Zum Hauptinhalt springen

Exposés der Vorträge

Auf dieser Seite wird – in alphabetischer Reihenfolge – jeder Vortrag mit einem kurzen Exposé vorgestellt. Änderungen an Titel und Kurzdarstellung behalten wir uns vor. Den Ablaufplan des Kongresses finden Sie unter »Kongress-Programm«


Dr. Carmen Aus der Au (ETH Zürich)

Fontanes Medienpraxis als fiktiver und realer Dialog

Für Fontanes Kunstkritiken ist die Präsenz des Textes bei gleichzeitiger Absenz der Bilder sinnstiftend. Gerade das Fehlen der Bilder im publizierten Artikel dürfte ihm die Möglichkeit eröffnen, eigene Narrative zu entwickeln und damit literarisch produktive Freiheit zu erlangen. Zugleich scheint Fontane mit Kunstgesprächen und fiktiven Leseransprachen seine Texte zum Dialogischen hin zu öffnen. Sind digitale Foren und Blogs als Kommentarfunktion also bei Fontane bereits angedacht?


Dr. Vera Bachmann (Universität Regensburg)

Medium See – Medium Roman

Das Schweigen des Stechlin

In seinem Roman Der Stechlin entwirft Fontane eine mediale Poetologie des Romans. Im Zentrum der erzählten Welt liegt ein See, der mediale Eigenschaften aufweist: Er meldet naturgeschichtliche und gesellschaftspolitische Ereignisse aus der ganzen Welt in die Brandenburger Provinz und gewährleistet so deren Anschluss an die ›große Geschichte‹. Allerdings sind es ausgerechnet die medialen Eigenschaften des Sees, die im Roman ständig hinterfragt werden. Übermittelt der See Signale oder politische Botschaften? Ist er neutraler Überträger von Nachrichten oder ›rumort er mit‹? Am Stechlinsee entfaltet sich die Mediendiskussion des Romans: Moderne Kommunikationsmedien wie das Telegramm werden in die Erkundung der Möglichkeiten und Funktionen des Stechlin nicht nur miteinbezogen, sondern sie werden am Modell des kosmopolitisch-medialen Sees gemessen. Die Frage nach der Medialität des Stechlin betrifft daher weit mehr als das Motiv des Sees – sie führt ins Zentrum der Poetologie des bürgerlichen Realismus, zur Frage nach dem medialen Status von Literatur. 


Dr. Adrien Barbaresi (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften)

Fontane auf Punkte gebracht

Über die computergestützte Kartierung von Texten

Die philologische Arbeit an Texten kann von computergestützten Analysen ergänzt werden, u.a. eignen sich digitale Textkorpora für die Suche nach Mustern. Die entsprechenden Visualisierungen folgen nicht nur den Datenpunkten, sondern stellen sie perspektivisch dar, so dass bei der Erkennung von räumlichen Strukturen im Text auch die Feinjustierung von Filtern und Werkzeugen im Vordergrund steht. Dadurch können maschinelles und menschliches Lesen explorativ und kritisch konfrontiert werden.


PD Dr. Andreas Beck (Ruhr-Universität Bochum)

ZeitSchrift

Gedichte Fontanes und der Tod Kaiser Friedrichs III. in Zur guten Stunde

Die Zeitschrift generiert Risiken, Restriktionen, Potentiale: Ihr Erscheinungsdatum kann ungewollte Bedeutungsaspekte erzeugen; ihr knapper Publikationsraum erzwingt baldigen Textabbruch; in ihrem Spaltensatz können Texte sichtbar zueinander in Beziehung treten. Waldemar Atterdag ›versagt‹, da sein Journalerstdruck unversehens am Todestag des Kaisers erscheint; in der Folge setzt ein Gedichtensemble mit Kaiser Friedrich III., So und nicht anders und Ausgang nicht mehr auf das gesprochene, sondern das gedruckte Wort in seiner Visualität: auf das sichtbare Dichterwort, das im Layout und in den engen Grenzen des Journals als ZeitSchrift gefährdetes Leben fristet.


Prof. Dr. Sabina Becker (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)

Der »photographische Apparat in Aug’ und Seele«

Theodor Fontane und die Daguerreotypie

Zwar kommt dem photografphschen Medium in der Literatur des Realismus insgesamt wie auch Fontanes im Speziellen keine allzu große Bedeutung zu; in Briefen und sonstigen Lebensäußerungen aber bekundet letzterer rege Anteilnahme an der Fotografie als Aufnahmetechnik, als biographischem Dokumentationsmedium und auktorialer Repräsentationskunst. Und dieses Interesse ist sodann auch mit seiner spezifischen Beschreibungskunst in Verbindung zu bringen, die auf Arretierung und Verzögerung, Visualisierung und Momentaufnahme sowie Ausschnitt und Detailrealismus setzt.


Prof. Dr. Roland Berbig (Humboldt-Universität zu Berlin)

Der Tunnel über der Spree als Medium und mediale Instanz

Mit einem Seitenblick auf Fontanes Ära

Fontanes Einstieg in den Tunnel über der Spree bedeutete eine Erweiterung sozialer Kontakte und Erfahrungen, aber auch einen Schritt in neue mediale Räume. Dessen Wirkungskräfte waren nach innen und außen gerichtet. Sie entfalteten sich über Organisationsformen, Rituale und Praktiken literarischer Produktion und Rezeption. Der Tunnel wirkte als Medium in seiner Gesamtheit und in seinen Einzelsegmenten. Fontane war daran profitierend beteiligt. 


Prof. Dr. Franziska Bergmann (Universität Trier & University of Oxford)

Von der Verführungskraft perfektionierter Plastizität

Stillleben und Treibhaus als Konkurrenzmedien der realistischen Literatur in Fontanes L’Adultera

Fontanes Novelle L’Adultera reflektiert die Verführungskraft perfektioniert-plastischer Darstellung in außerliterarischen Medien. Inwiefern lässt sich diese Medienreflexion als Warnung vor einer forcierten realistischen Darstellungsweise verstehen, die zu viel abbildet und zu wenig verschweigt? Etabliert Fontane damit die Literatur des bürgerlichen Realismus als Leitmedium, weil sie sich – anders als andere realistische Medien – dem Gebot diskreter Wirklichkeitswiedergabe unterwirft?


Dr. Clarissa Blomqvist (Stockholms universitet)

Fontanes Zeitungssprache

Zeichnen sich Fontanes journalistische Texte durch eine sich im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich herausbildende charakteristische Zeitungssprache aus? Was offenbaren Fontanes Zeitungstexte darüber, ob und wie sich Fontane stilistisch an Konventionen und Anforderungen der veröffentlichenden Zeitung angepasst hat? Auf der Grundlage von Textvergleichen und textgenetischen Untersuchungen sollen Merkmale der medienspezifischen und typisch fontaneschen Zeitungssprache identifiziert werden. 


Dr. Philipp Böttcher (Humboldt-Universität zu Berlin)

»Kolossalunsinn«

Theodor Fontanes Theaterkritiken und die ›Schwäche des Dramas‹ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Theodor Fontanes vielfach gewürdigte und kanonisch gewordene Theaterkritiken entstehen ausgerechnet in einer Phase der deutschen Dramengeschichte, die als arm an bleibenden Werken, als ›Periode der Krise‹ gilt. Ausgehend von dieser Diskrepanz werden die im tagesaktuellen Kontext entstandenen theaterkritischen Texte auf ihren epochengeschichtlichen Quellenwert, ihre implizite Poetik und ihre spezifische Medialität hin befragt. 


Stephan Brändle B.A. (Humboldt-Universität zu Berlin)

»aus Büchern und nicht aus dem Augenschein genommen«

Fontane und die Nachschlagewerke

Der Beitrag fragt nach dem Verhältnis zwischen populären Nachschlagewerken und Fontanes Romanarbeiten. Im Zentrum stehen dabei weniger Fontanes Zitierkünste als konvergierende Praxen aus Roman- und Lexikonwerkstatt. Vor diesem Hintergrund soll am Beispiel des Reisehandbuchs das bildungskritische Potenzial in Fontanes Romanen ausgelotet werden.


Prof. Dr. Thomas Brechenmacher (Universität Potsdam)

Fontanes jüdische Namen

Konnotationen und Diskurse

Die Debatte über ›Fontanes Antisemitismus‹ wurde nicht zuletzt anhand der ›jüdischen Namen‹ in Fontanes Romanen und Gedichten geführt. Der Vortrag faßt zunächst die wesentlichen Positionen der Forschung über ›jüdische Namen‹ und Antisemitismus im Werk Fontanes pointiert zusammen und wirft sodann einen Blick aus der Perspektive der deutsch-jüdischen Geschichte – speziell einiger Ergebnisse empirischer Namensforschung dazu – auf Fontanes Umgang mit ›jüdischen Namen‹. Im Fazit unterstreicht er, daß die These Hans Blumenbergs, Fontane durchbreche mit seinen Namenstechniken den Erwartungshorizont seines impliziten Lesers, auch für die ›jüdischen Namen‹ gilt.


David Brehm M.A. (Philipps-Universität Marburg)

»beständig neue Beziehungen und Anknüpfungen« 

Cécile im Universum lesen

Voller Passagen »ohne künstlerische, organische Beziehung zur Hauptsache«, erscheint Cécile seinen Rezensenten 1887 als ein »merkwürdiges Buch«. Jene notorische »Kunst der Episode«, die die Kohärenzerwartungen der Buch-Leser so enttäuscht hat, setzt in der Zeitschrift Universum, in der Cécile ab April 1886, zusammengedruckt mit heterogenem Text-Bild-Material, als Fortsetzungs-»Novelle« erstmals erschien, ein spezifisches ästhetisches Potential frei, das der Vortrag freizulegen sucht.


Dr. Anna Busch, Kristina Genzel (Theodor-Fontane-Archiv | Universität Potsdam) Prof. Dr. Marian Dörk, Mark-Jan Bludau, Viktoria Brüggemann (Fachhochschule Potsdam)

Theodor Fontanes Schreibverfahren im Spiegel seiner (digitalen) Bibliothek

Die Bibliothek Theodor Fontanes wird derzeit vom Theodor-Fontane-Archiv im Verbund mit der Fachhochschule Potsdam in einem gemeinschaftlichen Projekt als eine digitale Bibliothek visualisiert. Die digitale Aufbereitung ermöglicht es, neue Fragestellungen an eine Autorenbibliothek heranzutragen und unvorhergesehene Bezüge, Sichtachsen und Zugänge herzustellen. Im Zentrum stehen in erster Linie die von Theodor Fontane hinterlassenen Marginalien, welche Rückschlüsse auf autoreigene Schreibverfahren zulassen. Fontanes Bibliothek zeigt sich damit als Abbild eines materialisierten Ideenfindungs- und Schreibprozesses, dem es in diesem Vortrag nachzuspüren gilt. 


Prof. Dr. Heiko Christians (Universität Potsdam)

Warum wir Bücher lesen (sollten)

Einige medienwissenschaftliche Ideen zu ihrem langsamen Verschwinden aus den Bildungsinstitutionen

Fontane lebte unter anderem davon, Romane in Fortsetzungen zu schreiben und zu verkaufen. Er produzierte Text. Im kulturellen Gedächtnis haben seine Romane sich erst festgesetzt und etabliert, als ›das Buch‹ ihr normales Erscheinungsbild und die bevorzugte Form ihres Konsums geworden war. Fontanes Bücher konnten so auch in den Rahmen von Bildung eintreten. Über die Romane im Einzelnen wird auf dieser Tagung genug gesagt werden/ worden sein. Deshalb soll in diesem Vortrag über den Zusammenhang von Buch und Bildung, von buchförmigem Roman und Bildung, einmal ganz allgemein nachgedacht und gesprochen werden. Warum wurde der buchförmige (Bildungs-)Roman zu einem zentralen Resonanzraum für die Idee der Bildung? Was verlieren wir möglicherweise, wenn wir diese Form des Buchs und die Formen ihrer Aneignung zugunsten elektronisch bereitgestellter Texte im Zusammenhang mit Bildung aufgeben?


Prof. Dr. Iwan-Michelangelo D’Aprile (Universität Potsdam)

Weltnachrichten und Provinzialkorrespondenz

Fontane als Akteur der preußischen Pressepropaganda

Zwischen Fontanes Londoner Aufenthalt als preußischem Presseagenten, seiner Tätigkeit als »unechtem Korrespondenten« bei der Kreuzzeitung und der Bismarck’schen Pressepolitik im preußischen Kriegsjahrzehnt lassen sich zahlreiche Querverbindungen und Kontinuitäten ausmachen, die in dem Beitrag näher dargelegt werden sollen. Ausgehend davon werden einige Überlegungen zum Zusammenhang zwischen den politischen Korrespondenzen Fontanes und seinen Tätigkeiten als Kunst-, Literatur-, Museums-, Gartenbau- und Theaterberichterstatter angestellt.


Moritz Döring M.A. (Ruhr-Universität Bochum) 

Gedicht – Netz – Werk

Fontanes poetische Historiografie in Zur guten Stunde

Der Vortrag reißt einzelne Techniken an, mithilfe derer Fontane seine Gedichte in Zur guten Stunde verknüpft. Der Dichter baut auf diese Weise ein Text-Netzwerk auf, das die Zeitschrift wörtlich nimmt als Verbindung von ›Zeit‹ und ›Schrift‹ und somit als idealen Speicherungsort für eine poetische Zeitgeschichtsschreibung.


AOR Dr. Michael Ewert (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Vom journalistischen Schreiben zur Erinnerungsliteratur

Fontanes Spreewald-Texte

Für die Wanderungen durch die Mark Brandenburg greift Fontane häufig auf seine älteren Reisefeuilletons und andere journalistische Artikel zurück, um sie zu bearbeiten und zu überschreiben. Anhand der zeitlich weit auseinanderliegenden Spreewald-Texte lassen sich aufschlussreiche Einblicke in die Schreibwerkstatt des Autors und sein sich wandelndes Selbstverständnis gewinnen. 


Prof. Dr. Frank Fischer (Higher School of Economics Moskau), Prof. Dr. Robert Jäschke (Humboldt-Universität zu Berlin)

Fontane im Wikiversum

Momentan gibt es 292 aktive Wikipedia-Sprachversionen. 47 davon haben einen Eintrag zu Theodor Fontane. Aufbauend auf einer Studie zur Weltliteratur in Wikipedia (https://arxiv.org/abs/1701.00991) untersuchen wir mit verschiedenen Metriken und Visualisierungen, wie Fontane als Autor und wie seine Werke, insbesondere die Romane, in den verschiedenen Sprachversionen repräsentiert bzw. vernetzt sind.


Prof. i.R. Dr. phil. Hubertus Fischer (Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, em.)

Fontane und die »Farbenklexerwelt«

Kunst- und Gunstkonkurrenz

Dass Künste miteinander konkurrieren, ist bekannt, weniger, dass auch Fontane diese Konkurrenz wahrnahm. Besonders stark hat er sie gegenüber dem Protagonisten der »Farbenklexerwelt«, Anton von Werner, empfunden. Der Vortrag geht der Frage nach, wie Fontane diese Kunstkonkurrenz, die ja auch eine Gunstkonkurrenz war, in seinem epistolarischen, diaristischen, essayistischen und novellistischen Werk verarbeitet hat. 


Prof. Paul Fleming, Phd (Cornell University)

Last Words: Blumenberg’s Anecdotal Fontane

Striking in Hans Blumenberg’s posthumous Gerade noch Klassiker. Glossen zu Fontane (1998) is how much he highlights ›last things‹: death, death scenes, and especially last words: spoken, unspoken, or merely imagined. But given the author’s and the philosopher’s mutual affection for the anecdote, this preponderance is not so surprising.  As a genre immune to the question: ›what comes next?‹, anecdotes relating last words may provide the most fitting ›death mask‹ – both loquacious and cryptic – to a life at its end.

(Vortrag in englischer Sprache, Diskussion in deutscher Sprache)


Prof. Dr. Heike Gfrereis (Universität Stuttgart & Deutsches Literaturarchiv Marbach)

Punkt und Linie, Schnitt und Netz

Fontanes Texte ausstellen

Die Leitausstellung des Fontanejahrs 2019 (fontane.200/Autor, 30.3. bis 30.12.2019) zeigt Fontane als Schreibdenker, Wortsampler und Textprogrammierer. Sie verknüpft digital und materials studies, close und distant reading und macht damit Fontanes Schreiboperationen und Textverfahren im realen Raum sichtbar und begreifbar. Der Vortrag gibt Einblicke in die Konzeption, Entstehung und Rezeption der Ausstellung. 


Prof. Dr. Rüdiger Görner (Queen Mary University of London)

»Nun ›alter Musikant‹ geworden, / Zieh ich umher mit meinem Spiel«

Theodor Fontane und das Musikalische

Im Musikalischen lyrischer und erzählender Texte artikuliert sich eine rhythmisch-melodische Befindlichkeit. Ihre bei Fontane selten untersuchte Ausprägung sei Gegenstand dieses Vortrages. Er versucht, das Ästhetisch-Grundsätzliche im Verhältnis von ›musikalischem‹ und ›realistischem‹ Schreiben ebenso zu erörtern wie an konkreten Fallbeispielen im Werk Fontanes zu untersuchen – etwa im Sinne von: Wie gehen causeurhaftes Erzählen und musikalisches (Form-)Bewusstsein zusammen?


Dr. Daniela Gretz (Universität zu Köln)

Miszellanität, Kontiguität und Serialität des Stechlin in Über Land und Meer

Ausgehend von reflexiven Selbstthematisierungen der Miszellanität und Kontiguität des Stechlin werden zunächst dessen intermediale, interdiskursive und intertextuelle Vernetzungen im Erstpublikationskontext analysiert, um anschließend die ›episodischen‹, ›anekdotischen‹ und ›dialogischen‹ Erzählstrukturen und -verfahren des Romans, u.a. im Rekurs auf Baßlers Text-Kontext-Theorie und Bachtins Theorie der Dialogizität des Wortes im Roman, einer medienbasierten Revision zu unterziehen.


Dr. Gideon Haut (Literaturmuseum Theodor Storm, Heilbad Heiligenstadt)

Voyeuristische Blicke in Fontanes Kriminalnovellen

Wegschauen als Selbstzensur und poetische Antwort auf die Medienkultur des späten 19. Jahrhunderts

Mit dem Aufstieg der Massenmedien im 19. Jahrhundert hielten vermehrt kriminalistische Themen Einzug in die Literatur. Fontane übernimmt, wie viele Autoren seiner Zeit, deren oftmals blutrünstige Motive. Er unterwandert den voyeuristischen Blick der Kriminalliteratur jedoch durch ein pointiertes Wegschauen, das poetisches Potential birgt, aber auch als Selbstzensur zu werten ist. Fontane schreibt mit dieser Doppelstrategie innerhalb von massenmedialen Kommunikationsbedingungen und zugleich gegen sie.


Dr. Christine Hehle (Wien)

Variationen über ein Thema. Theodor Fontane und Marie von Ebner-Eschenbach schreiben in der Deutschen Rundschau

Fontanes Effi Briest und Ebner-Eschenbachs Unsühnbar, beide erstmals erschienen in der Deutschen Rundschau, werden vor dem Hintergrund ihrer Produktions- und Publikationsbedingungen als Variationen auf das damals dominierende Thema des europäischen Gesellschaftsromans, Ehe und Ehebruch, betrachtet. 


Dr. Debora Helmer (Julius-Maximilians-Universität Würzburg)

»Es muß eine Stelle da sein, wo man das befreiende, das erhebende Wort zu hören vermag«

Zur Funktion des Theaters in Fontanes Theaterkritiken  

Der Vortrag geht der Frage nach, welche Rolle Fontane dem Theater im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext zuspricht. Dies ist untrennbar verknüpft mit seinen literatur- und dramentheoretischen Ansichten, wie er sie in den Theaterkritiken äußert. Weil diese einen Zeitraum von zwanzig Jahren umfassen, deren Eckpunkte das Theater der Gründerzeit und die Freie Bühne bilden, wird außerdem die Frage nach der Entwicklung von Fontanes Ansichten über Theater und dramatische Literatur erörtert.


Dr. Sonja Hillerich (Hessisches Landesarchiv, Marburg/Darmstadt)

Die Formierung einer beruflichen Kultur deutscher Auslandskorrespondenten im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert veränderte sich die Medienkultur enorm. Die Politik entwickelte neue Instrumente der Pressebeeinflussung, die Fontane den Aufenthalt in London ermöglichten. Journalisten etablierten eine berufliche Kultur, in der Augenzeugenschaft und Recherche einen hohen Stellenwert gewannen, in der aber auch unechte Korrespondenzen möglich blieben. Die Entwicklung der beruflichen Kultur von Auslandskorrespondenten steckt den Rahmen ab, in dem sich Fontanes journalistische Arbeit vollzog.


PD Dr. Nikolas Immer (Christian-Albrechts-Universität Kiel)

Sehenswürdigkeiten im Okkupationsgebiet

Monumente als Medien der historischen Kommunikation und Reflexion

Theodor Fontane thematisiert in dem Bericht Aus den Tagen der Occupation zahlreiche Denkmäler, die als ›Aktanten eines sozialen Netzwerks‹ (B. Latour) historische Bedeutung verkörpern und vermitteln. Um sie als Zeichen einer ›inszenierten Kultur‹ (A. Assmann) lesbar zu machen, bedarf es der Instanz eines Berichterstatters. Im Horizont ihrer spezifischen ›Monu-Mentalität‹ (T. Hölscher) wird untersucht, wie diese Monumente als Medien der historischen Kommunikation und Reflexion eingesetzt werden.


Dr. Ilinca Iurascu (University of British Columbia)

Fontanes Post-Medien

»Neue Medien machen alte nicht obsolet, sie weisen ihnen andere Systemplätze zu.« So formuliert Friedrich Kittler seine These von der Umschichtung medialer Systeme in Die Geschichte der Kommunikationsmedien. Anhand der Analyse postalischer Übertragungstechniken soll nun dieses Diktum in Bezug auf die Umschaltung von Schrift auf technische Medien in den Londoner Berichten und den Wanderungen näher betrachtet werden.


Prof. Dr. Fotis Jannidis (Julius-Maximilians-Universität Würzburg)

Fontane: Erste Triangulation

Die korpus-basierten Verfahren, die man populär als distant reading bezeichnet, eignen sich besonders zur Erforschung sehr großer Textsammlungen, sind aber kaum geeignet, die komplexen Einsichten beim Lesen eines einzelnen Texts einzuholen. Können sie also zur Erforschung des Werks eines so viel interpretierten Autors wie Fontane überhaupt etwas beitragen? In den Sozialwissenschaften, in denen die Kombination von qualitativen und quantitativen Verfahren als mixed-methods bezeichnet wird, wurde der Begriff der Triangulation für die Anwendung verschiedener Verfahren auf den gleichen Untersuchungsgegenstand vorgeschlagen. Auf diese Weise könnten Ergebnisse bestätigt, wichtiger noch aber: informationsreicher erfasst werden. Der Vortrag wird in diesem Sinne einige sehr basale Thesen und Fragen der Fontane-Forschung aufgreifen – zum Verhältnis von Autor-, Erzähler- und Figurenstimme oder der Position Fontanes zum poetischen Realismus und der Moderne – und erste Antworten aus der Perspektive der Computational Literary Studies formulieren.  Entsprechend dem frühen Entwicklungsstand der Verfahren wird es dabei weniger darum gehen, fertige Antworten zu liefern, sondern die Wege zu Antworten zu skizzieren und erste Ergebnisse vorzustellen. Man sollte sich also keine Neuinterpretation Fontanes erwarten, sondern im besten Fall einen verfremdenden Blick auf einen bekannten Gegenstand.


Prof. Dr. Christoph Jürgensen (Otto-Friedrich-Universität Bamberg)

Netzwerke – Fontane im Internet oder Überlegungen zur postumen Autorinszenierung 2.0

Folgt man dem russischen Formalisten Boris Tomaševskij, dann müssen wir beim Blick auf Autoren unterscheiden zwischen der (wenig interessanten) amtlichen Biographie einerseits und (stark interpretationsbedürftigen) biographischen Legenden andererseits. Diese biographischen Legenden haben sich natürlich auch um Fontane herum gebildet, wenngleich er wohl kein inszenierungspraxeologischer Virtuose war oder sein wollte. Die Arbeit an dieser Legende geht bis heute weiter, mittlerweile sehr lebhaft auch im Internet. Den aktuellen Formen und Funktionen der Fremdinszenierung im ›Netz‹ will mein Vortrag nachspüren, durch die Evaluation u.a. von Verlagsbewerbungen und Stiftungsseiten, von Amazon-Kundenrezensionen und überhaupt von Laienkritik.


Prof. Dr. Stephan Kammer (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Fontane am Schreibtisch

Werkstatt oder Showroom?

Die Arbeitsplätze von Schriftstellerinnen und Schriftstellern werden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Milieu, das vom neuen Medium Photographie und seinen Dichterporträts dokumentiert wird. Darin lässt sich bildlich greifen, was Klaus Kastberger und Stefan Maurer unlängst herausgestellt haben: Die ›Werkstatt des Dichters‹ sei Imaginations- und Arbeitsraum gleichermaßen. Ausgehend vom Porträt am Schreibtisch, das zu Fontanes 75. Geburtstag angefertigt worden ist, soll die Frage nach dieser Doppelstruktur und ihren literaturwissenschaftlichen Implikationen entwickelt werden.


Prof. Dr. Ursula von Keitz (Filmmuseum Potsdam | Filmuniversität Babelsberg)

Fontanes Männlichkeiten

Genderkonzeptionen in den ost- und westdeutschen Film- und TV-Adaptionen der 1960er und 1970er Jahre 

Anders als die sehr freien Bearbeitungen der 1930er und 1940er Jahre zeichnen sich die in den 1960er und 1970er Jahren vor allem für das Fernsehen in beiden deutschen Staaten entstandenen filmischen Adaptionen von Romanen Theodor Fontanes durch eine starke Nähe zu ihren literarischen Vorlagen aus. Die zugrundeliegenden kulturpolitischen Konzepte einer literarischen Bildung durch das Fernsehen stellen sich dabei, so die These, für die BRD wie die DDR gleichermaßen über die Frage, auf welche Traditionen sich eine demokratische und/oder sozialistische Kultur stützen könne und was den modernen Gesellschaften das Fontanesche Werk zu bedeuten habe. – Der Beitrag widmet sich den in diesen beiden Jahrzehnten entstandenen (TV- und Kino-)Filmen unter dem Aspekt der Darstellung von Männlichkeit und stellt Vergleiche zwischen den Verfilmungen jeweils ein und desselben Stoffes an.


Erika Kontulainen M.A. (University Pennsylvania) 

Landschaft und Erinnerung im Werk Theodor Fontanes 

Der Vortrag diskutiert das Wechselverhältnis von Landschaft und Erinnerung in ausgewählten literarischen Texten Fontanes. Er verfolgt dabei die These, dass Landschaft bei Fontane zwischen vergangenen und gegenwärtigen Welten vermittelt und unterschiedliche subjektive Erfahrungen und Wahrnehmungen reflektiert.


Prof. Dr. Hans-Christof Kraus (Universität Passau)

Londoner Realpolitik aus deutscher Perspektive

Fontane, Bucher und Marx als politische Korrespondenten

Nach der deutschen Revolution von 1848/49 trat in der Beurteilung politischen Handelns eine deutliche Ernüchterung ein, die sich etwa in einer neuen Einschätzung der Politik Großbritanniens zeigte. Waren Politik und Verfassung dieses Landes während des Vormärz den deutschen Liberalen und vielen Konservativen noch als politisches Vorbild und das Inselreich als Musterland erschienen, wandelte sich nach 1849 das Bild grundlegend: Eine nüchtern-realpolitische Beurteilung des »Parlamentarismus wie er ist« (L. Bucher) und vor allem auch der Londoner Außenpolitik trat nun in der deutschen Beurteilung in den Vordergrund. In diesen Kontext gehören Theodor Fontanes Korrespondenzen über die britische Politik der 1850er Jahre; die Bedeutung dieser Texte soll im Vergleich mit denen von Lothar Bucher und Karl Marx näher umrissen und charakterisiert werden.


Dr. Marcus Krause (Universität zu Köln)

In Verteidigung der Gesellschaft?

Zur Bildpolitik in Fontanes Vor dem Sturm und dem ›deutschen Familienblatt‹ Daheim

Der Vortrag geht zum einen den imaginären Projektionen nach, die in Vor dem Sturm mit Blick auf die märkische Heimat sowie die Differenzierung von Freunden und Feinden entworfen und problematisiert werden. Zum anderen soll die Rekonstruktion solcher Bildlichkeit auch auf die semiotischen und ästhetischen Interaktionen ausgedehnt werden, welche sich zwischen dem Roman und dem Ort seiner Erstpublikation, der nationalkonservativen Zeitschrift Daheim, beobachten lassen.


Monika Mia Kurz B.A. & Christian Ziesmer B.A. (Universität Potsdam) 

Das Theodor-Fontane-Archiv als außerschulischer Lernort

Durch die Konzeption einer ansprechenden Lernumgebung können Schülerinnen und Schüler – sowohl der Ober- als auch der Unterstufe – das Theodor-Fontane-Archiv Potsdam als außerschulischen Lernort kennenlernen und erkunden. Sie haben die Möglichkeit, literaturdidaktisch fundierte Workshops zu besuchen, die u. a. die Schwerpunkte ›Theodor Fontane und der bürgerliche Realismus‹ und ›Theodor Fontanes Stilistik‹ haben.


Prof. Nicola Lepp, Prof. Franziska Morlok (Fachhochschule Potsdam)

Warum eigentlich Fontane? Literatur visualisieren und vermitteln

Anmerkungen zu einem transdisziplinären Lehrprojekt

Jubiläen kann man sich nicht aussuchen. Sie finden statt – mit oder ohne eine/n. In einem forschenden Lehrprojekt sind Studierende der FH Potsdam (Design, Kulturarbeit) der Frage nachgegangen, was für ihre Generation an Theodor Fontane heute eigentlich interessant ist und welche Vermittlungsformen dafür adäquate und zeitgemäße Zugänge bieten. Zwischen Fotografie und Buch, Spiel und Installation, Audiodrift und digitaler Visualisierung stellen die entstandenen Projekte kritisch-ästhetische Befragungen seines Werkes aus Sicht der jüngeren Generation vor. 


Prof. Dr. John B. Lyon (University of Pittsburgh)

›Anzeigen‹, Media, and Modernity in Fontane 

The ›Anzeige‹ is the literary medium of commodity capitalism and appears in most of Fontane’s major novels; it is a foil against which Fontane asserts the relevance of literature in the modern world. Drawing on Walter Benjamin, I analyze ›Anzeigen‹ in Fontane to argue that he both recognizes the tendency of the contemporary media to privilege verifiable information over experience, and also creates a space for literature to convey experience and avoid commodification in the modern world.

(Vortrag in englischer Sprache, Diskussion in deutscher Sprache)


Ass.-Prof. Petra McGillen, PhD (Dartmouth College)

An den Grenzen des modernen Journalismus

Fontanes »unechte Korrespondenzen« als boundary-work

In vielen »unechten Korrespondenzen« thematisiert Fontane die Arbeit rivalisierender Berichterstatter und wirft z. B. einem Kollegen der Times vor, gar nicht vor Ort zu sein. In Von Zwanzig bis Dreißig hingegen spielt Fontane gerade das Vor-Ort-Sein herunter. Im Rückgriff auf Th. Gieryns boundary-work arbeite ich heraus, was es für die Genese des Korrespondentenberufs bedeutet, dass Fontane solche gegensätzlichen, aber trotzdem jeweils wahren Aussagen über die Korrespondententätigkeit machen konnte.


Dr. Julia Menzel (Universität Bayreuth)

»Wie wir kurz vor Redaktionsschluß von gut unterrichteter Seite her vernehmen«

Printmedien in Theodor Fontanes Romanwelten

Graf Petöfy liebt seine Franziska v.a. für ihren täglichen Zeitungsrapport, Robert v. Gordon zeigt Weltläufigkeit als Leser internationaler Presse und Effis Kessiner Glück ist dann am ungetrübtesten, wenn Gieshüblers Journale bei ihr eintreffen. Bei Fontane geraten Zeitungslektüren häufig zu Charakterbildern in a nutshell. Welche Bedeutung also haben Printmedien in Fontanes Romanwelten? Realitäts-Einsprengsel, erzählerische Komprimierung, öffentliche Stimme – oder vermögen sie noch viel mehr?  


Klaus-Peter Möller (Theodor-Fontane-Archiv | Universität Potsdam)

In der »Ruhmeshalle der deutschen Literatur«

Das Porträt des Autors und die Medien

Anhand ausgewählter Porträts von Theodor Fontane werden die verschiedenen Strategien der Produktion, Reproduktion und Rezeption aufgezeigt, die das Bild des Autors bestimmen. Das Thema wird an der Bleistiftzeichnung von Fritz Werner entwickelt, einer Skizze für das figurenreiche Tableau Die Enthüllung des Denkmals für Königin Luise im Tiergarten (1890).


Prof. Dr. Rolf Parr (Universität Duisburg-Essen)

Theodor Fontane: Kommunizieren, Produzieren und Publizieren in vernetzten Medien

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich gleichermaßen an der Entwicklung von Theodor Fontanes Schreiben nachzeichnen wie auch entlang der vielfältigen medialen Neuerungen der Transport-, Kommunikations-, Bild- und Publikationsmedien. Wie diese Medien in Fontanes Produzieren und Publizieren zusammenspielen, wie sie Raum und Zeit neu ordnen, neue Formen der Kommunikation möglich machen und neue Gegenstände für die Literatur in den Blick rücken, versucht der Vortrag zu zeigen, indem er synchrone Schnitte mit diachronen Entwicklungslinien verbindet.


Dr. Alexander Phillips (Ashoka University)

Literatur gegen Zeitungseilfertigkeit

Mediale Reflexionen in Theodor Fontanes Buchbesprechungen

Der Vortrag untersucht die Reflexionen über Literatur und ihren medialen Kontext in Theodor Fontanes Buchbesprechungen. Die Buchbesprechung wird zu einem Ort, in dem Fontane sich mit den Grenzen zwischen literarischem Realismus und anderen realistischen Medien auseinandersetzt. In der Buchbesprechung geht es für Fontane also nicht mehr um journalistische Berichterstattung über den Büchermarkt, sondern sie wird zu einer massenmedialen Gattung, die über die Massenmedien hinausweist.


Dr. Gabriele Radecke (Georg-August-Universität Göttingen)

Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg – textgenetisch-digital

Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg sind ein ›work in progress‹, dessen vier Teile von den Journalerstdrucken über den ersten Band (1862) bis zur Wohlfeilen Ausgabe (1892) in jeweils vermehrten Auflagen vorliegen. Die bisherige Editionslage wird dem Umfang und der spezifischen Textqualität sachlich, inhaltlich und methodisch nicht gerecht. Der Vortrag wird das geplante Vorhaben einer kommentierten digitalen genetisch-kritischen »Wanderungen-Edition« vorstellen. Der erste Teil erläutert das Konzept, das erstmals die gesamte Überlieferung berücksichtigt und die in unterschiedlichen Medien vollzogenen komplexen Schreib-, Produktions- und Publikationsprozesse von den ersten Notizbuch-Aufzeichnungen bis zur Wohlfeilen Ausgabe dokumentiert. Der zweite Teil diskutiert, welche Impulse dadurch für die Rezeption zu erwarten sind.


Dr. Wolfgang Rasch (Berlin)

Der ›öffentliche Charakter‹

Über Begegnungen mit Fontane, Fontanes Gespräche

Wie wurde Fontane von seinen Zeitgenossen gesehen? Welche Rolle spielte er im öffentlichen Leben? Vorgestellt werden methodische, quellenkritische und strukturelle Fragestellungen einer Textsammlung, die Fontanes Leben und Persönlichkeit in Berichten, Urteilen und Erinnerungen seiner Zeitgenossen dokumentieren soll. Dabei werden erste Funde und Befunde zum ›öffentlichen‹ Fontane bis 1898 vorgestellt.


Prof. Dr. Sandra Richter (Deutsches Literaturarchiv Marbach), Barbara Schneider-Kempf (Staatsbibliothek zu Berlin)

Digitale Archive für Literatur

Im Gespräch mit Peer Trilcke

 

1889 veröffentlichte Wilhelm Dilthey mit seinem Aufsatz Archive für Literatur eines der Gründungsdokumente der modernen Literaturarchive. 130 Jahre danach befinden sich literarische Gedächtnisinstitutionen, angetrieben von der umfassenden Digitalisierung der Kommunikations- und Speichermedien, in einem grundlegenden Transformationsprozess. Wohin führt die Digitalisierung des kulturellen Gedächtnisses? Welche Gefahren bringt sie mit sich? Und was erhoffen, was erwünschen wir uns von diesem Prozess?


Dr. Nils C. Ritter (Humboldt-Universität zu Berlin)

Fontanes kleine Formen

Medien und Praktiken des Sammelns und Vernetzens in den Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Im Entstehungsprozess der Wanderungen sind Medien und Textsorten knappen, verdichteten Formats Überträger und Übertragenes zugleich. Im Akkumulieren, Archivieren und Arrangieren jener zeigt Fontane, wie er Umgebungen wahrgenommen und lesbar gemacht hat. Der Beitrag zeichnet seine Arbeit mit kleinen Formen als Medien unterschiedlich kodierten Materials im Recherche- und Schreibprozess der Wanderungen nach und diskutiert, wie die Reisefeuilletons von deren medialen wie poetischen Allianzverhältnissen profitierten. 


Prof. Dr. Dirk Rose (Universität Innsbruck)

»Auf die Zeitung«

Medienreflexion in Fontanes Tagebüchern

In seinen Tagebüchern reflektiert Fontane sowohl die eigene journalistische Praxis als auch die Medienkultur seiner Zeit. Das Tagebuch scheint für diese Art der Medienreflexion besonders geeignet. Sein vorwiegend privater Kommunikationsraum bildet ein mediales Außerhalb der öffentlichen Kommunikation, die von diesem ›sicheren Ort‹ aus der Beobachtung unterzogen, teilweise aber auch darin integriert werden kann. Es fungiert so als eine Art Anti- und Meta-Medium zugleich. 


Prof. Dr. Sabine Schneider (Universität Zürich)

»Als wohne der Friede darin«

Inszenierungen der Idylle (Cécile; Irrungen, Wirrungen)

Ausgehend von einem kulturdiagnostischen Gattungsbegriff, demzufolge Gattungen als Reflexionsmedien für gesellschaftliche Formierungen fungieren können, untersucht der Vortrag die idyllischen Konstellationen in Fontanes Romanen Cécile und Irrungen, Wirrungen. In Fontanes durch und durch gesellschaftlich strukturierter Romanwelt sind die »dargestellten Wunschlandschaften« (so Ernst Bloch über die Idylle) und ihre Glücksversprechen prekäre Konstruktionen. Für die gesellschaftlich geächteten Liebesbeziehungen erweisen sich die vermeintlichen Flucht- und Wunschräume als verhängnisvoll.


Dr. Ulrike Schneider (Universität Potsdam)

Theodor Fontane innerhalb der deutsch-jüdischen Zeitschriftenlandschaft

Rezeptionslinien und -strategien

Ausgehend von Theodor Fontanes Briefwechsel mit Gustav Karpeles während seiner Tätigkeit für Westermanns Monatshefte wird die Rezeption von Fontanes Werken ab Beginn des 20. Jahrhunderts innerhalb ausgewählter deutsch-jüdischer Periodika, u.a. der Allgemeinen Zeitung des Judentums, in dem Beitrag nachgezeichnet. Ziel dieser Analyse ist es, die Rezeptionslinien und -strategien darzulegen, um die Bedeutung Fontanes als »Prototyp des Bildungsbürgertums« (Benz 2000) für das Selbstverständnis des akkulturierten jüdischen Bürgertums zu erörtern.


Soonim Shin M.A. (Wien) 

Jan Böhmermanns Effi Briest

Endlich die volle Wahrheit über Effi und Geert?

2017 zeigte Jan Böhmermann seine Elf-Minuten-Version von Effi Briest. Sein Anspruch dabei: Effi Briest werde von ihm nun »erstmals angemessen interpretiert, inszeniert und erzählt«. Ist diese Ansage bloß der flapsige Satz eines Komikers? Oder meint es Böhmermann ernst? Sagt also Böhmermanns Effi einfach nur das, was auch schon Fontanes Effi hatte sagen wollen, aber damals noch nicht sagen durfte? Hilft uns Böhmermanns Effi, Fontanes Effi besser zu verstehen?


Dr. habil. Rüdiger Singer (University of Minnesota)

Fontanes Schauspieler*innen

»Daß Fontane sich in einer Fülle von Kritiken allein auf die Schauspieler-Beurteilung beschränkte«, war für frühere Fontane-Herausgeber ein Ärgernis: Solche Kritiken wurden aussortiert, andere  durch Kürzungen von der »Erinnerung an längst vergessene Tageslichter unter den Schauspielern des 19. Jahrhunderts« (Siegmar Gernd) entlastet. Die vier Bände der Großen Brandenburger Ausgabe eröffnen nun endlich die Möglichkeit, einen Kritiker kennenzulernen, der Schauspielkunst ebenso ernst nahm wie Bildende Kunst und Literatur – und sie mit wachem Medienbewusstsein im Bezugsfeld dieser ›Schwesterkünste‹ analysierte und sprachlich inszenierte. 


Prof. Dr. Isabelle Stauffer (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)

Resonanzräume für Begehren und Körperlichkeit

Mediale Funktionen von Bildender Kunst und Musik in Fontanes Romanen L’Adultera und Cécile

Durch die Medien Bildende Kunst und Musik eröffnen sich neue Perspektiven auf die Darstellung von Begehren und Körperlichkeit in Theodor Fontanes Romanen L’Adultera (1880/1882) und Cécile (1886/1887). Sie entlarven die Verlogenheit und den Scheincharakter zeitgenössischer bürgerlicher Moralvorstellungen. Für das ausgehende 19. Jahrhundert operiert der Autor nämlich am Rande des Sagbaren und Darstellbaren, wie durch seine zeitweise schlechte Presse und Romanablehnungen deutlich wird. 


Prof. Dr. Peer Trilcke (Theodor-Fontane-Archiv | Universität Potsdam)

Fontanes nach Zahlen

 

Die Datafizierung der Welt lässt derzeit immer mehr Phänomene zu potenziellen Gegenständen der quantitativen Analyse werden. Welche Konsequenzen hat das für die literaturwissenschaftlichen Gegenstände im Allgemeinen wie für die Forschung zu Fontane im Besonderen? In einem Rundgang durch die unterschiedlichen Datensammlungen zu Fontane diskutiert der Vortrag die Möglichkeiten einer Erweiterung und Ergänzung der qualitativen Fontane-Forschung um quantitative Analysen.


Prof. Dr. Ulrike Vedder (Humboldt-Universität zu Berlin)

Dinge zur Sprache bringen

Fontanes Objekte und ihre narrativen Funktionen

Die zahlreichen Dinge in Fontanes Texten sind nicht einfach gegenständlich, präsent, real, sondern in sprachliche und kulturelle Kontexte eingebettet und gewinnen so ihre Bedeutung als telling objects. Der Vortrag analysiert die Dinge und ihre narrativen Funktionen als Erbstücke (Die Poggenpuhls) oder Liebesgaben (Graf Petöfy), als bürgerliche Accessoires (Frau Jenny Treibel) oder magische Objekte (Effi Briest). Dabei ist auch nach den Kehrseiten der Dinge zu fragen, das heißt nach ihrer Sinnlosigkeit und ihrem Eigenleben.


Alexander Waszynski (TU Braunschweig)

Die Art des Beschreibens

Theodor Fontanes Wanderungen bei Walter Benjamin und Hans Blumenberg

Ausgehend von Walter Benjamins und Hans Blumenbergs kurzen Prosastücken zu den Wanderungen durch die Mark Brandenburg lassen sich die darin beschriebenen Topographien und Episoden als mediale Anordnungen lesen. Hierbei spielt die Art und Weise des Beschreibens eine Rolle, aber auch Fontanes Aufmerksamkeit für Umschlagpunkte und Digressionen. Indem Benjamins und Blumenbergs Texte einen Dialog mit ihren medialen Rahmungen suchen, greifen sie zudem ein Verfahren des »Medienarbeiters« Fontane auf.


Prof. Dr. Michael Wedel (Filmuniversität Babelsberg)

Vor dem Volkssturm

Fontane-Verfilmungen 1944/45

Zum 125. Geburtstag Fontanes richtet die deutsche Filmindustrie 1944/45 ihre Aufmerksamkeit erstmals verstärkt auf Werke des Schriftstellers. Mit Der stumme Gast, Das alte Lied und Ich glaube an dich entstehen gleich drei Adaptionen. Welches Interesse hatte das NS-Kino im letzten Kriegsjahr an Fontane? Der Vortrag versucht, die Verfilmungen auf der Folie der Präsenz Fontanes in Presse, Rundfunk und NS-Fernsehen als Teile eines »kollektiven Imaginären« medienhistorisch zu rekonstruieren.


Christoph Wegmann (Basel)

Die Bildspur

Bilder und Bildgebung in Theodor Fontanes Erzählwerk

Fontane hat nicht nur zahlreiche Kunstwerke wie etwa L’Adultera benutzt, um seinen Romanen eine »rundere Rundung« zu verleihen, sein Romanwerk beinhaltet darüber hinaus ein immenses »Musée imaginaire« mit etwa 1500 Bildobjekten: Photos, Landkarten, Modelle, Puppen, Wappen und vieles mehr erzeugen durchgehende Bildspuren. An zahlreichen Bildbeispielen soll dies sichtbar gemacht und dabei verdeutlicht werden, wie stark Fontanes Technik der Bildgebung sein Erzählen antrieb. 


Dr. Kerstin Wilhelms (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)

Fontanes Salons

Automedialität und die Poetik sozialer Vernetzung in Meine Kinderjahre und Von Zwanzig bis Dreißig

Fontanes Autobiographien Meine Kinderjahre und Von Zwanzig bis Dreißig erscheinen als eine Abfolge geselliger Salons, in denen sich das autobiographische Ich im Verhältnis zu anderen Figuren entwirft. Der Salon fungiert hier als Medium der autobiographischen Ich-Konstitution, sodass das Ich als ein in soziale Netzwerke eingebundenes erscheint, das sich selbst als Positionierung in diesem Gefüge erzählt. Ziel des Vortrags ist es, die automediale Funktion des Salons herauszuarbeiten und den Salon als Medium im Text und als Medium des Textes poetologisch und medienhistorisch zu fassen.


Michael de Zan (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Fontanes Fauna

Fontanes Fauna ist artenreich und vielfältig. Als Nebensächliches in den Texten übernehmen Tiere dabei Rollen als realistisches Requisit, mehrfach kodierte Knoten im Textgewebe oder nehmen als Akteure direkten Einfluss auf den Handlungsgang. Der Vortrag gewährt Einblicke in ein Dissertationsprojekt, das sich der Frage nach der Funktion dieser Nebensächlichkeiten in Fontanes Erzählwelt widmet. Es wird gezeigt, wie Tiere in den Texten funktionalisiert sind, indem deren strukturelles und imaginäres Potential aktiviert wird, um vermittels der Fauna anthropologische, soziologische und poetologische Themen zu perspektivieren.