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11. Potsdamer MenschenRechtsTag: "Werteorientierte Außenpolitik"

Der 11. Potsdamer MenschenRechtsTag fand am 5. Dezember 2023 zum Thema „Werteorientierte Außenpolitik“ statt. Die Veranstaltung wurde moderiert vom geschäftsführenden Direktor des MRZ, Prof. Dr. Andreas Zimmermann. Es diskutierten Jürgen Trittin, Bundesminister a.D. und MdB, und der Generaklsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights e.V., Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck. Trittin ist außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen; Kaleck vertritt weltweit Opfer von Menschenrechtsverletzungen vor Gericht.

Jürgen Trittin begann seine Ausführungen mit dem Hinweis auf die Realitäten der Weltpolitik, die von der deutschen und europäischen Öffentlichkeit zu akzeptieren seien und die Außenpolitik prägen müssten. Dies führe zu drei Schritten, die zu unternehmen seien und die er nachfolgend ausbuchstabieren wolle:

  • Die deutsche Außenpolitik muss sich ehrlich machen.
  • Die deutsche Politik insgesamt muss eine falsche Vorstellung vom Westen aufgeben.
  • Die multilaterale Ordnung muss neu gedacht werden.

Dazu gehöre unter anderem, sich zu den eigenen Interessen zu bekennen und genau zu untersuchen, ob und mit welchen Werten es bei deren Verfolgung zu Konflikten kommen könne.

Der Westen solle von Deutschland als „normatives Projekt“ (Heinrich August Winkler) verstanden werden und demzufolge auch Staaten wie Brasilien, Südafrika und - mit Vorbehalten - Indien einschließen. Es gelte, Abschied zu nehmen von einer Real- und Machtpolitik in Stile des verstorbenen Henry Kissinger. Nur dann könne man sich als bessere Alternative gegenüber Russland und China darstellen, die beide ihre jeweiligen Nachbarstaaten bedrohen und eine Dekolonisierung Afrikas betreiben.

Trittin plädierte im Anschluss an Bernie Sanders dafür, den inneren Verhältnissen von Gesellschaften mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Sowohl im Hinblick auf Russland (Bedeutung machtpolitischer Erfolge für das Gewaltregime Putins) als auch auf China (Abkehr von bisherigen Herrschaftsprinzipien und außenpolitischer Friedfertigkeit) habe deren Verkennung zu fundamentalen Fehleinschätzungen der außenpolitischen Entwicklungen geführt. Die Aggressionsdynamik von Gesellschaften impliziere eine Bedrohung von Nachbarstaaten; dies müsse eine werteorientierte Außenpolitik erkennen.

In der erstmals vorgelegten Sicherheitsstrategie der Bundesregierung sei dies endlich erkennbar. Trittin verwies darauf, dass Sicherheit robust, nachhaltig und menschenrechtsorientiert sein müsse.

Schließlich solle eine kluge Bündnispolitik sich auf Staaten mit ähnlichen Interessen fokussieren. Kritik übte Trittin an Frankreich, das in seiner Außenpolitik oft den Reflexen einer früheren Kolonialmacht folge und damit die europäische Außenpolitik gerade in Afrika insgesamt diskreditiere.

Es komme darauf an, keine einseitigen Standards setzen zu wollen, sondern international gültige Standards durchzusetzen; dies betreffe sowohl das Klima als auch ILO-Normen. Abschließend forderte er eine Stärkung globaler Governance; hierfür sah er die G20 als geeignetes Forum.

Wolfgang Kaleck begann seine Entgegnung mit dem Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und deren 75. Jubiläum. Aus seiner Sicht bestehe ebensowenig Anlass zu feiern wie für eine Verfallserzählung, weil große Teile der Welt auf 75 schlechte Jahre zurückblicken. Hierfür trügen die USA, die UdSSR – heute Russland - das Vereinigte Königreich, Frankreich und andere europäische Kolonialmächte Verantwortung. Er erinnerte an die Verbrechen in Algerien, in Indochina und im Iran.

Vor diesem Hintergrund sei klar, dass die bisherige Global Governance nicht werteorientiert war, sondern den geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der großen Akteure diente. Es überrasche ihn auch nicht, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Recht nicht erwähnt worden seien.

Kaleck wandte sich dem Beispiel Argentinien zu; hier könne man aktuell eine Spätfolge der vom Westen gestützten Militärdiktatur beobachten. Gewalt und Verschuldung, die damals etabliert und akzeptiert wurden, verhindern bis heute die Entwicklung des einstmals reichen Landes.

Kaleck gab zu bedenken, dass unsere Eigenwahrnehmung von den Ländern und Gesellschaften des Globalen Südens nicht geteilt werde. Die Welt wisse, dass wir wertemäßig nackt seien, auch wenn es Unterschiede zu den USA gebe. Er zählte einige Missstände und Krisen auf, an denen der Westen Mitverantwortung trage. So sprächen alle ganz offen von der Impfstoffapartheid während der Pandemie, die in krassem Gegensatz zum wohlfeilen Reden von Solidarität als drastische Zurücksetzung empfunden worden sei. China und Russland haben geliefert und sich so als verlässlicher Partner gezeigt. Dies überdecke vielerorts leider den von diesen Staaten ausgehenden neuen Kolonialismus.

Hoch problematisch sei der deutsche Umgang mit dem Völkermord an den Nama und Herero. Dabei sei vielen Akteuren viele Fakten gar nicht bewusst. So sei es mindestens wenig sensibel, Shark Island (einen Tatort von Völkermord und Zwangsarbeit) für das Kooperationsprojekt Wasserstoff zu wählen.

Generell gefährde die nach dem Ausfall Russlands und Chinas hektisch betriebene Rohstoffbeschaffung indigene Völker weltweit.

Er bekräftigte, dass der Eindruck vor Ort von diesen Erfahrungen bestimmt werde, die hierzulande nicht oder kaum diskutiert würden. Dazu ließen sich viele Beispiele finden, etwa die als einseitig empfundene Kritik an Russland, aber nicht an den USA oder am Vereinigten Königreich, oder die Selektivität des Internationalen Strafgerichtshofs. Seinem Eindruck nach verlieren Völkerrecht und internationale Institutionen im Globalen Süden deswegen ständig an Legitimität.

Für eine echte werteorientierte Außenpolitik seien daher grundlegende Neuorientierungen notwendig, die er bislang leider nicht erkennen könne.

Es schloss sich eine angeregte Diskussion an.

Das Plakat zu der Veranstaltung finden Sie hier. Über die Veranstaltung wurde u.a. auf der Webseite von Jürgen Trittin berichtet.