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Das richtige Gefühl – Curie-Fellow Eniko Ladanyi erforscht, was zum Sprachenlernen dazugehört

Dr. Eniko Ladanyi
Photo : Tobias Hopfgarten
Die ungarische Kognitionswissenschaftlerin Dr. Eniko Ladanyi erforscht, was Rhythmusverständnis und sogenannte exekutive Funktionen mit Sprachenlernen zu tun hat.

Ob wir eine Sprache wirklich sprechen können – wie unsere Muttersprache –, hängt meist davon ab, ob wir ihre Grammatik und ihr Vokabular beherrschen. Gleichzeitig wissen Forschende schon länger, dass es auch zahlreiche nichtsprachliche Faktoren gibt, die uns dabei helfen und die für den Sprachgebrauch wesentlich sind. Doch welche dazu gehören, wie sie funktionieren und zusammenspielen, ist noch nicht wirklich verstanden. Zwei Prozesse, die gegenwärtig verstärkt untersucht werden, sind die sogenannten exekutiven Funktionen und die Rhythmusverarbeitung. Die ungarische Kognitionswissenschaftlerin Dr. Eniko Ladanyi interessiert sich besonders dafür, ob und wie die beiden zusammenwirken. Aktuell forscht sie als Curie Fellow an der Uni Potsdam. Hier will sie nicht nur eine große Verhaltensstudie auf den Weg bringen, um herauszufinden, wie exekutive Funktionen und Rhythmusverarbeitung mit der Grammatik verknüpft sind. Sie entwickelt außerdem einen Test, der besonders spielerisch funktioniert und so die Datenerhebung mit Kindern für große Studien erleichtern soll.

Das tun, was wir tun wollen, sagen, was wir ausdrücken wollen – was uns im Alltag selbstverständlich ist, gibt der Wissenschaft noch immer Rätsel auf. Warum können wir „Apfel“ sagen, während wir auf eine Schüssel Pfirsiche starren? Wieso gelingt es uns – in der Pandemie notgedrungen –, einem Bekannten nicht mehr die Hand zu geben, obwohl wir das ein Leben lang getan haben, sondern einander nur noch zuzunicken? „Exekutive Funktionen machen es möglich, dass wir uns auf relevante Informationen konzentrieren und irrelevante ignorieren“, erklärt die Forscherin. Ziele oder Prioritäten setzen, die Aufmerksamkeit zu steuern, Impulse und Emotionen zu regulieren oder auch nur Handlungen zielgerichtet zu beginnen – all das sind exekutive Funktionen. Sie helfen, das eigene Handeln zu kontrollieren und zu steuern. Und sie sind auch für das Sprechen wesentlich. Dank exekutiver Funktionen fokussieren wir auf unsere Gedanken statt visuelle Eindrücke – den Apfel etwa – oder unterdrücken ein Wort, das wir häufiger sagen als andere, um das Richtige „hervorzukramen“. Exekutive Funktionen und ihre Verbindung zur Grammatik werden schon länger untersucht. „Verhaltenstests haben gezeigt, dass Menschen, die exekutive Funktionen gut beherrschen, auch in anderen Sprachtests besser abschneiden“, erklärt Eniko Ladanyi. Dies legt nahe, dass sie für das Erlernen von Grammatik wichtig sind.

In dieselbe Richtung deuten auch Untersuchungen dazu, wie wichtig unser Gefühl für musikalische Rhythmen ist. „Verschiedene Rhythmen erkennen und unterscheiden, selbst bestimmte Rhythmen klopfen – Menschen, die das gut können, haben auch bei grammatischen Tests bessere Ergebnisse vorzuweisen als andere“, so die Forscherin. Sie selbst hat als Postdoc an der Vanderbilt University in Nashville zuletzt die Verbindung von musikalischem Rhythmusgefühl und Sprachverstehen bei Kindern erforscht. Doch für gesicherte Aussagen sei dieses Verhältnis noch zu wenig untersucht. „Deshalb stellt sich die spannende Frage: Sind Grammatikverständnis und Rhythmusgefühl also wirklich miteinander verbunden?“ Oder hängen beide – unabhängig voneinander – davon ab, wie gut jemand exekutive Funktionen beherrscht? Dem geht Eniko Ladanyi in ihrem aktuellen Forschungsprojekt nach, das sie als Marie-Skłodowska-Curie Postdoctoral Fellow zu Isabell Wartenburger, Professorin für Patholinguistik / Neurokognition der Sprache, geführt hat. „Wenn wir bestimmen können, welche Prozesse besonders wichtig für den Grammatikerwerb sind, können wir unsere Sprachlernmodelle verbessern“, so die Kognitionswissenschaftlerin.

Dies sei nicht nur für die Weiterentwicklung der Sprachtheorie wichtig, sondern könne auf lange Sicht denen zugutekommen, die beim Sprachenlernen Probleme haben. „Wenn sich herausstellt, dass exekutive Funktionen wichtiger sind als das Rhythmusgefühl, könnte man entsprechende Übungen entwickeln und Kindern einen leichteren Zugang zu Grammatik verschaffen“, sagt Eniko Ladanyi. Eine Perspektive, die sie schon seit ihrem Studium in Budapest motiviert, wo sie begann, sich intensiver mit Sprachentwicklungsstörungen zu beschäftigen. „Betroffene Kinder können komplexe Sätze selbst in ihrer Muttersprache nicht verstehen.“ Ein Thema, das noch viel zu wenig erforscht sei. „Ich möchte dazu beitragen, das zu ändern und den Kindern zu helfen.“

Und das tut sie seitdem auch: Für ihre Promotion in Budapest untersuchte sie die Beziehung zwischen kognitiver Kontrolle und Sprachentwicklung bei Kindern, ehe sie von 2015 bis 2019 als Postdoc in Paris frühe Anzeichen für spätere Sprachprobleme bei Kindern erforschte. Nach dem „Ausflug“ in die Welt des Rhythmus macht sie sich nun daran, diese verschiedenen Ansätze zu verknüpfen – und will ihre Forschungen zu exekutiven Funktionen und Rhythmusgefühl zusammenführen. Dass sie damit einen Spagat über Disziplingrenzen hinweg vollzieht, reizt sie besonders: „Ich liebe es, verschiedene Sphären einzubeziehen. Das wird dem komplexen Phänomen Sprache am ehesten gerecht.“

Eine besondere Herausforderung hat sich Eniko Ladanyi für ihre „Feldarbeit“ aufgehoben. Sie will ihre jungen Testpersonen nämlich in ihrer Welt „abholen“, die Forschung spielerisch präsentieren. „Gameification“ ist das Stichwort. „Viele Studien kämpfen damit, dass die Tests, die etwa kognitive Fähigkeiten ermitteln sollen, wenig ansprechend und eher langatmig sind“, so die Forscherin. „Es ist aber methodologisch wichtig, dass unsere jungen Testpersonen sich bei den Tests nicht langweilen, sonst messen wir nicht ihre kognitiven Fähigkeiten, sondern das Level ihrer Langeweile oder Müdigkeit.“ Die Forscherin will deshalb die Tests in ein Videospiel integrieren. Erste Entwürfe hat sie schon an der Vanderbilt University entwickelt. Jetzt sollen sie reifen und sich bewähren. Keine triviale Sache. „Wir müssen die spielerischen Tests parallel zu den traditionellen durchführen, um zeigen zu können, ob sie funktionieren. Wenn es klappt, bin ich zuversichtlich, dass wir damit eine Testmethodik entwickeln können, die sich für viele Studien dieser Art einsetzen lässt!“

Eniko Ladanyi hat sich also viel vorgenommen für ihre zwei Jahre als Curie-Fellow in Potsdam. Und sie kann sich durchaus vorstellen, dass es noch ein paar Jahre mehr werden.

https://www.uni-potsdam.de/de/nola/team-members/dr-eniko-ladanyi