Jeannette Wintersons Roman „Auf den Körper geschrieben“ (1992) spielt brillant mit einer Verwirrung der Geschlechter und erschloss damit literarisches Neuland. Die Erzählfigur, die namenlos bleibt und ihr Geschlecht nicht preisgibt, erzählt von Liebesbeziehungen zu Frauen und zu Männern. Name, Beruf, Kontext – alles bleibt im Dunkeln. Die Erzählinstanz existiert nur als Point of view, von dem aus virtuos von Liebe und Begehren erzählt wird. Der Text ist performativ: Er spricht nicht einfach über etwas, sondern inszeniert, wovon er spricht. Und er ist gleichsam die literarische Entsprechung zum performativen Konzept von Gender als instabile Kategorie, die – in den Worten der Philosophin Judith Butler – überhaupt erst zustande kommt in einer stilisierten Wiederholung von Handlungen.
Die Erzählfigur von Ann Leckies Science Fiction-Roman „Die Maschinen“ (2013) entpuppt sich als eine künstliche Intelligenz in einem menschlichen Körper. In ihrer Kultur gibt es keine sprachliche Gender-Unterscheidung: Es werden ausschließlich weibliche Personalpronomen verwendet. Nur wenn jemandes Geschlecht aus einem bestimmten Grund wichtig ist, wird differenziert. Und dann bedarf es sensiblen Wissens, um die richtige Anrede zu finden. Als Lesende wird man immer wieder verwirrt, und allzu leicht beginnt man, aufgrund kleiner Details Gender zuzuschreiben, nur um dann daran erinnert zu werden, wie leicht man sich täuschen kann. So findet in diesem Roman eine Umkehrung dessen statt, was heute im Deutschen immer noch häufig üblich ist: das generische Maskulinum als grundsätzliche Form des angeblich neutralen Genderns. Dieser literarische Trick lässt die Lesenden ganz unmittelbar erleben, wie sich Bilder im Kopf je nach dem benutzen Pronomen bilden.
Beide Romane entwerfen im literarischen Spiel mit Identitäten Möglichkeiten des ganz Anderen. Die narrative Inszenierung von Geschlecht wird zum raffinierten Spiel mit vermeintlichen Selbstverständlichkeiten.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2022 „Diversity“ (PDF).