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Die Klima-Uhr tickt – Der Wirtschaftswissenschaftler Matthias Kalkuhl erforscht, wie die Klimawende gelingen kann

Prof. Matthias Kalkuhl | Foto: Tobias Hopfgarten
Prof. Matthias Kalkuhl im Interview | Foto: Tobias Hopfgarten
Photo : Tobias Hopfgarten
Prof. Matthias Kalkuhl
Photo : Tobias Hopfgarten
Prof. Matthias Kalkuhl im Interview
Jeden Morgen, wenn Matthias Kalkuhl zu seinem Arbeitsplatz am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin fährt, hat er das historische Gasometer von Schöneberg im Blick. Seit dem 18. September 2019 leuchtet ein rotes digitales Ziffernblatt auf dem Metallgerüst des ehemaligen Gasspeichers. 40 Meter lang und zehn Meter breit, zeigt die rückwärtslaufende CO2- Uhr weithin sichtbar an, wie viel Zeit noch verbleibt, um die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Dieses Ziel ist im Pariser Klimaabkommen festgeschrieben. Etwa sieben Jahre lang wird die Uhr noch laufen, bevor das CO2-Budget aufgebraucht ist – wenn es nicht gelingt, den CO2- Ausstoß zu drosseln.

Der Wissenschaftler Matthias Kalkuhl arbeitet täglich daran, der Welt etwas mehr Zeit im Kampf gegen den Klimawandel zu verschaffen. Er untersucht, welche Mittel den Countdown verlangsamen und den Nullpunkt hinauszögern können und wie sich die Erkenntnisse der Klimawissenschaften praktisch umsetzen lassen. Seine Werkzeuge sind die Wirtschaftswissenschaften und die Klimapolitik – Forschungsfelder, die er erst über Umwege betreten hat.

„Vom Fach Ökonomie hatte ich keine Ahnung und keine Vorstellung“, sagt Matthias Kalkuhl rückblickend. Denn seine wissenschaftliche Karriere begann mit einem naturwissenschaftlichen Studium: In den Angewandten Systemwissenschaften drehte sich alles um Mathematik, Informatik und die Frage, wie sich Chemikalien und Schadstoffe im Boden und in der Atmosphäre ausbreiten und anreichern. Ein Praktikum am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) öffnete ihm die Tür zu einer neuen Perspektive auf die Klimaerwärmung. Und brachte die Erkenntnis: „Das Klimaproblem muss man auch als ökonomisches Problem verstehen. Die Ökonomie hat viel Potenzial, um Umweltprobleme einerseits zu analysieren und andererseits auch zu lösen“, erklärt Kalkuhl.

Heute leitet der 37-Jährige die Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung am MCC und ist Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschaftswachstum an der Universität Potsdam. Hier erforscht er, wie eine effiziente, kostengünstige und sozial gerechte Klimapolitik aussehen und nachhaltiges Wachstum gelingen können.

Jede Tonne CO2 verursacht hohe Folgekosten

Wachstum und Klimaschutz sind für ihn keine Gegensätze. Im Gegenteil: „Klimaschutz ermöglicht erst langfristiges Wirtschaftswachstum“, wie die ökonomische Erforschung von Klimaschäden zeige. Wirtschaftswissenschaftler wie Matthias Kalkuhl betrachten die Zahlen dazu sehr nüchtern und wägen die Kosten von Klimaschutzmaßnahmen gegen die wirtschaftlichen Einbußen ab. Klimaschutz lohnt sich immer dann, wenn die wirtschaftlichen Schäden durch den Klimawandel teurer wären als die Schutzmaßnahmen. Dabei zeigten aktuelle Studien immer deutlicher: Besonders teuer wird es für die Wirtschaft, wenn die Klimaerwärmung zwei Grad Celsius übersteigen wird. „Wenn wir heute keinen Klimaschutz betreiben, werden wir uns in 50 Jahren darüber enorm ärgern“, sagt Kalkuhl.

Aber schon jetzt verschlingen die Folgen der Klimaerwärmung jedes Jahr Milliarden. Kalkuhl und sein Forschungsteam haben die ökonomischen Zusammenhänge sehr detailliert berechnet: Sie analysierten mithilfe statistischer Verfahren, wie sich CO2- Emissionen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in verschiedenen Regionen der Erde auswirken. Dafür nutzten die Forscherinnen und Forscher mehr als 35.000 Datenpunkte und Zeitreihen aus 1.500 Weltregionen, die über viele Jahre gesammelt wurden. Die Analysen zeigten: Je wärmer es wird, desto stärker sinkt die Wirtschaftsleistung.

Besonders deutlich ist dieser Effekt in den Tropen und Subtropen, wo es schon jetzt sehr heiß ist. Aber auch in den gemäßigten Breiten lässt die Erderwärmung das BIP schrumpfen. „Es gibt Ernteausfälle, die Arbeitsproduktivität ist geringer und Klimaanlagen verbrauchen mehr Strom“, beschreibt Kalkuhl einige der Ursachen. Das Ergebnis ist ernüchternd: „Jedes Grad Erwärmung reduziert die globale Wirtschaftsleistung um zwei bis vier Prozent.“ Nur einige wenige Polarregionen profitieren von höheren Temperaturen. Jede Tonne ausgestoßenes CO2 verursacht derzeit Folgekosten in Höhe von 80 bis 150 Euro. „Wenn wir nichts tun, sinkt die globale Wirtschaftsleistung bis zum Ende dieses Jahrhunderts dauerhaft um bis zu 14 Prozent“, rechnet Matthias Kalkuhl vor. Umgerechnet auf den durchschnittlichen Monatslohn in Deutschland entspräche das einer Gehaltskürzung von 350 Euro.

Die wirtschaftlichen Kosten des Klimawandels lassen sich also schon jetzt klar benennen. Forscher Matthias Kalkuhl kennt aber auch ein probates Mittel, mit dem sich der CO2-Ausstoß rasch verringern und die Transformation hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft und Gesellschaft einleiten ließen. Eine CO2-Steuer hätte gleich mehrere positive Effekte, erklärt Kalkuhl: Wenn sich fossile Energie verteuert, sei der Anreiz zum Energiesparen höher. Zugleich würde es sich lohnen, in alternative Energien zu investieren. Außerdem erhielten Ideen für eine postfossile, nachhaltige Wirtschaft einen Innovationsschub – die CO2- Abgabe habe das Potenzial, die Wirtschaft in allen Bereichen zu transformieren.

Ein CO2-Preis stellt Weichen für die Zukunft

Die Idee dahinter ist schon 100 Jahre alt: Der britische Ökonom Arthur Pigou betrachtete zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Problem der externen Effekte – einer Form von Marktversagen. Dazu zählte er auch Luftverschmutzung durch die Industrialisierung. Pigou erkannte, dass durch industrielle Abgase Folgekosten entstehen, die auf den Schultern der Allgemeinheit lasten. Gebäude und Kleidung mussten häufiger gereinigt werden. Allein in Manchester entstanden dadurch zusätzliche Kosten in Höhe von 290.000 Pfund pro Jahr. Pigou machte einen ungewöhnlichen und doch einleuchtenden Vorschlag:
Die Kosten, die der Dreck der Fabriken verursachte, sollten durch eine Abgabe auf Luftverschmutzung ausgeglichen werden. Damit, so hoffte der Ökonom, würden die Fabrikbesitzer einen Anreiz erhalten, ihre Produktion umzustellen und die Luft weniger stark zu verschmutzen. Das heute als Pigou-Steuer bekannte Konzept verband erstmals betriebswirtschaftliche Aspekte mit dem Umweltschutz.

Was zu Pigous Zeiten Ruß und Kohlestaub waren, ist im 21. Jahrhundert Kohlenstoffdioxid. Eine CO2- Abgabe beruht auf dem Grundsatz, dass der Verursacher auch die gesellschaftlichen Folgekosten seines Handelns zu tragen hat. „Die Zerstörung von Natur und der Verbrauch von Ressourcen haben einen Preis, der so sichtbar gemacht werden könnte“, beschreibt Kalkuhl das Prinzip. Die meisten Ökonomen sähen in der CO2-Steuer ein sinnvolles Mittel, um behutsam die Weichen für die Zukunft zu stellen.

„Um das Problem des Klimawandels zu lösen, erfordert es einen gesellschaftlichen Umbau, der mit Kosten verbunden ist“, sagt Matthias Kalkuhl. Die Verteuerung fossiler Energie durch einen CO2-Preis hätte zum einen eine Lenkungsfunktion, die Einnahmen aus der Bepreisung lieferten zum anderen aber auch den notwendigen politischen Gestaltungsspielraum, um diesen Umbau in die Wege zu leiten. Gerade auf diesem Feld zeigt sich, wie relevant die Erkenntnisse von Forschern wie Kalkuhl für die Politik sind. „Wir sind kein Thinktank und kein Beratungsinstitut“, betont er. Dafür liefern die Wissenschaftler erstklassige Forschungsergebnisse und Publikationen in international führenden Fachjournalen. In Politikkreisen ist die Expertise der Forscherinnen und Forscher bekannt – und geschätzt. Umgekehrt lernen aber auch die Wissenschaftler, worauf es bei politischen Entscheidungen ankommt und welche Hürden es gibt. „Am Anfang habe ich zum Beispiel vollkommen unterschätzt, wie schwierig es für die Politik ist, den Wählern einen CO2-Preis zu vermitteln“, erinnert sich Kalkuhl. Um so wichtiger sei es, die Abgabe sozial gerecht zu gestalten.

Klimaneutralität ist das Ziel

Allen Hürden zum Trotz erhebt Deutschland seit Januar 2021 erstmalig eine einheitliche Abgabe auf die Emission von CO2 außerhalb des europäischen Emissionshandels. Pro Tonne sind nun 25 Euro fällig. Der Preis soll bis zum Jahr 2025 schrittweise auf 55 Euro pro Tonne steigen. Ist das angesichts des errechneten Schadens von 80 bis 150 Euro, den jede Tonne CO2 verursacht, nicht viel zu gering? „Wichtig ist, dass man anfängt“, erklärt Matthias Kalkuhl. „Die Unternehmen und Verbraucher müssen aber auch wissen, dass wir später höhere CO2-Preise haben werden. Nur dann kann eine nachhaltige Transformation einsetzen.

Der Wirtschaftswissenschaftler erwartet in einer Zukunft, in der Treibhausgasemissionen einen festen Preis haben, deutliche und rasche Veränderungen: Zuerst werden die Kohlekraftwerke unrentabel und vom Netz gehen, prognostiziert Kalkuhl. Gaskraftwerke kommen dann nur noch zu Spitzenzeiten des Verbrauchs zum Einsatz. Es wird mehr in erneuerbare Energien investiert. E-Autos wären ohne Subventionen profitabel – ebenso wie Wärmepumpen und Nullenergiehäuser. Stromsteuer und EEG-Umlage können abgeschafft und Energiepreise damit gerechter werden. Davon könnten gerade ärmere Haushalte profitieren. Ein Teil der Einnahmen könnte in jene Industrien zurückfließen, die in sehr starkem internationalen Wettbewerb stehen und durch die Steuer in Existenznöte geraten. Der Anreiz, CO2-arm zu produzieren, bliebe dennoch bestehen.

„Es ist wichtig, dass sich international etwas tut“, betont Matthias Kalkuhl. Die Ziele sind jedenfalls schon abgesteckt: Die Europäische Union strebt mit dem „Green Deal“ die Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 an – eine Abgabe auf CO2-Emissionen ist dabei zumindest für Einfuhren bestimmter Waren aus Drittländern geplant. So soll verhindert werden, dass Unternehmen dorthin abwandern, wo die Emissionsvorschriften weniger streng sind. Selbst China – der derzeit weltweit größte CO2-Emittent – hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2060 klimaneutral zu werden. Und plant dafür ebenfalls eine Bepreisung von CO2 ein.

„Das sind ermutigende Signale“, findet Matthias Kalkuhl. Er hat keinen Zweifel, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. Das zeige auch das Beispiel Großbritannien. Das Land setzt bereits seit 2013 auf eine CO2-Abgabe. Seitdem hat sich der Kohleverbrauch massiv verringert und etliche Kohlekraftwerke wurden stillgelegt. Die CO2-Uhr tickt dadurch wohl etwas langsamer.

Der Forscher

Prof. Dr. Matthias Kalkuhl studierte Angewandte Systemwissenschaften an der Universität Osnabrück und promovierte in Volkswirtschaftslehre an der TU Berlin. Er ist seit Oktober 2015 Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschaftswachstum an der Universität Potsdam und leitet die Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin.
E-Mail: matthias.kalkuhluni-potsdamde

Das Projekt

Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) wurde 2012 von der Stiftung Mercator und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gegründet. Das Institut forscht und berät zu den Herausforderungen des Klimawandels und zur nachhaltigen Nutzung globaler Ressourcen. Rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter widmen sich in sieben Arbeitsgruppen den Themen Wirtschaftswachstum und Entwicklung, Städte und Infrastruktur, Ressourcen und internationaler Handel sowie Governance und wissenschaftliche Bewertungen.

www.mcc-berlin.net

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2021 „Wandel“.