Als Höhepunkt des wissenschaftlichen Programms im Fontanejahr fontane.200 richtet die Universität Potsdam unter Koordination des Theodor-Fontane-Archivs vom 13. bis zum 16. Juni 2019 einen internationalen und interdisziplinären Kongress zum Thema »Fontanes Medien (1819–2019)« aus. Anlässlich des 200. Geburtstags Theodor Fontanes wird der Kongress neuere Tendenzen der Forschung zur Literatur und Kultur des 19. Jahrhunderts aufgreifen (u.a. Segeberg 1997, Haase 1999, Fohrmann u.a. 2001, Stiegler 2001, Günter 2008, Osterhammel 2009, Stockinger 2010, Telesko 2010, Gretz 2011, Lyon 2013, Requate 2013, Igl & Menzel 2016, Gretz & Pethes 2016), um sie in einer Diskussion über die Medien wie über die Medialitäten von Werk, Wirken und Weiterleben Fontanes zusammenzuführen und in Hinblick auf den aktuellen Stand wie auf zukünftige Perspektiven der Fontane-Forschung zu profilieren (u.a. Lützen 1981, Helmstetter 1998, Berbig 1999, Sagarra 2000, Hebekus 2003, Frank 2005, Braese & Reulecke 2008, Hoffmann 2011, Zuberbühler 2012, Graevenitz 2014, Thomas 2015, Radecke 2015ff., McGillen 2017, Delf von Wolzogen & Köstler i.V.). Mit besonderer Aufmerksamkeit für die Prozesse der medialen Evolution und der kommunikativen Vernetzung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und vor dem Hintergrund aktueller Umbrüche in der Medienkultur soll dabei das vielfältige Potenzial herausgearbeitet werden, das die interdisziplinäre Analyse von Medienpraktiken, -logiken und -formaten in ihren jeweiligen Umgebungen und Umwelten für die Fontane-Forschung bietet.
Im Fokus des Kongresses stehen Theodor Fontane und seine ›Medien‹ – beide als Objekte sowie als Akteure innerhalb wechselnder historischer Konstellationen und Netzwerke verstanden, vom 19. Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart.
Das in diese drei Fragerichtungen ausdifferenzierte Leitthema des Kongresses soll zu medienphilologischen, -geschichtlichen und -theoretischen Untersuchungen anregen, in denen die Historizität und Aktualität des ebenso breiten wie heterogenen Schaffens von Theodor Fontane neu adressiert werden. In Form von Längsschnitten und von Fontane als Fokus ausgehenden Reflexionen über die Medialitäten der literarischen und journalistischen, der populären, (hoch)kulturellen und wissenschaftlichen Kommunikation soll der Kongress dabei zugleich eine kulturgeschichtliche Standortbestimmung ermöglichen: Welche Kontinuitäten und welche Brüche bestehen zwischen dem anbrechenden Zeitalter der Massenmedien, in dem Fontane lebte, arbeitete und wirkte, und der gegenwärtigen Medienkultur? Welche Transformationen der massenmedialen Öffentlichkeiten und der (teils prekären) Medienkulturarbeit werden sichtbar? Welche Traditionslinien der medialen Ästhetisierung und Theatralisierung von Kultur, der literarischen, der journalistischen und der dazwischen liegenden hybriden Autorschaft oder der populären Publizistik lassen sich ausmachen? Wie ähneln und wie unterscheiden sich Fontanes Medienpraktiken des Exzerpierens, Notierens, Kompilierens, Redigierens, Korrespondierens von Praktiken einerseits im 18. Jahrhundert und andererseits im digitalen Zeitalter?
Das wissenschaftliche Programm des Kongresses wird entlang der skizzierten Fragerichtungen drei thematische Schwerpunkte setzen:
Aus einer (literatur- und medien-)historischen Perspektive soll Fontanes literarische, journalistische, essayistische, (auto-)biographische, epistolarische etc. Produktion im Kontext der medialen und epistemischen Beschleunigung, Vervielfältigung und Differenzierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Blick genommen werden. Auf welche Weise formatiert, stimuliert, restringiert dieser Kontext die Prozesse und Praktiken der Produktion? In welchem Verhältnis stehen die Zeitschriften- und Zeitungsabdrucke von Fontanes Romanen zu den sich im 19. Jahrhundert ausdifferenzierenden Konzepten der Serialität? Wo ist Fontane im Umfeld von serialisierter Produktion und serieller Publikation einzuordnen? Welche produktiven Effekte zeitigen die unterschiedlichen Handlungsrollen, die Fontane während seiner beruflichen Laufbahn – mit zum Teil großen Überschneidungen – einnahm? Wie sortiert ein Apotheker seine Aufzeichnungen, wie organisiert er seinen storage? Wie berichtet ein Balladendichter vom Kriegsschauplatz? Wie ein Feuilletonist von sich selbst? Und wie redigiert ein Zeitungsredakteur seine eigenen Romane, etwa in Hinblick auf Fragen der Rezeptionssteuerung? Zu fragen ist zugleich auch danach, wie sich der mediale Kontext in Fontanes Produkten – den Romanen, Gedichten, Artikeln, Briefen etc. – reflektiert und bricht? Welche Funktionen übernehmen etwa Bilder, Bücher, Briefe, Gespräche usw. in den literarischen Texten? Wie ist die etwa von Bachtin beschriebene Vielstimmigkeit des Romans, zumal des Fontane’schen Gesprächsromans, aus medientheoretischer und -historischer Perspektive zu fassen? Wie stimulieren Medien die poetische Struktur der Romane, wie simulieren umgekehrt die Romane mediale Strukturen? Was zeigt sich eigentlich, wenn man Fontanes Poetik des Gesprächs vom Medium der Stimme aus begreift? Schließlich ist zu untersuchen, welche Folgen es für die Mechanismen der Bedeutungskonstitution hat, dass der Großteil von Fontanes Texten im Umfeld einer massenmedialen Text- und Bilderfülle erschienen, eingebettet in heterogene, multimodale Seh- und Sinnflächen und rhythmisiert durch Logiken der Periodizität. Entwickeln sich in dieser kompetitiven Medienumwelt Strategien der literarischen, publizistischen, epistolarischen Selbstbehauptung oder löst sich Autorschaft in Medienarbeit und Schreibtechnik auf? Lässt sich etwa die Programmatik des ›Poetischen Realismus‹ als eine solche Selbstbehauptungsstrategie interpretieren? Was genau wäre das medienpoetische Programm dieses Realismus? Und inwiefern handelt es sich dabei um einen spezifisch ›deutschen‹ Realismus?
Dieser thematische Schwerpunkt I) lässt sich in vier Bereiche untergliedern:
Aus einer rezeptionsgeschichtlichen Perspektive soll in dieser Sektion der Frage nachgegangen werden, welche Rolle Medien und Medienformate bei der kulturellen Repräsentation wie bei der wissenschaftlichen Erforschung Fontanes gespielt haben – und bis heute spielen. Beginnend bei der Rezeption zu Lebzeiten und sich fortsetzend in der postumen Rezeption sind hier Entwicklungslinien und Fallbeispiele zu analysieren, anhand derer sich charakteristische Geschichten der medialen ›Figuration‹ und des medialen ›Nachlebens‹ Fontanes erzählen lassen. Welche Trends und Traditionen der (kreativen) Fontane-Adaption und -Dokumentation lassen sich beschreiben? Über welche Images und welche Szenen werden Fontane, seine Literatur oder auch sein ›Ton‹ medial codiert und inszeniert? Welche mediengeschichtlichen Entwicklungen haben die Konjunkturen der Fontane-Rezeption beeinflusst: Welche Bedeutung etwa kommt der Fotografie (dem Gemälde, dem Stich, der Plastik, der Karikatur) bei der Tradierung der (unterschiedlichen) Images vom ›alten Fontane‹ zu? Und wie haben die Literaturverfilmungen, z.B. die west- und ostdeutschen Spielfilme der 1960er und 1970er Jahre, zum Image des Gesellschaftsromanciers beigetragen? Wie lässt sich auf der einen Seite die Konjunktur von Bühnen-Adaptionen von Fontane-Romanen zu Beginn des 21. Jahrhunderts erklären? Und welche Konsequenzen hat es auf der anderen Seite, dass die Rezeptionsgeschichte Fontanes allen Adaptionen für Fernsehen, Hörspiel und Bühne zum Trotz wesentlich eine Geschichte des Mediums ›Buch‹ ist – obwohl Fontane zu Lebzeiten mindestens in gleichem Maße ein Zeitschriften- und Zeitungsautor war?
Die umfassende Digitalisierung von Gesellschaft und Kultur transformiert seit einigen Jahren auch das kulturelle Gedächtnis. Schriftliche Kulturgüter, wie Nachlass und Werk Fontanes, werden digitalisiert, sie werden digital ediert und nicht selten gemeinfrei publiziert, sodass sie für die Forschung ebenso frei verfügbar sind wie für den digitalen Remix oder andere Formen der Dissemination in den Weiten des Internets. Allerdings wird keineswegs alles digitalisiert, sodass sich die Frage nach Erinnern und Vergessen mit einer neuen, nun digital bedingten Dringlichkeit stellt. Gleichzeitig problematisieren die neuen Techniken der Bereitstellung (›Repositorien‹) und der Analyse (›Distant Reading‹) von Texten und Textkorpora traditionelle Konzepte wie den ›Kanon‹, den ›Klassiker‹ oder auch das immersiv-imaginative Lesen. Parallel erleben wir eine (theoretische wie pragmatische) Aufwertung der Materialität und eine flankierende Auratisierung des authentischen Objekts. Mit dem Kongress sollen diese Fragen unter besonderer Berücksichtigung der ›digitalen und materiellen Medialität‹ von Werk, Wirken und Weiterleben Theodor Fontanes diskutiert und in den weiteren Horizont der Debatten um die digitale Transformation des kulturellen Gedächtnisses und der Geisteswissenschaften gestellt werden.
Explizit erwünscht sind dabei auch text- und kontextanalytische Beiträge aus dem Feld der Digitalen Literaturwissenschaft, die anhand von exemplarischen Studien zu Fontane und/oder der Literatur des 19. Jahrhunderts die Potenziale digitaler Analyseverfahren oder Präsentationsmethoden vorführen – etwa indem sie Verfahren der Stylometrie, des Topic Modeling, der Netzwerkanalyse etc. auf die heterogenen (Teil)Korpora des Fontane’schen Werks in ihren historischen Kontexten anwenden.
Die Veranstalter erbitten Exposés für Vorträge, vorzugsweise zu einem der genannten Schwerpunkte. Die Bewerbungen sollten einen Vortragstitel, eine Konzeptskizze (2.000 bis 3.000 Zeichen exklusive etwaige Literaturangaben), ggf. die Zuordnung zu einem der Schwerpunkte sowie bio-bibliographische Angaben (ca. 500 Zeichen) umfassen und bis zum 31.12.2017 an fontanekongressuuni-potsdampde geschickt werden. Das Programmkomitee des Kongresses wird die Vortragsbewerbungen begutachten und voraussichtlich bis zum 01.03.2018 seine Entscheidung über das wissenschaftliche Programm des Kongresses mitteilen. Die Erstattung von Reise- und Übernachtungskosten ist geplant. – Fragen richten Sie bitte an die o.g. Email-Adresse.
Die primäre Kongresssprache ist Deutsch, wobei auch Vorträge in englischer Sprache möglich sind. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten in der Lage sein, Vorträgen und Diskussionen in deutscher Sprache zu folgen.
Der Kongress wird im Rahmen des Fontane-Jubiläums fontane.200 veranstaltet und ausgerichtet vom Theodor-Fontane-Archiv in Zusammenarbeit mit der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam und dem fontane.200\Büro. Kooperationspartner ist die Theodor Fontane-Gesellschaft.
Weitere Informationen zu den landesweiten Veranstaltungen zu fontane.200 finden Sie demnächst auf der Website: http://www.fontane-200.de/
Für das Theodor-Fontane-Archiv: Peer Trilcke, Rainer Falk | für die Philosophische Fakultät der Universität Potsdam: Thomas Brechenmacher, Lisa Greifenstein, Fabian Lampart, Natalie Moser | für das fontane.200\Büro: Hajo Cornel.
Das Programmkomitee wird beraten vom wissenschaftlichen Beirat des Fontane-Jahrs fontane.200, vertreten durch dessen Sprecher*innen Roland Berbig (Humboldt-Universität zu Berlin) und Gabriele Radecke (Universität Göttingen).
Veröffentlicht am 9. Oktober 2017