Auen sind die natürlicherweise weitläufigen und meist bewaldeten Überschwemmungsflächen der Flüsse, die bei Hochwasser überflutet würden, aber heutzutage meist durch Deiche begrenzt oder aber eingeebnet und landwirtschaftlich genutzt sind. Flüsse und Flussauen bieten durch ihre Wasserstandsdynamik vielfältige Habitate für Tiere und Pflanzen, beispielsweise in kurvenreich verschlungenen Flussverläufen, die sich bei geringem Gefälle bilden. In der Außenkurve fließt das Wasser schneller und mit der Zeit entsteht so eine steile Uferkante. Überwiegend lagert sich dort grobes Material ab. In der Innenkurve fließt es dagegen langsamer, sodass sich eher feines Sediment bildet. „Im groben Kies leben andere Tiere als im feinen Sand“, sagt Stephanie Natho, „das sind ganz unterschiedliche Habitate, die in einem kanalisierten Fluss gar nicht mehr auftreten.“
Bei Hochwasserereignissen werden die Auenflächen je nach Wasserstand unterschiedlich häufig überflutet und dabei Sedimente an- oder weggeschwemmt. Sowohl die lebende Vegetation als auch Totholz reduzieren die Fließgeschwindigkeit bei Überflutungen, sodass sich Sedimente absetzen können. „Da mit den Sedimenten auch Nährstoffe transportiert und abgelagert werden, gibt es nährstoffreiche wie auch magere Bereiche in der Aue, es gibt dicht bewachsene und offene Bereiche, die Lebensraum für ganz unterschiedliche Arten bieten“, erläutert Stephanie Natho. „Das Besondere an der Aue ist also, dass wir auf sehr kleinem Raum durch Höhen- und Substratunterschiede einen enormen Wechsel an Standortbedingungen haben“, beschreibt sie. „Deswegen sind Auen Hotspots der Biodiversität.“
Da durch den Menschen der Baumbestand in der Aue stark dezimiert wurde, findet man dort heute hauptsächlich (Feucht-)Wiesen, Weiden und Äcker, aber auch Seen und vom Hauptfluss abgeschnittene Altarme. Auwälder und Totholz sind jedoch für die biologische Vielfalt von großer Bedeutung. „In abgestorbenen Bäumen findet sich ganz viel Leben, dort legen Käfer ihre Eier ab, Vögel ernähren sich von Würmern, Pilze können darauf wachsen, im Wasser liegend bieten sie Versteckmöglichkeiten für junge Fische und spenden Schatten“, sagt Stephanie Natho. Generell bietet der Baumbestand in der Überschwemmungsfläche Lebensraum und Schutz. „Vor allem Fische brauchen ein durch Bäume beschattetes Gewässer, denn dort findet sich Nahrung“, erklärt sie. „Bei einem starken Hochwasser wird zwar alles weggerissen, anschließend können sich allerdings wieder ganz neue Arten ansiedeln. Jedes Zerstören bietet die Chance auf etwas Neues“, fasst sie zusammen.
Die Wissenschaftlerin arbeitet auf der Basis von Hochwassergefahrenkarten der 79 großen Flüsse Deutschlands, die im Auenzustandsbericht des Bundesamtes für Naturschutz von 2021 aufgeführt sind. „Ich möchte wissen, wie viele Nährstoffe in den Auen abhängig von den tatsächlich stattfindenden Überflutungen zurückgehalten werden“, sagt sie. Als Theoretikerin modelliert sie die Auenprozesse anhand von Daten zur Häufigkeit der Überflutung, zur Landnutzung und zur Wassertiefe. Außerdem nutzt sie gemessene Abflüsse von Pegelstationen sowie Konzentrationen von Nitrat und Phosphor von Gewässergütestationen, um den Nährstoffrückhalt in den Auenböden bei Überschwemmungen zu berechnen. „Das ist eine wichtige Ökosystemleistung der Auen, die umso effektiver ausfällt, je größer die Fläche ist und je länger das Wasser darauf verbleibt“, erklärt sie.
In einer aktuellen Publikation bewertet Stephanie Natho die Ökosystemleistungen von Auen, also ihre Beiträge für das menschliche Wohlergehen, in den Bereichen Hochwasserschutz, Wasserreinigung, Biodiversität und Erholung auf der Basis bestehender Studien aus Deutschland. „Die Kosten für eine Deichrückverlegung, um den Flüssen wieder mehr Raum zu geben, werden langfristig durch die Ökosystemleistungen der Aue kompensiert“, fasst die Ökologin zusammen.
Nach so viel Theorie geht Stephanie Natho aber auch gern mal ins Feld und schaut sich die Sache vor Ort an: „Im März bei nur acht Grad Wassertemperatur kommt man zu so einer kleinen Wassermulde innerhalb der Aue und es wuselt einfach von Leben. Das muss man wirklich schützen.“
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2022 „Artensterben“ (PDF).