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Grüner Sabbat – Wie ein altes jüdisches Ritual uns vor den Umweltkrisen retten könnte

Der Sabbat bietet Zeit für Ruhe und Einkehr – auch im Grünen.
Prof. Dr. Jonathan Schorsch
Foto : AdobeStock/golovianko
Der Sabbat bietet Zeit für Ruhe und Einkehr – auch im Grünen.
Foto : Sandra Scholz
Prof. Dr. Jonathan Schorsch

Was wäre, wenn wir alle einen Tag in der Woche absolut nichts täten? Wie würden wir uns fühlen und wie sähe unsere Welt aus? Wir ruhen uns aus – und, als zentraler Nebeneffekt: die Umwelt auch. Das bräuchte sie so dringend, besonders jetzt im Anthropozän, angesichts der ökologischen Krisen. Es wäre eine regelmäßige Pause von Verkehrsabgasen, Baustellenlärm und Umweltgiften. Klingt nach einem wöchentlichen „Earth Day“? Mit seiner Idee eines „Green Sabbath“ geht Jonathan Schorsch, Professor für Jüdische Religions- und Geistesgeschichte an der Universität Potsdam, noch darüber hinaus. Die Idee ist folgende: einen Tag in der Woche den Bedarf an Gütern zu minimieren, den Verbrauch natürlicher Ressourcen möglichst gering und den Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Schadstoffen klein zu halten. Neben den konsumkritischen Aspekten soll aber auch die spirituelle Komponente des Lebens nicht zu kurz kommen: „Um der ökologischen Krise zu begegnen, brauchen wir nicht nur politische Richtlinien und Strategien, sondern auch grüne Werte und spirituelle Techniken“, meint Schorsch.

Prof. Dr. Jonathan Schorsch ist nicht nur Hochschullehrer, sondern auch Gründungsdirektor der Jewish Activism Summer School in Berlin. Er möchte aus der oft abstrakten akademischen Welt etwas in die breite Gesellschaft tragen und der (Um-)Welt zurückgeben: Zu Beginn der „großen Pause“, der COVID-19-Pandemie, kam Schorsch 2020 die Idee für das Projekt. Viele Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen trafen sich online, um einen Tag zu begehen, an dem man sich grundlegende Fragen stellt und sie in der Gemeinschaft lebt. „Wir müssen darüber nachdenken, was wir tun und warum. Wofür leben wir?“, so Schorsch. Dem Religionswissenschaftler geht es um nichts Geringeres als darum, eine „Massenbewegung“ für den Umweltschutz hervorzubringen.

Hyperlokal und subversiv

Ob Menschen an Gott glauben oder nicht und welcher Religion sie angehören, ist Schorsch dabei weniger wichtig. Der „Grüne Sabbat“ ist nicht nur etwas für Jüdinnen*Juden. Er soll für Menschen unterschiedlicher Hintergründe ein Set an Handlungsmöglichkeiten bereitstellen, um bewusster mit sich selbst und ihrer Umwelt umzugehen. „Das Judentum eignet sich sehr gut als Ausgangspunkt eines solchen grünen ‚Earth Days‘“, findet der Theologe. „Traditionell ist der Sabbat aus jüdischer Sicht ein Tag, der von Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang mit den natürlichen Zyklen verbunden ist. Es ist ein Tag, der automatisch sehr lokal ist, weil man keine Verkehrsmittel nutzt. Im rabbinischen Judentum gibt es sogar eine Begrenzung, wie viele Schritte du gehen darfst: 2.000 Ellen.“

So schaltet Jonathan Schorsch an diesem Samstagmorgen den Laptop nicht ein – anders als an den anderen Tagen der Woche. Auch sein Smartphone bleibt aus. Unweit seiner Berliner Wohnung spaziert er durch den Park am Gleisdreieck und betet in der Synagoge. Bereits Freitagabend, kurz vor Sonnenuntergang, zündet er Sabbat-Kerzen an, die ihm und anderen Jüdinnen*Juden spirituelles Licht spenden. Er lässt es am wichtigsten Wochentag des Judentums langsam angehen, bleibt in der Nähe seiner Wohnung und tut nichts Anstrengendes.

„Diese uralte jüdische Praxis lässt sich als Subversion des alltäglichen Lebens betrachten. Es ist eine Art auszudrücken, dass es wichtigere Dinge gibt als wirtschaftliches Wachstum, Produktivität und reine Funktionalität“, erklärt Schorsch. Steckt darin folglich auch ein kapitalismuskritischer Aspekt? Durchaus, meint Schorsch. Der Sabbat verdeutliche den Menschen, dass sie mehr als eine ökonomische Einheit, ein Angestellter oder eine Unternehmerin sind, dem Arbeitgeber „gehören“. Schorsch zitiert den britischen Filmemacher und Naturforscher David Attenborough: „Jemand, der denkt, wir könnten unendliches Wachstum mit endlichen Ressourcen haben, ist entweder verrückt oder ein Ökonom.“ Die Praxis des „Green Sabbath“ vereint jedenfalls zwei Welten, in denen sich   Jonathan Schorsch bereits sein gesamtes Leben lang bewegt: die Welt des Judentums, in der der Sohn eines Rabbiners aufgewachsen ist, und die des ökologischen Aktivismus, in die er bereits als jugendlicher US-Amerikaner eintauchte.

Ein Vorgeschmack auf die kommende Welt

„Der Sabbat soll einen Vorgeschmack auf die kommende Welt geben, so steht es wörtlich im Babylonischen Talmud“, sagt Schorsch. Beim Stichwort Religion würden viele Menschen an Verbote und Vorschriften denken. „Aber aus unserer Perspektive im 21. Jahrhundert sehe ich den Sabbat eher als eine Gelegenheit, von den Bildschirmen wegzukommen. Das Ziel ist es, sich an der bloßen Existenz zu erfreuen, das Atmen, die Familie und die Gemeinschaft zu genießen. Es zwingt oder erlaubt einem, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen, gemeinsam Bücher zu lesen, vielleicht zu singen“, verdeutlicht der Theologe.

Schorsch will auf lokaler Ebene noch einiges bewegen, sieht sich um, wie sich das Projekt von der Website ins reale, lokale Leben übersetzen lässt. Bereits im Oktober 2023 fand das erste „Green Sabbath“-Wochenende in Berlin statt. Auch an der Universität Potsdam möchte er den grünen Sabbat gerne mit einer großen Veranstaltung, wie einer Summer School, unter die Studierenden bringen. Außerdem schreibt er gerade gemeinsam mit Kolleg*innen ein Buch zum Thema. Auch das soll den Wertewandel anstoßen und die Welt etwas grüner und spiritueller machen.

Weitere Informationen: https://www.greensabbathproject.net/

Jetzt in die Podcast-Folge „Grüner Sabbat”mit Prof. Dr. Jonathan Schorsch reinhören.

 

Dieser Text erscheint im Universitätsmagazin Portal - Eins 2024 „Welt retten“.