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In den Plattenschrank geblickt - Zwei Germanisten untersuchen deutsche Schlagertexte

Historisch: Schon früh ermöglichten Grammophone das Schlagerhören auch zu Hause. Foto: Holger Ellgard/wikimedia.org.
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Historisch: Schon früh ermöglichten Grammophone das Schlagerhören auch zu Hause. Foto: Holger Ellgard/wikimedia.org.

Hochkultur ist nicht alles: Diese Aussage sehen Vinzenz Hoppe und Mirco Limpinsel in einer Reihe von Schlagern verdichtet. So singt Udo Jürgens in „Griechischer Wein“ von Gastarbeitern, die in einem Wirtshaus die Sehnsucht nach der Heimat besingen – bei Speis und Trank, ganz ohne elitäre Attitüden. Symptomatisch könnte dieser Topos für den Schlager insgesamt stehen: Denn der muss sich seit jeher gegen die Hochkultur behaupten. 

„Es gibt eine topische Struktur, die die Geschichte des deutschen Schlagers durchzieht“, so die Germanisten. Bisher arbeiten sie mit einem Kanon von 160 Liedern. Einen Teil davon haben sie mit den Studierenden ihres Seminars „Topik des deutschen Schlagers“ nach wiederkehrenden Topoi durchsucht. Für Hoppe und Limpinsel sind das Aussagen, die sie in der erzählten Handlung eines Songs ausmachen: „Der Topos muss nicht explizit genannt sein, sondern ist im Hintergrund als Aussage präsent“, erklärt Limpinsel. 
„Wir sind noch mitten in der Sondierung“, sagt Hoppe. Sie wollen einen Korpus für solche festen Strukturen im Schlager erstellen. Auf einer Webseite soll ein entsprechender Katalog veröffentlicht werden: Zu jedem Topos sind dann die passenden Schlagersongs und -texte verlinkt. Zudem wollen sie eine Beschreibung und Kontextualisierung anbieten. Eine Publikation ist ebenfalls geplant, denn bisher gibt es kaum literaturwissenschaftliche Forschung zum Schlager.
Wie Schlagertexte entstehen, haben sich die Germanisten von einem erzählen lassen, der es wissen muss: Im April luden sie Tobias Reitz in ihr Seminar ein. Den Studierenden und auch einer eigens angereisten Berliner Schulklasse berichtete er aus dem Alltag eines Schlagertexters. Rund 600 Liedtexte hat Reitz verfasst, die von Interpreten wie Helene Fischer, Angelika Milster oder den Kastelruther Spatzen gesungen werden. „Wir waren sehr froh, den berühmtesten Schlagerdichter Deutschlands nach Potsdam holen zu können“, so Hoppe.
Klar wurde bei Reitz' Vortrag mindestens eines: Was den Schlager auszeichnet, ist seine feste Verankerung im Mainstream. Schließlich leitet sich der Begriff vom „Kassenschlager“ her, wodurch er ziemlich profan definiert ist: Was sich gut verkauft, ist ein guter Schlager. Er will das Publikum erreichen, mit Emotion, eingängigen Melodien und bekannten Themen. „Schlagermusik zeichnet sich nicht durch ihre Originalität aus“, sagt Limpinsel. Der Geniegedanke liegt ihr fern – hier ist der Sänger Interpret, das Schreiben überlässt er den Textern.
Für die beiden Germanisten gehört das Hören der Evergreens inzwischen zu ihrem Forschungsalltag. Besonders Internet-Musikdienste erleichtern ihnen die Arbeit. „Ohne Anbieter wie Spotify müssten wir gigantische Archive an Schallplatten durchforsten“, sagt Hoppe. Zudem wären diese an bestimmte Medien gebunden, die wie die „Hitparade“ bereits eine Auswahl an Liedern getroffen haben. „Online sind dagegen auch abwegige Schlager zugänglich.“ 
Außerhalb der Forschung sind die beiden Germanisten keine Schlagerfans. „Uns interessiert er als kulturelles Phänomen des 20. Jahrhunderts“, so Hoppe. Und dass sie dieses mithilfe der Topikmethode untersuchen, liegt auch daran, dass sich die Germanistik mit der Populärkultur bisher wenig befasst hat. Daher fehlen geeignete Mittel, popkulturelle Phänomene zu untersuchen. „Die herkömmlichen literaturwissenschaftlichen Methoden funktionieren für den Schlager nicht“, erklärt Limpinsel. Denn er habe nicht den Anspruch, autonomes Kunstwerk zu sein. Metaphern oder Versmaß zu untersuchen, macht daher wenig Sinn – zu einfach, zu gleichförmig sind diese nach den bestehenden wissenschaftlichen Kriterien.
Doch nicht nur in der Forschung, überhaupt genießt Schlagermusik kein hohes Ansehen. „Adorno als einer der bedeutendsten Intellektuellen der Nachkriegszeit hat das Verhältnis zum Schlager nachhaltig geprägt“, erklärt Hoppe. Die Kritische Theorie wandte sich gegen den Schlager wie den Jazz und sah darin den kapitalistischen Geist, der das Volk „verdummt“. Noch heute blicken viele abfällig auf die aufwendigen medialen Inszenierungen der Schlagerinterpreten im Fernsehen.
Allerdings gibt es zunehmend jüngere Fans. Die Germanisten sehen darin auch einen Generationenwechsel: „Während unsere Elterngeneration sich als Ausdruck ihrer Rebellion dem Rock verschrieben hat, schockieren die Jungen heute ihre Eltern mit Helene Fischer.“ 

Kontakt: 

Universität Potsdam
Institut für Germanistik, Lehrstuhl Kulturen der Aufklärung
Vinzenz Hoppe
Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam
Tel.: 0331/977-4915
E-Mail: vhoppeuni-potsdamde

Text: Jana Scholz
Online gestellt: Daniela Großmann
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde