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Kompendium "Medien der Aufklärung. Die baltische Aufklärung im europäischen Kontext"

Die Wurzeln der heutigen Informationsgesellschaft liegen im Zeitalter der Aufklärung. Just um diese Zeit entstand die Medienlandschaft bzw. die Form von Öffentlichkeit, wie wir sie heute kennen. Das Wissen wurde zum Grundstein einer neuen Gesellschaftsordnung. Erwerb, Vermittlung und Vertrieb von Wissen, zunächst nur ein Privileg der elitären respublica litteraria, schloss im Zuge der Volksaufklärung endlich alle Gesellschaftsschichten mit ein. Auch unter Bauern reichte die traditionelle, unmittelbare mündliche Weitergabe von Wissen nicht mehr aus. Die Wissensgesellschaft setzte Lesefähigkeit voraus. Das Lesen und der anschließende Gedankenaustausch über das Gelesene wurden zu einer neuen Form der Kommunikation, die die bisherigen Arten der Wissensvermittlung verdrängte und den Aufstieg neuer medialer Formen wie Enzyklopädien oder Zeitschriften sowie des Romans mit sich brachte.

Auch im Baltikum fanden diese Transformationsprozesse statt. Auch dort entstanden neue Arten von Kommunikationsnetzwerken: Freimaurerlogen, Klubs, Lesezirkel, Bibliotheken, Zeitungen, Theater sowie generell eine literarische Öffentlichkeit. Die Ostseeprovinzen des russischen Zarenreiches gehörten zum Kommunikationsraum der europäischen Aufklärung. Gleichwohl war die baltische Aufklärung in besonderer Weise eine „geteilte Aufklärung“ (T. Taterka), weil sie mehr als anderswo in Europa mit dem Kolonialismus und mit der Problematik der ethnischen Dominanz verbunden war. Die horizontale, deutschsprachige gelehrte Aufklärung kreuzte sich hier mit der vertikal ausgerichteten Volksaufklärung, deren Hauptträger deutschsprachige Gelehrte und Gebildete (vor allem Pastoren) und deren Hauptadressaten die ,Undeutschen‘, d. h. Esten und Letten, waren. Da hier die sozialen und sprachlichen Grenzen übereinstimmten, bedingte die Sprachwahl zugleich besondere Medien und Adressatenmodelle.

Wie haben die neuen Ideen und Ideale aus den Zentren der europäischen Aufklärung die baltischen Länder erreicht und welche Form haben sie aufgrund der kolonialen Situation angenommen? Welches Verhältnis hatte die europäische Aufklärung generell zum Kolonialismus? Wo entstanden Zentren und was waren wichtige Kommunikationswege (sowohl in den baltischen Ländern als auch anderswo in Europa)? Inwiefern gab es einen intensiven Gedankenaustausch mit den Zentren der Aufklärung? Wer waren die wichtigsten Vertreter der baltischen Aufklärung und an wen richtete sich die Aufklärung? Welche Funktionen hatten die unterschiedlichen Sprachen im Vermittlungsprozess? Inwiefern ergänzt oder erweitert die baltische Aufklärung das Gesamtbild der europäischen Aufklärung? Welche „geteilten“ Erfahrungen und Formen gilt es noch in der europäischen Aufklärung zu entdecken? Was sind die Sprachen der europäischen Aufklärung und inwieweit sind die Medienpraktiken durch die Sprache bedingt?

Das Kompendium basiert auf dem IX. Internationalen Symposium zur baltischen literarischen Kultur, das vom 4. bis zum 6. September 2017 in Tartu stattfand. Ergänzt durch weitere Beiträge einschlägiger WissenschaftlerInnen auf dem Gebiet der Aufklärungsforschung, versammelt der Band ausgewählte Beiträge des Symposiums. Das Kompendium erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2020. Weitere Informationen und Abstracts zu den einzelnen Beiträgen finden sich auf der Projekthomepage der Universität Tartu

Siehe auch den Tagungsbericht von Liina Lukas

Baltic Journal of Art and History, Bd. 14 (2017)