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Professorin mit Baby – Die Mathematikerin Melina Freitag im Interview zum Muttertag

Melina Freitag
Photo : privat
Melina Freitag

Für die Wissenschaft muss man brennen, heißt es oft. Lassen Publikationsdruck, Konferenzen im Ausland, Arbeit nach Feierabend und die Leidenschaft fürs Fach überhaupt Platz für ein Kind? Das fragen sich viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Melina Freitag ist Professorin für Datenassimilation an der Universität Potsdam, Vize-Sprecherin des Sonderforschungsbereich „Data Assimilation“ und Mutter eines wenige Monate alten Babys. Zum Muttertag am 12. Mai haben wir die Mathematikerin gefragt, wie sie Familie und Professur unter einen Hut bringt.

Sie haben sich Zeit für ein Interview genommen. Vielen Dank dafür! Was meinen Sie, ist es aus Ihrer Sicht möglich, als Professorin während Mutterschutz und Elternzeit den Job auf Pause zu stellen – keine E-Mails beantworten, keine Termine wahrnehmen, keine Artikel schreiben?

Professorin und Mutter zu sein, ist eigentlich nicht vereinbar. Ich kann es mir nicht leisten, ein Jahr lang raus zu sein. Deswegen sind mein Partner und ich abwechselnd zwei Monate in Elternzeit. Ich hatte ein Beschäftigungsverbot in der Schwangerschaft und mein Sohn kam zwei Monate zu früh auf die Welt. Ich habe aber trotzdem versucht, eine Stunde am Tag am Laptop zu arbeiten. Ich will ja auch meine Doktorandinnen und Doktoranden betreuen. Außerdem bin ich Co-Herausgeberin von vier Zeitschriften – wenn ich nicht auf E-Mails antworte, bricht alles zusammen.

An der UP arbeiten bundesweit die meisten Professorinnen, trotzdem gibt es auch hier gerade in naturwissenschaftlichen Fächern und Mathematik noch keine Parität. Wie erleben Sie die Vereinbarkeit von Forschung und Familie speziell an der UP?

Die Universität Potsdam ist eine der wenigen Hochschulen, an denen die Mathematik aus Gleichstellungsperspektive schon gut aufgestellt ist. Es waren schon viele Professorinnen vor mir am Institut und beim Berufungsverfahren für meine Professur in Potsdam waren außer mir noch zwei Frauen sowie drei Männer eingeladen. Es gibt in Deutschland Universitäten, an denen nur eine einzige Frau eine Professur in Mathematik hat. Mir fällt aber auf, dass nur ungefähr ein Fünftel der Studierenden weiblich sind. Während meines Studiums in Chemnitz war das anders, dort waren es ungefähr 50 Prozent. Hier müssen wir etwas tun. Auch in unserem Sonderforschungsbereich „Data Assimilation“ versuchen wir so viele Doktorandinnen wie möglich zu gewinnen.

Als Professorin mit Kind braucht man Unterstützung vom Mann und vom Dienstherrn, und die bekomme ich in Potsdam. Aber wenn Doktorandinnen sehen, wie Professorinnen und Professoren arbeiten und dass gerade die Frauen unter ihnen kinderlos sind, dann gehen viele weg aus der Wissenschaft. Meine ehemalige Kollegin Sylvie Roelly, die nun im Ruhestand ist, ist erfolgreiche Wissenschaftlerin und hat fünf Kinder. Diese Vorbildrolle ist toll. Leider sieht man noch zu selten, dass männliche Kollegen Elternzeit nehmen. Das wäre eine Message.

Publikationsdruck, Konferenzen am Wochenende, befristete Verträge und unbegrenzte Mobilität: Wie familiengerecht erleben Sie den Wissenschaftsbetrieb insgesamt?

Die Arbeitslast ist hoch, aber ich habe die Möglichkeit, mich von administrativen Aufgaben zu befreien. Dieses Semester gebe ich keine Vorlesung, eventuell biete ich eine Lehrveranstaltung als Blockseminar an. Das ist das Schöne am akademischen Betrieb: Er ist sehr flexibel. Ich kann meine Arbeitszeiten frei einteilen, Zeitschriften online abrufen, mich mit Promovierenden per Zoom treffen. Ich muss nicht von 8 bis 20 Uhr im Büro präsent sein. Normalerweise arbeite ich mehr als 40 Stunden in der Woche. Aber wenn das Kind im Bett ist oder ich nachts nach dem Stillen nicht mehr schlafen kann, kann ich noch einen Artikel lesen oder Mails beantworten, das ist auch ein Vorteil. In meiner Position kann ich ein Jahr weniger publizieren, ohne dass es größere Konsequenzen hat. Für Doktorandinnen und Postdoktorandinnen ist das schon schwieriger. Konferenzen sind aber auch für mich ein Riesenproblem. In ein paar Wochen findet eine größere Tagung in Paris statt, die ich mitorganisiert habe. Ich habe einen Child Care Grant bekommen, der mir erlaubt, meinen Partner mitzunehmen, damit er unser Baby betreut. Wie gut ich mich allerdings auf die Tagung konzentrieren kann, wenn unser Kind dabei ist, weiß ich noch nicht. Ich möchte aber auch keine Mutter sein, die drei Jahre lang zuhause ist. Dafür mag ich meinen Job zu sehr.

Ich finde es schade, dass es noch zu den Ausnahmen zählt, wenn männlichen Kollegen Elternzeit nehmen. Ich würde mir wünschen, dass mehr Professoren mit Kindern zu Hause bleiben. Bei den Frauen ist es fast ein Muss, zumindest der Monat nach der Geburt, gerade, wenn man stillen will. Man kann versuchen, nach acht Wochen wieder einzusteigen. Doch ohne einen Partner, der Elternzeit nimmt und auch anderweitig entlastet, ist das nicht möglich. Mein Mann ist auch Professor und wir arbeiten nicht in derselben Stadt. Wir machen das mit 150 Kilometern Distanz, was nicht ideal ist. Wir wissen noch nicht, in welcher Stadt unser Kind zur Schule gehen wird – an seinem Arbeitsort oder an meinem? Hier würde ich mir wünschen, dass es einfacher wäre, zwei Professuren und ein Kind unter einen Hut zu bekommen.

Sie arbeiten als Frau in einer männlich dominierten Domäne – nur 17 Prozent der Professuren im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich sind in Deutschland weiblich besetzt. Stoßen Sie auf Widerstände oder spielt das Geschlecht in Ihrem Arbeitsalltag keine Rolle?

In meinem Arbeitsalltag spielt das Geschlecht keine Rolle. Es gibt Studien, wonach Frauen bei Vorlesungen schlechter evaluiert werden oder auch beim Peer Review Prozess von Publikationen benachteiligt werden, mir persönlich ist das jedoch noch nicht aufgefallen. Beim Bewerbungsprozess auf Professuren ist das Geschlecht aber schon von Bedeutung. Es sind wenige Frauen, die sich in der Mathematik auf eine Professur bewerben. Aus gleichstellungspolitischen Gründen werden die weiblichen Kandidatinnen in der Regel zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Das ist eigentlich eine gute Idee, trotzdem machen oft die männlichen Kandidaten das Rennen. Bei Auswahlverfahren in Potsdam habe ich schon erlebt, dass berücksichtigt wird, wenn eine Mutter eine Auszeit genommen hat und nun vielleicht Paper fehlen. Idealerweise achtet die Person, die die Auswahlkommission leitet, auf solche Nachteile, oder Gleichstellungsbeauftragte machen darauf aufmerksam. Das ist gut so. Das eigentliche Problem beginnt aber leider schon früher damit, dass weniger Frauen promovieren oder als Postdoktorandinnen arbeiten. Hier müssen wir alle – Professoren wie Professorinnen – junge Frauen mehr ermutigen. Im SFB „Data Assimilation“ haben wir ein Gender Board, dass auf Parität bei den Doktoranden achtet.

Wie kamen Sie zur Mathematik? War es ein steiniger oder ebener Weg zur Professur?

Mir ist Mathe in der Schule sehr leicht gefallen. Die Mathematiker-Karriere wird einem dort aber nicht nahegelegt, sondern eher, einen Beruf zu ergreifen, in dem man Mathematik braucht, als Ingenieurin oder Lehrerin zum Beispiel. Ich habe mich für das Studium entschieden, weil es mir leichtfällt. Dass Mathe überall ist – wenn wir das Handy einschalten, den Wetterbericht hören oder GPS nutzen, dieses Bewusstsein ist bei mir erst in der Uni entstanden. Promoviert habe ich, weil es mir Spaß gemacht hat. In England habe ich meinen Postdoc in einem speziellen Programm machen können, das vom englischen Wetterdienst gefördert wurde und an das sich eine Tenure-Track-Stelle anschloss. Dort bin ich zur Datenassimilation gekommen. Ich hätte den akademischen Weg nicht weiterverfolgt, wenn das Fellowship durch die sichere Stelle direkt im Anschluss nicht so attraktiv gewesen wäre. Sonst wäre ich wohl bei einer Bank gelandet. Normalerweise, gerade in Deutschland, bleibt sehr lange offen, wann und ob man nach der Promotion eine feste Stelle ergattert.

Gibt es etwas, das aus Ihrer Sicht getan werden könnte, um Müttern die Vereinbarkeit von akademischer Karriere und Familie zu erleichtern?

Wer nach dem Doktorat in der Forschung bleiben möchte, macht einen Postdoc und noch einen, in München, in Kiel, im Ausland. Das ist mit der Familiengründung normalerweise nicht vereinbar. Eigentlich nicht einmal mit einer Partnerschaft. Viele Frauen wollen sich das nicht antun und sagen sich: Es gibt genug andere interessante Jobs, für die ich nicht ständig meinen Lebensmittelpunkt ändern muss. Warum soll ich durch halb Deutschland, halb Europa tingeln?

Professuren liegen nicht auf der Straße, vor allem mit dem richtigen Fachgebiet. Open Topic- und Juniorprofessuren sind aus meiner Sicht gute Ideen zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft. Eine frühe Verstetigung, eine frühe Möglichkeit in der Forschung zu bleiben und eine Dauerstelle zu bekommen, das ist attraktiv, so würde man Frauen halten. Ich kenne sehr gute Doktorandinnen, die lieber die Wissenschaft verlassen haben, als sich eine unsichere Postdoc-Phase anzutun. Natürlich ist es auch nicht gut für die Wissenschaft, wenn alle permanent an einem Ort bleiben. Aber man sollte nicht etliche Stellen annehmen müssen, bevor man mit 40 vielleicht eine Professur bekommt.

Wie gehen Sie als Führungsperson mit den unterschiedlichen Bedürfnissen von Mitarbeitenden im Team um, seien sie Eltern oder nicht?

Tatsächlich habe ich derzeit keine Mitarbeitenden, die Familie haben. Ich würde aber unterstützen, dass sie so lange Elternzeit nehmen können, wie sie möchten. Bei uns im Sonderforschungsbereich gibt es außerdem gute Möglichkeiten zur Kinderbetreuung. Vor Kurzem hatten wir zwei Forscherinnen zu Gast, die über mehrere Tage oder Wochen mit ihren Familien da waren und deren Kinder von einer Babysitterin oder im Kindergarten betreut wurden. Das lief super.

Was wünschen Sie sich zum Muttertag?

Schlaf. Und ich hätte wahnsinnig gern mehr Zeit. Der Tag hat nicht genügend Stunden. Für die Betreuung der Doktorandinnen und Doktoranden, das Kind, eigene Hobbys. Im ersten Jahr mit Baby, da ist natürlich nichts mit Kino, Lesen oder Konzerten. Blumen wünsche ich mir nicht unbedingt. Und Schokolade mag ich sowieso nicht.