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Im Fluss der Zeit – Umweltwissenschaftler bringen Sedimente zum Leuchten

Hochflutsedimente, die während mittelalterlichen Erdbeben in der Nähe von Pokhara/Nepal abgelagert wurden. Links: Dr. Wolfgang Schwanghart, Rechts: Prof. Dr. Anne Bernhardt (FU Berlin).
Photo : Amelie Stolle
Hochflutsedimente, die während mittelalterlichen Erdbeben in der Nähe von Pokhara/Nepal abgelagert wurden. Links: Dr. Wolfgang Schwanghart, Rechts: Prof. Dr. Anne Bernhardt (FU Berlin).

Dass Geologen auf Berge steigen, um herauszufinden, wie Landschaften entstehen und sich entwickeln, wundert niemanden. Aber dass sie dies auch tun können, indem sie in Flüssen waten und „leuchtendem Sand“ nachjagen, dürften weniger bekannt sein. Doch Dr. Wolfgang Schwanghart vom Institut für Umweltwissenschaften und Geographie der Universität Potsdam und Dr. Tony Reimann von der Universität Wageningen haben die Idee für ein Forschungsprojekt entwickelt, in dem sie ermitteln wollen, wie schnell Sand in einem Fluss vorankommt. Das Vorhaben mit dem Titel „Illuminating the speed of sand“ wird von der VolkswagenStiftung als eines von nur 37 unter 645 eingereichten Projekten in der Förderinitiative „Experiment!“ gefördert. Matthias Zimmermann sprach mit den beiden über das Geheimnis hinter dem „leuchtenden Sand“ und die Besonderheiten experimenteller Forschung.

Herr Dr. Schwanghart, Herr Dr. Reimann, Ihr Forschungsprojekt trägt den Titel „Illuminating the speed of sand“. Wörtlich übersetzt heißt das „die Geschwindigkeit von Sand erleuchten“. Das klingt eher nach Kunst als nach Wissenschaft. Was verbirgt sich dahinter?
Ja, das hört sich in der Tat nach Kunst an. Es ist aber reine Physik. Quarz und Feldspäte, aus denen Sandkörner vor allem bestehen, reagieren auf Wärme oder Licht mit Lumineszenz, einem „kalten Leuchten“. Dabei geben die Sandkörner einen Teil der Energie ab, welche sie zuvor durch die umgebende natürliche Radioaktivität aufgenommen haben. Dieses Verfahren wird bereits bei der Altersbestimmung von Sedimenten verwendet. Unser Interesse gilt aber nicht der Altersbestimmung. Wir möchten eher mehr darüber erfahren, wie und unter welchen Bedingungen der Sand seine Energie während des Transports, z.B. in einem Fluss, wieder abgibt.

Was verrät Ihnen die Fließgeschwindigkeit von Sand in einem Fluss bzw. welches Forschungsinteresse steckt hinter dem Projekt?
Sedimente sind ein wesentlicher Schlüssel, um vergangene Klimaänderungen und deren Einfluss auf die Abtragung der Landoberfläche zu verstehen. Sedimente können die Hinterlassenschaft von Extremereignissen wie Überflutungen sein und auch Ausgangsmaterial für die Entwicklung von Böden. Sedimenttransport zwischen den Gebieten der Abtragung und der Sedimentation erfolgt meist entlang von Flüssen. Die Geschwindigkeit eines Sandkorns ist jedoch geringer als die von Wasser. Sand wird an der Gerinnesohle, auf Sandbänken oder in Flussterrassen zwischengelagert. Wenn wir Raten der Ablagerung in marinen oder Seesedimenten als Anzeiger für Klima- und Landschaftsveränderungen sowie Extremereignisse nehmen wollen, dann müssen wir verstehen, wie lange der Transport zwischen Quell- und Ablagerungsgebiet des Materials überhaupt dauert.  

Wie bringen Sie den Sand zum Leuchten bzw. Wie gehen Sie genau vor?

Wir fangen zunächst mit Experimenten im Labor an. Dabei werden wir Sand, von dem wir wissen, wieviel Lumineszenz er unter idealen Bedingungen abgibt, unterschiedlichen Transportbedingungen aussetzen – zum Beispiel unterschiedliche Fließgeschwindigkeiten und -tiefen, und unterschiedliche Mengen an Sediment. Das wird uns erste Daten zur Exposition von Sandkörnern und deren Lumineszenz liefern. Neben diesen Experimenten werden wir aber auch Daten im Gelände erheben. Unser Untersuchungsgebiet befindet sich in Nepal. Im Mittelalter kam es hier während Erdbeben zu extremen Flutereignissen, deren Alter wir genau kennen. Die resultierenden Sedimente sind perfekt, um unsere Methoden unter reellen Bedingungen zu testen.

Wie ist die Idee zu dem Projekt entstanden?

Die Idee kam uns, als wir uns über ein Projekt in Nepal unterhielten, das wir gerade an der Universität Potsdam abgeschlossen hatten. Dabei ging es immer wieder um die Frage: Wurden diese mehrere Hundert Jahre alten Sedimente in wenigen Tagen oder über viele Jahre hinweg abgelagert? Gerade dort, wo wir nur wenig Aufschlüsse zu den Sedimenten haben, ist die Beantwortung einer solchen Frage oft schwierig. Dass Lumineszenz uns hierbei weiterhelfen könnte, war zunächst eine gewagte Idee, die uns aber nach und nach gar nicht mehr so abwegig erschien.

Ihr Vorhaben ist eines von nur 37 unter 645 eingereichten, die von der VolkswagenStiftung gefördert werden. Was denken Sie, was Ihr Projekt so besonders macht?

Mit Experiment! fördert die VolkswagenStiftung waghalsige Projekte. In der Tat können wir derzeit noch nicht sagen, wie gut die Erfolgsaussichten unserer Labor- und Feldexperimente sind. Aber falls es klappt, könnte unsere Methode dazu beitragen, den Transport von Sediment auf Zeitskalen von Jahren bis Jahrtausenden besser zu verstehen. So könnten wir eine Lücke zwischen verschiedenen geologischen Verfahren der Altersdatierung und der direkten Messung von Raten des Sedimentflusses schließen. Die richtige Balance zwischen Chancen und Risiken zu finden, das scheint für eine erfolgreiche Antragstellung bei Experiment! wichtig zu sein.

Wann werden wir mehr wissen?

Hoffentlich in einem Jahr.

Das Projekt

Das Projekt „Illuminating the speed of sand“ wird von der VolkswagenStiftung in der Förderinitiative Experiment!gefördert. Diese richtet sich an Forscherinnen und Forscher aus den Natur-, Ingenieur-, und Lebenswissenschaften, die eine radikal neue und riskante Forschungsidee austesten möchten. Sie erhalten die Möglichkeit, während einer auf bis zu 120.000 Euro und maximal 18 Monate begrenzten explorativen Phase erste Anhaltspunkte für die Tragfähigkeit ihres Konzeptes zu gewinnen. Weitere Informationen zur Initiative gibt es unter: www.volkswagenstiftung.de/experiment.

Kontakt:
Dr. Wolfgang Schwanghart
Instituts für Umweltwissenschaften und Geographie
Telefon: 0331 977-203175
Mail: W.Schwanghartgeo.uni-potsdamde