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„Wir dürfen nicht so weitermachen wie vor Corona“ – Der Politikwissenschaftler Harald Fuhr über die internationale Klimapolitik vor und nach Corona

Prof. Dr. Harald Fuhr | Foto: Joshua Elsässer
Photo : Joshua Elsässer
Prof. Dr. Harald Fuhr
40 Jahre lang – 23 davon an der Universität Potsdam – erforschte Prof. em. Harald Fuhr, was gute Verwaltungen und Regierungen ausmacht und wie sie vor allem in Entwicklungsländern gestärkt werden können. Institutionen wie die Weltbank oder die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit hören auf seinen Rat, als Experte für Entwicklungs- und Klimapolitik war er unter anderem in Nepal, Afghanistan, Indonesien, Afrika und Südamerika tätig. Nach seiner Emeritierung im vergangenen Jahr bleibt er mit der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät bis Ende 2023 über ein Forschungsprojekt verbunden. Heike Kampe sprach mit ihm über heutige und zukünftige gesellschaftliche Herausforderungen in einer sich wandelnden Welt.

Herr Fuhr, der Klimawandel bewegt zunehmend die internationale Politik. Was sind die wichtigsten Entwicklungen der vergangenen Jahre?

Ein Meilenstein ist natürlich das Pariser Klimaabkommen aus dem Jahr 2015. Es brachte die Erkenntnis, dass – zwar in unterschiedlicher Weise – alle Länder zu dem Problem beitragen und somit auch alle an der Lösung beteiligt sein müssen. Wir müssen gemeinsam auf das Ziel zusteuern, die Erderwärmung global und dauerhaft auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Dazu bedarf es einer globalen Anstrengung, um die Netto-Emissionen bis in die 2050er Jahre auf null zu senken. Die zweite wichtige Entwicklung ist, dass seit den frühen 2000er Jahren die Emissionen des globalen Südens stark ansteigen. Inzwischen ist China der größte Emittent und verursacht mehr Treibhausgase als die USA und Europa zusammen. Auch in Ländern wie Indien oder Brasilien steigen die Emissionen massiv. Nur noch rund 40 Prozent der Emissionen kommen heute aus den klassischen Industrienationen.

Was heißt das für den Klimaschutz?

Selbst ein radikaler Umbau in den europäischen Ländern oder Nordamerika würde allein nicht genügen, um die Treibhausgasemissionen ausreichend zu reduzieren. Die Emissionen aus Industrie und Energie und vor allem auch aus der Landwirtschaft müssen global gesenkt werden. Brasilien etwa gehört zu den sechs stärksten Emittenten, weil die Entwaldungsrate so hoch ist. Es gibt aber gute Nachrichten: Indien oder China bauen beispielsweise massiv ihre Anlagen für erneuerbare Energien aus. Der Klimawandel bietet auch Chancen für Entwicklung, für einen Umbau im Industriesektor und einen anderen Umgang mit dem Planeten. Schließlich gibt es auch auf anderen Gebieten große Schwierigkeiten. Ich nenne nur den Verlust an Artenvielfalt, der mindestens genauso bedrohlich ist. Die Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft fordert Regierungen, Verwaltungen und auch die Wissenschaft heraus.

Wie kann diese Transformation gelingen?

Die CO2-Bepreisung, die in diesem Jahr in Deutschland gestartet ist, ist natürlich ein wichtiges Instrument, um die Emissionen über den Markt zu steuern. Produkte und Verfahren, die viele Emissionen verursachen, werden teurer und damit zunehmend unattraktiver. Produkte, die regenerative Energie und nachwachsende Rohstoffe nutzen, werden wettbewerbsfähig. Andere Instrumente können regulatorischer und rechtlicher Natur sein, die aber meiner Meinung nach nicht immer einfach umsetzbar sind.

Die Preissteuerung über den Markt beginnt bei uns und in anderen Industrienationen gerade. Aber ist dieses Instrument auch in ärmeren Ländern durchsetzbar?

Ja, wir müssen über die Kosten und Lastenverteilung der Transformation reden. Allein der Kohleausstieg in Deutschland kostet rund 50 Milliarden Euro. Es wird immer eine politische Frage sein, wie man diese Kosten gerecht verteilt. Auch global gesehen. Im Pariser Protokoll sind Transfers über Fonds in ärmere Länder vorgesehen, die die benötigte Technik und notwendigen Maßnahmen teilweise finanzieren sollen. Entwicklungsländer stehen hier sicherlich vor noch größeren Herausforderungen als der reiche Norden. Gerade im globalen Süden sind aber auch die Chancen für erneuerbare Energien oder eine alternative Landwirtschaft zum Teil sehr groß. Marokko wird beispielsweise zunehmend zum Exporteur von Solarenergie.

Das Problem des Klimawandels wird aktuell von einer ganz anderen Krise überschattet. Wie wird sich die Corona-Pandemie auf die weltweite Klimapolitik auswirken?

Die Pandemie wirkt wie ein Vergrößerungsglas auf viele Probleme, die wir zurzeit haben. Sie zeigt nicht nur die Verletzlichkeit moderner Industriestaaten, sondern zugleich, dass wir solche globalen Krisen nur durch internationale Zusammenarbeit lösen können. Wir müssen in den nächsten Jahren wohl noch einmal genau analysieren, was eigentlich passiert ist und wie wir darauf reagiert haben. Was war gut, was schlecht? Weltweit haben die Regierungen enorme Anstrengungen unternommen, um die Wirtschaft zu stützen, die Bevölkerung zu schützen und gemeinsam mit dem privaten Sektor Impfstoffe zu entwickeln. Das zeigt, wie wichtig der öffentliche Sektor ist. Und das macht Hoffnung, dass auch die anderen großen Probleme wie der Klimawandel ähnlich entschlossen angegangen werden. Die Investitionen, die nun zur Bewältigung der Corona-Krise notwendig werden, sollten nicht in den Wiederaufbau alter Strukturen, sondern für einen Umbau der Wirtschaft genutzt werden. Wir dürfen nicht so weitermachen wie vor Corona, sondern brauchen neue, nachhaltige Produktionsverfahren. Insofern ist Corona auch eine große Chance, um die Weichen richtig zu stellen.

Auch die Bewegung Fridays for Future wurde durch das Corona-Virus ausgebremst. Kann sie nach der Krise an die alte Stärke anknüpfen?

Fridays for Future ist eine wichtige soziale und politische Bewegung. Diese Generation wird vom Klimawandel extrem betroffen sein. Es ist daher naheliegend, dass sie sich lautstark zurückmeldet. Die Schülerinnen und Schüler sind die Wähler von morgen. Das hat bei einigen Parteien noch einmal das Bewusstsein dafür geschärft, dass Klimapolitik mehrheitsfähig und ein Anliegen großer Teile der Bevölkerung ist. Ich denke, dass die Klimadebatte und auch das Biodiversitätsthema bald wieder an Fahrt aufnehmen werden.

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2021 „30 Jahre Uni Potsdam“ (PDF).