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Kirchliches Arbeitsrecht im Spannungsfeld zwischen nationalem Verfassungsrecht und Europarecht

Das Grundgesetz sichert den Religionsgesellschaften zu, ihre eigenen Angelegenheiten selbstbestimmt zu verwalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirkt sich diese Garantie auch auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse aus. Sie unterfallen qua Rechtswahl zwar dem säkularen Arbeitsrecht, aber die Ausstrahlungswirkung des religiösen Selbstbestimmungsrechts als institutioneller Konkretisierung grundrechtlicher Gewährleistungen erlaubt gleichwohl bereichsspezifische Anpassungen. Diese müssen im religiösen Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft begründet sein, um als Kollisionsrecht zum »für alle geltenden Gesetz« in der Güterabwägung eine Schutzwirkung für die Religionsgemeinschaften entfalten zu können. Ist das gegeben, schlagen sie sich in Freiräumen sowohl im Individual- wie Kollektivarbeitsrecht nieder.

 Die christlichen Kirchen haben diesen Gestaltungsspielraum genutzt, um ein Kirchliches Arbeitsrecht zu schaffen. Dieser – ungenaue – Terminus beschreibt jene kirchlichen Rechtsnormen, mit denen die Kirchen von den Möglichkeiten religionsspezifischer Ausformung des Arbeitsrechts Gebrauch machen. Seine gesellschaftliche Relevanz erfährt diese Adaption von Arbeitsrecht an den kirchlichen Kontext insbesondere dadurch, dass es den Kirchen unter verschiedenen Aspekten für ihre Arbeitsfelder zusteht, unabhängig davon, in welcher Rechtsform sie organisiert sind. Damit unterfällt nicht nur der überschaubare Bereich verfasster Kirchen, sondern der große Bereich gesellschaftlicher Aktivitäten in Diakonie, Caritas und Bildung den Möglichkeiten kirchenspezifischer Ausgestaltung.

 Zu den Kernelementen gehören individualarbeitsrechtlich die Möglichkeit, die Religionszugehörigkeit bei der Begründung von Beschäftigungsverhältnissen zu berücksichtigen und Mitarbeitenden bestimmte Loyalitätsobliegenheiten aufzuerlegen, die sich auch auf den Bereich des Privatlebens erstrecken, und kollektivarbeitsrechtlich eigene Formen der Mitbestimmung zu etablieren und Streiks weitgehend auszuschließen. Diese eigenen Regelungen sind nicht unumstritten. Während das Bundesverfassungsgericht sie – auch im Gegensatz zum Bundesarbeitsgericht – immer wieder bestätigt hat, und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sie grundsätzlich für konventionskonform hält, deutet sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union an, dass unionsrechtlich ein anderer Ansatz verfolgt wird. Aktuell kommt es im Fall ›Egenberger‹ möglicherweise sogar zu einer Konfrontation zwischen BVerfG und EuGH.

Die Differenzierungen und Abwägungen zu dieser Thematik sind höchst examensrelevant.

Innerhalb dieses Symposiums können Bachelorarbeiten und Zulassungsarbeiten für die Schwerpunktarbeit des Examens (SPB 8) geschrieben werden.

Seminartag:   Montag, 14. Juni 2021,

  • 10.15 Uhr bis 13.00 Uhr
  • 14.15 Uhr bis 16.45 Uhr
  • 17.15 Uhr bis 18.45 Uhr
    Anschließend: gemeinsames Beisammensein in einer Gaststätte

Ort des Seminars: Raum 2.07 im Haus 1 (Dekanatszimmer)

Anmeldungen und Kontakt: Dr. Rainer Rausch

Gliederung:

Grundsätze des Arbeitsrechts und grundlegende Charakteristika

1. Rechtsquellen des Arbeitsrechts: Regelungen privatrechtlicher, öffentlich-rechtlicher sowie kollektivrechtlicher Natur sowie kirchliche Rechtsbestimmungen im Unionsrecht, deutschen Verfassungsrecht, in staatlichen Gesetzen, in Kirchengesetzen Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen, Arbeitsverträgen, betrieblichen Übungen, Weisungen des Arbeitgebers etc.
2. Individualarbeitsrecht
2.1. Anbahnung; Begründung, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen
2.2. Nicht disponible Gestaltungen des Arbeitsrechts (Arbeitnehmerschutzrechte)
3. Kollektives Arbeitsrecht
3.1. Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden
3.2. Dritter Weg
4. Koalitionsrecht als Teil des kollektiven Arbeitsrechts
4.1. Tarifvertragsrecht einschließlich Arbeitskampfrecht
4.2. Kirchliches Arbeitsrechtsregelungsgesetz durch den Dritten Weg
5. Betriebsverfassungsrecht und Mitarbeitervertretungsrecht
6. Arbeitsprozessrecht
6.1. Kirchliche Schlichtungen
6.2. Staatliches Arbeitsgericht auch bei kirchlichen Streitigkeiten

III. Rechte und Pflichten des Arbeitgebers im Arbeitsrecht

Betriebsrat (staatlich) / Mitarbeitervertretung (kirchlich)

Regelungsmechanismen im Arbeitsrecht

1. Vorrangprinzip: Unionsrecht (EUV/AEUV), Deutsches Verfassungsrecht, staatliches Gesetzesrecht bzw. Kirchengesetze, Regelungen in Tarifverträgen bzw. Beschlüssen der Arbeitsrechtlichen Kommissionen, Regelungen in Betriebsvereinbarungen bzw. Dienstvereinbarungen
2. Weitere Gestaltungsformen: Arbeitsvertragliche Einheitsregelungen, eine betriebliche Übung, Direktionsrecht (Weisungsrecht) des Arbeitgebers

Besonderheiten des Kirchlichen Arbeitsrecht

Die Kirchen gelten nach dem Staat als der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Ihr verfassungsrechtlich in Art. 140 GG iVm. Art. 137 III WRV verbürgtes Selbstbestimmungsrecht gesteht den Kirchen zu, ihr Dienst- und Arbeitsrecht eigenständig und entsprechend ihrer theologischen und bekenntnismäßigen Voraussetzungen zu gestalten. Wegen des ›Dritten Wegs‹ (als der kirchengemäßen Form kirchlicher Arbeitsrechtssetzung), des Streikverbots im kirchlichen Dienst oder den besonderen Loyalitätspflichten (insbesondere in Bezug auf die Antidiskriminierungsgesetzgebung) werden besonders an das kirchliche Arbeitsrecht kritische Anfragen gestellt. Vor diesem Hintergrund sollen die Grundlagen des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts vorgestellt und aktuelle Einzelfragen behandelt werden.

Aufgrund dieses Selbstbestimmungsrechts steht es ihnen frei, innerhalb der allgemeingültigen Gesetze über ihr eigenes kirchliches Arbeitsrecht zu verfügen. Dieses lässt sich in drei Grundpfeiler aufsplitten:

  • Loyalitätsverpflichtungen: Kirchliche Mitarbeiter sollten sowohl mit den Glaubens- und Moralvorstellungen ihres Arbeitgebers übereinstimmen, als auch in ihrem Privatleben danach handeln. Teilweise gilt auch der jeweilige Glaube als Einstellungsvoraussetzung; dabei kommt es allerdings auf die jeweilige Position des Arbeitnehmers an.
  • Im kirchlichen Arbeitsrecht sind Mitarbeitervertretungen vorgeschrieben, die dafür sorgen, dass sich Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen an Entscheidungen, die den Betrieb betreffen, beteiligen können.
  • Überbetriebliche Mitbestimmung: Was im weltlichen Arbeitsrecht ganz normal ist, stellt im Kirchenarbeitsrecht eine Seltenheit dar: Grundlegende Arbeitsbedingungen im kirchlichen Arbeitsrecht setzt normalerweise weder der Arbeitgeber fest (›Erster Weg‹), noch werden diese durch Tarifverhandlungen bestimmt (›Zweiter Weg‹). Vielmehr gibt es besondere Gremien, die sich dieser Aufgabe widmen (›Dritter Weg‹). Sie bestehen aus Arbeitnehmern sowie Arbeitgebern, um ein Gleichgewicht zu schaffen.

Kirchliches Arbeitsrecht in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, des Bundesverfassungsgericht und der Gerichte Europas: EGMR und EuGH.