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Je eher, desto besser – Linguisten erforschen in Zusammenarbeit mit klinischen Partnern frühe Indikatoren für Sprachentwicklungsstörungen

Vater und Baby lachen. Kind imitiert den Vater.
Photo :
athomass/fotolia.com

Der Wortschatz ist klein und nimmt nur langsam zu, Worte werden falsch ausgesprochen, grammatische Regeln nicht richtig angewandt – bei Kindern können diese und andere Symptome auf eine Sprachentwicklungsstörung (SES) hindeuten. Vor allem im Grund- und Vorschulalter macht sich eine SES bemerkbar. Doch es gibt Hinweise darauf, dass es bereits viel früher – in den ersten Lebensmonaten – messbare Indikatoren für eine SES gibt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des im vergangenen Oktober gestarteten EU-Netzwerkprojekts „PredictAble“ forschen an der Früherkennung und widmen sich der Frage, welche gemeinsamen Hürden auf dem Weg des Spracherwerbs in verschiedenen Sprachen existieren. Einer der beteiligten klinischen Partner ist das Zentrum für angewandte Psycho- und Patholinguistik Potsdam (ZAPP). In der Aktionswoche „Uni findet Stadt“ wird es sich der Öffentlichkeit präsentieren.

 

„Langzeitstudien zeigen, dass man im Grunde schon von Geburt an Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Sprachentwicklungsstörung feststellen kann“, erklärt Barbara Höhle, Professorin für Psycholinguistik und Leiterin von „PredictAble“. Und diese liegen in der Informationsverarbeitung sprachlicher Reize. Im Potsdamer Baby Lab wird seit 15 Jahren der Spracherwerb von Kindern erforscht. Mittlerweile wissen die Linguisten: Vier Monate alte Babys reagieren bereits auf Betonungsunterschiede in der Sprache. Wie die Babys diese frühen Sprachinformationen verarbeiten können, ist entscheidend für die sprachlichen Leistungen in einem viel späteren Alter. Allerdings gilt das nicht für alle Babys. Während für deutsche Babys die Betonungsinformation wichtig ist, ist sie es für französische Babys nicht. Für finnische Babys scheint dagegen die Tonlänge ein wichtiges Sprachmerkmal zu sein. In „PredictAble“ suchen die Forscher nun nach Indikatoren für eine SES, die sprachübergreifend gültig sind.

„Unsere Hypothese ist zunächst, dass das zugrundeliegende Problem bei allen Kindern gleich ist, egal welche Sprache sie lernen“, erklärt Barbara Höhle. „Das ist bislang aber wenig erforscht.“ Dies soll sich nun durch das Netzwerkprojekt, das als Marie-Skłodowska-Curie-Maßname von der EU finanziert wird, ändern. Theorie und Praxis gehen dabei Hand in Hand. Die europäischen Forscher der Universitäten Potsdam, Paris Descartes (Frankreich), Jyväskylä (Finnland) und Pompeu Fabra (Spanien) arbeiten eng mit Partnern aus dem klinischen Bereich und mit der NIRx Medizintechnik GmbH als Industriepartner zusammen. Insgesamt 15 Promotionsprojekte sollen innerhalb des Netzwerks realisiert werden, davon vier in Potsdam. Neben der gesprochenen Sprache widmen sich diese auch dem Schrifterwerb.

Das langfristige Ziel von „PredictAble“ ist es, Diagnostikinstrumente für ein sehr frühes Kindesalter zu entwickeln. Und das heißt in diesem Fall in den ersten beiden Lebensjahren. Denn: Je eher eine mögliche Sprachentwicklungsstörung erkannt wird, desto eher kann interveniert werden. „Das kann die Dauer der Sprachtherapie erheblich verkürzen, zumal auch die Eltern beraten werden und rechtzeitig entsprechend handeln können“, erklärt Astrid Fröhling, Leiterin des Zentrums für angewandte Psycho- und Patholinguistik Potsdam (ZAPP).

Die Logopädin betrachtet linguistische Fragestellungen vor allem von der praktischen Seite. Tagtäglich arbeitet sie mit Patienten, die unter Sprachstörungen leiden. Sie weiß aber auch, wie wichtig wissenschaftliche Grundlagenforschung ist: „Bevor wir Therapien entwickeln und etablieren können, benötigen wir dazu die entsprechenden Studien“, so Astrid Fröhling. „Wir müssen wissen, an welchen Stellen wir schrauben müssen.“ Das ZAPP, das bereits fester Kooperationsparter in der patholinguistischen Ausbildung von Studierenden der Uni ist, gehört zu den klinischen Partnern des Projekts, die letztlich auch den Transfer der wissenschaftlichen Ergebnisse in die Praxis gewährleisten sollen. Der Weg geht von der Forschung über die Diagnostik zur Therapie.

Die Zusammenarbeit ist für beide Seiten von Vorteil. Für die Wissenschaftler bieten klinische Partner wie das ZAPP – das Einverständnis der Therapeuten und Patienten vorausgesetzt – den Zugriff auf umfangreiche Datenbanken, die Einblicke in Krankheitsverläufe und Therapieerfolge gestatten. Denn hier werden Patienten mit eben jenen Störungen behandelt, für die sich die Linguisten interessieren. Umgekehrt haben die Therapeuten stets Zugang zu den neuesten Forschungserkenntnissen. Und damit zum Grundstein erfolgreicher Therapien.

Aktionswoche „Uni findet Stadt“
Uni findet Gesundheit
7. Juni 2016, 16-18 Uhr
Das Zentrum für angewandte Psycho- und Patholinguistik Potsdam (ZAPP) – Präsentation
Palais am Stadtkanal, Am Kanal 16-18, 14467 Potsdam, Seminarraum 0.22.2

 

Kontakt:

Universität Potsdam Zentrum für angewandte Psycho- und Patholinguistik, Astrid Fröhling Am Kanal 16-18
E-Mail: zapp-infopatholinguistikde

Text: Heike Kampe
Online gestellt: Daniela Großmann 
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde

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