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Dem Islam auf der Spur – Wie leben Muslime in Brandenburg?

Prof. Dr. Johann Ev. Hafner. Foto: Karla Fritze.
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Prof. Dr. Johann Ev. Hafner. Foto: Karla Fritze.

Jährlich kommen Tausende Migranten und Geflüchtete nach Deutschland. Dadurch ist die Glaubensvielfalt in Deutschland größer denn je und dennoch weiß man wenig über die Religionszugehörigkeit dieser Menschen. Besonders über die Anzahl und Verteilung der Muslime in Deutschland gibt es kaum Daten. Um dies zu ändern, gab das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) des Landes Brandenburg eine Erhebung zur Zahl der „Muslime in Brandenburg“ in Auftrag. Unter der Leitung des Religionswissenschaftlers Prof. Dr. Johann Ev. Hafner ging ein Team von Wissenschaftlern und Studierenden der Universität Potsdam unter die Leute.

Den Auftakt des Vorhabens bildete eine Lehrveranstaltung, die Johann Ev. Hafner gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Seyit Arslan und Kadir Sancı vom Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft im Wintersemester 2017/18 durchführte. Einer der sechs Studierenden, die sich für das Kartierungsprojekt anmeldeten, war Marco Gehendges. „Obwohl ich seit meiner Jugendzeit – meist im schulischen Umfeld – mit Muslimen zu tun hatte, habe ich noch nie an deren religiösem Leben partizipiert“, sagt er. „In diesem Projekt habe ich nun die Chance, es ‚live‘ mitzuerleben.“

Das jedoch ist leichter gesagt als getan. Zunächst einmal mussten die Muslime gefunden werden. Die Forschenden machten sich auf die Suche – in insgesamt zwölf Städten überall im Land: Cottbus, Potsdam, Frankfurt/Oder, Brandenburg an der Havel, Rathenow, Neuruppin, Luckenwalde, Wittenberge, Senftenberg, Forst, Guben und Spremberg. Schnell zeigte sich, dass die Muslime sehr zurückhaltend waren und ihre Bereitschaft, sich in der Öffentlichkeit zu artikulieren, eher gering ausfiel. „Dies bedeutet nicht, dass sie sich verstecken“, erklärt Johann Hafner. „Sie sind meist mit anderen Dingen beschäftigt: Anträge stellen oder Wohnung und Arbeit suchen. Außerdem fehlt ihnen schlicht das entsprechende Sprachrohr.“

Muslimische Gemeinden stehen nicht in der Öffentlichkeit

Wer aber ist überhaupt Muslim? Sind der kulturelle Hintergrund, die Teilnahme an jahreszyklischen und wochenzyklischen Riten wie Ramadan und Freitagsgebet oder das Engagement in einer Gemeinde ausschlaggebend hierfür? Schätzungen zur Anzahl der Gläubigen fallen sehr unterschiedlich aus. Johann Hafner vermutet, dass die Angaben in der Öffentlichkeit weit überschätzt werden. Es werde nicht angemessen berücksichtigt, dass sich viele Geflüchtete von ihrer eigenen Religion distanzieren, wendet er ein. Auch im Christentum bezeichneten sich Menschen als Christen, gingen aber nur selten oder nie in die Kirche, würden sogar aus ihr austreten. Daher sei es notwendig, nicht nur Einzelne zu befragen, sondern zu untersuchen, wie sich muslimische Gemeinden entwickeln und wie viele Personen in ihnen aktiv sind.

Im Vorfeld wurde die Datenerhebung gemeinsam mit einem Sozialgeografen besprochen und überlegt, wie der Kontakt zu den Gemeinden am besten hergestellt werden könne. Letztlich stellten die Forscher mithilfe von Integrationsbeauftragten, über NGOs, Zeitungsberichte und soziale Medien den Kontakt zu den Gemeinden her. War diese erste Hürde geschafft, verlief die Kommunikation reibungslos. Die Angefragten waren offen für Gespräche und auch die Sprachbarrieren hielten sich in Grenzen. Anhand der durchschnittlichen Teilnehmerzahlen bei den Freitagsgebeten zeigte sich, dass sich in Potsdam mit 400 bis 500 wöchentlichen Teilnehmern die größte Gemeinde im Land befindet, dicht gefolgt von Cottbus mit 300 bis 500. Für die Erhebung detaillierterer Daten sprachen die Wissenschaftler direkt vor Ort mit den in den verschiedenen Gemeinden lebenden Muslimen und nahmen an Freitagsgebeten teil.

Die Wissenschaftler erlebten Aufgeschlossenheit, vereinzelt aber auch Misstrauen

Nicht alle Gemeinschaften verfügen über eigene Räumlichkeiten, manche teilen sich lokale Multifunktionsräume mit anderen Initiativen und Gruppen. „Eine Gemeinschaft nutzte eine Turnhalle“, erinnert sich Marco Gehendges. „Das ist nicht ganz einfach, da es dort je nach Jahreszeit mal zu heiß oder zu kalt ist.“ Doch die Muslime seien meist froh über jeden verfügbaren Raum, im Zweifelsfall genüge auch ein Teppich. „Während meiner Besuche waren die Interviewpartner durchweg freundlich und offen“, so Gehendges. „Etliche waren sogar interessiert an unserer Studie und neugierig auf die Ergebnisse.“ Lediglich in einer Gemeinde habe er größeres Misstrauen gegen Außenstehende erlebt und die ersten beiden Gespräche seien in eher angespannter Atmosphäre verlaufen.

Um vergleichbare Angaben zu erhalten, nutzte das Team drei unterschiedliche Fragebögen, die dabei helfen sollten, aus der anfänglichen Distanz eine gewisse Nähe zu entwickeln. Gefragt wurde unter anderem nach den Angeboten der Gemeinschaften, der Anzahl der Besucher und Kooperationen mit anderen lokalen Akteuren. „Die Fragebögen sollen uns helfen zu erkennen, wie viele Personen die Gemeinschaft aufsuchen, wie sich die sozialen Strukturen innerhalb der Gemeinde entwickeln und wie sie extern vernetzt ist“, so Gehendges.

„Entscheidend sind die Räumlichkeiten“

Für die Integration der hier lebenden Muslime sieht Johann Hafner zwei große Probleme: Vor allem fehlten den muslimischen Gemeinden in Brandenburg geeignete Räumlichkeiten. Diese würden nicht nur für das Gebet, sondern auch für gemeinsame soziale Aktivitäten benötigt. Nur wenige haben – wie die Potsdamer Muslime, deren Moschee sich in einem Apartmentblock befindet – einen eigenen festen Gebets- und Versammlungsraum. Bereits jetzt zeige sich, dass in denjenigen Städten, wo Räume klein sind, weniger Teilnehmer zu den Gebeten kommen. Um das zu ändern, seien die Gemeinden vielerorts auf Spenden angewiesen. Dies gestalte sich jedoch meist schwierig, weil eine Vielzahl der Mitglieder Geflüchtete seien und Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz oder ALG II erhielten.
Es fehlten aber auch geeignete Personen, die die Leitung einer Gemeinde dauerhaft übernehmen, so der Religionswissenschaftler. Die Zukunft von muslimischen Gemeinden hängt demnach entscheidend davon ab, ob es genügend Imame gibt, die der Moscheegemeinde vorstehen und die Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft pflegen. Bisher erfüllen diese Funktionen vielerorts Einzelpersonen, die sich auf zu wenig Engagement aus der Gemeindemitte stützen können.

Mit ihrer Untersuchung wollen Hafner und sein Team übrigens nicht nur mehr über die Muslime in Brandenburg erfahren, sondern diesen auch helfen, wie Gehendges betont: „Meine Hoffnung ist, dass wir mit unserem Projekt die Vernetzung zwischen den Akteuren verbessern können, indem wir aufzeigen, wo sich Gemeinschaften befinden, sodass sie erreichbar werden. Uns ist es auch wichtig zu zeigen, welche Bedürfnisse die Menschen in diesen Gemeinschaften haben.“ Die Ergebnisse der Befragung sollen noch 2019 in einer Broschüre veröffentlicht werden. Erklärtes Ziel des Projekts ist es, die Erkenntnisse in die Gesellschaft hineinzutragen, damit das Interesse an der Förderung muslimischer Gemeinden bestehen bleibt.

Menschen islamischen Glaubens leben nicht erst seit den Migrationsbewegungen des 21. Jahrhunderts in Deutschland. Schon vor rund 250 Jahren gab es Muslime in der Region des heutigen Landes Brandenburg. Zunächst verfügten sie nur über einfache Gebetsräume. 1915 wurde die erste Moschee auf deutschem Boden in Wünsdorf bei Zossen gebaut. Seit Herbst 2015 steigt die Zahl der Menschen mit muslimischem Glauben in der Bundesrepublik stetig an. Das derzeitige Aufnahmeverfahren sieht vor, dass bei der Registrierung lediglich das Heimatland angegeben werden muss, über die Religionszugehörigkeit erfährt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nur selten etwas. Wenn überhaupt, durch freiwillige Selbstangaben.

Das Projekt

Muslime in Brandenburg
Förderung: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (MWFK)
Laufzeit: 2017/18
Beteiligt: Prof. Dr. Johann Ev. Hafner (Leitung), Seyit Arslan, Burak Güleryüz, Kadir Sancı sowie sechs Studierende, darunter Marco Gehendges

Die Wissenschaftler

Prof. Dr. Johann Ev. Hafner ist Professor für Religionswissenschaft/Schwerpunkt Christentum am Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft der Universität Potsdam.
hafneruni-potsdamde

Marco Gehendges ist Student im Zwei-Fach-Bachelor (B.A.) Religionswissenschaft und Jüdische Studien an der Universität Potsdam.
gehendgesuni-potsdamde

Text: Karoline Schleger
Online gestellt: Marieke Bäumer
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde