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Auf den Zahn gefühlt

Von bedrohten Schutzschichten, rutschigen Polymeren und einem Schmelz, der sich selbst repariert

Foto: Karla Fritze
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Foto: Karla Fritze

Süßes und Saures – jeder weiß es – tun dem Zahn nicht gut. Ein kurzes Bad in wässriger Zitronensäure reicht aus, um seinen harten Schmelz anzugreifen. Der Blick durchs Mikroskop zeigt das Bild der Zerstörung: Nach nur 30 Sekunden sind erste Spuren erkennbar, Minuten später bilden sich Furchen. Keine halbe Stunde vergeht und es ist so viel Kalziumphosphat herausgelöst, dass die eben noch blanke Zahnoberfläche einer miniaturisierten Kraterlandschaft gleicht. Darin haben nun Kariesbakterien leichtes Spiel. Sie können sich einnisten und das zerstörerische Werk fortsetzen. Mit den bekannten, zuweilen schmerzhaften, immer jedoch irreversiblen Folgen.

„Zahn ist eben kein Knochen“, sagt Andreas Taubert und hebt die Hände: „Geht hier was kaputt, wächst nichts mehr nach.“ Umso mehr sieht er sich als Chemiker herausgefordert. Taubert ist Professor für Supramolekulare Chemie und Anorganische Hybridmaterialien und untersucht seit knapp zehn Jahren, wie sich anorganische Minerale kontrolliert herstellen lassen. Mit seiner Arbeitsgruppe sucht er nach chemischen Lösungen, den Zahnschmelz besser zu schützen und bei Schädigungen minimalinvasiv zu reparieren. Das heißt, ohne Bohrer und Füllmaterial.

Wird es künftig vielleicht möglich sein, die Oberfläche eines Zahnes so zu gestalten, dass neues Kalziumphosphat aus dem Speichel abgeschieden werden kann und sich der Zahn quasi selbst repariert? Auch wenn Taubert langwierige Grundlagenforschung betreibt, so sieht er hier doch ein konkret anwendbares Ziel: einen Zusatz in Zahnpasta oder Mundspülung etwa, der dem Entzug von Kalziumphosphat aus dem Zahnschmelz entgegenwirkt und einen Prozess der Remineralisierung in Gang setzt. Bis dahin aber, schätzt der Wissenschaftler realistisch ein, vergehen noch fünf bis zehn Jahre.

Zunächst muss herausgefunden werden, was genau auf der Zahnoberfläche passiert. Taubert ist kein Mediziner, aber er steht in engem Kontakt mit der Zahnklinik der Universität Bern, die ihm auch die mikroskopischen Bilder vom Säureangriff auf den Zahnschmelz lieferte. Von dort bezieht er die medizinischen Fragestellungen und das biologische Hintergrundwissen: „Auf dem Zahn bildet sich schon kurz nach dem Putzen ein dünner Film aus Proteinen des Speichels, die sogenannte Pellikel. Sie verhindert den Abrieb beim Kauen und schützt den Schmelz vor dem gefährlichen Säureangriff“, erklärt der Chemiker und benennt sogleich das entscheidende Problem: „Werden die Zähne nicht regelmäßig geputzt, bietet der schützende Film den perfekten Nährboden für verschiedenste Bakterien – die Grundlage von Zahnbelag.“

Genauere Untersuchungen der Pellikel haben gezeigt, dass sich zunächst eine erste Generation von Bakterien ansiedelt und sich danach die schädlichen Kariesbakterien festsetzen. Um die Gefahr im Keim zu ersticken, versucht Tauberts Arbeitsgruppe nun Polymere herzustellen, die mit dem Schutzfilm interagieren und so dafür sorgen sollen, dass sich schon die erste Bakteriengeneration nicht einnisten kann.

Bislang haben die Forscher mit zwei verschiedenen Arten von Polymeren experimentiert und deren Wechselwirkung mit der Pellikel untersucht. Doktorand Tobias Mai testete Polyethylenglykol, ein bekanntes Industriepolymer, an dem sich Bakterien nicht gut „festhalten“ können. Er wies nach, dass sich der rutschige Effekt des Polymers im natürlichen Schutzfilm des Zahns sogar noch verstärkt. „Es scheint da Synergien zu geben“, vermutet Taubert. „Das ist ein guter Anfang. Aber jetzt interessiert uns natürlich, wie diese Wirkung zustande kommt.“

Jede Antwort wirft zehn neue Fragen auf. „Ich weiß, ich bin manchmal ungeduldig“, lacht Taubert und erzählt, wie er als junger Wissenschaftler lernen musste, sich von der Vorstellung zu lösen, dass in der Forschung etwas schnell vorangeht. Seinen mitreißenden Wissensdrang aber hat er dabei nicht verloren. Mehr als zehn junge Nachwuchsforscher arbeiten in seinem Team. Wie Tobias Mai haben sich inzwischen einige am Zahnthema „festgebissen“. Sie schätzen die offene, unkomplizierte Atmosphäre, in der jedes unerwartete Ergebnis zur Fundgrube neuer Ideen wird. „Auch wenn die gedachte Strategie nicht aufgeht, kann man daraus lernen. Im Grunde kann überhaupt nichts schiefgehen“, so Tobias Mai.

Taubert ermuntert die Jungen, am Thema dranzubleiben, Hindernisse zu überwinden und sich von gescheiterten Versuchen nicht frustrieren zu lassen. Gerade bei der Kristallisation der Kalziumphosphate, die auf der beschädigten Oberfläche des Zahns wachsen und ihn so reparieren sollen, gibt es noch viele Unwägbarkeiten. Nur zwei von über 20 bekannten Kalziumphosphaten scheinen überhaupt dafür geeignet: Hydroxylapatit und Fluorapatit. Die Wissenschaftler experimentierten zunächst mit einer Goldoberfläche, auf der sie eine bürstenartige Polymerschicht wachsen ließen. Ein geeigneter „Boden“ für die Kristallisation des Kalziumphosphats, wie sich herausstellte. „Solche Modellsysteme helfen, den äußerst komplexen Prozess der Mineralisation besser zu verstehen“, sagt Taubert. Noch wissen die Forscher nicht, wie die Polymerschicht mit der Zahnoberfläche oder dem Speichel reagiert. Unklar ist auch, wie das Kalziumphosphat im Mund den richtigen, den wunden Punkt finden soll. „Wenn es an der falschen Stelle mineralisiert, entsteht Zahnstein“, erklärt Taubert den unerwünschten Effekt und hebt die Schultern.

Die Vielzahl offener Fragen bringt den Chemiker aber keineswegs aus dem Konzept. Er sieht sich an der Schnittstelle von Grundlagen- und angewandter Forschung. Konkrete technologische Probleme, wie sie aus der Medizintechnik an ihn herangetragen werden, beflügeln ihn ebenso wie die von der Natur inspirierte Biomimetik. Erst wenn verstanden ist, wie der Körper aus Mineralkristallen und organischen Makromolekülen Knochen und Zähne herstellt, können ähnliche Verbundmaterialien künstlich „nachgebaut“ werden. Der Bedarf danach, so Taubert, steigt.

Das Projekt

Hybridmaterialien auf der Basis synthetischer Polymere und Kalziumphosphat
www.chem.uni-potsdam.de/atb/index.htm

Der Wissenschaftler

Prof. Dr. Andreas Taubert studierte Chemie in Basel. Er promovierte 2000 in Mainz zum Thema „Polymerkontrollierte Mineralisation von Zinkoxid“. 2006 wurde er Juniorprofessor an der Universität Potsdam und am Max-Planck-Institut für kolloid- und Grenzflächenforschung. Seit 2011 hat er die Professur für Supramolekulare Chemie und anorganische Hybridmaterialien inne.

Kontakt

Universität Potsdam
Institut für Chemie
Karl-Liebknecht-Straße 24–25
14476 Potsdam
E-Mail: ataubertuni-potsdamde

Text: Antje Horn-Conrad, Bearbeitung: Julia Schwaibold