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„Entlastung, wo sie wirklich nötig ist“ – Mathias Kalkuhl über einen Gasimportstopp und seine Folgen

Prof. Mathias Kalkuhl beim Interview. Das Foto ist von Tobias Hopfgarten.
Photo : Tobias Hopfgarten
Prof. Mathias Kalkuhl ordnet das Ausmaß und die Folgen der Energiepreiskrise ein. Er sagt: Wichtig ist es jetzt vor allem, denen zu helfen, die es wirklich brauchen.

Sprit- und Gaspreise steigen, dabei kaufen Deutschland und die EU nach wie vor Öl und Gas aus Russland. Doch was passiert eigentlich, wenn der russische Präsident Wladimir Putin wie gedroht den Hahn sprichwörtlich zudreht oder die europäischen Staaten sich doch noch zu einem Energieembargo durchringen. Matthias Zimmermann sprach darüber mit Prof. Dr. Mathias Kalkuhl, Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschaftswachstum an der Universität Potsdam und leitet die Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Er sagt: Die Folgen wären dramatisch, aber nicht beispiellos. Wichtig sei vor allem, sich darauf vorzubereiten, und denen zu helfen, die es wirklich brauchen.

Gut möglich, dass Europa – und damit auch Deutschland – eher kurz- als mittelfristig ohne russisches Gas und Erdöl auskommen muss. Wäre das ökonomisch überhaupt verkraftbar?

Zunächst muss man diesbezüglich zwischen Erdöl und Erdgas unterscheiden. Ohne russisches Öl auszukommen, sollte weniger ein Problem sein. Der Weltmarkt für Öl ist sehr liquide und russisches Öl für Deutschland auch kurzfristig ersetzbar. Zu erwartende Preisanstiege sind nicht so dramatisch. Beim Gas ist das anders. Deutschland hängt an der Infrastruktur, konkret den Pipelines – und die führen von Russland nach Deutschland. Deshalb ist russisches Gas kurzfristig schwer ersetzbar. Möglich wäre ein stärkerer Import von Flüssiggas. Allerdings ist dieser Markt deutlich kleiner und Deutschland hat keine eigenen Terminals, an denen die Transportschiffe entladen werden könnten. Die bestehenden Anlagen in Europa sind ausgelastet, über sie kann nicht noch mehr importiert werden. Bis Deutschland eigene Terminals haben könnte, dürften einige Jahre vergehen. Sollte es zu einem vollständigen Importstopp kommen, dürften in Europa 10 bis 15 Prozent der Gasmenge fehlen, die wir aktuell verbrauchen. Das wäre viel. Die müssten eingespart werden, in der Industrie aber auch bei den Haushalten. Ob es verkraftbar wäre? Modellrechnungen zufolge würde das Bruttoinlandsprodukt schrumpfen, im besten Fall um nur knapp unter ein Prozent, im schlimmsten Fall könnten es aber auch drei bis sechs Prozent sein. Das wäre durchaus ein enormer Schock, vergleichbar etwa mit der Corona-Krise, aber auch kein historisch beispielloser Einbruch.

Warum ist Deutschland – durchaus im Unterschied zu anderen Ländern in Europa – derart abhängig von russischen Gaslieferungen?

Man hat in Deutschland die Bedrohung nicht sehen wollen, sondern vor allem darauf geschaut hat, das Land mit billiger Energie zu versorgen. Davon haben viele Haushalte profitiert. Zudem wurden in Deutschland über die Jahrzehnte mit billigem russischen Gas Industriesparten aufgebaut, die sonst nicht wettbewerbsfähig wären. Die rufen jetzt am lautesten, dass ein Embargo desaströse Konsequenzen hätte. Dabei muss man sagen, dass es durchaus ein wenig blauäugig war, die eigene Wettbewerbsfähigkeit auf billiges russisches Gas zu bauen.

Ist absehbar, was im Fall eines Lieferstopps an Mehrkosten auf uns – als Land, aber auch auf jeden Einzelnen – zukommen würde?

Wir brauchen das Gas für die Industrieproduktion und zum Heizen. Natürlich haben viele die Befürchtung, dass sie plötzlich ohne Gas dastehen oder mit Preisen konfrontiert sind, die sie nicht mehr zahlen können. Auf den Einzelnen zu sehen und angemessen zu reagieren – das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen. Grundsätzlich muss man sagen: Preissteigerungen sorgen für Einspareffekte und das ist wichtig. Denn wenn weniger zur Verfügung steht, muss gespart werden. In einer kurzfristig durchgeführten Studie haben wir gezeigt: Der Spritpreis könnte innerhalb eines Jahres um 20 bis 40 Cent steigen – unabhängig von den ersten Teuerungen, die wir schon gesehen haben und die eher kurzfristig und nicht zwingend von Dauer sind. Der Gaspreis wiederum könnte sich innerhalb eines Jahres verdreifachen und den Preis um 5 bis 20 Cent je Kilowattstunde in die Höhe treiben. Das wären erhebliche Erhöhungen, die für Durchschnittshaushalte 800 bis 2500 Euro Mehrkosten pro Jahr bedeuten würden. Das ist dramatisch, vor allem für einkommensschwache Haushalte, weil diese ohnehin schon anteilig viel für Energie ausgeben. Für die Ärmsten würde das einen Konsumverlust von 3,5 bis 11 bedeuten.

Der Bundesfinanzminister hat angesichts „explodierender“ Preise an Tankstellen eine „Spritpreisbremse“ ins Spiel gebracht. Was ist davon zu halten?

Ich sehe zwei ernste Probleme: Der Kraftstoffverbrauch ist v.a. in der Mittelschicht und bei oberen Einkommensklassen sehr hoch. Die würden davon potenziell am meisten entlastet, obwohl sie es – im Vergleich – weniger brauchen. Zudem würde die Entlastung nicht wirklich funktionieren. Der Markt würde nicht mehr funktionieren, weil bei einem Preisdeckel die Nachfrage höher als das Angebot ist. Es würde lange Schlangen an den Tankstellen geben, die Menschen stundenlang warten, bis der nächsten Tankwagen kommt. Preise bringen Angebot und Nachfrage in Einklang. Eine Preisdeckelung führt letztlich zu Rationierung – und ist deshalb nicht zu empfehlen. Subventionen (wie auch Tankgutscheine oder Senkungen der Mineralölsteuern) können allerdings auch kurzfristig keinen Sprit herbeischaffen; die Preise blieben also hoch und die Subventionen landeten größtenteils bei den Mineralölkonzernen. Tankgutschriften, Steuerkürzungen, usw. bringen den Konsumenten letztlich wenig.

Was kann die Bundesregierung tun, um die Mehrkosten abzufedern, gerade für diejenigen, die sie sich ganz offensichtlich nicht leisten können? Und wie kann eine solche Verteilung zugunsten der Einkommensschwachen aussehen?

Entscheidend ist, nicht an den Preisen herumzudrehen. Die sind wichtig, um zu signalisieren: Energie ist knapp. Stattdessen sollte die Politik Menschen mit geringen Einkommen, die hohen Preisen ausgesetzt sind, mit Einkommenshilfen unterstützen. Das behält die grundsätzliche Einsparwirkung hoher Preise bei, sorgt aber für Entlastung, wo sie wirklich nötig ist. Der aktuell geplante Heizkostenzuschuss für einkommensschwächere Haushalte geht ja in diese Richtung. Allerdings wird das nicht reichen. Denn die Wohngeld- und Sozialhilfeempfänger sind nur wenige von denen, die Hilfe brauchen. Unser Sozialsystem ist nicht darauf ausgelegt zu erkennen, wer unter Energiepreisen leidet. Es gilt, neue Kanäle zu überlegen, wie wir größere Schichten der Bevölkerung erreichen. Wir haben deshalb ein Energiegeld vorgeschlagen. Doch derartige Maßnahmen brauchen Vorlaufzeit. Deshalb sollte die Politik jetzt schnell handeln.

Wird die wissenschaftliche Expertise gehört?

Ich denke, die Politik nimmt das schon war. Aber im Moment wirkt sie doch sehr reaktiv, nicht proaktiv. Sie schaut beispielsweise auf die Spritpreise, nicht den Gaspreis. Dabei birgt dieser die größere soziale Herausforderung. Man kann nur hoffen, dass die Politik wirklich alle Hebel in Bewegung setzt, uns vorzubereiten. Es scheint, dass viele noch hoffen, dass der Krieg in der Ukraine rasch zuende geht, es einen schnellen Friedensvertrag gibt – und die Energiepreise wieder fallen. Ich sage nicht, dass das nicht passieren kann. Aber wir sollten uns auf das andere Extrem einstellen und dafür die Weichen stellen.

Geld, das eingesetzt wird, um die steigenden Energiekosten abzufangen, fehlt anderswo. Ist die Energiewende in Gefahr? Oder wird sie beschleunigt, weil nun allen klar ist, dass wir uns nicht nur von russischen, sondern von allen fossilen Brennstoffen unabhängig machen sollten?

Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass Energiewende ins Stocken gerät. Natürlich hat die aktuelle Krise deutlich gezeigt, dass es notwendig ist, sich von fossilen Energieträgern zu lösen. Dadurch ist der Druck gestiegen, in alternative, regenerative Energiequellen zu investieren. Gleichzeitig sorgen Krisen immer für Unsicherheit. Auch die Aussicht, dass nach einem Ende des Krieges die Energiepreise wieder fallen könnten, schafft keine nachhaltigen Investitionsanreize. Daher muss es Klarheit darüber geben, dass es langfristig kein Zurück zu billiger fossiler Energie geben kann.
Außerdem stellt sich die Frage nach den Kosten. Klar ist: Der Krieg macht uns als Gesellschaft ärmer. Militärausgaben, Exportausfälle, Energiekosten usw. – das sind alles Kosten, die wir als Gesellschaft tragen müssen. Das wird Verteilungskonflikte mit sich bringen darüber, wer das zahlen soll. Antworten lässt sich darauf zweierlei: Aus einer Gerechtigkeitsperspektive erscheint es angemessen, dass Menschen mit höheren Einkommen mehr von diesen Kosten schultern sollten - weil sie es eher „verkraften“. Zugleich sollte man aus einer politischen Perspektive ergänzen: Es ist die Aufgabe der Politik herausarbeiten, dass auch Menschen mit höheren Einkommen davon profitieren, wenn wir in unsere sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit investieren und in Sachen Energieversorgung unabhängig bzw. zukunftstauglich machen. Die Politik muss klar und verständlich kommunizieren: Das wird ein Kraftakt für die Gesellschaft. Doch dieser ist wichtig und von ihm profitieren alle.

Vielen Dank!

Weitere Informationen:

Zur Studie des MCC „Auswirkungen der Energiepreiskrise auf Haushalte in Deutschland“: http://www.mcc-berlin.net/Publications/2022_MCC_Auswirkungen_der_Energiepreiskrise_auf_Haushalte.pdf

Pressemitteilung des MCC: https://www.mcc-berlin.net/news/meldungen/meldungen-detail/article/energiepreiskrise-laesst-sich-fuer-private-haushalte-wirksam-abmildern.html

Kontakt:

Prof. Dr. Mathias Kalkuhl ist Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschaftswachstum an der Universität Potsdam und leitet die Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin.
E-Mail: matthias.kalkuhluni-potsdamde

 

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Published

Online editorial

Sabine Schwarz