auf akustische Unterschiede. Interessanterweise waren kindgerichtete musikalische und sprachliche Aktivitäten der Eltern nicht korreliert. Augenscheinlich legen die meisten Eltern entweder auf musikalischen oder sprachlichen Input wert. Dennoch war es genau die Kombination aus beidem, die Babys mit starken Prosodiewahrnehmungsfähigkeiten erfahren hatten. Da die Prosodie ein wichtiger Wegbereiter für den Aufbau von Lexikon und Syntax ist, ist der vorliegende Befund zentral für die Spracherwerbsforschung: Sollte der Spracherwerbsverlauf tatsächlich positiv von musikalischen Aktivitäten beeinflusst werden können, wäre dies fundamental für unser Verständnis der Rolle von Erfahrung in kognitiven Prozessen und könnte Anwendungspotential in Erziehung und Bildung bergen.
Paper of the Month, February 2023
Space-valence mapping of social concepts: Do we arrange negative and positive ethnic stereotypes from left to right?
Authoren: Katharina Kühne, Kristina Nenaschew & Alex Miklashevsky
Kommentar: Unser Körper trägt mehr zu unserer Kognition bei, als wir gewöhnlich annehmen. Die Körperspezifitätshypothese besagt beispielsweise, dass Rechtshänder*innen positive Konzepte mit der rechten Seite und negative Konzepte mit der linken Seite des Körpers assoziieren. Dieses Phänomen wurde mit verschiedenen Reizen nachgewiesen: Musikstücke, Zeichnungen und sogar Lebensmittel. Allerdings wurde sozialen Konzepten, wie z. B. Stereotypen, bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei haben negative Stereotypen gegenüber Ethnien, Geschlechtern oder bestimmten anderen Gruppen weitreichende Folgen für persönliche Entscheidungen und die gesamte Gesellschaft. In Anlehnung an die Körperspezifitätshypothese postulierten wir, dass negative ethnische Stereotypen gegenüber einer Fremdgruppe mit der linken Seite und positive Stereotypen gegenüber der eigenen Gruppe mit der rechten Seite assoziiert werden. Unser Ziel war es, diese Zuordnung von Stereotypen im horizontalen Raum mit einer impliziten Aufgabe zu finden, die frei von den Nachteilen bisheriger Methoden ist. Wir dachten auch an mögliche Interventionen zur Änderung impliziter Einstellungen durch Manipulation des Raumparameters. Zum ersten Mal verwendeten wir sprachliche Reize, um diese Assoziation zu bewerten. Zunächst haben wir mit einem Impliziten Assoziationstest die positiven bzw. negativen Stereotypen deutscher Studierenden gegenüber Deutschen bzw. Arabern gemessen. Dann baten wir dieselben Teilnehmer*innen, Sätze mit arabischen und deutschen Namen durch Drücken der linken oder rechten Taste als sinnvoll oder nicht sinnvoll zu bewerten. Überraschenderweise konnten wir keine Zuordnung von negativen und positiven Stereotypen auf der horizontalen Dimension finden. Wahrscheinlich werden Stereotypen aufgrund ihrer komplexen Struktur oder ihrer abstrakten Verarbeitungsebene nicht automatisch mit der linken oder rechten Seite des Körpers assoziiert. Diese Studie ist einer der ersten Schritte zum Verständnis der Verkörperung komplexer sozialer Konstrukte.
Paper of the Month, January 2023
On Trees Blocking Roads and Cameras Recording Burglars: An Experimental Comparison of the Availability of Inverse Scope in English and German
Autoren: Mareike Philipp & Malte Zimmermann
Kommentar: In this paper, we present a cross-linguistic investigation of English and German regarding the phenomenon of quantifier scope ambiguites in doubly-quantified sentences. The literature offers specific claims about the cross-linguistic pattern: only English is predicted to give rise to this type of ambiguities in the sentence types we investigated, while German is not, due to its free word order (e.g. Frey 1993, Bobaljik & Wurmbrand 2012). In order to test this cross-linguistic prediction, we ran the same experiment in both English and German. We further tested the impact of two factors in each language: embedding and plausibility. The relevance of this paper is characterized by novel experimental data, which contradicts two important claims in the literature: (i) German is not categorically different from English and allows for inverse readings, despite its free worder; (ii) a relative clause embedding does not fully block inverse readings in either language, contra longstanding wisdom (e.g. May 1977, Huang 1995). The paper is therefore of major theoretical relevance: Observation (i) supports a cross-linguistically unified analysis of the phenomenon of quantifier scope and its underlying mechanism, with language-specific properties resulting in gradual rather than categorical differences between languages. Observation (ii) challenges the status of relative clauses as scope islands and suggests that semantic approaches to inverse readings might in fact be more adequate than the more popular syntactic approach of Quantifier Raising (May 1977, 1985). The experiments further show that plausibility considerations play a major role in scope resolution and that speakers of the same language follow different resolution strategies.
Paper of the Month, December 2022
Sustained attention as measured by RT variability is a strong modulator for the P600, but not the N400
Autoren: Friederike Contier, Mathias Weymar, Isabell Wartenburger & Milena Rabovsky
Kommentar: Two components of the event-related potential (ERP) observed during sentence processing, N400 and P600, play an important role for neurocognitive models of language comprehension. The N400 is sensitive to the semantic fit of a word, whereas the P600 is typically elicited by structural violations. However, their functional significance is still under debate. In this study, we tested whether the two components vary with the degree of sustained attention, using reaction time variability as a continuous, online read-out of sustained attention over the course of a sentence comprehension task. We found a negative effect of reaction time variability on the P600: Amplitudes were larger in periods of low reaction time variability (high sustained attention) compared to periods of high reaction time variability (low sustained attention). In contrast, the degree of reaction time variability did not affect the amplitude of the N400. Our results provide novel insights into the cognitive processes underlying the two components: Since executive resources necessary for controlled – but not for automatic – processes are only available under sustained attention, results suggest that the P600 component reflects more controlled, and the N400 more automatic processes during sentence processing. Further, this study was the first attempt at adopting the index of reaction time variability from other areas in cognitive neuroscience, thus showcasing its further potential as a continuous measure to monitor fluctuations in sustained attention in psycholinguistic research.
Link: https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2021.11.18.469143v2
Paper of the Month, November 2022
The role of mother-infant emotional synchrony in speech processing in 9-month-old infants
Autoren: Monica Vanoncini, Natalie Boll-Avetisyan, Birgit Elsner, Stefanie Hoehl, & Ezgi Kayhan
Kommentar: Rhythmicity, namely a sequence’s tendency to recur, generates predictability and characterizes both mother-infant interactions and spoken language. High predictability in a certain aspect drives a selective sensitivity to that aspect of the environment, compared to other less predictable aspects. In this paper, we target the question of whether predictability of the environment creates an ideal language learning environment for infants. Specifically, we investigated whether the degree of predictability of behaviours in mother-infant interaction was linked to infants’ ability to segment words from fluent speech. To do so, here, we focused on synchrony in mothers’ and infants’ emotions creating a predictability of recurrence of emotional states: we coded both mother’s and infant’s facial expressions with a sampling rate of 40 msec during five minutes of free play. Emotional synchrony was defined as the time in which mother and infant matched their facial expression. Infant’s word segmentation was separately examined with an eye-tracking paradigm. We found that higher levels of emotional predictability during mother-infant interaction was associated with a more advanced infants’ performance in word segmentation. These findings suggest that predictable sequences of facial expressions, potentially allowing infants’ brains to be more efficient, may help infants to detect rhythms in social exchanges as well as in the spoken language. For the first time, our study provides a clear foundation for understanding the role of experience of synchrony and predictability in social interactions in language development, which raises important questions to be addressed by future research. Importantly, the results highlight that we will better understand the causes of individual variation in language development if we consider that language acquisition happens in social interactions – a point that has been neglected in the past.
Paper of the Month, October 2022
Evidence for a modulating effect of transcutaneous auricular vagus nerve stimulation (taVNS) on salivary alpha-amylase as indirect noradrenergic marker: A pooled mega-analysis
Autoren: Manon Giraudier, Carlos Ventura-Bort, Andreas M. Burger, Nathalie Claes, Martina D'Agostini, Rico Fischer, Mathijs Franssen, Michael Kaess, Julian Koenig, Roman Liepelt, Sander Nieuwenhuis, Aldo Sommer, Taras Usichenko, Ilse Van Diest, Andreas von Leupoldt, Christopher M. Warren, & Mathias Weymar
Kommentar: Die transkutane aurikuläre Vagusnervstimulation (taVNS) ist eine Weiterentwicklung der konventionellen und invasiven Vagusnervstimulation, und ermöglicht die Stimulation des Vagusnervs auf nicht-invasive Weise. Es gibt zahlreiche Hinweise auf eine modulierende Rolle der taVNS auf kognitive und affektive Hirnprozesse, die vermutlich durch die Aktivierung des Locus Coeruleus-Noradrenalin (LC-NA) Systems vermittelt wird. Zuverlässige Effekte der taVNS auf Marker der Aktivität des LC-NA Systems konnten bisher jedoch nicht nachgewiesen werden. In diesem Kollaborationsprojekt wurden Daten aus unterschiedlichen nationalen und internationalen Laboren (insgesamt 10 Studien mit N = 381), die die Auswirkungen der taVNS auf die Speichel-Alpha-Amylase, ein mutmaßlicher Marker für noradrenerge Aktivität, untersucht haben, zusammengeführt. Lineare gemischte Modell-Analysen mit einer Vielzahl von Modellierungsansätzen zeigten, dass die afferente Stimulation des Vagusnervs über taVNS die Speichel-Alpha-Amylase im Vergleich zur Scheinstimulation erhöhte, was die Annahme unterstützt, dass taVNS eine NA-Freisetzung auslöst. Der tageszeitliche Verlauf der Alpha- Amylase-Aktivität im Speichel konnte ebenfalls repliziert werden. Somit weist dieses Paper auf eine Aktivierung des LC-NA Systems durch taVNS und den potenziellen Nutzen von Speichel- Alpha-Amylase als nicht-invasiven, kostengünstigen und indirekten noradrenergen Marker im Rahmen der taVNS-Forschung hin. Darüber hinaus verdeutlichen unsere Ergebnisse die Vorteile des "Data Pooling", d.h. des offenen Datenaustauschs, sowie den Einsatz verschiedener statistischer Methoden mit dem Ziel der Veröffentlichung aussagekräftigerer und wertvollerer Ergebnisse. Der Open-Science Ansatz steht dabei im Mittelpunkt dieses Kollaborationsprojekts und beinhaltet die Präregistrierung der Hypothesen, Methoden und Analysen und den offenen Zugang zu allen Forschungsdaten und Analysen.
Papers of the Month, September 2022
Mapping Research Domain Criteria using a transdiagnostic mini‐RDoC assessment in mental disorders: a confirmatory factor analysis
Autoren: Bernd R. Förstner, Mira Tschorn, Nicolas Reinoso‐Schiller, Lea Mascarell Maričić, Erik Röcher, Janos L. Kalman, Sanna Stroth, Annalina V. Mayer, Kristina Schwarz, Anna Kaiser, Andrea Pfennig, André Manook, Marcus Ising, Ingmar Heinig, Andre Pittig, Andreas Heinz, Klaus Mathiak, Thomas G. Schulze, Frank Schneider, Inge Kamp‐Becker, Andreas Meyer‐Lindenberg, Frank Padberg, Tobias Banaschewski, Michael Bauer, Rainer Rupprecht, Hans‐Ulrich Wittchen, & Michael A. Rapp
Kommentar: Ziel dieser Studie aus dem BMBF geförderten Forschungsprojekt PD-CAN im deutschen Forschungsnetzwerk für „Psychische Erkrankungen“ (https://fzpe.de/) war es, die latenten Konstrukte aus der Research Domain Criteria (RDoC)-Initiative des National Institute for Mental Health (NIMH) (https://www.nimh.nih.gov/research/research-funded-by-nimh/rdoc) an einer transnosologischen Population zu untersuchen. Hierfür wurden bereits etablierte Selbsteinschätzungsinstrumente und Verhaltensbeurteilungen in einem Mini-RDoC-Assessment verwendet um die Konstrukte positives (PVS) und negatives Valenzsystemen (NVS), kognitive Systeme (CS) und soziale Prozesse (SP) abzubilden.
Die Daten von 1431 TeilnehmerInnen wurden in einer konfirmatorischen Faktorenanalyse (CFA) analysiert, um die zugrunde liegende latente RDoC-Struktur zu belegen. Das Vier-Faktoren-Modell, der Kerndomänen PVS und NVS sowie CS und SP zeigte, auch im Vergleich zu einem 1-Faktor-Modell, einen guten Model-Fit in dieser Stichprobe. Die Verbindungen zwischen den Domänen PVS, NVS und SP konnten nachgewiesen werden, was auf eine universelle latente Struktur hindeutet, die sich über bekannte nosologische Kategorien hinweg erstreckt.
Diese Studie lässt also einen ersten Einblick auf die latente Struktur und die Interkorrelationen zwischen den vier zentralen RDoC (Kriterien) in einer transnosologischen Stichprobe zu. Wir möchten dabei betonen, dass bereits existierende und gut validierte Selbsteinschätzungsfragebögen und Verhaltensmessungen zur Erfassung von Aspekten der latenten Struktur verwendet werden können. Diese Grundlagenforschung eröffnet uns die Möglichkeit das Wesen von psychischer Gesundheit bzw. Krankheit im Hinblick auf unterschiedliche Grade der Dysfunktion in grundlegenden psychologischen/biologischen Systemen besser zu verstehen.
Physical exercise training as preceding treatment to cognitive behavioral therapy in mild to moderate major depressive disorder: A randomized controlled trial
Autoren: Stephan Heinzel, Melanie Schwefel, Alba Sanchez, Darlene Heinen, Lydia Fehm, Romy Henze, Christina Terán, Gunnar Kallies, Michael A. Rapp, Thomas Fydrich, Andreas Ströhle, & Andreas Heissel
Kommentar: Many patients with major depressive disorder (MDD) remain untreated or do not respond to cognitive behavioral therapy (CBT). Physical exercise shows antidepressive effects and may serve as an effective augmentation treatment. However, research on combining exercise with CBT is sparse in MDD and underlying mechanisms of exercise are not well understood to date. IN this study high intense physical exercise did not lead to a general enhancement of CBT outcome, but higher increases in physical fitness seem to improve symptom change during CBT. Our results suggest that the implementation of more individually tailored exercise programs could be a promising approach for future research and clinical practice.
Paper of the Month, August 2022
During the COVID‐19 pandemic participants prefer settings with a face mask, no interaction
and at a closer distance
Autoren: Katharina Kühne, Martin H. Fischer, & Melinda A. Jeglinski
Kommentar: Diese Studie betrachtet die Wahrnehmung von Sicherheitsmaßnahmen, welche im Rahmen der Covid-19-Pandemie eingeführt und umgesetzt worden sind. Die Testung fand im Frühjahr 2021 statt während der dritten Covid-19-Pandemie-Welle in Deutschland. Die Studie ist relevant, um zu messen, ob die Bevölkerung die empfohlenen Schutzmaßnahmen, Abstand halten, Maske tragen und physische Interaktion vermeiden, verinnerlicht hat.
Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die Testpersonen eine mittlere Distanz (90 cm) über einer engen Distanz (50 cm) zweier Personen, die sie auf einem Bild sehen, bevorzugen. Dies ist in Einklang mit den herrschenden Covid-19-Schutzmaßnahmen, nämlich, dass die Nähe zwischen zwei Personen eine Gefahr darstellt. Weiterhin hat unsere Studie gezeigt, dass die Versuchspersonen Bilder ohne soziale Interaktion (Hände schütteln) gegenüber sozialer Interaktion bevorzugen. Auch dies ist in Einklang mit den herrschenden Schutzmaßnahmen, dass körperlicher Kontakt vermieden werden soll. Zudem bestätigen unsere Ergebnisse weiterhin, dass die Atemschutzmaske soziale Interaktion erleichtert, da die Versuchspersonen Bilder von Individuen mit Atemschutzmasken bevorzugten. Unsere Ergebnisse zeigen daher, dass die empfohlenen Schutzmaßnahmen während der Pandemie von unseren Versuchspersonen verinnerlicht und bevorzugt worden sind.
Wir haben diese Ergebnisse erhalten, indem wir die Reaktionszeiten auf die Bilder gemessen haben in einer einfachen Entscheidungs-Aufgabe (das Geschlecht der Personen auf den Bildern entscheiden). Aus ethischen Gründen war er nicht möglich (Ansteckungsgefahr), unsere Versuchspersonen im Labor zu testen und reale soziale Interaktion zu messen. Dies bedeutet, dass die Versuchspersonen diese Ergebnisse aus einer Dritte-Person-Perspektive heraus gezeigt haben. Dies verdeutlicht, wie sehr diese die empfohlenen Schutzmaßnahmen, Maske tragen, Abstand halten, keine physische Interaktion verinnerlicht haben: Obgleich sie nur andere Personen auf den Bildern bei den respektiven Handlungen beobachtet haben, sind implizite Vorlieben, die die Schutzmaßnahmen favorisieren, deutlich geworden. Dies zeigt, wie stark neue soziale Parameter bereits nach einem Jahr in unserem Habitus sind.
Paper of the Month, July 2022
Assessing the availability of inverse scope in German in the covered box paradigmAssessing the availability of inverse scope in German in the covered box paradigm
Autoren: Gisbert Fanselow, Malte Zimmermann, & Mareike Philipp
Kommentar: In this paper, we provide an experimental investigation of how speakers of German interpret doubly-quantified sentences. This type of sentences is of particular interest to the field of linguistics, as they can give rise to ambiguities. The relevance of this paper is characterized by both methodological and theoretical insights. Methodologically, the paper stands out in that it is the first experimental study on inverse scope in German employing a covered box design. Thereby it shows that this method is cross-linguistically suitable for examining scope ambiguities. Results from more direct surveys (yes/no answers to direct content questions) could be replicated here with a more indirect method. Since indirect methods are preferable to more direct ones in studies with naive speakers, these results make a relevant contribution to future experimental research in this area. Furthermore, the experimental results are relevant for theory building, as they underpin (i) that doubly-quantified sentences of the type investigated in here give rise to ambiguities in German, contrary to what is often assumed; (ii) that the availability of different scope interpretations is not categorically regulated by a macroparameter between languages, as has been proposed, but is gradual in nature; (iii) that even within a particular language, scope ambiguities are not a one-dimensional phenomenon that is strictly encoded in the grammar, but is characterized by great variation between speakers and items and therefore depends on a wide range of linguistic and cognitive factors.
Paper of the Month, June 2022
The perceptual span is dynamically adjusted in response to foveal load by beginning readers
Autoren: Johannes M. Meixner, Jessie S. Nixon, & Jochen Laubrock
Kommentar: Weil kognitive Verarbeitung langsamer ist als perzeptuelle Verarbeitung, wählt die Aufmerksamkeit aus dem perzeptuellen Angebot aus. Beim Lesen muss dazu kognitive Verarbeitung das perzeptuelle Sampling der Sakkaden inhibieren können. Beeinflusst kognitive Inhibition beim Lesen, welche perzeptuelle Information zu einem gegebenen Zeitpunkt in das kognitive System hereingelassen wird? Dies ist ein Grundgedanke der Foveal-Load-Hypothese. Sie besagt, dass der Fokus der Aufmerksamkeit beim Lesen kleiner wird, wenn schwierige Wörter kognitiv verarbeitet werden. Deshalb sollen weniger Ressourcen für die parafoveale Vorverarbeitung zur Verfügung stehen und die Wahrnehmungsspanne kleiner werden. Bisher ist die Foveal-Load-Hypothese nur indirekt getestet worden. Hier liefern wir durch Kombination einer großen Stichprobe aus der PIER-Studie mit modernen statistischen Methoden und blickkontingenter Präsentation die erste direkte Evidenz für die Modulation der Wahrnehmungsspanne durch die foveale Wortschwierigkeit. Die Wahrnehmungsspanne wird dynamisch moduliert: sie wird kleiner, wenn schwere Wörter gelesen werden und größer, wenn leichte Wörter gelesen werden. Diese Modulation findet man bereits in frühen Schuljahren, was dafür spricht, dass ein allgemeiner Mechanismus dafür verantwortlich ist, der bereits vor dem Lesenlernen etabliert ist, z.B. ein dynamischer Aufmerksamkeitsgradient.
Ein zweiter wichtiger neuer Aspekt ist die Trennung räumlicher und zeitlicher Informationsakkumulation. In einer Vorarbeit (Sperlich, Meixner & Laubrock, 2016) haben wir Methoden entwickelt, mit denen sich Personenparameter für die längsschnittliche Evaluation individueller Unterschiede in der Wahrnehmungsspanne generieren lassen. Diesen Ansatz mit nichtlinearen gemischten Regressionmodellen haben wir in der vorliegenden Studie genutzt, um wortbasierte Schätzungen für zeitliche und räumliche Verarbeitung zu gewinnen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Wahrnehmungsspanne sich deutlich zwischen räumlichen und zeitlichen Entscheidungen unterscheidet. Die räumliche Sakkadenzielauswahl nutzt deutlich weitere Vorschau als die zeitliche Steuerung der Sakkaden.
Drittens zeigen wir, dass die Entwicklung der Wahrnehmungsspanne eher ihre Grenze erreicht als die Entwicklung der Lesegeschwindigkeit. Dies lässt vermuten, dass bei fortgeschritteneren Lesern die Entwicklung postperzeptueller Prozesse zur Erhöhung der Lesegeschwindigkeit beitragen, etwa des lexikalischen Zugriffs, der syntaktischen Verarbeitung, und der Integration eines mentalen Modells des Textes.
Link: https://doi.org/10.1037/xge0001140
Weitere kurze Zusammenfassung hier
Paper of the Month, May 2022
Creating meaning by taking initiative: Proactive work behavior fosters work meaningfulness
Autoren: Doris Fay, Karoline Strauss, Christopher Schwake, & Tina Urbach
Kommentar: To experience meaning is regarded as essential for psychological well-being and individual growth. Work psychologists, who focus on understanding the factors that contribute to experiencing one’s work as meaningful, emphasize the role of work design and the content of the job. This approach puts the working individual into a position of a passive recipient of their working circumstances. The present paper departs from this by assigning the individual an active role.
Proactive work behavior reflects discretionary, future- and change oriented behaviors at work. Based on the observation that meaningfulness is experienced when people are able to connect to the future we propose that proactive work behavior is associated with higher levels of experienced work meaningfulness. Across three studies with working individuals, two scenario-based experiments and one daily-diary study, we show that proactive work behavior is associated with higher work meaningfulness, and that this effect is particularly strong when individuals work in a context where they find it difficult to connect to the future.
Paper of the Month, April 2022
Association of regional socioeconomic deprivation and rurality with global developmental delay in early childhood: Data from mandatory school entry examinations in Germany
Autoren: Stephanie Hoffmann, Mira Tschorn, Niels Michalski, Jens Hoebel, Bernd R. Förstner, Michael A. Rapp, & Jacob Spallek
Kommentar: In dieser populationsbasierten Analyse von Daten Brandenburger Schuleingangsuntersuchungen untersuchten wir den Einfluss individueller sowie regionaler sozioökonomische Faktoren auf die Entwicklung von Vorschulkindern. Regionale Sozioökonomie wurde mittels German Index of Social Deprivation (GISD) operationalisiert, welcher vom Robert Koch-Institut entwickelt und herausgegeben wird und für jede Postleitzahl Indikatoren aus den Bereichen Bildung, Beruf und Einkommen aggregiert abbildet. Die Daten aller 22.801 Kinder, die in 2018 und 2019 in Brandenburg auf Schuleignung untersucht wurden, wurden im Hinblick auf das Vorhandensein einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung untersucht, welche mindestens mit Entwicklungsverzögerungen in den Domänen Sprache und kognitive Fähigkeiten einhergehen. Wir konnten dabei zeigen, dass die familiäre Sozioökonomie den deutlich stärksten Zusammenhang zur Entwicklungsverzögerung der Kinder aufwies, jedoch die regionale Deprivation als kontextuelle Sozioökonomie darüber hinaus einen zusätzlichen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder zeigt. Demnach konnten wir zeigen, dass selbst unter Berücksichtigung der familiären Sozioökonomie, die regionale Deprivation einen zusätzlichen Einfluss auf Entwicklungsverzögerungen in den Domänen Sprache und kognitive Fähigkeiten bei Vorschulkindern aufweist.
Paper of the Month, March 2022
Pupillary entrainment reveals individual differences in cue weighting in 9-month-old German-learning infants
Autoren: Mireia Marimon, Barbara Höhle, & Alan Langus
Kommentar: In this paper, we investigated how German-speaking adults and 9-month-old German-learning infants weight statistical and prosodic cues when segmenting continuous speech. Measuring pupil size, we showed that adult participants’ pupil size synchronized with prosodic words whilst listening to the speech stream. Regarding infants, the variability in temporal alignment of the pupillary changes indicated that prosodic and statistical cues compete for dominance. Whereas some infants’ pupils synchronized more to prosodic words, other infants’ pupils synchronized to statistical words. To our knowledge, this is the first evidence that at least some German-learning infants can segment such a speech stream with statistical cues. In addition, we showed for the first time that this variability in word segmentation at 9 months is related to later language development. In sum, our results reveal individual differences in the relative weighting of statistical and prosodic cues in infants of the same age and how these differences influence later language development. We, therefore, open new research questions for further research.
This project was funded by the Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG, German Research Foundation) and by the European Union's Horizon 2020 research and innovation programme.
Paper of the Month, February 2022
Outcomes of a Delirium Prevention Program in Older Persons After Elective Surgery: A Stepped-Wedge Cluster Randomized Clinical Trial
Autoren: Friederike Deeken, Alba Sánchez, Michael A. Rapp, Michael Denkinger, Simone Brefka, Juliane Spank,Carola Bruns, Christine A. F. von Arnim, Olivia C. Küster, Lars O. Conzelmann, Brigitte R. Metz, Christoph Maurer, Yoanna Skrobik, Oksana Forkavets, Gerhard W. Eschweiler, & Christine Thomas
Kommentar: Das postoperative Delir ist die häufigste Komplikation nach operativen Eingriffen bei älteren PatientInnen und kann mit einer Reihe an kurz- und langfristigen Folgen, wie einer erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrate, kognitiven Einschränkungen und erhöhten Institutionalisierungsraten in Verbindung gebracht werden. Mit Hilfe der PAWEL-Studie wurde untersucht, ob der Einsatz einer multimodalen, sektorübergreifenden, nicht-medikamentösen Intervention bei PatientInnen über 70 Jahren, die sich einer Elektivoperation unterziehen mussten, zu einer Reduktion des postoperativen Delirs führt. Einmalig an der Studie ist der transsektorale Ansatz mit einem 12-Monats-Follow-up im Hinblick auf die Langzeitfolgen des Delirs.
Die Ergebnisse der Studie, mit insgesamt 1470 PatientInnen, belegen die Wirksamkeit der Intervention. Die PAWEL-Studie konnte zeigen, dass eine strukturierte, nicht-pharamakologische Intervention eine sichere und effektive Präventionsmaßnahme ist, um das Auftreten von postoperativen Delirien bei Älteren zu reduzieren. Für Patientinnen und Patienten, die sich einem herzchirurgischen Eingriff unterziehen mussten, konnte dieser Effekt jedoch nicht nachgewiesen werden. Die Publikation ist in JAMA Surgery, dem weltweit wichtigsten Fachjournal für Chirurgie, erschienen.
Paper of the Month, January 2022
Effects of competence feedback on therapist competence and patient outcome: A randomized controlled trial
Autoren: Florian Weck, Yvonne M. Junga, Reinhold Kliegl, Daniela Hahn, Katharina Brucker, & Michael Witthöft
Kommentar: In der vorliegenden Arbeit wurde mittels eines randomisiert kontrollierten Designs untersucht, ob Psychotherapie durch ein Feedback (hinsichtlich der Durchführung der Behandlung) verbessert werden kann. Es zeigte sich, das die Qualität der durchgeführten Therapie durch das Feedback verbessert werden konnte, nicht jedoch das Ergebnis der Behandlung (d.h. bezüglich der Symptomatik der Patienten zeigte sich kein Unterschied zwischen der Feedback- und der Kontrollgruppe). Diese Befunde werfen wichtige Fragen hinsichtlich bisheriger Annahmen über die Wirkweise von Psychotherapie auf. Die Arbeit beinhaltet darüber hinaus einen innovativen Ansatz zur Analyse der Daten. Das Projekt wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert (WE 4654/7).
(Eine pdf-Version des Papiers kann bei Florian Weck angefragt werden.)