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Die dritte Säule – Hans-Hennig von Grünberg über den Wissens- und Technologietransfer als neue Leistungsdimension von Universitäten

Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg beim Interview. Das Foto ist von Tobias Hopfgarten.
Photo : Tobias Hopfgarten
Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg, Inhaber der Professur für Wissens- und Technologietransfer an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 2. Oktober 2019 findet sich ein Artikel von Armin Nassehi, der einen verstehen lässt, warum die beiden klassischen Leistungsdimensionen einer Universität – Forschung und Lehre – sich so wenig miteinander vertragen. Das Problem mit diesem Paar sei ein strukturelles, so Nassehi, sie gehörten unterschiedlichen Funktionssystemen an, deren Logiken einander fundamental widersprächen. Die Forschung gehöre zum Wissenschaftssystem, die Lehre hingegen zum Bildungssystem. Forschung wolle auf methodisch nachprüfbare Weise Erkenntnisse erzielen. Bei der Lehre hingegen ginge es „um das Herbeiführen einer Veränderung in der Bildung eines Menschen“. Und während man sich in der Forschung selbst antreibt, treibt man in der Lehre jemanden anderen an und will ihn dazu bringen, sich zu verändern.

Wann kam dieses so inkompatible Paar zusammen? Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die klassische Universität der Ort von Gelehrten, die lediglich überliefertes Wissen weitergeben wollten. Dies änderte sich erst mit den preußischen Universitätsreformen des 19. Jahrhunderts, als die Idee entstand, die Universität zusätzlich mit der Aufgabe zu betrauen, ihr Wissen durch Forschung selbst zu erzeugen. Fortan war die Universität eine Organisation „mit zwei Seelen – einer lehrenden und einer forschenden. Die Einheit der beiden Seiten muss nur deshalb so sonntagsredenfest betont werden, weil es eine Differenz ist – eine prinzipiell unaufhebbare, und damit herausfordernde“, schreibt Nassehi.

Und nun also noch eine weitere, eine dritte Leistungsdimension: der Wissens- und Technologietransfer. Laut Wissenschaftsrat „die dialogische Vermittlung und Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse aus allen Wissenschaftsbereichen in Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik“. Wann betrat er die Bühne? 1988 findet sich die erste Publikation des Wissenschaftsrats, die den Wissenstransfer ausdrücklich als eine neue Aufgabe von Hochschulen nennt. Tatsächlich aber verklang die Forderung ungehört, denn die Hochschulen waren in den 1990er Jahren vor allem mit der Bewältigung der deutschen Einheit beschäftigt. Erst in den zurückliegenden zehn Jahren machte der Wissenstransfer dann Karriere. Wurde er bis dahin nur als ein Leistungsbereich unter vielen genannt, ward er in dem Papier „Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems“ von 2013 zu der dritten (und eigentlich neuen!) Leistungsdimension einer Universität gekürt: „Die herausgehobene Funktion der Hochschulen für das Wissenschaftssystem erfordert eine inhaltliche Differenzierung im Hinblick auf die vier wesentlichen Leistungsdimensionen Forschung, Lehre, Transfer und Infrastrukturleistungen.“

Universitäten sollen demnach Wissen weitergeben (Lehre), Wissen erzeugen (Forschung) und nun auch noch für seine Nutzung sorgen (Transfer). Warum bloß diese weitere und nun auch noch so anspruchsvolle Anforderung?

Da ist zunächst einmal die Erkenntnis, dass wir zukünftig große Herausforderungen wie die Erderwärmung zu meistern haben. Die Komplexität der sich jetzt stellenden Fragen macht ein Mitwirken der Wissenschaft völlig unverzichtbar. Zweitens wären die seit einem guten Jahrzehnt stagnierenden Innovationsausgaben der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) zu nennen. Diese fatale Entwicklung geschieht vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Konkurrenz in einem globalen Wettbewerb. Da sollen die Forschungsergebnisse der in staatlicher Trägerschaft befindlichen Einrichtungen nun dabei helfen, dieses Problem zu lösen und den KMU Innovationsimpulse verschaffen. Also: Transfer zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit.

Und schließlich forderte auch die Europäische Union ein Umdenken. Im Sommer 2010 nahm sie mit der Wachstumsstrategie „Europa 2020“ einen ziemlich abrupten Strategiewechsel vor. Dieser Wechsel führte hin zu dem unter dem Stichwort RIS3 bekannt gewordenen Konzept zur Entwicklung der Regionen. So wurden alle 271 europäischen Regionen von der EU-Kommission aufgefordert, jeweils eine ureigene Innovationsstrategie zu erarbeiten. Die Vorlage einer solchen RIS3- Strategie wurde dann zur Voraussetzung gemacht, um in der Förderperiode zwischen 2014 und 2020 EFRE-Mittel für Forschung, Entwicklung und Innovation beantragen zu können. Dabei musste der Nachweis erbracht werden, dass die regionale Hochschule in die RIS3-Strategien sinnvoll eingebunden ist. Letztlich waren es also diese Strategien und mit ihnen der Zugang zu europäischen Fördergeldern, die das Bundesforschungsministerium und die Landesministerien nach 2010 veranlasst haben, den Transfer aus Hochschulen und Universitäten ernst zu nehmen und systematisch zu unterstützen.

Man muss wahrlich kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese Veränderungen lange nicht abgeschlossen sein werden. So findet sich beispielsweise im neuen Koalitionsvertrag der Ampel die Ankündigung, eine „Deutsche Agentur für Transfer und Innovation“ aufbauen zu wollen. Ansprüche und Erwartungen an Universitäten unterlagen immer schon dem Wandel, ändern sich nun aber in immer kürzer werdenden Zeiträumen. Werfen wir dazu abschließend einen Blick in eine Mitteilung der EU-Kommission aus dem Jahr 2019: „Hochschuleinrichtungen können mehr tun, um Chancen für Innovation zu nutzen und um lokalen Unternehmen dabei zu helfen, neue Denkweisen zu verstehen und zu übernehmen. Die Realisierung dieser Ziele sollte Teil eines umfassenderen kulturellen Wandels sein, in dessen Zuge Hochschuleinrichtungen zu unternehmerischen Akteurinnen werden.“ Womit sich einmal mehr bewahrheitet: Das einzig Beständige ist der Wandel!

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Transfer 2021/22 (PDF).