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„Wollen wir, dass eine Künstliche Intelligenz Recht spricht?“ – IT- und Medienrechtler Björn Steinrötter forscht zu juristischen Fragen der Digitalisierung

Prof. Dr. iur. Björn Steinrötter. | Foto: Thomas Roese
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Prof. Dr. iur. Björn Steinrötter. | Foto: Thomas Roese

Er steht vor Studierenden im Hörsaal, ist Autor juristischer Aufsätze, Kommentare und Handbücher und forscht zu brandaktuellen Rechtsproblemen rund um Künstliche Intelligenz, Bitcoin und Datenwirtschaft. Er hilft, Rechtsgebiete zu gestalten, die bislang noch gar nicht existieren. Björn Steinrötter ist Juniorprofessor für IT- und Medienrecht an der Universität Potsdam. Er ist einer von zwölf jungen Forschenden, die sich eine der begehrten Tenure-Track-Professuren sichern konnten, die die Universität Potsdam 2018 mit Mitteln des Bund-Länder-Programms ausgeschrieben hatte. Allein für die vier themenoffenen Open-Topic-Professuren waren mehr als 1200 Bewerbungen eingegangen. Dabei hätte seine Karriere auch ganz anders verlaufen können.

Björn Steinrötter ist gelernter Bankkaufmann. „Mein Vater riet mir: ‚Mach‘ erst einmal eine Ausbildung. Dann hast du etwas in der Hand, falls das mit dem Studium nicht klappt‘“, sagt er und lacht. Die Sorge war unbegründet. Die Ausbildung in der Tasche entschloss er sich, seinem Traum zu folgen, und begann, in Bielefeld Jura zu studieren. Vom ersten Studientag an sei er begeistert gewesen, sagt Steinrötter. „Es war rückblickend eine tolle Zeit, eine der besten meines Lebens.“ Doch nicht nur das Recht, auch die Wissenschaft gefielen ihm früh. Schon während des Studiums arbeitete er als Hilfskraft am Lehrstuhl von Professor Staudinger im Zivilrecht. Weniger lag dem jungen Absolventen dann die Anwaltspraxis, wie er während seines Referendariats feststellen musste. „Ich wollte ursprünglich einmal Anwalt werden. Aber es liegt mir offenbar nicht besonders, jemanden zu vertreten, dessen Position ich so ganz und gar nicht teile. Umso begeisterter habe ich mich der Forschung zugewandt.“

Keine „Juraluftschlösser“

Nach der Promotion im Internationalen Privatrecht in Bielefeld und dem Referendariat in Berlin und Sydney begann der Zivilrechtler 2015 als Postdoc am Institut für Rechtsinformatik an der Leibniz Universität Hannover. Dort arbeitete er sich unter Professor Heinze neu ins IT-Recht ein – eine Entscheidung, die er nicht bereut hat. Ein gewisses Grundverständnis für Informatik sei dafür natürlich unerlässlich. „Aber man muss auch kein Programmierer sein. Wichtig und hilfreich ist mir der Austausch mit Informatikern, Ingenieuren und Praktikern“, sagt der IT-Rechtler. „Die Rückkopplung, die ich auf diesem Weg bekomme, sorgt dafür, dass ich nicht in ‚Juraluftschlösser‘ abdrifte.“ So erwiesen sich auch heftig diskutierte theoretische Probleme mitunter als eher realitätsfern. Wie der fast schon klassische Modellfall aus dem Feld des autonomen Fahrens, der ganze Konferenzen füllt: Einem selbstfahrenden Auto laufen plötzlich mehrere Menschen in den Weg und es steht vor der Entscheidung, entweder ein älteres Paar oder eine junge Mutter mit Kind zu überfahren und zu verletzen, vielleicht gar zu töten. Lässt sich dieses Dilemma ethisch und dann rechtlich auflösen? „Ein Ingenieur, der darauf schaut, geht diese Fragen freilich anders an. Denn abgesehen von der sehr geringen Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Fall eintritt, können die Sensoren und Algorithmen möglicherweise die Mutter mit dem Kind nicht zuverlässig von einem älteren Paar unterscheiden, zudem ethische Vorgaben nicht eins zu eins umsetzen. Denn sie sind beispielsweise anders als das deterministische ethische Denkmodell nicht in der Lage festzustellen, ob es sicher zu Verletzungen oder zum Tode kommt. Die Realität und damit die auf Wahrscheinlichkeiten abstellende Programmierung müssen mit solchen Unsicherheiten als zentrale Unfalleigenschaft umgehen. Es geht daher also eher in die Richtung einer ‚Risikoethik‘.“

IT-Recht als Querschnittsmaterie

Über Grenzen geht Björn Steinrötter mit seinem Fachgebiet aber auch in der Rechtswissenschaft selbst. „IT-Recht ist wohl das, was man eine Querschnittsmaterie nennen würde. Während traditionell zumeist rechtsgebietsbezogen klassifiziert wird, ist es beim IT-Recht der Gegenstand der Betrachtung, der die Disziplin kennzeichnet – und zwar im Prinzip aus allen denkbaren Rechtsgebieten. Das gesamte Spektrum kann ich daher nicht abdecken; ich fokussiere mich auf die zivil-, daten-, immaterialgüter- und kollisionsrechtliche Perspektive.“

So hat er sich zuletzt intensiv mit Problemen rund um die boomende Welt der Krypowerte wie Bitcoin & Co befasst, deren rechtliche Absicherung mit den technischen Entwicklungen bislang kaum Schritt hielt. „Der Handel von solchen virtuellen Währungen funktioniert grenzüberschreitend und dezentral. Daher stellt sich die Frage, welches Recht auf die einzelnen Transaktionen Anwendung finden soll“, so der Forscher. Im wirtschaftsrechtlichen Kontext gelte bislang oftmals der Grundsatz, dass das Recht des Marktortes anzuwenden ist. Doch der ist nun, wo Geschäfte ohne geografisch lokalisierbare Finanzmärkte direkt und dezentral abgewickelt werden, verschwunden. „Die allgemeine Regelung, auf die man dann regelmäßig zurückfallen würde, besagt nun, es sei das Recht aus dem Land anzuwenden, aus dem der Verkäufer stammt“, sagt der Jurist. „Doch da immer mehr solcher Transaktionen pseudonym oder gar anonym stattfinden, entsteht ein neues, faktisches Problem.“

Ein anderes Spezialgebiet des IT-Juristen betrifft die Rechtsfragen rund um die zunehmende Präsenz von Robotern und Künstlicher Intelligenz (KI) in unserem Alltag. Steinrötter ist stellvertretender Vorsitzender der Robotics & AI Law Society (RAILS), die genau dafür Vertreter verschiedener Disziplinen zusammenbringt. Er selbst forscht unter anderem zu rechtlichen Problemen der Geriatronik. „Derzeit kommen viele Fragen zum Einsatz von Robotern in der Pflege, besonders im Alter, auf: Wer haftet bei technischen Defekten und Unfällen? Wie steht es um den Datenschutz? Und wie sind die Vorgaben in puncto IT-Sicherheit?“, fragt der Jurist. Noch im Frühjahr 2020 soll ein Handbuch erscheinen, das auf rund 1200 Seiten die wichtigsten aktuellen Rechtsfragen rund um KI und Robotik diskutiert. Steinrötter ist einer der Herausgeber. Die besondere Herausforderung dabei sei – wie beim IT-Recht allgemein –, zu schauen, inwieweit die bestehenden Regeln die neuen Fragen adäquat bewältigen können. „Mitunter wirkt es so, als würden die geltenden Gesetze nicht mehr passen, und man müsse neue schaffen“, so der Forscher. Doch häufig erwiesen sie sich bei genauerer Betrachtung als vorausschauend und gut formuliert – und müssten vielleicht nur entsprechend ausgelegt oder allenfalls gezielt angepasst werden. „Auf jeden Fall schauen wir mit dem Handbuch schon weit in die Zukunft und diskutieren mitunter Fälle, die es so noch gar nicht gibt. Das kommt in der Rechtswissenschaft eher selten vor.“

„Legal-Tech“ könnte die Rechtspraxis verändern

Einen regelrechten digitalen Boom erlebt derzeit auch die juristische Branche selbst – und zwar durch das Aufkommen sogenannter „Legal Tech“-Anwendungen. Darunter fallen verschiedene Formen der Digitalisierung: Zum einen kommen immer mehr smarte Tools auf den Markt, mit denen die Arbeit in den Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen schneller und effizienter werden soll. So können sie beispielsweise einfache Schriftsätze automatisiert erstellen. Aber auch die Rechtsdurchsetzung selbst könnte mit ihrer Hilfe schneller und effizienter gestaltet werden. „Das ist im Ausgangspunkt zu begrüßen. Zugleich kommt an dieser Stelle natürlich die Frage auf: Wie weit soll das gehen?“, so der Forscher. „Wollen wir, dass eine Künstliche Intelligenz unsere Rechtsprozesse in Gänze abwickelt und am Ende irgendwann auch selbst Recht spricht?“ Dies seien Diskussionen, die ab den 1950er Jahren zur Disziplin der Rechtsinformatik gehörten, nach einigen fruchtbaren Jahrzehnten aber wieder weitgehend aus der universitären Landschaft verschwunden seien. Nun beförderten vornehmlich Rechtspraktiker ähnliche Debatten, die heute unter ‚Legal Tech‘ firmieren. „Diese Themen gehören auch an eine Uni. Davor darf man sich nicht verstecken, egal wie man dazu steht.“ Aus diesem Grund hat Björn Steinrötter schon für das Sommersemester 2020 einen zweitägigen Workshop zu „Legal Tech“ organisiert – für Informatiker und Juristen gleichermaßen. Gemeinsam sollen die Teilnehmenden zunächst die technischen und rechtlichen Grundlagen für ein solches Tool erarbeiten, anschließend in eine Kanzlei gehen und schauen, ob sich damit echte Fälle lösen lassen. „Einfache und Bagatellfälle lassen sich mit guter Software sicherlich schneller abarbeiten. Aber dem derzeitigen Hype stehe ich durchaus skeptisch gegenüber. Unser Rechtssystem folgt keiner formalen Logik, sondern einer Wertelogik. Es geht nicht immer nur um die binäre Entscheidung richtig und falsch, sondern um vertretbar und nicht vertretbar.“ Ein automatisiertes System der Rechtsprechung könne er sich deshalb nicht vorstellen. „Ich habe aber das Gefühl, viele junge Leute würden sich lieber von einer Maschine aburteilen lassen – weil sie hoffen, so vorurteilsfrei behandelt zu werden. Aber das ist ein Irrtum. Auch Algorithmen und vor allem deren Trainingsdaten können Vorurteile haben. Nur: Dann haben wir nicht nur den einen oder anderen ‚schiefen‘ Richter, sondern ein ganzes ‚schiefes‘ System.“

Einen ähnlich rasanten Sprung in die Digitalisierung erlebt seit einiger Zeit die Tourismusbranche – und auch hier ist Björn Steinrötter daran beteiligt, rechtliches Neuland „urbar zu machen“. Zur EU-Fluggastrechteverordnung und zum Reisevertragsrecht hat er unlängst aktuelle Kommentierungen verfasst, er ist zudem Mitherausgeber der Fachzeitschrift für Tourismusrecht „ReiseRecht aktuell“.

Dass Steinrötters Spezialgebiet noch alles andere als ausgetretene Pfade betritt, sieht man nicht zuletzt daran, dass es im Jura-Studium bislang allenfalls fakultativ belegt werden kann. So lehrt er an der Juristischen Fakultät in Potsdam vor allem im Schwerpunktbereich „Medien- und Wirtschaftsrecht“ sowie im Masterstudiengang zum Medienrecht am Erich-Pommer-Institut, an dem die Uni Potsdam beteiligt ist. Doch das dürfte sich ändern – und zwar auch innerhalb der klassischen Disziplinen. „Die Digitalisierung werden immer mehr Rechtsgebiete zu bewältigen haben. Auch beispielsweise das Arbeits-, Gesellschafts- oder Verwaltungsrecht. Und neben das mit der Datenschutzgrundverordnung gestärkte Datenschutzrecht tritt zunehmend ein Datenwirtschaftsrecht. Immerhin sind Daten inzwischen ein enorm wichtiges Handelsgut.“

Kontakt:
Prof. Dr. iur. Björn Steinrötter, Juristische Fakultät
E-Mail: steinroetteruni-potsdamde
Internet: https://www.uni-potsdam.de/de/lssteinroetter/

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2020 „Gesundheit“.