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„Ich freue mich, wenn in Zukunft mehr Balance möglich sein wird“ – Was die Universität vom zweiten Corona-Semester lernen kann

Krisenbewältigung und Innovation – Die digitale Universität in Zeiten der Pandemie

Caroline Fischer | Foto: privat
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Caroline Fischer
Unterrichten kann Caroline Fischer. Die promovierte Verwaltungswissenschaftlerin ist Postdoc am Lehrstuhl für Public und Nonprofit Management. Auch digitale Lehre schreckt sie nicht, erste Erfahrungen damit hat sie schon vor den notgeborenen Digitalsemestern gemacht. Schwierig wird es erst, seit digitale Hochschullehre und Homeschooling im Homeoffice zusammenkommen – Corona „sei Dank“. Matthias Zimmermann sprach mit ihr über echte Fortschritte, stille Minuten in virtuellen Seminarräumen und Dinge, die hoffentlich von Dauer sind.

Wie heißt das Semester bei Ihnen: Corona- oder Digitalsemester?

Darüber habe ich mir eigentlich noch keine Gedanken gemacht. Wenn alles gut läuft und die Schulen offen haben, ich also einfach nur digitale Lehre mache, dann eher letzteres. Gerade im harten Lockdown aber eher Coronasemester und das versuche ich auch meine Studierenden wissen zu lassen – jede bzw. jeder schafft gerade weniger und das ist ok.

Erleben Sie das zweite Corona-Semester als Zeit der Krise oder der Innovation?

Auch hier lässt sich das schwer für das gesamte Semester beantworten. Im Herbst hatte ich ausreichend Spielraum, um neue Ideen ausprobieren. Seit Weihnachten versuche ich oft nur noch, die Lehre irgendwie hinzubekommen. Insgesamt wird diese Zeit aber für die Hochschullehre schon als Innovationsschub dienen. Viele haben erstmals digitale Formate ausprobiert und werden sicherlich einiges beibehalten. Ich freue mich trotzdem, wenn in Zukunft mehr Balance möglich sein wird, ich also genau entscheiden kann, für welche Inhalte ein digitales Lehrformat funktioniert und wofür wir uns persönlich treffen sollten. Wichtig ist mir hier, dass die Hochschulleitung auch nach Corona nicht zum alten Anspruch der reinen Präsenzuni zurückgeht, sondern den Lehrenden den Spielraum lässt, auch stärker digitale Formate zu verwenden. Neben der Lehre würde ich mir das im Übrigen auch für Gremiensitzungen wünschen. Diese finden ja oft zu Randzeiten statt und sind schwer mit Familienpflichten vereinbar. Hier fände ich toll, wenn wir zumindest teilweise die digitalen Varianten beibehalten könnten.

Wie haben Sie den Übergang zu digitaler Lehre gemeistert?

Dieser Wechsel ist mir nicht schwergefallen. Ich habe schon vor Corona in Flipped Classroom Settings unterrichtet und digitale Möglichkeiten der Zusammenarbeit auch in traditionellen Seminaren ausprobiert. Schwierigkeiten lagen vielmehr in der schnellen Beschaffung adäquater Technik und in der Lockdownsituation durch Corona.

Was für Lehrformate führen Sie gerade durch?

Ich unterrichte in diesem Semester nur Seminare: ein Einführungsseminar für Bachelorstudierende und ein Lehrforschungsprojekt im Master. Beide sind in einer digitalen Variante nicht ideal, aber es geht besser als gedacht.

Ist die Online-Lehre bzw. -Studium zeitaufwendiger als die Präsenzlehre?

Ich setze in diesem Semester größtenteils auf synchrone Lehre, das ist nicht wesentlich aufwändiger. Ich habe lediglich zusätzlich einige gut gemachte, aber nicht von mir produzierte und schon existierende Lehrvideos und Online-Fallstudien recherchiert. Aufwändiger ist lediglich die Rücksprache mit den Studierenden, weil diese mehr und andere Fragen haben, insgesamt auch unsicherer sind. Das merke ich besonders in der Betreuung von Abschlussarbeiten. Im letzten Sommersemester habe ich asynchron unterrichtet, das war sehr aufwändig und lohnt sich nur, wenn man die Materialien wiederverwenden kann.

Welche Software bzw. Tools nutzen Sie vorrangig?

Zoom, Moodle, Camtasia und PowerPoint für Lehrvideos.

Wo hakt es noch?

Meiner Ansicht nach nicht so sehr bei der digitalen Lehre, sondern eher bei der Bewältigung von gleichzeitigem Homeschooling, Lehre und Forschung. Da komme ich nervlich an meine Grenzen. Ansonsten merke ich sicher wieder mehr, was ich noch nicht kann, wenn ich Neues ausprobiere. Dafür fehlt mir gerade leider die Zeit.

Haben Sie ein ganz neues Format entwickelt oder ausprobiert?

Nein, ich habe zwei klassische Seminare in größtenteils synchrone digitale Seminare übersetzt. Ich habe nur viel mehr als sonst mit Umfragen zur Wissensüberprüfung oder etherpads zum Festhalten von Ergebnissen gearbeitet, also eher Veränderungen im Detail.

Wie funktioniert es?

So lala, ich habe das Gefühl, dass die Schere bei den Studierenden noch stärker aufgeht. Manche sehe ich schon seit Wochen gar nicht mehr, einige wachsen über sich hinaus. Insgesamt sind alle sehr videokonferenzmüde, auch ich. Angebote zur Zusammenarbeit in Kleingruppen werden von einigen sehr gut angenommen, andere lehnen das vollkommen ab oder schaffen es nicht. Rückmeldungen und Diskussionen in den Videositzungen sind für die Studierenden anscheinend mit einer größeren Hemmschwelle verbunden als im Seminar vor Ort. Es ist manchmal einige Minuten ganz schön still.

Wie ist das Feedback der Studierenden?

Bisher ganz gut, wobei manche sich ja Kritik auch erst in der Evaluation trauen und die steht gerade noch aus. Ich habe im ersten Drittel des Semesters immer mal nachgefragt, ob wir etwas anders machen wollen, und versucht darauf einzugehen.

Wie erleben Sie das zweite digitale Semester? Gibt es Unterschiede zum ersten?

Es sind alle viel versierter im Umgang mit Zoom etc, das hilft. Dafür ist auch der Zauber des Neuen vorbei und ein bisschen allgemeine Resignation eingekehrt. Was nun für mich und meine Studierenden neu hinzukommt, sind digitale (Wiederholungs-)Klausuren, das verunsichert manche.

Was ist anders? Besser? Schlechter?

Kompetenzen haben sich verbessert, Motivation ist auf allen Seiten eher geringer, würde ich sagen. Auch technisch läuft es jetzt besser, die Kapazitätsprobleme von moodle und Co, sind längst kein Hürde mehr.

Aktuell wird viel über Prüfungen diskutiert, die nach wie vor in Teilen in Präsenz stattfinden, wo sie online schwer zu realisieren sind. Gleichzeitig gibt es Kritik an Onlineprüfungen, da Prüfende Webcams und Mikros kontrollieren, um Schummelversuche zu unterbinden. Wie ließen sich diese Probleme Ihrer Ansicht nach lösen?

Ich persönlich finde es nicht verantwortbar, momentan Präsenzklausuren zu schreiben. Vor der Weihnachtspause haben wir das auch an meinem Lehrstuhl noch anders eingeschätzt, aber es weiß ja jeder, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt hat. Ich finde, da protestieren die Studierenden zurecht gegen einen Zwang zu Klausuren vor Ort, auch wenn mich so manche Drohgebärden der Studierendenvertreterinnen und -vertreter stören. Es will ja nun niemand irgendwen willentlich einem Risiko aussetzen, sondern manche Lehrende sind einfach unsicher und vielleicht gerade auch nicht in der Lage, neue online-taugliche Klausuren zu gestalten.
Wir setzen trotz der neu geschaffenen rechtlichen Möglichkeiten auf Open Book Klausuren. Ich finde es merkwürdig, die Studierenden per Kamera zu überwachen und möchte diesen auch nicht generell unterstellen zu betrügen. Das müssen aber alle Kolleginnen und Kollegen für sich selbst entscheiden.

Wie kriegen Sie selbst das Homeoffice, Familie und weitere Verantwortungen parallel unter einen Hut?

Tja, solange die Schulen offen hatten, war alles ok. Natürlich ist es einsam und mir fehlen viele Freizeit- und Sportmöglichkeiten. Die Schulschließungen führen für mich und meine Familie dennoch zu viel stärkeren Schwierigkeiten. Ich habe im letzten Frühjahr meine Promotion beendet und müsste in meinen ersten Postdoc-Jahren eigentlich sehr hochwertig publizieren, um eine Zukunft in der Wissenschaft zu haben. Nun ist das erste Jahr Postdoc fast herum und viel habe ich nicht geschafft. Der Fokus lag immer darauf, alle Lehraufgaben zu schaffen und Abschlussarbeiten einigermaßen im Zeitrahmen zu korrigieren.
Ich finde, hier sind auch die Universitäten stärker in der Pflicht, wenn Wissenschaftlerin ein nicht noch familienunfreundlicher Beruf werden soll. Man könnte beispielsweise Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Familienverpflichtungen von der Lehre entbinden und zum Ausgleich zusätzliches Personal einstellen. Gerade fokussieren sich die Strategien und Lösungen der Uni auf die Lehre, die natürlich wichtig ist, aber die eigenen Beschäftigten dürfen nicht aus dem Blick geraten. Wenn man das beklagt, kommt als Antwort, man könne seine Lehre ja aus dem Homeoffice erledigen. Dass dies bei parallelem Homeschooling nichts nützt, scheint vielen noch nicht klar. Und auch der Sonderurlaub hilft hier wenig, will man seine Kolleginnen und Kollegen nicht mit der Lehre hängen lassen.

Wie hat sich Ihr Alltag verändert?

Ich bin mit meiner Familie wahrscheinlich weit weniger einsam als viele Studierenden. Trotzdem fehlen mir Freundinnen und Freunde, Kino, Theater, Sport. Insgesamt habe ich das Gefühl, fast nur noch zu arbeiten oder mich um meine Kinder zu kümmern, das schlaucht.

Woran könnten Sie sich gewöhnen?

Die Möglichkeit, ab und zu digital zu lehren! Obwohl mir wissenschaftliche Konferenzen und Kontakte zu anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fehlen, ist es entspannt, weniger zu reisen.

Was vermissen Sie?

Paradoxerweise trotzdem die Dienstreisen. Auch meine Kolleginnen und Kollegen, zusammen im Büro zu sein, Erfolge gemeinsam zu feiern und Rückschläge zusammen auszuhalten. Ich vermisse auch den direkten Kontakt zu den Studierenden, vor und nach den Sitzungen ein bisschen zu quatschen und auch mal zusammen zu lachen. Und mir fehlt es, in den Seminarraum zu gehen – einfach ein häufigerer Ortswechsel.

Was ist Ihr Ausgleich zu Lehre in Coronazeiten?

Je nach Wetter :) – ist es schön, dann gern spazieren gehen, Spielplatz oder wie zuletzt viel Schlittenfahren. Ist es nicht schön, leider viel zu oft nur das Sofa.

 

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