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Unterwegs im anatolischen Hochplateau – Tag 2: Von Tsunamis, Foraminiferen und Schlucklöchern

Reisetagebuch: Studierende auf Exkursion in der Türkei

Vor dem Aufschluss horizontal gelagerter miozäner Karbonatgesteine und dazwischengeschalteten Kohlelagen. | Foto: Ariane Müting.
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Vor dem Aufschluss horizontal gelagerter miozäner Karbonatgesteine und dazwischengeschalteten Kohlelagen. | Foto: Ariane Müting.

Wussten Sie schon, dass es an der türkischen Mittelmeerküste Tsunamis gibt? Zwar sind sie ein eher seltenes Ereignis, doch durch ihr unerwartetes Auftreten stellen sie eine umso größere Gefahr für die nichtsahnende Bevölkerung der Küstenregion dar. Vom Ausmaß dieser Naturgewalt zeugen sogenannte Tsunami-Blöcke, große Gerölle, die in Küstennähe durch die Wellen vom Meeresgrund an Land getragen werden können. Im Jahre 2015 wurden solche Blöcke an der Küste westlich der Stadt Mersin entdeckt und eingehend untersucht. Sie waren in den 1950er Jahren an Land gespült worden. Allerdings gibt es in den einschlägigen Aufzeichnungen und Erdbebenkatalogen keine Einträge zu besonders starken Erdbeben. Es wird daher vermutet, dass eine submarine Rutschung Auslöser für eine Tsunami gewesen ist, die die Gerölle an Land befördert hat. Jene berühmten Gesteinsblöcke wollen wir uns am Morgen unseres zweiten Exkursionstages gerne genauer anschauen, doch bislang unbekannte Kräfte scheinen die Steinkolosse von ihrer ursprünglichen Ruhestätte wegbewegt zu haben. Unsere Suche ist erfolglos – wir sind perplex und die Gerölle bleiben auf äußerst mysteriöse Weise verschwunden.

Kurz darauf schleppt sich unser alter Bus, der äußerlich nahezu wie neu aus der Werkstatt zurückgekehrt ist, die ersten Höhenmeter hinauf. Bei Astim Mağarası, der „Höhle des Asthmas“ (ja, sie heißt wirklich so), gönnen wir ihm eine kleine Pause und bewundern neben ein paar ansässigen Kamelen die mächtige Doline am Straßenrand, die durch Einsturz eines gewaltigen unterirdischen Hohlraums entstanden ist. Solche Einsturzdolinen, manchmal auch Schlucklöcher genannt, sind z.B. aus der Balkanregion oder auch von der Schwäbischen Alb bekannt. Sie sind typisch für Karstlandschaften mit unterirdischen Wasserläufen und Lösungsprozessen, die den Kalk allmählich auflösen und somit Höhlensysteme schaffen. Diese gelblich gefärbten Karbonatgesteine am Südrand des Plateaus sind Ablagerungen aus dem mittleren Miozän (etwa zehn Millionen Jahre vor heute) und wurden ehemals in einem Flachwassermeer sedimentiert. Die Gesteinspakete sind generell flach nach Süden geneigt oder nahezu horizontal gelagert und befinden sich jetzt auf etwa 100 Metern Höhe.

Schließlich verlassen wir die Küste und tauchen weiter nordwestlich in das Einzugsgebiet des Göksu-Flusses ein. Von mehreren Aussichtspunkten aus begutachten wir die Geologie der südlichen Flanke des Tauriden-Gebirges im Norden, das den südlichen Rand des anatolischen Plateaus bildet. Etwas später überblicken wir in sengender Hitze das Mut-Becken. Sanft geneigte und Tafelberg-ähnliche Erhebungen geben uns Rätsel auf, denn diese Erhebungen sind eigentlich ehemalig zusammenhängende Flusstäler in unterschiedlichen Höhenbereichen. Verschiedene Studien legen nahe, dass das Tal in der Vergangenheit während wärmerer und feuchterer Klimaperioden durch Flüsse mit hoher Transportkraft mit Sediment gefüllt wurde. Während kälterer Perioden indes führten die Flüsse weniger Wasser und Sediment und schnitten sich wiederum in die aufgeschüttete Talfüllung episodisch ein. Noch heute sind 16 verschiedene Terrassenniveaus in jeweils immer niedrigeren Höhenniveaus zu erkennen. Alle Terrassen sind mit Flussschottern bedeckt und repräsentieren ehemalige Flussläufe, die innerhalb der letzten 240.000 Jahre gebildet wurden. Vermutlich fand die mehrfache Einschneidung aufgrund einer Kombination tektonischer Heraushebung des Plateaurandes und klimatisch bedingter Prozesse statt.

Der wortwörtliche Höhepunkt des Tages liegt schließlich auf 1200 Metern Höhe und sorgt bei uns und unserem Bus für die Spannung bis in den letzten Keilriemen. Hier treffen wir auf die gleichen gelben Karbonatgesteine wie an der Küste, nur sind diese Einheiten hier deformiert und z.T. mit über 25 bis 30 Grad nach Süden, also in Richtung Mittelmeer, geneigt. Sie müssen demnach tektonisch deformiert worden sein, wofür auch zahlreiche Störungszonen mit zertrümmerten Gesteinsfragmenten sprechen, die wir hier identifizieren können. Zu unserem Erstaunen werden diese deformierten Schichten nochmals von dunkelgrauen Karbonaten überlagert. Mikroskopisch kleine marine Organismen, Foraminiferen (marine Einzeller mit einem Kalkskelett), verraten uns, dass diese überlagernden Sedimente einst in etwa 500 Metern Wassertiefe sedimentiert worden sein müssen. Weiterhin zeigt die Artenzusammensetzung der Foraminiferen an, dass das Alter dieser Einheit auf einen Zeitraum zwischen 400.000 und 600.000 Jahre eingegrenzt werden kann. Foraminiferen gelten als geologische Uhren. Das junge Alter ist nahezu unglaublich für uns, denn dies bedeutet, dass die Gesteine seit ihrer Ablagerung um mehr als 1,5 Kilometer angehoben wurden.

Es ist mittlerweile spät geworden und die Sonne geht unter. Also lassen wir uns von unserem ächzenden Bus wieder den Berg hinunterbringen und begeben uns ebenso erschöpft in die Unterkunft. Es ist nun Zeit für einige Kebabs mit Joghurtsoße und Auberginen, aber die Reise zum eigentlichen Plateaurand geht morgen in aller Frühe weiter.

Text: Bastian Loske und Andre Pohlenz
Online gestellt: Sabine Schwarz
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde