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Fitness als Nebeneffekt – Die EMOTIKON-Studie untersucht die sportliche Leistungsfähigkeit von Kindern

Zwei Jungen in Startposition für einen Lauf.
Photo : Adobe Stock/contrastwerkstatt
Seit 2009 erhebt die EMOTIKON-Studie jedes Jahr die motorische Fitness in allen dritten Klassen Brandenburgs.

Bocksprung, Kugelstoßen oder Barrenturnen – nicht alle denken mit Freude an den Sportunterricht in der Schule. Viele Kinder empfinden Leistungsdruck, Frustration und wenig Spaß in der Turnhalle, was nicht verwundert, geht doch so manche althergebrachte Übung an der Lebensrealität der Kinder vorbei. Und doch ist Fitness enorm wichtig für die körperliche und psychische Gesundheit und für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten. Seit 2009 erhebt die EMOTIKON-Studie jedes Jahr die motorische Fitness in allen dritten Klassen Brandenburgs und zeigt: Die Ausdauer der Kinder ist deutlich zurückgegangen.

Die Sportwissenschaftlerin Thea Fühner, die in Potsdam promoviert, und der Kognitionswissenschaftler Reinhold Kliegl kennen das EMOTIKON- Projekt gut. Es wird gemeinsam von der Professur für Trainings- und Bewegungswissenschaft, dem brandenburgischen Ministerium für Bildung, Jugend und Sport und dem Landessport-bund Brandenburg durchgeführt. „Weil die Teilnahme verpflichtend ist, machen jedes Jahr etwa 20.000 Kinder mit“, erklärt Thea Fühner, die das Projekt lange koordinierte. Mittlerweile hat das Team über 200.000 Einträge in seiner Datenbank. „Entsprechend sind sehr interessante und statistisch aussagekräftige Analysen möglich.“ Ziel ist es, daraus Empfehlungen zur Bewegungsförderung abzuleiten.

„Uns war es wichtig, eine Testbatterie zu entwickeln, die auch wirklich für das Schulsetting praktikabel ist“, sagt Thea Fühner. Schließlich habe eine Sportlehrkraft 25 oder 30 Kinder in ihrer Klasse, die sie alljährlich testen soll. „Material- und Zeitaufwand sollten also relativ gering sein.“ Sechs Aufgaben decken verschiedene Bereiche motorischer Fitness ab: Da sind der Sechs-Minuten-Lauf und der 20-Meter-Sprint zur Erfassung der Ausdauer sowie der Schnelligkeit. Da ist der sogenannte Sternlauf, der die Koordinationsfähigkeiten unter Zeitdruck erhebt. Der Standweitsprung und der Medizinballstoß zeigen die Schnellkraft der unteren und oberen Extremitäten. Und zuletzt gibt es den sogenannten Ein- Bein-Stand, um das statische Gleichgewicht zu testen.

„Die motorische Fitness in diesen verschiedenen Übungen ist über die Kohorten hinweg sehr, sehr unterschiedlich“, erklärt Reinhold Kliegl. „Beim Sechs-Minuten-Lauf zum Beispiel rennen die Kinder der jüngeren Kohorten kontinuierlich weniger weit. Und das ist besonders besorgniserregend, weil dieser Test der beste Indikator für den Gesundheitszustand ist.“ Als Ursachen für die sinkenden Leistungen sehen die Forschenden neben der COVID-Pandemie die sich verstärkenden sozialen und regionalen Unterschiede. So sei die negative Entwicklung der Ausdauer besonders ausgeprägt bei Kindern aus Regionen mit niedrigerem sozioökonomischen Status, erklärt Kliegl.

„EMOTIKON hat gezeigt, dass Kinder im Speckgürtel von Berlin motorisch im Durchschnitt sehr viel fitter sind als diejenigen aus weiter entfernten Regionen“, so der Seniorprofessor. Das habe etwas damit zu tun, dass im Umland eher einkommensstarke Eltern wohnen und auch die Schulen oft besser ausgestattet seien. Hier sei es in der Regel leichter, gute Sportlehrkräfte zu rekrutieren als fernab von Berlin. „Das sind Dinge, die zunächst nichts mit der Biologie zu tun haben, sondern mit der Umgebung, in der das Kind aufwächst. Und es ist unsere Verantwortung sicherzustellen, dass die Kinder unabhängig von ihrer Herkunft gleiche Chancen haben.“

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt allen Kinder zwischen fünf und 17 Jahren, dass sie sich mindestens 60 Minuten pro Tag körperlich aktiv bewegen und zusätzlich zwei bis drei Mal in der Woche Kräftigungsübungen durchführen. Doch in der Pandemie hat die Zeit des Sitzens auch bei Kindern stark zugenommen, erklärt Thea Fühner. Sie sollte der WHO zufolge so oft wie möglich durch Aktivitäten im Stehen ersetzt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, könnten Klassenräume umgestaltet und etwa mit Stehpulten ausgestattet werden. An den Schulen braucht es dafür jedoch einen Paradigmenwechsel. „Wir denken so sehr in traditionellen Unterrichtsformen“, sagt Reinhold Kliegl. „Deswegen nehmen wir oft an, die Kinder müssten lernen, kontinuierlich an einer Aufgabe zu arbeiten. Dabei wäre es für die Konzentration viel förderlicher, wenn es mehr Bewegung gäbe.“

Kliegl ist sicher, dass Kinder die richtigen Angebote mit Begeisterung aufnehmen. So gebe es an einer Grundschule in Oberhavel einen Direktor, der in der großen Pause den Fitnesstrainer mimt: „Das fasziniert die Kinder. Sie denken nicht darüber nach, ob sie dadurch fitter werden, sondern machen mit, weil es Spaß macht.“ Für den Wissenschaftler sollte es an Schulen mehr Aktivitäten geben, „die Fitness als Nebeneffekt abwerfen“. Thea Fühner sieht das ähnlich. „Der ideale Sportunterricht sollte kindgerecht spielerisch gestaltet sein“, sagt die Sportwissenschaftlerin. „Die Kinder könnten zum Beispiel so in eine Geschichte oder ein Spiel eintauchen, dass sie ganz viel rennen oder klettern und gar nicht merken, dass sie sich gerade anstrengen.“

Das Thüringer Schwesterprojekt BeKiGeKi von EMOTIKON kommt übrigens zu ähnlichen Ergebnissen – die sinkende Ausdauer von Kindern scheint also ein überregionales Problem zu sein. Die Forschenden hoffen umso mehr, dass die Studienergebnisse Eingang in die Praxis finden und Grundschülerinnen und -schüler schon bald mehr Gelegenheiten bekommen, sich zu bewegen – und dabei auch noch Spaß haben.

Mehr darüber im Podcast Listen. UP – Folge #05 „Daten für Taten“ in Sachen Schulsport

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Transfer - 2022/2023 (PDF).