Nach den zugehörigen Examinierungen eröffnete sich mir ein recht abwechslungsreiches Berufsleben in Deutschland, in Südamerika, während der „Wendezeit“ im Baltikum (im Auftrage der EU-Kommission) und, gegen Ende meiner Dienstzeit, in Südostasien. Die Unternehmen der „Gemeinwirtschaft“ in Deutschland, aber auch in Österreich, waren bis Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts Schwergewichte im europäischen Wirtschaftsgefüge. Sie verschwanden in der Folgezeit nach und nach. Die Erinnerung an ihre einstige Bedeutung für die Volksgemeinschaft ist heute verblaßt. Allenfalls erinnert man sich heute noch - wegen ihres spektakulären Niederganges - an die „Neue Heimat“, in den Nachkriegs-Jahren ein herausragender gemeinwirtschaftlicher Komplex im Wohnungswesen und in der Stadtentwicklung, der sich aber übernahm (Stichwort „Größenwahn“) und infolge von Führungsfehlern zusammenbrach. Die meisten der anderen gemeinwirtschaftlichen Unternehmungen waren jedoch recht erfolgreich und gerieten deswegen ins Visier rentierliche Kapitalanlagen Suchender. Diesen arbeiteten Gewerkschaftler zu, die einst als Treuhänder der Gemeinwirtschaft Eingestufte (mit am Niveau der allgemeinen Wirtschaft orientierten Gehältern) zu deren Top-Managern geworden waren. Sie transformierten die ihnen unterstellten Betriebe schrittweise in rein ertragsorientierte Einrichtungen und und brachten diese dann, eines nach dem anderen, in interessierte Konzerne ein. Der Kaufpreis ging an die (gewerkschaftlichen) Eigentümer. (Ob die Vermittler „Honorar“ für ihre Dienste bekamen, bleibt im Dunkeln. Abwegig ist eine solche Vermutung aber nicht.) Die Mehrzahl der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen verschwand mithin also nicht etwa wegen fehlender Eignung für das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben oder wegen Führungsschwächen von der Bildfläche, sondern weil sie von Personen mißbraucht wurden, von denen erwartet worden war, sie würden „nachhaltig“ den Zielsetzungen der Protagonisten der Gemeinwirtschaft treu bleiben.
Kontrollen - etwa solche ähnlich der „Genossenschaftlichen Verbandsprüfung“ – hätten wohl schon damals Verirrungen vermeiden oder korrigieren können und die Erhaltung der Gemeinwirtschaft zukunftssicher gemacht; dies wäre sicher besser gewesen, als blind auf dauerhaftes Wohlverhalten von „Kollegen“ zu setzen. Einige Ausnahmen von der allgemeinen Entwicklung im wirtschaftsdemokratischgemeinwirtschaftlich-genossenschaftlichen Bereich gab und gibt es weiterhin, die hier genannt werden:
- Hier und dort etablierten sich, meist später, örtliche Genossenschafts-Läden in kleinen isolierten Kommunen aufgrund von Bürger-Initiativen, manchmal verbunden mit Gaststätten als örtlicher Gemeinschafts-Treffpunkt.
- In größeren Orten der östlichen Bundesländern entstanden Konsum-Genossenschaften nach Vorbildern aus der „Weimarer Zeit“
All diesen fehlt aber der eigentlich zugehörige institutionelle Ober- und Unterbau. Es gibt aber darüber hinaus noch Unternehmen, die als „gemeinwirtschaftlich“ eingestuft werden können, die allerdings nicht in der hier im Zentrum stehenden Trägerschaft arbeiten, sondern in Staatshand sind. Dies sind zum Beispiel die „Deutsche Bahn AG“ und die „DHL-Deutsche Post AG“, die durchaus eine gesellschaftspolitische Aufgabe erfüllen sollen.
Schon die Urfassung des deutschen Genossenschaftsgesetzes – von 1889 – enthält einen Prüfungs-Mechanismus, damals noch in Staatshand, später in die Eigenverantwortung der Genossenschaften übertragen. Beim Staat verblieb, bis heute, eine Legalitäts-Aufsicht. Die obligatorische genossenschaftliche Verbandsprüfung ermöglicht einen weit tieferen Einblick in das Innenleben jeder Genossenschaft, als dies bei allgemeinen Wirtschaftsprüfungen gang und gäbe ist. Gleich nach dem Machtübergang an die Nationalsozialisten – 1934 – wurde das deutsche Genossenschaftssystem gleichgeschaltet, indem die Macht der Genossenschafts-Mitglieder, zu deren Schutz die Verbandsprüfung einst etabliert worden war, gestutzt wurde. Die Manager, eigentlich Diener der Genossenschaften, wurden – bis heute – zu ihren Herren. Zugleich wurde eine Zentralisierung der genossenschaftsbezogenen Staatsfunktionen und eine Monopolisierung dekretiert. Die Verbandsprüfung eröffnet den Prüfern eine konkurrenzfreie Chance, sich zugleich als Berater der ihrer Kontrolle Unterworfenen anzubieten, wobei sie, anders als bei der Überprüfung, die Interessen des Auftraggebers fokussieren müssen. Beide Bereiche, Verbandsprüfung und Beratung, werden von exzellent auf diese Aufgaben vorbereiteten – s. Genossenschaftsakademie Montabaur - Fachleuten durchgeführt, sowie (gesondert für jede der beiden Funktionen) von der jeweiligen Genossenschaft üppig honoriert. Deswegen ist dieser Bereich bei den Genossenschaftbediensteten besonders begehrt. Den Trägern des Prüfungswesens beschert die beschriebene Koppelung der Funktionen zusätzlichen Ertrag. Als Referenzen für eine Neugestaltung einer Wirtschaftsdemokratie im Osten im Einklang mit dort Gewachsenem und mit europäischen Kultur-Grundwerten, eignen sich insbesondere die Urfassung des deutschen Genossenschafts-Gesetzes von 1889, dem zeitlichen Vorläufer des ihm inhaltlich verwandten Russischen Genossenschaftsgesetzes vom März 1917. (Der Text des russischen Gesetzes findet sich auf der Website der „Stiftung Livländische Gemeinnützige“, https://www.uni-potsdam.de/de/livlaendische-gemeinnuetzige/index.) Beide Gesetzeswerke sind für Anpassungen an heutige Erfordernisse offen, vor allem sind sie frei von Pervertierungen durch die späteren Gewaltherrschafter in Ost und West. Genossenschaftliche Träger könnten sicherlich für Beratung gewonnen werden. Dem dafür aufzuwendenden Entgelt würde erheblicher Nutzen (= weniger Ausfälle) gegenüberstehen. Der Ansatz „Wirtschaftdemokratie“ mit seinen dargestellten Potentialen und seinen schon vor der Sowjetherrschaft erfolgreich praktizierten Ausformungen erscheint gerade für das im Umbruch befindliche post-sozialistische Osteuropa der Aufmerksamkeit wert zu sein. Das in ihr enthaltene Kulturgut sollte auf jeden Fall in die aktuelle Herausforderung, dort eine moderne, leistungsfähige „Soziale und demokratische Martktwirtschaft“ zu entwickeln, eingebunden werden.
Hier zum Abschluss ein weiterführenden Aspekt, der aber mit den weiter oben gemachten Ausführungen verknüpft ist: Genossenschaften und die Gemeinwirtschafts-Unternehmen wirdem bis jetzt allgemein angesprochen. Nun wird eine spezifische Ausprägung der Wirtschaftsdemokratie ins Blickfeld gerückt, nämlich die ihr zuzurechnende Geldwirtschaft. Zu ihr zählenbei den Genossenschaften diejenigen des „Schulze-Delitzsch-Typs“ meist „Volksbanken“ genannt und die des „Raiffeisen-Typs“, meist als „Spar- und Darlehenskassen“ bezeichnet, all diese mit Verzweigungen, etwa Bausparkassen und Versicherungen. Bislang wurde der „Sparkassen-Sektor“ (Institute in „kommunaler Trägerschaft“ und wenige in Stiftungen organisiert) noch nicht angesprochen, obgleich dieser Bereich hinsichtlich der Zielgruppen und der Arbeitsweise dem genossenschaftlichen Bankwesen eng verwandt ist. Die kommunalen Sparkassen unterliegen zudem einem (in den jeweiligen Ländergesetzen verankerten), dem genossenschaftlichen durchaus ähnlichen,
Überprüfungssystem. Beide Gruppierungen sind, wie die Mehrzahl der genossenschaftlichen Geldhäuser, regional verwurzelt und – immer noch – in ihrer Gesamtheit in der nationalen Bankwirtschaft führend und zugleich Garant ihrer Nachhaltigkeit. Die Sparkassen können insgesamt der Wirtschaftsdemokratie zugeordnet werden. Es erscheint mithin angezeigt, zu überlegen, zumindest für Osteuropa, künftig beide Ansätze miteinander zu verknüpften.
(Ein vergleichbarer Vorgang in Frankreich: Das Entstehen von „Groupe BPCE“ aus „Groupe Banque Populaire“ und „Groupe Caisse d'Epargne“ 5 hervorgegangen.)
1 Fritz (Peretz) Naphtali. Er ist der Urheber des Begriffes Wirtschaftsdemokratie. S. Website „Fritz (Peretz) Naphtali – Friedrich-Ebert-Stiftung“ und Wikipedia „Fritz Naphtali“.
2 Walter Hesselbach. Die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen. Der Beitrag der Gewerkschaften zu einer verbraucherorientierten Wirtschaftspolitik. S. 13: Gewerkschaften und Konsumgenossenschaften, die einzigen, die in den Jahren des Wiederaufbaus...nicht der...dominierenden erwerbswirtschaftlichen Grundstimmung verfielen. S. 14: Konsumgenossenschaften und Gewerkschaften...solidarisches und altruistisches Denken und Handeln. S. 15: ...humanistische Tradition. Burkhardt Röper. Theorie und Praxis der gemeinwirtschaftlichen Tradition. Beiblatt. Ziele und Funktionen der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen. Hauptwerk, S. 47: An gemeinwirtschaftlichen Zielen orientierte Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung zwischen privatwirtschaftlicher Marktwirtschaft und Zentralverwaltungswirtschaft. Eigentümer haben gegenüber den Anforderungen eines demokratischen Gemeinwesens zurückzutreten...
3 Die Verbindung – s . Fußnoten 1 und 2 – von Fritz Naphtali mit Vor- und Nachkriegsdeutschland und zu Israel hat ihn – ihn als Sozialdemokrat und Gewerkschaftler, hierzulande, wie auch in Israel, sicherlich in Verbindung zur britischen „Fabian Society“ gebracht und damit zu den Trägern der britischen Macht in den frühen Jahren der Bundesrepublik, sowie deren Bemühungen um die Rückkehr Deutschlands in die europäischen Kulturtraditionen,
wobei man sich auch um Sozialreformen bemühte, die in Großbritannien nicht umsetzbar waren, aber durchaus, aufgrund der neuen Machtverhältnisse, im besetzten Deutschland möglich wurden, vor allem in einem
aufstrebenden Wirtschaftsraum, nämlich dem der Montanwirtschaft und mit den, ebenfalls von ihr bevorzugten, demokratisch gewordenen Organisationen der Arbeiterschaft, den Gewerkschaften und Genossenschaften.
(Zusatz des Verfassers dieser Aufzeichnung: Der „Kalte Krieg“ dürfte, sowohl für die britische, als auch für die deutsche Seite, eine Rolle für den Aufbau der „Gemeinwirtschaft gespielt haben, obgleich das nirgendwo in der für
den Autor dieser Aufzeichnung erreichbaren und genutzten Literatur erwähnt wird. Ebenso bleiben die schon vorhandenen europäischen Gemeinschafts-Einrichtungenunerwähnt. Gleiches gilt für die Arbeitnehmer-Mitbestimmung, eingeschlossen die meist als Kapitalgesellschaften operierenden gemeinwirtschaftlichen Unternehmen.
4 Achim von Loesch. Die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen der deutschen Gewerkschaften. S. 376: Arbeiterunternehmen nach Art der Produktivgenossenschaften...eine Einteilung, der wir uns nicht anschließen.
Achim von Loesch. Die Gemeinwirtschaftliche Unternehmung. Gemeinwirtschaft als Wirtschaftsdemokratie. S. 82ff: Fabian Society, dort als „die Fabier“ bezeichnet. S. 86: Demokratie als notwendiger Ausgangspunkt der ökonomischen Neuordnung Deutschlands...Wirtschaftsdemokratie als Alternative zu einer sozialistischen Organisation der Wirtschaft im Ganzen. Theo Thiemeyer. Grundsätze einer Theorie der Gemeinwirtschaft. Schriftenreihe Gemeinwirtschaft, Nr. 3. S. 29: Demokratische Grundorientierung...