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„Im Alltag kann man sehr viel tun, um seine Resilienz zu verbessern“ – Petra Warschburger und Michael Rapp im Gespräch über mentale Gesundheit

Prof. Dr. Petra Warschburger
Prof. Dr. Michael Rapp
Photo : Tobias Hopfgarten
Prof. Dr. Petra Warschburger
Photo : Tobias Hopfgarten
Prof. Dr. Michael Rapp

Die Arbeit nimmt kein Ende, die familiären Aufgaben kommen obendrauf und überhaupt ist die allgemeine Weltlage gerade eine Zumutung? In so einem Fall braucht es gute Strategien, die die Seele entlasten und vor drohenden psychischen Erkrankungen schützen. Wie das gelingt und was sie selbst für ihr seelisches Wohlbefinden tun, verraten Prof. Dr. Petra Warschburger, Professorin für Beratungspsychologie, und Prof. Dr. Michael Rapp, Professor für Sozial- und Präventivmedizin, im Interview.

Der Begriff mentale Gesundheit ist in aller Munde, aber was ist das eigentlich genau? Wann ist man mental gesund?

Warschburger: Das positiv zu definieren, ist gar nicht so leicht. Mentale Gesundheit bedeutet, dass wir die Anforderungen des Lebens – ob in der Schule, im Studium, im Beruf oder in der Kinderbetreuung – gut bewältigen können. Kinder und Jugendliche müssen in der Lage sein, die anstehenden Entwicklungsschritte erfolgreich zu meistern. Das ist der grobe Rahmen. Ein positiver Selbstwert, die Fähigkeit, mit Situationen angemessen umzugehen und Emotionen regulieren zu können – das sind für mich Komponenten, die vor allem bei Kindern und Jugendlichen zur mentalen Gesundheit dazugehören.

Rapp: Man könnte auch sagen, es ist die Abwesenheit jeglichen seelischen Leidens. Resilient und anpassungsfähig gegenüber Stressoren zu sein, die Fähigkeit zu klarem Denken zu besitzen, seelisches Wohlbefinden zu haben, sich fokussieren und konzentrieren zu können, sind Merkmale von mentaler Gesundheit.

Was sind die wichtigsten Risikofaktoren für psychische Erkrankungen und Beeinträchtigungen?

Rapp: Da gibt es individuelle und strukturelle. Zu den individuellen zählen etwa Stressfaktoren, Traumata und Belastungen vor und während der Geburt und in der weiteren Entwicklung, der Konsum von Alkohol und anderen Drogen. Strukturell können belastende Ereignisse auch ganze Populationen erfassen. Das kann man gut für die vergangenen zwei Jahre beobachten: Vor der Corona-Pandemie litten rund acht Prozent der Bevölkerung an Depressionen. Gegen Ende der Pandemie waren es 14, nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise bereits 18 Prozent. Wir sehen auch schon deutliche Auswirkungen der Klimakrise. Vor allem jüngere Erwachsene sind zunehmend belastet.

Frau Warschburger, Sie haben sich ebenfalls die Auswirkungen der Corona-Krise angeschaut, vor allem mit Blick auf Kinder und Jugendliche. Mit welchen Ergebnissen?

Warschburger: Kinder und Jugendliche sind eine besonders vulnerable Gruppe, die sehr stark von Schulschließungen und Kontakteinschränkungen betroffen war. Und zwar in einer Lebensphase, in der diese Kontakte für die Entwicklung sehr wichtig sind. Wir haben uns das im Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen angeschaut. Eine chronische Erkrankung ist bei Kindern mit einem zwei- bis dreifach höheren Risiko für eine psychische Störung verbunden. Das Ergebnis hat uns erstaunt. Insgesamt gab es in der Krise einen Anstieg psychischer Störungen und mehr Betroffene. Aber Kinder mit chronischen Erkrankungen waren davon nicht häufiger betroffen als „gesunde“ Kinder. Sie scheinen mit dieser Situation erstaunlich gut zurechtgekommen zu sein. Vielleicht, weil sie eine gewisse Widerstandskraft gegenüber Stressfaktoren ausgebildet haben. Oder auch aus anderen Gründen, wie etwa erfolgreichen Unterstützungsangeboten. Darüber muss man noch diskutieren.

Was sind die häufigsten psychischen Erkrankungen?

Warschburger: Ängste sind generell recht häufig. Bei Schulkindern sind es aber oft auch aggressive Verhaltensstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen und bei älteren Jugendlichen Depressionen, soziale Ängste oder Essstörungen.

Rapp: Etwa 40 Prozent aller Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Angststörung oder eine Depression. Bei Alkoholmissbrauch sind es deutlich über zehn Prozent. Die seltenen, sehr schweren psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie oder bipolare Erkrankungen betreffen zwar nur ein bis zwei Prozent der Bevölkerung, sind aber mit sehr starken Einschränkungen verbunden.

Wie kann man seine mentale Gesundheit pflegen und etwa Depressionen vorbeugen?

Rapp: Im Alltag kann man sehr viel tun, um seine Resilienz zu verbessern. Mindestens sieben Stunden schlafen, sich gut ernähren und regelmäßig bewegen. Gute soziale Kontakte zu haben und zu pflegen, aber auch eigene Belastungen zu sehen, zu bewerten und sein Leben danach anzupassen, ist ebenfalls wichtig.

Warschburger: Kinder sollten lernen, wie man Stress mindern kann. Das können sportliche Aktivitäten oder Achtsamkeitsübungen sein oder auch etwas ganz Einfaches wie Musikhören oder Innehalten. Wie bewerte ich Situationen, die für mich herausfordernd sind? Bin ich davon überfordert oder kann ich damit gut umgehen? Auf welche Ressourcen und Möglichkeiten kann ich zurückgreifen? Das zu reflektieren, kann sehr hilfreich sein.

Was tun Sie selbst für Ihre mentale Gesundheit?

Warschburger: Ich fahre beispielsweise mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zur Arbeit. Das Fahrrad und auch Waldspaziergänge helfen mir dabei, zur Ruhe zur kommen. Ich nehme mir ganz bewusst Momente, um innezuhalten. Den großen Berg Arbeit unterteile ich in viele kleine Hügel – dann sieht es nicht mehr ganz so schlimm aus.

Rapp: Alle meine Wege mache ich mit dem Fahrrad, spiele zweimal in der Woche Hockey und mache alle zwei Tage Yoga. Ein- bis zweimal im Jahr fahre ich zu Meditationsworkshops. Und ich sage auch öfter mal „Nein“.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Zwei 2023 „Mentale Gesundheit“ (PDF).