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„Coole Gremienarbeit lockt mehr Leute an“ – Wie demokratische Politisierung unter Studierenden funktioniert

Sich an der Universität auch politisch engagieren? Für Sönke Beier gehörte das während seines Physikstudiums fest dazu. Vom Fachschaftsrat über den Senat bis hin zum Studierendenparlament und der Studienkommission Physik – er hat die Zeit nicht nur genutzt, um Kenntnisse und Wissen in seinem Fach zu erwerben, sondern auch, um seine Hochschule und die Studienbedingungen aktiv mitzugestalten. Seit seinem Masterabschluss im Sommersemester 2025 ist er nun wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Biologische Physik. Ob ein Studium gesellschaftliches Engagement und politisches Interesse fördert, interessiert wiederum den Soziologen Ulrich Kohler. Der Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung hat im Projekt „Gesellschaftlich-demokratische Teilhabe als Dimension des Studienerfolgs“ Studierende und Absolvent*innen an der Uni Potsdam zu ihrer politischen Sozialisierung befragt. Isabel Fannrich-Lautenschläger hat mit den beiden über die Hürden und den Gewinn von politischer Teilhabe im Studium gesprochen.

Herr  Kohler, was war das Ziel der Befragung?

Ulrich Kohler: Der Gesetzgeber fordert im Hochschulrahmengesetz, dass wir uns an der Universität nicht nur um die Kenntnisse und die berufliche Bildung von Studierenden, sondern auch um ihre Sozialisation als demokratische Persönlichkeiten kümmern. Diese gilt als eine von mehreren Dimensionen des Studienerfolgs. Wir wollten herausfinden: Klappt das?

 

Sind Sie davon ausgegangen, dass die Studierenden sich politisieren?

Kohler: Ich muss zugeben, ich persönlich bin nicht so sehr davon ausgegangen. Die Studierenden sind im Vergleich zu der Zeit, die sie im Elternhaus und mit den Peers in der Schule verbracht haben, nur relativ kurz an der Universität. Außerdem prägt die frühe Zeit des Heranwachsens stärker.

 

Gibt es eine Gegenposition?

Kohler: Zwei Argumente sprechen dafür, dass die Politisierung an der Uni en passant passiert. In den herrschaftsfreien Diskursen im universitären Raum gewinnen Studierende die Kompetenz, sich selbstbewusst und erfolgreich im demokratischen Prozess einzubringen. Außerdem lernt man durch das an der Uni angeeignete Wissen, besser zu argumentieren.

 

Herr Beier, Sie waren in vielen Gremien aktiv – wie stark politisieren sich Studierende?

Sönke Beier: Ich habe ja auch an der Umfrage von Ulrich Kohler teilgenommen. Meiner Meinung nach lässt sich eine Politisierung nur begrenzt im Kontext der Lehre, zum Beispiel durch offene Diskussionen in Vorlesungen und Seminaren, erreichen. Spannend wäre zu fragen, wie die akademische und studentische Selbstverwaltung stärker dazu beitragen können, dass Studierende demokratisch teilhaben und eigene Vorstellungen durchsetzen wollen.

 

Herr Kohler, war dieser Aspekt Teil Ihrer Befragung?

Kohler: Wir haben ein breites Verständnis von Beteiligung zugrunde gelegt und deshalb drei Dimensionen abgefragt: Einstellungen und Werte, Wissen, aber auch konkretes Verhalten, also das Mitmachen in akademischen Gremien ebenso wie in Bürgerinitiativen oder Sportvereinen außerhalb der Uni. Wir wollten wissen, ob sich Werte und Wissen im Studienverlauf so verändern, dass es zu einem bestimmten Verhalten kommt.

 

Was ist das Ergebnis Ihrer Studie?

Kohler: Im Vergleich kann man sagen, unsere Studierenden sind partizipativer als der Durchschnitt der Bevölkerung. Wenn wir aber untersuchen, wie sich das im Zeitverlauf entwickelt hat – von einem Jahr auf das nächste, im Vergleich Bachelor zu Master, kurzes oder langes Studium – finden sich keine Unterschiede. Wenn es um die Frage geht, werden Studierende an der Uni Potsdam noch weiter demokratisch politisiert, muss man sagen: Fehlanzeige. Auch weitere Befunde geben keinen Anlass zu glauben, dass das an anderen Universitäten nicht so wäre.

 

Herr Beier, was war bei Ihnen der Auslöser, sich an der Uni zu engagieren?

Beier: Das fing mit der ganz normalen Frage eines Physikstudenten an: Ich möchte am Wochenende arbeiten, die Universität ist zu. Wie komme ich da hinein? Könnten nicht alle Studierenden mit ihrer Universitätschipkarte das Haus öffnen? Damals konnte diese Idee nicht umgesetzt werden, aber ich bin damit im Fachschaftsrat gelandet. Und von da bin ich weiter in andere studentische Gremien wie das Studierendenparlament gekommen und zusätzlich in akademische Gremien wie Studienkommissionen oder den Senat, wo man mit Professor*innen und Beschäftigten zusammenarbeitet.

Kohler: Interessant ist doch, dass Herr Beier durch eine spezifische Problemwahrnehmung zu dieser Gremienarbeit gekommen ist. Und dann ist es eine Art Selbstläufer, dass man in weitere Gremien gelangt. Wenn ich mich aber frage, warum klappt das mit der Beteiligung an der Uni Potsdam nicht besser, müsste man im Umkehrschluss sagen: Dann gibt es anscheinend keine Probleme und nichts zu kritisieren.

 

Das sehen Sie sicherlich anders, Herr Beier?

Beier: Meine Gegenthese wäre, dass die wenigen Studierenden, die sehr lange Gremienarbeit machen, einerseits keine Nachfolger*innen finden und sich manchmal an Themen festbeißen, die an der Uni schwer durchzusetzen sind. Das kenne ich teilweise auch von mir. Andererseits schreckt es manche ab, sich zu engagieren, wenn sie nicht die Möglichkeit bekommen, sich in einem geordneten Verfahren auszutauschen und etwas zu verändern – also mit ihren Ideen erfolgreich zu sein.

Kohler: Die Hürden werden als zu hoch wahrgenommen. Also die Kosten-Nutzen-Relation geht zu Ungunsten der Beteiligung. Wer eine kleine Änderung in der Studienordnung haben will, muss sich erst einmal in die Studienkommission wählen lassen, da regelmäßig drin sein …

Beier: ... und die muss tagen. Auch Professor*innen brauchen hierfür ausreichend Zeit im vollen Arbeitsalltag.

Kohler: Bei uns tagt die Studienkommission regelmäßig. Der Soziologiestudent muss sich dort aber auch mit Änderungen in der BWL, in der VWL, in der Wirtschaftsinformatik auseinandersetzen. Das sind gewisse Hürden.

Beier: Eine weitere Hürde besteht darin, dass die meisten Studierenden keinerlei Erfahrungen mit Politik haben. Im ersten Jahr schauen sie zu und lernen viel. Wenn sie dabei eine funktionierende Struktur vorfinden, stärkt das ihre Bereitschaft, sich einzusetzen.

 

Inwiefern ist die Politisierung in der Zeit vor der Uni entscheidend?

Beier: Ich war vorher nicht in einer Schüler-Selbstverwaltung. Ich bin erst an der Uni aktiv geworden. Bei vielen anderen ist das ähnlich.

 

Spielt aber nicht doch das gesellschaftliche Engagement außerhalb der Uni eine große Rolle – wie bei der 68er-Bewegung?

Kohler: In den qualitativen Befragungen haben wir herausgefunden, dass viele, die innerhalb und außerhalb der Uni politisch aktiv sind, durch Kontakte mit anderen Studierenden, die es schon waren, dazu gekommen sind. Wenn deren Anzahl groß wäre, gäbe es auch viele solcher Kontakte. Und das würde exponentiell wachsen. Bei uns passiert das aber eher auf kleiner Flamme.

 

Was kann dazu motivieren, diesen Schritt an der Uni zu tun?

Beier: Manchmal ist ein Fest vom Fachschaftsrat der Anlass: Ah, da kann ich meine Meinung sagen. Oder eine Feier mitorganisieren. Wenn die Fachschaftsräte gut funktionieren, erfahrene und neue Personen aufeinandertreffen, kommen viele erstmals mit demokratischen Strukturen in Berührung. Es ist wichtig, diese Anfänge gut zu fördern und regelmäßig zu überprüfen, wie diese kleinen Gremien funktionieren. In anderen Gremien wie dem AStA, Senat oder Studierendenparlament dagegen sitzen meist diejenigen, die schon lange dabei sind.

 

Das ist doch auch eine gute Möglichkeit, Leute kennenzulernen ...

Beier: Der Fachschaftsrat fördert Gemeinschaft, die Leute wollen dann dort hin. Gut funktionierende und coole Gremienarbeit lockt einfach mehr Leute an.

 

Was müsste sich konkret verändern?

Kohler: Wir haben keine Räume, wo die Studierenden sich treffen können. Das ist wirklich ein Trauerspiel. In einem vernünftigen Fachschaftsraum könnten sie abseits der Lehre Feiern veranstalten, sich aber auch bei einem Kaffee über Unzufriedenheiten austauschen. Eine dichtere Kommunikation würde sie vielleicht stärker politisieren.

 

Ihr Fazit, was das politische Engagement an der Uni einem persönlich bringt?

Kohler: Tatsächlich zeigt sich keinerlei Zusammenhang zwischen der Partizipation innerhalb und außerhalb der Universität und weiteren Kriterien des Studienerfolgs – sei es die Note, die Studiendauer oder -zufriedenheit.

Beier: Mich hat es zwar Zeit gekostet und bestimmt das Studium verlängert. Aber ich habe sehr viel gelernt, was man Schlüsselkompetenzen nennen würde: also Team- und Kommunikations-, aber auch Konfliktfähigkeit. Jetzt habe ich jedenfalls nicht mehr so viel Angst, mich mit Professor*innen zu unterhalten oder konstruktiv zu streiten. Ich weiß jetzt auch, was eine Geschäftsordnung ist und kann mich weiter demokratisch engagieren. Außerdem lernt man viele Leute kennen.


Sönke Beier studierte Physik an der Universität Potsdam und ist seit 2025 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Biologische Physik.

Ulrich Kohler ist seit 2012 Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung an der Universität Potsdam.

Zum Projekt „Gesellschaftlich-demokratische Teilhabe als Dimension des Studienerfolgs“: https://www.uni-potsdam.de/de/zfq/hochschulstudien/gesdims

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin  Portal - Zwei 2025 „Demokratie“.