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Ökosystem Mensch – Im menschlichen Darm leben unzählige Mikroorganismen – und beeinflussen die Gesundheit

Unter dem Mikroskop offenbaren die Bakterien, die im menschlichen Darm leben, ihre Struktur. Foto: Prof. Dr. Michael Blaut.
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Unter dem Mikroskop offenbaren die Bakterien, die im menschlichen Darm leben, ihre Struktur. Foto: Prof. Dr. Michael Blaut.

Sie sind auf der Haut, im Darm oder an den Zähnen – unser Körper ist dicht besiedelt von Mikroorganismen. Vor allem der Dickdarm ist ein wahres Paradies für Mikroben. Ein Gramm Darminhalt enthält hier etwa zehn Billionen Bakterien. Michael Blaut, Wissenschaftler am Deutschen Institut für Ernährungsforschung und Professor an der Universität Potsdam, untersucht, wie das sogenannte Mikrobiom des Verdauungstrakts unsere Gesundheit beeinflusst. Und welchen Einfluss umgekehrt unsere Ernährung auf die Darmbewohner hat.

Darmbakterien – dem Laien fällt zu diesem Stichwort zunächst wohl nichts Gutes ein. Doch die wenigsten Mikroben, die unseren Darm bevölkern, verursachen Krankheiten. Die überwiegende Mehrzahl von ihnen unterstützt eine wichtige Funktion unseres Körpers: die Verdauung. Die Mikroorganismen – neben Bakterien auch Viren und andere Einzeller – produzieren eine Vielzahl von Enzymen, die der menschliche Körper allein nicht bereitstellen kann. Ohne die Hilfe der Mikrobiota würden viele Bestandteile unserer Nahrung gar nicht erst aufgeschlossen und verfügbar gemacht. Doch die Wirkung des Darmmikrobioms beschränkt sich nicht auf die Verdauung und den Stoffwechsel. Die winzigen Organismen haben enormen Einfluss auf weitere Funktionen unseres Körpers. Allergien, Fettleibigkeit oder Darmkrebs – hinter diesen und anderen Erkrankungen vermuten Forscher neben weiteren Einflussfaktoren auch eine Beteiligung des Darmmikrobioms.

Prof. Dr. Michael Blaut leitet die Abteilung „Gastrointestinale Mikrobiologie“ am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) und beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem Mikrobiom im menschlichen Darm. „Jeder Mikrobiologe weiß: Welche Bakterien sich wo befinden, hängt von den Bedingungen ab“, erklärt der Wissenschaftler. Ob in den Ökosystemen in der freien Natur oder im menschlichen Darm – Mikroorganismen besetzen jene ökologischen Nischen, die ihnen optimale Wachstumsbedingungen bieten. Bisher wurden insgesamt mehrere Tausend Bakterienarten identifiziert, die im Verdauungstrakt des Menschen leben. Jeder von uns beherbergt mindestens 160 dieser Arten. Die Besiedelung beginnt mit der Geburt. Die genaue Zusammensetzung der Organismengemeinschaft variiert von Mensch zu Mensch erheblich. Welche Mikroorganismen im Darm vorkommen, entscheiden wir teilweise selbst: über unsere Ernährung. Denn das, was wir zu uns nehmen, steht den Organismen im Darm letztlich zum Leben zur Verfügung. Ist unsere Ernährung sehr fettreich, dominieren andere Bakterienarten, als es bei einer kohlenhydratreichen Kost der Fall ist. „Die wichtigste Nahrungsquelle für Bakterien sind die für uns unverdaulichen, fermentierbaren Kohlenhydrate“, erklärt Mikrobiologe Blaut. Und je abwechslungsreicher die Nahrungsmittel, desto besser sind die Voraussetzungen für eine diverse Bakteriengemeinschaft.

Dass der Einfluss der Darmbakterien auf den Wirtskörper weit über die Verdauung hinausgeht, zeigen Versuche mit keimfrei aufgezogenen Mäusen, die keinerlei Mikroorganismen auf der Haut oder im Darmtrakt besitzen: Diese sind extrem anfällig für Infektionen. Selbst mit banalen Infekten ist ihr Immunsystem überfordert. „Das Immunsystem ist zwar in allen seinen Komponenten vorhanden, aber es ist nicht voll entwickelt. Man weiß inzwischen“, so Michael Blaut, „dass der Kontakt mit Bakterien essenziell ist, damit das Immunsystem seine Funktionen erfüllen kann.“

Eine direkte Verbindung zwischen Immunsystem und Darmmikrobiom zeigt sich auch in den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Die Fallzahlen beider Erkrankungen steigen seit Jahren kontinuierlich. Die Betroffenen leiden unter Durchfall, Blutungen und Schmerzen. „Man weiß heute, dass es eine genetische Komponente für die Erkrankungen gibt, dass aber weitere Umweltfaktoren hinzukommen müssen, damit sie zum Ausbruch kommen“, erklärt Michael Blaut. Die genauen Ursachen sind jedoch noch unklar. Es gibt aber Hinweise da­rauf, dass das Mikrobiom auch hier beteiligt ist. Am DIfE erforscht Michael Blaut mit den Mitarbeitern seiner Arbeitsgruppe, welche Darmbakterien unter bestimmten Umständen Entzündungen im Darm verschlimmern können.

Dazu arbeiten die Wissenschaftler mit Mäusen, deren Mikrobiom sie gezielt beeinflussen. Insgesamt acht Arten von Bakterien sind im Darm dieser Tiere angesiedelt. Normalerweise sind Mäuse mit intaktem Mikrobiom gegen eine Infektion mit Salmonellen immun. Fehlt allerdings eine bestimmte Bakteriengruppe im Darm, reagieren auch Mäuse, die mit Salmonellen in Kontakt kommen, mit einer Entzündung. Die Wissenschaftler gingen noch einen Schritt weiter und gaben ein weiteres – normalerweise harmloses – Bakterium zu den mit Salmonellen infizierten Tieren. Dieses löste weitere Entzündungen im Darm aus. Offensichtlich beeinflusst die Zusammensetzung des Darmmikrobioms den Verlauf und den Schweregrad von Darminfektionen. „Warum das so ist, versuchen wir derzeit herauszufinden“, so Michael Blaut. Klar scheint bisher lediglich zu sein, dass sich durch ein gestörtes Darmmikrobiom die Barrierefunktion der Darmschleimhaut verändert. Überwinden dadurch unkontrolliert Substanzen die Darmschleimhaut, reagieren hochspezialisierte Zellen des Immunsystems mit Entzündungsreaktionen.

Den Forscher Michael Blaut faszinieren von jeher einzellige Organismen, die trotz ihrer Winzigkeit enorme Stoffwechselleistungen vollbringen. „Das Mikrobiom hat einen großen Einfluss auf unsere Physiologie und trotz der hochentwickelten Methoden, die uns heute zur Verfügung stehen, können wir viele der wirkenden Mechanismen noch nicht verstehen“, resümiert er. Ernährungsempfehlungen sieht der Wissenschaftler aus einer ganz besonderen Perspektive: „Sich vielseitig ernähren, ein breites Spektrum von Obst und Gemüse, viele Vollkornprodukte – das sind eben genau die Stoffe, die vielseitige Substrate für die Bakterien bieten.“

Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) 

Das Institut betreibt experimentelle und angewandte Forschung auf dem Gebiet der Ernährung und Gesundheit. Knapp 80 Wissenschaftler und 65 Doktoranden aus den Bereichen Ernährungswissenschaften, Biologie, Medizin und Chemie erforschen in den sieben Abteilungen vor allem molekulare Ursachen ernährungsbedingter Krankheiten und entwickeln neue Strategien, um diesen Erkrankungen vorzubeugen und sie zu therapieren. Auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse werden Ernährungsempfehlungen erarbeitet. Die Erforschung von Diabetes, Krebs, Bluthochdruck und Adipositas gehören zu den Schwerpunkten des DIfE.

Text: Heike Kampe
Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde

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