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Alles, was Recht ist – Der Völkerrechtler Andreas Zimmermann arbeitet im Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen

„Die meisten Staaten wollen die Menschenrechte stärken“, sagt Andreas Zimmermann. Foto: Kaya Neutzer
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„Die meisten Staaten wollen die Menschenrechte stärken“, sagt Andreas Zimmermann. Foto: Kaya Neutzer

Der Menschenrechtsausschuss ist neben dem Menschenrechtsrat ein weiteres Organ der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte. Der Potsdamer Jura-Professor Andreas Zimmermann arbeitet seit einem halben Jahr als unabhängiger Experte für den Ausschuss.

Der Anruf kam überraschend. „Da muss ich erstmal mit meiner Frau und mit meinem Dekan sprechen“, antwortete Andreas Zimmermann, als ihn das Auswärtige Amt um seine Kandidatur für den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen bat. Denn das Amt kostet Zeit. Doch nachdem Universität und Familie zugestimmt hatten, ließ sich der Völkerrechtler nicht länger bitten. Seit August 2018 ist er nun einer von 18 unabhängigen Expertinnen und Experten des Menschenrechtsausschusses.

1976 war der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, kurz UNZivilpakt, dem mittlerweile 175 Staaten als Vertragsparteien angehören, in Kraft getreten. Er garantiert rechtsverbindlich die grundlegenden Menschenrechte. „Wir haben die Aufgabe, die Einhaltung dieses Vertrags sicherzustellen“, erklärt Zimmermann. Jeder der Vertragsstaaten ist dazu verpflichtet, dem Ausschuss regelmäßig darüber zu berichten, wie die Regeln eingehalten werden und wo es Verstöße gibt. Dafür hält der Menschenrechtsausschuss in seiner „List of Issues Prior to Reporting“ fest, welche Fragen das jeweilige Land in seinem Staatenreport beantworten soll. Schlechte Haftbedingungen in Gefängnissen, Genitalverstümmelung bei Frauen oder Nachteile von Menschen mit Behinderungen – auf der Liste des Ausschusses stehen jeweils 30 bis 40 heikle Angelegenheiten, die möglicherweise Menschenrechtsverletzungen bedeuten und zu denen sich die Vertreterinnen und Vertreter eines jeden Landes äußern müssen.

Dreimal im Jahr trifft sich der Ausschuss in Genf, um die Stellungnahmen der Staaten auszuwerten. Die Wochen in Genf sind intensiv: Montags um sieben Uhr geht der Flieger in die Schweiz, freitags ist er kurz vor Mitternacht wieder zu Hause. Am Wochenende ist Familienzeit mit den Kindern. Zwölf Wochen im Jahr lebt der Wissenschaftler nach diesem Rhythmus.

Gerade hat Zimmermann wieder seine Koffer gepackt. Vier Wochen lang wertet er nun gemeinsam mit den anderen Expertinnen und Experten die Dokumente aus, nimmt Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International hinzu und prüft akribisch alle Aussagen auf Widersprüche. Schon zu Hause hat er sich eingearbeitet, um gut vorbereitet zu sein. Schließlich konfrontiert er Minister, Botschafter und andere hohe Delegierte der jeweiligen Staaten mit unangenehmen Fragen. Auf seiner aktuellen Liste steht Estland, das er etwa zur Situation von Flüchtlingen und Staatenlosen befragen wird.

„Das Ziel ist immer, die Staaten dahingehend zu beeinflussen, dass die Menschenrechtslage verbessert wird“, erklärt Zimmermann. In seinem Abschlussbericht verzeichnet der Ausschuss, welche Anstrengungen er dafür erwartet – und legt dabei stets den Finger in die Wunde. An Weißrussland ging etwa die Frage, welche Maßnahmen zum Schutz der Frauenrechte ergriffen werden, nachdem Präsident Lukaschenko in aller Öffentlichkeit Gewalt gegen Frauen verharmlost hatte.

Verstöße gegen die im Zivilpakt garantierten Menschenrechte erreichen den Ausschuss auch über zahlreiche Individualbeschwerden, die jeder Bürger von 120 Vertragsstaaten an ihn richten kann. Oppositionelle aus Weißrussland etwa rufen den Ausschuss häufig an, wenn sie nach Demonstrationen inhaftiert werden, Flüchtlinge beschweren sich über unmenschliche Bedingungen in den Flüchtlingslagern Südeuropas, eine französische Muslimin wehrte sich gegen das Verbot der Vollverschleierung und verwies auf die Religionsfreiheit. „Oft sind es sehr schwierige Entscheidungen“, betont der Völkerrechtler. „Wir sind kein Gericht. Wir benennen aber völkerrechtliche Verstöße.“ Sollte ein Staat massiv gegen seine Verpflichtungen aus dem Zivilpakt verstoßen, können Drittstaaten Sanktionen verhängen.

Anfangs war Zimmermann skeptisch, ob der Ausschuss tatsächlich viel bewirken kann. Er befürchtete, die Staatenberichte seien nur ein Feigenblatt und brächten letztlich keine Ergebnisse. Nach einigen Monaten kann er nun sagen: „Das muss ich revidieren. Ich bin überrascht, wie offen und ehrlich die Diskussionen generell sind. Die meisten Staaten, wenn auch natürlich längst nicht alle, arbeiten an ihren Problemen und wollen die Menschenrechte stärken.“

Text: Heike Kampe
Online gestellt: Silvana Seppä
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde