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„Wir haben alle notwendigen Vorkehrungen getroffen“ – Vizepräsidentin Britta van Kempen über die Sicherung der Präsenzlehre und den Ausbau der Lehrkräftebildung

Blick durch das Bullauge in Hörsaal 5 in Griebnitzsee. Studierende sitzen mit Maske in den Reihen.
Photo : Sandra Scholz
Das neue Semester startet mit Maske – und maximal 19 Grad im Hörsaal. Aber in Präsenz!

Das Wintersemester 2022 ist gestartet – in Präsenz und mit mehreren Tausend neuen Studierenden. Aber auch mit Maskenpflicht und reduzierter Raumtemperatur in allen Gebäuden. Sicher ist: Es bleibt alles anders und herausfordernd. Die neue Vizepräsidentin für Lehre und Studium, Dr. Britta van Kempen, schockt das nicht. Sie sieht die Uni Potsdam gerüstet und ist zuversichtlich, dass sie gut durch das Semester kommt und trotzdem aktuell anstehende Aufgaben angehen kann, wie den Ausbau der Lehrkräftebildung. Matthias Zimmermann sprach mit ihr über Corona, Energiekrise und ihr Fazit nach 100 Tagen im Amt.

Frau van Kempen, das Wintersemester läuft – von vielen lang ersehnt – in Präsenz. Sind Sie froh?

Ich freue mich sehr. Schon im Sommersemester konnte man ein Aufatmen spüren. Wissenschaft braucht den lebendigen Austausch, und auch die Lehre kann nur dann richtig ge- und erlebt werden, wenn alles vor Ort stattfindet. Wann immer ich die Zeitung aufschlage, lese ich Artikel, in denen Studierende berichten, wie froh sie – gerade auch nach dem digitalen Ende ihrer Schulzeit – sind, auf dem Campus sein zu können.

Corona und die Energiekrise machen einen Lehrbetrieb in Präsenz nicht einfach. Wie geht die Universität Potsdam mit den aktuellen Herausforderungen um?

Wir haben seit März 2020 gezeigt, dass wir auch in Krisensituationen schnell und lösungsorientiert handeln können. Gemeinsam mit allen Beteiligten – Studierenden, Lehrenden und Beschäftigten aus Technik und Verwaltung – ist es uns gelungen, die Lehre digital und in Präsenz aufrechtzuerhalten. Insbesondere war es uns wichtig, Veranstaltungen, die auf Präsenz angewiesen sind, z.B. die Labor-, Sport- und Musikpraxis, möglichst nicht ausfallen zu lassen. Dies natürlich immer unter den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen.
Daher bin ich zuversichtlich, dass wir auch den bevorstehenden Winter gemeinsam schaffen. Damit möchte ich weder COVID-19 noch das Energieproblem verharmlosen, aber wir haben alle notwendigen Vorbereitungen getroffen, um den kommenden Herausforderungen zu begegnen. Sicherlich wird es ein wenig kühler als gewohnt. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass es energetisch besser ist, einen Raum für viele zu heizen als viele einzelne. Zudem schont das auch die Finanzen unserer Studierenden, die ohnehin strapaziert sind.

Was, wenn mitten im Semester nicht mehr ausreichend geheizt werden kann oder die Corona-Zahlen neue Einschränkungen erfordern?

Die Hochschulen sind von der Bundesnetzagentur als geschützte Kunden deklariert, sodass ich davon ausgehe, dass wir durch den Winter kommen. Sicherlich schließen sich der Corona-indizierte Abstand und Wärmeaustausch aus, aber ich denke, dass wir es dennoch hinkriegen. Wir müssen den Umgang mit COVID-19 lernen; immerhin liegt die Rate der Grundimmunisierung in Deutschland inzwischen bei über 75 Prozent. Und dieser Wert wird an der Uni Potsdam noch übertroffen. Das haben bereits die Umfragen im vergangenen Jahr gezeigt. Daher sollten wir mit der Maskenpflicht die wichtigste weitere Vorkehrung getroffen haben, sodass wir absehbar ohne weitere Einschränkungen eine sichere Präsenzlehre gewährleisten können.

Wie haben zwei Jahre mehr oder weniger Online-Vorlesungen und -seminare die Hochschullehre verändert?

Zum Glück nicht wesentlich. Sicherlich ist es nicht immer einfach, alle Beteiligten wieder von der Präsenz zu überzeugen. Zunächst. Vor Ort, so mein Eindruck und meine Gewissheit, sind dann aber wieder alle glücklich. Das gilt insbesondere für die Studienanfängerinnen und -anfänger. Damit möchte ich aber der Online-Lehre keinesfalls ihre Daseinsberechtigung absprechen. Ich war schon vor Ausbruch der Pandemie der festen Überzeugung, dass Blended-learning-Formate ungemein bereichernd für die Lehre sind. Sie müssen aber mit Augenmaß eingesetzt werden.

Was bleibt, was nicht?

Es bleiben viele sehr gute Lehrvideos. Es bleibt die Erkenntnis, dass es spannende digitale Formate gibt, die als weiteres Medium die Lehre abwechslungsreich machen. Es bleiben Videoplattformen. Es bleibt aber auch die Gewissheit, dass man nur zusammen viel erreichen kann.

Mit welcher Innovation haben Sie nicht gerechnet?

Unvergessen ist für mich der unmittelbare Zusammenschluss aller Gruppierungen der Universität, die im weiteren und engeren Sinne mit digitaler Lehre befasst waren. Von dem Ergebnis werden wir noch lange profitieren. Ich hatte auch nicht damit gerechnet, wie einschneidend Zoom mit all seinen Möglichkeiten für die Lehre sein würde. Ich hoffe sehr, dass wir es weiterhin an der Uni einsetzen können – für die synchrone Lehre allerdings nur dann, wenn spezielle Features genutzt werden und die Studierenden eine Teilnahme sicherstellen können.

Hat die Pandemie auch Probleme verursacht, an denen die Universität noch zu knabbern hat?

Nicht nur unsere Uni, sondern alle Hochschulen und Ausbildungsbetriebe fragen sich, wo der Nachwuchs ist. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass diejenigen, die seit 2020 mit der Schule fertig sind, jetzt das lange verschobene Freiwillige Jahr, einen Auslandsaufenthalt oder Orientierungspraktika nachholen. Bis zum nächsten Jahr aber sollte sich das normalisiert haben.

Brandenburg hat – wie ganz Deutschland – zu wenige Lehrkräfte. Was tut die Universität Potsdam, um das zu ändern?

Gemeinsam mit dem Land Brandenburg haben wir bis zum Wintersemester 2019/20 insgesamt 400 zusätzliche Studienplätze geschaffen, was einen Aufwuchs auf 1.000 Plätze bedeutete. Nun hoffen wir, dass die Räume zügig fertig werden, damit das zusätzliche Personal und die Studierenden auch Platz finden. Um sie besonders in den schulpraktischen Veranstaltungen gut unterstützen zu können, haben wir den Betreuungsschlüssel erhöht. Außerdem haben wir die Lehre stärker am künftigen Beruf orientiert. Neben den Fachwissenschaften geht es jetzt häufiger auch um Fragestellungen aus dem Schulkontext.
Ich hoffe sehr, dass wir schon bald den nächsten Schritt gehen und das Studium noch enger mit dem Referendariat und dem Schuldienst verknüpfen können. Wenn nämlich Studierende mit Lehrkräften regelmäßigen Austausch haben, sollten davon beide Seiten profitieren. Unsere Idee einer Universitätsschule kommt dem entgegen: In einer integrierten Transferwerkstatt könnten Erkenntnisse aus der Forschung direkt umgesetzt und – durchaus motivationsfördernd – in die Breite getragen werden.

Was könnte Ihrer Ansicht nach noch getan werden? Und was wäre dafür nötig?

Ich vertrete die Auffassung, dass wir den seit vier Jahren laufenden Ausbau der Lehrkräftebildung an der Universität Potsdam zunächst konsolidieren sollten. Im nächsten Wintersemester beginnen mit dem Fach Kunst und einigen Förderpädagogik-Bereichen erst die letzten Masterstudiengänge, die im Zuge dieses Programms konzipiert wurden. Eine Erweiterung des Studienangebotes erscheint mir vor diesem Hintergrund nicht zuträglich. Gleichwohl haben wir schon Konzepte entwickelt, um Studierenden, die während eines Bachelorstudiums außerhalb des Lehramtes ihr Interesse für den Lehrberuf entdecken, ein Angebot unterbreiten zu können. Dies geht zum Beispiel in Richtung Berufsschule, lässt sich aber nur dann umsetzen, wenn die dafür notwendigen Räume zur Verfügung stehen. Noch warten wir darauf, dass die uns zugesagten zwei großen Gebäude für die Lehrkräftebildung entstehen.

Es gibt aber nicht nur zu wenige Absolventinnen und Absolventen. Auch die Zahl der Studierenden, die sich im Lehramt bewirbt oder einschreibt, reicht nicht aus. Woran liegt das? Was lässt sich da machen?

Ein Blick in die Presse oder auch in die kürzlich veröffentlichte OECD-Studie reicht aus, um zu sehen, dass der Beruf als Lehrkraft nicht unbedingt attraktiv erscheint. Man liest von frühzeitigem Ausscheiden aus dem Schuldienst, von zu vielen Anforderungen jenseits des Unterrichts, von Ansprüchen, die mangels Ausstattung nicht erfüllt werden können, aber auch von einer eindimensionalen Berufsperspektive: einmal Lehrer, immer Lehrer.
Ich denke, dass auch an diesen Stellschrauben gedreht werden könnte, damit Schülerinnen und Schüler sich bewusst für diesen Beruf entscheiden. Neben spannenden Angeboten des Netzwerks Studienorientierung über Social-Media-Kanäle geht die Zentrale Studienberatung bewusst mit Studierenden in Schulen, um vor Ort für ein Lehramtsstudium an der Universität Potsdam zu motivieren.

Sie sind seit 6. Juli 2022 als Vizepräsidentin für Lehre und Studium im Amt. Was haben Sie sich vorgenommen?

Mit dem Tod von Andreas Musil war der Anlass für die Amtsübernahme mehr als traurig. Für andere war er Doktorvater, mich hat er seit 2018 in die Strukturen, Prozesse und Hintergründe im Bereich des Vizepräsidenten für Lehre und Studium eingeführt. Ich habe mir vorgenommen, seine Impulse fortzuführen; denn sie haben die Universität Potsdam geprägt und passen zu ihr.

Inhaltlich bedeutet dies, alle Herausforderungen anzugehen, die im Rahmen einer systemakkreditierten Hochschule anfallen. Neben den Routineaufgaben wie internen Akkreditierungen und extern begleiteten Evaluationen umfasst das auch die Weiterentwicklung sämtlicher Themen, die für Lehre relevant sind, aktuell zum Beispiel die Implementierung des Leitbilds Lehre. 2019 in vielen interessanten Runden gemeinsam mit allen Statusgruppen erarbeitet, fiel dessen Verabschiedung im April 2020 im Senat mit dem Ausbruch der Pandemie zusammen, sodass es nicht mit der Intensität umgesetzt werden konnte, wie wir es uns vorgestellt hatten. Ich freue mich aber sehr zu sehen, wie es den Fakultäten trotz der widrigen Umstände gelungen ist, es teilweise schon in die eigenen Qualitätsziele zu integrieren und über die mit uns abgeschlossenen Vereinbarungen in Lehrkonzepte zu integrieren. Außerdem haben viele Lehrende bereits Elemente ihrer Lehre an den Ideen des Leitbildes ausgerichtet – was wir an den Einreichungen unserer Ausschreibung für Innovative Lehrprojekte sehen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Digitalisierung, die auch als Querschnittsthema im Leitbild Lehre angelegt ist. Wir konnten gerade ein Eckpunktepapier veröffentlichen, dass Lehrenden eine Orientierung für die digitale Lehre geben soll. Dafür konnten während der Pandemie infrastrukturelle Maßnahmen umgesetzt werden, die es weiter auszubauen und zu pflegen gilt. Gleichzeitig wurde mit onlinelehre 2020 eine Plattform geschaffen, die viele Impulse und Erläuterungen für digitale Instrumente bietet. Wichtig ist mir, dass an der Universität Potsdam im Rahmen der Präsenzlehre ein gesundes Maß an digitalen Elementen in der Lehre erhalten bleibt.

Open Science ist auch für die Lehre von großer Bedeutung. Uniintern zeigt sich dies an Initiativen, die auf Open-Educational-Ressources (OER) zielen und für bundesweite Forschungsanträge von Bedeutung sind. Im Land Brandenburg wurde zudem eine Digitalisierungsstrategie entwickelt, die es nun auch im Bereich Lehre von den Hochschulen umzusetzen gilt.

Bei all diesen Themen ist mir der direkte Austausch mit den beteiligten Akteurinnen und Akteuren in allen Bereichen der Universität besonders wichtig. Es brauchte nicht erst die Pandemie-bedingte Ausnahmesituation, um mir zu zeigen, wie zielführend die enge Zusammenarbeit mit Verwaltung, Fakultäten und Studierenden ist.
 
Wie fällt Ihr Zwischenfazit nach (gut) 100 Tagen aus?

Ich habe das Amt in voller Kenntnis dessen angetreten, was mich erwartet. Bis hierher bin ich in keinster Weise enttäuscht worden. Die Herausforderungen sind groß, aber auch gleichzeitig dynamisch und spannend. Ich freue mich jeden Tag von Neuem, ihnen gemeinsam mit meinen an der Sache interessierten und lösungsorientierten Kolleginnen und Kollegen im engeren und erweiterten Kreis begegnen zu dürfen.