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Über Berg und Tal – Prof. Peter van der Beek erforscht die Triebkräfte der Gebirgsbildung

Prof. Peter van der Beek erforscht die Triebkräfte der Gebirgsbildung
Prof. Dr. Peter van der Beek
Photo : Taylor Schildgen
Prof. Peter van der Beek erforscht die Triebkräfte der Gebirgsbildung
Photo : Sandra Scholz
Prof. Dr. Peter van der Beek

Der Geowissenschaftler Peter van der Beek ist Spezialist für Thermochronologie. Mithilfe dieser Methode blickt er weit zurück in die Geschichte von Gebirgszügen und Landschaften und nutzt dafür Isotope des Edelgases Helium, die in den Kristallgittern von Mineralen Jahrmillionen überdauert haben. Sie verraten ihm, wie schnell sich Gebirge in die Höhe geschoben haben und wie sie gleichzeitig abgetragen werden.

Als er 2020 von Grenoble nach Potsdam kam, war alles etwas anders als geplant: Erst im Juni – zwei Monate später als ursprünglich beabsichtigt – konnte Peter van der Beek sein Büro am Institut für Geowissenschaften beziehen und seine Stelle als Professor für Allgemeine Geologie antreten. „Wir hatten einen Lockdown in Frankreich und ich konnte nicht umziehen“, erinnert er sich. Dabei war der Zeitplan eng gestrickt: Ein großes Forschungsprojekt stand kurz vor dem Start, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mussten eingestellt werden und ein spezielles Messgerät sollte in Potsdam eintreffen. Die Pandemie hat den Zeitplan ein wenig durcheinandergebracht. „Aber schließlich haben wir doch noch alles geschafft und konnten loslegen“, erzählt Peter van der Beek.

Im EU-geförderten Forschungsprojekt „COOLER“ ist er gemeinsam mit seinem Team nun jenen Kräften auf der Spur, die das Erscheinungsbild von Gebirgen formen. Warum gibt es tiefe Täler und hohe Gipfel, zerklüftete Berghänge oder Plateaus? Warum sehen die Gebirge so unterschiedlich aus? Wie spielen die tektonische Hebung und die Erosion zusammen? Und was für eine Rolle übernimmt das Klima dabei?

Bekannte und unerforschte Orte

Ob es die Alpen, die Rocky Mountains, der Himalaya oder die Anden sind – die Gebirgszüge dieser Erde haben eine bewegte Geschichte hinter sich, die noch immer nicht abgeschlossen ist. Schnell wachsende Gebirge wie der Himalaya werden von der Plattentektonik einige Millimeter pro Jahr nach oben geschoben. Andere wachsen weniger als einen Millimeter. Wind, Niederschläge, Gletscher oder die chemische Verwitterung tragen das Material an der Oberfläche wieder ab – manchmal hebt diese Erosion das Wachstum der Berge komplett auf. „Die Form der Berge liefert uns Informationen über die tektonische Hebung und die Erosion. Diese Erosionsgeschichte versuchen wir zu verstehen“, erklärt Peter van der Beek.

Als Geologe blickt er dabei auf einen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren und bedient sich einer Vorgehensweise, die analysiert, wie sich das Gestein in diesem Zeitraum abgekühlt hat. Thermochronologie heißt diese Methode, die die Struktur und Zusammensetzung von Mineralen betrachtet und damit einen Blick auf ihre Geschichte wirft. Pro Kilometer nimmt die Temperatur unter der Erdoberfläche etwa 30 Grad Celsius zu. Schiebt die Plattentektonik Material aus der Tiefe an die Oberfläche, kühlt es ab. Peter van der Beek ist einer von wenigen Experten für Thermochronologie und kann aus diesen Informationen Rückschlüsse auf die Erosionsgeschichte ziehen.

Das Instrument, das für diese Analyse benötigt wird, nimmt viel Raum in Anspruch: Am Potsdamer Institut wird dafür ein eigenes kleines Labor benötigt. „Es gibt auf der ganzen Welt nur ein weiteres Labor, dass diese Technik bereits effektiv nutzt. Und das ist in Berkeley in Kalifornien“, erzählt Peter van der Beek, der nicht ohne Stolz auf das Potsdamer Edelgasmassenspektrometer blickt. Weitere Forschungslabore arbeiten daran, die Methode ebenfalls zu etablieren. Die ersten Publikationen darüber erschienen zwar bereits 2005. Doch ein Edelgasmassenspektrometer ist sehr teuer und nicht einfach zu handhaben. Die Proben müssen etwa mit Protonen bestrahlt werden – „das kann man nicht an vielen Orten machen“, betont van der Beek.

Im Potsdamer Labor ist das möglich, und die ersten Messungen mit dem kostbaren Gerät laufen langsam an. Die Gesteinsproben dafür stammen aus den Schweizer Alpen. Im vergangenen Sommer hat Peter van der Beek mit einem Forschungsteam eine Woche dort verbracht und Gestein mitgebracht, um es zu analysieren. Die Alpen zählen zu den Gebirgszügen der Erde, die den Forscher besonders faszinieren: „Es ist hier schon sehr viel sehr gut erforscht worden. Wir können all diese Daten nutzen, um tiefer in die Details zu gehen und neue Fragen zu beantworten“, erklärt er.

Doch auch die unerforschten Gebirge üben einen Reiz auf den Geologen aus. Etwa das Tianshan- Gebirge in Kirgisistan, in dem er im vergangenen Sommer mehrere Wochen unterwegs war. „Es war eine sehr besondere Forschungsreise“, erinnert er sich. „Wir waren in einem Gebiet, aus dem es noch keinerlei wissenschaftliche Daten gibt.“ Unberührt und unerforscht – für Peter van der Beek sind genau diese Landschaften eine Quelle der Inspiration und Motivation. Die Strapazen einer solchen Expedition – stundenlanges Fahren in einem Jeep über holprige Schotterpisten und quer durch die Landschaft, fehlende Infrastruktur und das Zelten unter einfachsten Bedingungen, fernab jeglicher Zivilisation – nimmt er dafür gern Kauf. „Wir waren zehn Stunden von der nächsten Ortschaft entfernt“, erzählt der Forscher. „Die ersten zu sein, die an einem solchen Ort Daten erheben: Das ist etwas sehr Seltenes und Besonderes, ein kleines Abenteuer.“

Die Geschichte von Jahrmillionen ist in einem Sandkorn konserviert

Mehrere Kilogramm schwer sind die grauen Brocken von Felsgestein, die Peter van der Beek von einer solchen Reise mitbringt. Rund 350 Kilogramm Proben aus Kirgisistan warten auf den Flug nach Deutschland, um im Potsdamer Labor analysiert zu werden. Die Forschenden haben es dabei besonders auf das Mineral Apatit abgesehen, das in dem Gestein steckt. Im Kristallgitter dieses Minerals sind im Verlauf von Jahrmillionen durch radioaktiven Zerfall von Uran Helium-Isotope entstanden. Helium ist ein sehr leichtes Element, das sich in den Gesteinen hin und her bewegt und auch entweicht. Beim Aufsteigen und Abkühlen an der Oberfläche erstarrt das Helium und ist im Apatit gefangen. Beim Isotop Helium-4 geschieht das bei 85 bis 75 Grad Celsius in einer Tiefe von zwei bis drei Kilometern unter der Erdoberfläche. Thermochronologen nutzen auch weitere Elemente, die in anderen Tiefen und bei anderen Temperaturen erstarren und verfügen damit über eine ganze Sammlung sogenannter „Isotopenuhren“.

Für die Analyse von Helium im Edelgasmassenspektrometer genügt ein sandkorngroßes Apatitkörnchen, das im Inneren des Geräts langsam erhitzt wird. Das erstarrte Helium wird dadurch „aufgetaut“ und beginnt zu entweichen. Das Gerät misst genau, ab welcher Temperatur wie viel Helium frei wird und wann der Prozess stoppt. Zuerst tritt das Helium aus der äußeren Schicht des Apatitkorns aus. Je wärmer es wird, desto mehr Helium kommt aus den inneren Schichten. Mit den Messungen können die Forschenden einen Blick in die Vergangenheit werfen und die Lage der Minerale in der Erdkruste zurückverfolgen. Wann war das Gestein in welcher Tiefe? Außerdem erkennen sie, ob das Gestein während seiner Geschichte schnell oder langsam an die Oberfläche gewandert ist und wie hoch die Erosionsraten am Fundort sind.

Gletscher, Niederschläge und das Klima

„Wir können Erosion nur indirekt messen, denn das Material verschwindet ja“, erklärt Peter van der Beek. Er interessiert sich vor allem für die glaziale Erosion. Gletscher verändern die Landschaft und formen Gebirge – allerdings je nach geografischer Lage und Topografie ganz unterschiedlich. Wenn die Eis- und Schneemassen über Felsgestein reiben, können sie sehr viel Material mit sich nehmen und in Tälern tiefe Rinnen hinterlassen. Sind sie jedoch am Felsen festgefroren, schützen sie diesen vor Wind und Wetter und damit vor Erosion. „Gletscher haben einen starken lokalen Effekt“, betont der Forscher. Deshalb plant er Messungen innerhalb und außerhalb von verschiedenen Gletschertälern, um diese Effekte genauer zu bestimmen.

Wind, Niederschläge, Flüsse oder Gletscher sind die treibenden Kräfte der Erosion – und auch die Schwerkraft wirkt formend auf Landschaften. Über Jahrmillionen betrachtet gibt es aber noch einen weiteren Akteur, der das Zusammenspiel von Erosion und Tektonik mitbestimmt: das Klima. Bei der chemischen Verwitterung von Silikatgestein wird der Atmosphäre Kohlendioxid entzogen – ein Prozess, der seit rund 50 Millionen Jahren das Klima natürlicherweise abkühlen lässt. Gäbe es nicht die massiven Treibhausgasemissionen durch die Menschheit, würde es auf der Erde wohl weiterhin allmählich kühler werden. „Der durch den Menschen verursachte Klimawandel übertrifft alle diese natürlichen Prozesse um Größenordnungen“, betont der Forscher. „Wenn wir das Gesamtsystem besser verstehen, wird uns das auch dabei helfen, natürliche von anthropogenen Einflüssen zu unterscheiden.“

Je weniger Kohlendioxid in der Atmosphäre vorhanden ist, desto ineffizienter wird die chemische Verwitterung jedoch – sodass sich dieser Prozess einer Forschungshypothese nach verlangsamt hätte. Auch der Abtrag von organischem Material entzieht der Atmosphäre Kohlendioxid: „Im Indischen Ozean fand ein Forschungsteam Baumstämme auf dem Meeresgrund, die vor Hunderttausenden von Jahren aus dem Himalaya durch Erosion hierhergelangten“, beschreibt Peter van der Beek den Mechanismus. In den tiefen Sedimentschichten der Gewässer ist das Holz konserviert – und mit ihm viele Tonnen von Kohlendioxid.

Wie sich die Abkühlung auf globale Erosionsraten ausgewirkt hat, wie Klima, Tektonik und Erosion gemeinsam die Gebirgslandschaften formen und welche Rückkopplungsmechanismen dabei wirken, ist immer noch nicht ausreichend verstanden. Mit den thermochronologischen Daten hoffen Peter van der Beek und sein Team, den Vorhang etwas lüften zu können. Sie wollen die thermochronologischen Methoden verfeinern und numerische Modelle entwickeln, um Datensätze aus der ganzen Welt besser analysieren und interpretieren zu können. Welche Unterschiede gibt es zwischen den einzelnen Gebirgen? Welche lassen sich durch Tektonik, welche durch das Klima erklären? Am Ende sollen die Modelle nicht nur einen Blick in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft ermöglichen: Wie wird sich eine Landschaft weiterentwickeln und was sind die treibenden Kräfte?

Die nächste Forschungsreise wird Peter van der Beek nach Patagonien führen. Die südlichen Ausläufer der Anden bilden hier Gebirgszüge, in denen es zahlreiche und große Gletscher gibt. „Es ist alles etwas kompliziert im Moment, aber wir hoffen sehr, dass diese Expedition möglich sein wird“, sagt der Geologe. Denn die Gesteinsproben aus der Region sollen weitere wichtige Daten für ein besseres Verständnis darüber liefern, was Gebirge langfristig formt.

Das Projekt

Das Forschungsprojekt „COOLER“ (Climatic Controls on Erosion Rates and Relief of Mountain Belts) untersucht Rückkopplungen zwischen tektonischen Prozessen in der Lithosphäre und klimatischen Prozessen in der Atmosphäre. Es nutzt neue Methoden der Thermochronologie, um hochaufgelöste Daten zu Erosionsraten und Reliefänderungen in Gebirgen zu erheben und zu analysieren.

Förderung: Europäischer Forschungsrat, ERC Advanced Grant

Laufzeit: 2020–2025

http://erc-cooler.eu/

Der Forscher

Prof. Dr. Peter van der Beek studierte Geologie an der Freien Universität Amsterdam. Mehr als 20 Jahre lang forschte er an der Université Joseph Fourier in Grenoble, Frankreich und ist seit 2020 Professor für Allgemeine Geologie an der Universität Potsdam.
E-Mail: vanderbeekuni-potsdamde

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2022 „Zusammen“.