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Das Geheimnis der lehrenden Profession – Physikdidaktiker untersuchen, was einen guten Unterricht ausmacht

Physikunterricht „lebt“ von experimentellem Lernen. Foto: Fotolia/Christian Schwier.
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Physikunterricht „lebt“ von experimentellem Lernen. Foto: Fotolia/Christian Schwier.

Gute Lehrer erkennt man an guten Schülern. Aber was macht sie dazu? Wieso gelingt es manchen Lehrern besser als anderen, ihren Schülern „auf die Sprünge“ zu helfen? „Wesentliche Voraussetzung von erfolgreichem Unterricht ist das Professionswissen der Lehrkräfte“, sagt Andreas Borowski, Professor für Didaktik der Physik. Auch wenn man sich unter Didaktikern darüber einig ist, dass man Lehren lernen kann, so ist bislang keineswegs vollständig geklärt, was ein Lehrer tatsächlich wissen und können muss. Mit Kollegen aus der Biologie- und Chemiedidaktik untersucht Borowski deshalb in einem groß angelegten Projekt, welchen Einfluss die Unterrichtsgestaltung auf die Motivation und den Lernzuwachs von Schülern hat, also darauf, ob und wie viel sie tatsächlich „mitnehmen“.

„Die Frage, was einen guten Lehrer ausmacht, treibt die Unterrichtsqualitätsforschung schon seit über 50 Jahren um“, so Borowski. Es genüge nicht, sein Fach zu beherrschen, man muss es auch vermitteln können. Und fähiger Pädagoge muss ein Lehrer ja ohnehin sein, wenn er die Schüler tatsächlich „erreichen“ will. Deshalb zählen neben dem reinen Fach- auch fachdidaktisches und pädagogisches Wissen zu den Kerndimensionen des Professionswissens. Doch wie ist die „ideale“ Mischung der drei? Wie muss ein Lehrer sein eigenes Fachwissen didaktisch aufbereiten und präsentieren, wie die Schüler in die Erschließung des Stoffes einbinden, um sie „kognitiv zu aktivieren“? Das scheint die „Zauberformel“ zu sein: Schüler dazu zu bringen, dass sie lernen wollen! Wenn sie sich verstehen ließe, könnte dies die Lehrerbildung entscheidend voranbringen.

Die Schwierigkeit besteht darin, die vielen Faktoren aus dem komplexen Zusammenspiel zwischen Lehrern und Schülern im Unterricht wissenschaftlich zu erfassen, analysieren und deuten zu können. Bisherige Projekte haben sich daher – wie die sogenannte COACTIV-Studie zum Professionswissen von Mathematik-Lehrern – oft darauf beschränkt, den Unterricht anhand seiner Grundlagen, der Aufgaben, und Ergebnisse, der Tests, zu rekonstruieren. Was sich im Klassenraum wirklich abspielte, blieb außen vor. Ob, auf welche Weise und mit welchem Erfolg Lehrer ihr Professionswissen tatsächlich „anwandten“, ebenfalls.

Das wollten Andreas Borowski und seine Mitstreiter im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt „Professionswissen von Lehrkräften in den Naturwissenschaften (ProwiN)“ ändern – und zwar nicht für ein, sondern gleich drei Fächer: Chemie, Biologie und Physik. Hintergrund ist, dass in verschiedenen Bundesländern, ein übergeordnetes Schulfach Naturwissenschaften geschaffen wurde oder noch eingeführt werden soll. „Kann ein Lehrer, der nur in einem dieser Fächer ausgebildet ist, die anderen ebenfalls unterrichten?“, fragt Borowski. Immerhin unterschieden sich etwa Biologie und Physik nicht nur inhaltlich, sondern auch in ihrer Vermittlung. So sei Physikunterricht weit stärker von Experimenten geprägt.

Die Ziele waren hoch gesteckt. Man wollte „Testverfahren entwickeln, um das Professionswissen von Lehrkräften in Naturwissenschaften zu operationalisieren und damit messbar zu machen“, so Borowski, und anschließend „die Testergebnisse mit dem Unterricht der Lehrkräfte und den Schülerleistungen in Beziehung zu setzen“. Daraus, so die Hoffnung, ließen sich dann „Vorhersagen über die Wirkung des Professionswissens“ ableiten.

Entsprechend komplex gestaltete sich auch der „Versuchsaufbau“: In den ersten drei Jahren des 2009 begonnenen Vorhabens entwickelten die drei Fachteams die unterschiedlichen Testinstrumente – jedes für das eigene Fach und in enger Zusammenarbeit mit einer vierten, pädagogischen Forschergruppe. Andreas Borowski, damals noch an der RWTH Aachen, erarbeitete zusammen mit Prof. Dr. Hans E. Fischer von der Universität Duisburg-Essen den Testkomplex zur Physik rund um die ersten beiden Unterrichtsstunden zur Einführung des Kraft-Begriffs. Alle Lehrer und Schüler in der gleichen Stunde und bei der Bearbeitung der gleichen Inhalte zu testen, zu beobachten und zu analysieren, machte eine Form der vergleichenden Bewertung überhaupt erst möglich.

Den ersten Schritt bildete je ein Test zum fachlichen, fachdidaktischen und pädagogischen Wissen der Lehrer. „Wir haben die Lehrkräfte insgesamt zwei Stunden lang befragt“, erklärt Borowski. „Fachlich sollten sie natürlich physikalische Phänomene erklären. Aber es ging nicht allein um Wissen, sondern auch um Kompetenz, vor allem didaktische. So haben wir auch danach gefragt, wie sie den Stoff didaktisch aufbereiten oder wie sie auf bestimmte Schüleräußerungen reagieren würden.“ Maßstab waren die derzeit in der wissenschaftlichen Community anerkannten Standards, die letztlich auch das Fundament der universitären Lehrerbildung darstellen. Lehrer für die Teilnahme an der Studie zu gewinnen, war nicht leicht, wie der Wissenschaftler einräumt. Dennoch haben sich letztlich 38 den Tests gestellt, hebt er durchaus stolz hervor.

Das Wissen der Schüler wiederum wurde in zwei Etappen und mithilfe von Tests erhoben – zu Beginn und am Ende der Unterrichtsreihe zur Mechanik, um den Lernzuwachs zu ermitteln. Herzstück der Untersuchung war allerdings die Analyse der Stunde selbst. „Wir haben ein eigenes Analyseinstrument entwickelt, mit dem wir vor allem zwei Dinge erfassen wollen: die kognitive Aktivierung der Schüler und die Sachstruktur des Unterrichts“, sagt Borowski. „Kognitive Aktivierung meint die Art, wie die Schüler angeregt werden mitzudenken. Werden sie an ihrem Wissensstand abgeholt, sodass sie ins Denken geraten? Die Sachstruktur hingegen betrifft die Gestaltung der Stunde: Gibt es inhaltliche Vernetzungen? Greift der Lehrer angesprochene Inhalte an passenden Stellen wieder auf?“ Dafür wurde das Geschehen mit gleich drei Kameras aufgezeichnet. Die erste filmte von vorn stets das gesamte Geschehen, die zweite folgte dem Lehrer auf Schritt und Tritt, während die dritte die Aktionen erfasste. Ergänzend wurden vier verschiedene Tonspuren aufgezeichnet. Beide, Ton und Bild, wurden später synchronisiert, in Zehn-Sekunden-Intervalle geschnitten und dann analysiert. Im Blick stünden aber auch weitere einflussreiche Details, der Gebrauch spezifischer Fachsprache etwa. So hätte eine Studie gezeigt, dass die Zahl der in Physik über die Sekundarstufe I neu eingeführten und benutzten Fremdwörter – mit Blick auf die Anzahl der unterrichteten Stunden – höher sei als die neuer Vokabeln im Fremdsprachenunterricht.

Während seine Forscherkollegen aus der Chemie in Regensburg und aus der Biologie in München noch mitten in der Datenerhebung stecken, können Borowski und Fischer inzwischen bereits erste Analysen durchführen. Deren Ergebnisse seien indes durchwachsen und alles andere als eindeutig, wie der Didaktiker einräumt. „Wir konnten zeigen, dass kognitive Aktivierung und Schülerleistung zusammenhängen. Wer also zum Mitdenken angeregt wird, lernt besser. Aber es hat sich für die Physik bislang keine Verbindung zwischen dem – angewandten – Fachwissen der Lehrer und dem Niveau der Schüler und ihrem Lernzuwachs gezeigt.“

Ein Fehlschlag also? Keineswegs. „Wir stehen noch ganz am Anfang und müssen unsere Ergebnisse noch viel genauer untersuchen, besser verstehen“, so Borowski. „Wir wollen das Material jetzt von vielen Seiten beleuchten, vor allem im Austausch mit den Pädagogen. Wir haben Daten für zehn Jahre Forschung und zwei bis drei Promotionen. Und dann soll es ja auch noch einen Vergleich zu den anderen Fächern geben.“

Der Wissenschaftler

Prof. Dr. Andreas Borowski studierte Physik sowie Physik und Mathematik auf Lehramt an der Universität Dortmund, wo er auch promovierte. Seit 2013 ist er Professor für Didaktik der Physik an der Universität Potsdam.

Kontakt

Universität Potsdam
Institut für Physik und Astronomie
Karl-Liebknecht-Str. 24–25
14476 Potsdam
E-Mail: beaungeruni-potsdamde

Das Projekt

Professionswissen von Lehrkräften in den Naturwissenschaften (ProwiN)
Beteiligt: Physik: Prof. Dr. Andreas Borowski (Universität Potsdam); Prof. Dr. Hans E. Fischer (Universität Duisburg-Essen); Chemie: Prof. Dr. Oliver Tepner (Universität Regensburg); Prof. Dr. Elke Sumfleth (Universität Duisburg-Essen); Biologie: Prof. Dr. Birgit Neuhaus (LMU-München); Pädagogik: Prof. Dr. Detlev Leutner (Universität Duisburg-Essen); Joachim Wirth (Ruhr-Universität Bochum)
Laufzeit: 2009–2015
Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde