Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 8. Juni 2010

Inhalt

Teil 1 | Teil 2

Friederike Brinkmeier:

Bericht über die Arbeit des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen im Jahre 2000 - Teil II

Inhaltsübersicht

a) Zulässigkeit und Verfahrensfragen

b) Materielle Aussagen des Menschenrechtsausschusses

2. Allgemeine Bemerkungen

3. Sonstige Erörterungen

4. Verbesserung des Staatenberichtsverfahrens

Zitierhinweis: die Fußnoten sind im Vergleich zum Hefttext immer um eine Ziffer nach vorne verschoben (z.B.: Fn. 35 im Heft ist hier Fn. 34) 

Die Prüfung von Mitteilungen, im folgenden als Individualbeschwerden bezeichnet, ist neben dem Staatenberichtsverfahren die zweite wichtige Säule, um die Einhaltung der Verpflichtungen der Vertragsstaaten aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte1 (Pakt) zu überwachen. Das Individualbeschwerdeverfahren ist in einem dem Pakt beigefügten Fakultativprotokoll2 verankert. Wie bereits der Name sagt, sind nur diejenigen Vertragsstaaten dem Individualbeschwerdeverfahren unterworfen, welche sich ihm freiwillig unterworfen haben3  

Danach hat der Ausschuß die Zuständigkeit, Mitteilungen einzelner Personen entgegenzunehmen und zu prüfen, ob ihre Behauptungen eine Verletzung der im Pakt gewährleisteten Rechte durch einen Vertragsstaat darstellen.

Seit Inkrafttreten des Fakultativprotokolls und der Aufnahme der Tätigkeit des Ausschusses im Jahre 1977 hat er bis zum Ende des Jahres 2000 mehr als 340 Begründetheitsentscheidungen gefällt4

Im Jahre 2000 fällte der Ausschuß insgesamt 35 Entscheidungen im Individualbeschwerdeverfahren. In der ersten der drei Sessionen befaßte er sich mit 11, in der zweiten mit zehn und in der dritten mit 14 Beschwerden.

Die meisten Beschwerden waren gegen Kanada (6), Frankreich (5) und Neuseeland (4) gerichtet. Im Jahr 2000 wurde damit der traurige Spitzenreiter des vergangenen Jahres, Jamaika, auf den vierten Platz verwiesen (3). Der Grund für die rückläufigen Verfahrenszahlen in Jamaika ist jedoch nicht eine verbesserte Menschenrechtssituation, sondern die Kündigung des Fakultativprotokolls durch Jamaika am 23. Januar 1998. Der Ausschuß besitzt also nur noch die Zuständigkeit für die Entscheidung über Beschwerden, die vor dem Wirksamwerden der Kündigung erhoben worden sind.

Der Ausschuß nimmt bei allen eingereichten Mitteilung gesondert zu Fragen der Zulässigkeit und Anwendbarkeit des Paktes Stellung. Wenn die Entscheidungen hierüber separat von der Begründetheit ergehen, so werden sie als Decisions bezeichnet. In einer der folgenden Sitzungen prüft der Ausschuß dann separat die Begründetheit.5 Oft werden die Zulässigkeit und die Begründetheit aber gleich zusammen behandelt. Wird eine Beschwerde als unzulässig abgewiesen, so ist die Prüfung durch den Ausschuß endgültig abgeschlossen

Die Entscheidungen über die Begründetheit ergehen in der Form von Views.6 Diese die Prüfung einer Individualbeschwerde abschließende Entscheidungen sind in ähnlicher Form wie ein Gerichtsurteil verfaßt. In voller Länge und mit Angabe der Identität von Einzelpersonen und des beklagten Vertragsstaates werden die Entscheidungen im Jahresbericht des Ausschusses veröffentlicht.

Zwar sind die Entscheidungen des Ausschusses über Individualbeschwerden rechtlich nicht bindend; sie sind dennoch weder rechtlich bedeutungslos noch wirkungslos. Die Autorität des Ausschusses und die Sorge um das Ansehen in der Staatengemeinschaft veranlassen die beklagten Staaten, sich in vielen Fällen einer Entscheidung zu unterwerfen.7

Ferner sind die Entscheidungen des Ausschusses neben den von ihm verabschiedeten General Comments wichtige Quellen für die Auslegung und Anwendung des Paktes. Den Entscheidungen können auch allgemeine Hinweise für die Staaten im Staatenberichtsverfahren entnommen werden. Einzelpersonen können schließlich daraus Schlüsse auf die Erfolgsaussichten von Beschwerden ziehen.

Im folgenden werden einzelne Entscheidungen, die neue Entwicklungen in der Rechtsprechung des Ausschusses aufweisen, in Auszügen wiedergegeben:

2.

1. Zulässigkeitsprüfung von Individualbeschwerden 

 


Der Ausschuß prüfte insgesamt 15 Individualbeschwerden auf ihre Zulässigkeit. Nur eine davon erklärte er für zulässig, die übrigen für unzulässig

Der Ausschuß hat eine gegen Australien gerichteten Beschwerde für unzulässig erklärt, weil der den Beschwerdeführer vor dem Ausschuß vertretende Rechtsanwalt keine Unterlagen beibringen konnte, aus denen sich seine Bevollmächtigung durch den Beschwerdeführer ergab. Es konnte noch nicht einmal festgestellt werden, ob er mit dem vermeintlichen Mandanten nach dessen Abschiebung aus Australien überhaupt noch in Kontakt stand.8  

Eine weitere Beschwerde gegen die Niederlande erklärt der Ausschuß gemäß Art. 2 und Art. 5 Abs. 2 b FP für unzulässig. Hier betont er den allgemeinen Grundsatz, daß Beschwerden nur aufgrund des schriftlichen Vortrages geprüft werden könnten. Der Beschwerdeführer hatte seine Beschwerde mit einem völlig unsubstantiierten Vortrag ausschließlich auf Art. 10 Pakt gestützt. Weil ein Tatsachenvortrag zu einer möglichen Verletzung von Art. 9 Pakt fehlte, konnte auch der Ausschuß zu entsprechenden Rechtsfragen keine Feststellungen treffen. Damit war die Beschwerde insgesamt unzulässig.9 

Eine Beschwerde gegen die Tschechische Republik wurde wegen nach Art. 5 Abs. 2 b) FP wegen Nichterschöpfung innerstaatlicher Rechtsmittel für unzulässig erklärt. Der Beschwerdeführer hatte die Paktwidrigkeit der Konfiskationen nach dem sogenannten Beneš-Dekret Nr. 108/1945 gerügt, allerdings vor dem Verfassungsgericht eine mangelhafte Beschwerde eingelegt. Diesem Mangel hatte er trotz gerichtlicher Aufforderung nicht abgeholfen.10

Eine weitere gegen Deutschland gerichtete Beschwerde wurde im wesentlichen aufgrund des durch Deutschland angebrachten Vorbehaltes zum FP für unzulässig erklärt. Der Ausschuß stellte insoweit fest, daß ein Teil der Beschwerde bereits Gegenstand der Untersuchung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte war. Im übrigen wurde die Beschwerde wegen fehlender Prozeßführungsbefugnis des Vaters als unzulässig abgewiesen.11  

Der Ausschuß hat nur eine Beschwerde gegen Kolumbien für zulässig erklärt.

Diese Beschwerde ist vor dem Hintergund des seit Jahren herrschenden Bürgerkrieg im Land zu sehen. Immer wieder werden ganze Dörfer in Eingeborenengebieten von Paramilitärs überfallen. Weder die Polizei noch das Militär bieten ausreichenden Schutz hiergegen, sie bleiben zumeist untätig oder greifen zu spät ein. Die Lösung dieser auch mit wirtschaftlichen Interessen verquickten Situation stellt die größte politische Herausforderung der verschiedenen demokratischen Akteure in Kolumbien dar.

Die Beschwerdeführer legten die Beschwerde im Namen ihrer verstorbenen Familienangehörigen ein, die Opfer eines solchen Überfalles geworden sind. Sie tragen vor, daß während einer Militäroperation im Jahre 1993 durch ein Anti-Guerrilla Bataillon in einem von Eingeborenen bewohnten Tal die Häuser besetzt und deren Bewohner zum großen Teil gefoltert, vertrieben oder aber willkürlich verhaftet wurden. Insgesamt sind drei Familienmitglieder der Beschwerdeführer vermutlich durch Paramilitärs getötet worden. Die Beschwerdeführer sind Angehörige der Opfer dieser gewaltsamen Aktion. Innerstaatliche Rechtsbehelfe der Familien und Untersuchungsverfahren blieben ohne Erfolg. Vor dem Ausschuß rügen sie nun die Verletzung der Art. 2 Abs. 3, Art. 6, Art. 7, Art. 9, und Art. 17 des Paktes durch den kolumbianischen Staat. Sie berufen sich insbesondere darauf, daß er die ihm obliegende Pflicht verletzt habe, die auf seinem Hoheitsgebiet wohnhaften Personen zu schützen und ihnen den effektiven Genuß der Paktrechte effektiv zu gewährleisten.12

Der Ausschuß forderte Kolumbien in seiner Zulässigkeitsentscheidung nach Art. 4 Abs. 2 FP auf, innerhalb von 6 Monaten eine schriftliche Stellungnahme zu den Vorwürfen abzugeben.

 

 

3.

2. Materielle Prüfung der Individualbeschwerden

Der Ausschuß prüfte insgesamt 20 Individualbeschwerden auf ihre Begründetheit. Sie warfen zum Teil neue Fragen auf. Eine Auswahl der interessanten Entscheidungen soll im folgenden dargestellt werden.


Recht auf Leben (Art. 6 Abs. 1 Pakt)

Der Pakt enthält kein Verbot der Todesstrafe, wie im Umkehrschluß aus Art. 6 Abs. 2 zu entnehmen ist, der einige Mindestvoraussetzungen für die Verhängung der Todesstrafe aufstellt. Ferner verbietet Art. 6 Abs. 1 Satz 2 eine willkürliche Beraubung des Lebens.

Der Ausschuß stellte fest, daß eine nationale Vorschrift, die die zwingende Todesstrafe für Mord vorsieht, einen entsprechenden willkürlichen Entzug des Lebens darstellt und gegen Art. 6 Abs. 1 Pakt verstößt. Es besteht keine Möglichkeit, auf die Umstände des Einzelfalls und die Schwere der Schuld des Täters abzustellen.13  


Folterverbot (Art. 7Pakt)

In drei gegen Jamaika erhobenen Beschwerden stellte der Ausschuß einen Verstoß gegen das Verbot der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe fest. In einem Fall rügte der Ausschuß die gewalttätigen
Übergriffe einiger Gefängniswächter auf den inhaftierten Beschwerdeführer, die ihm schwere Verletzungen zugefügt hatten
.14 Zwei dieser erfolgreichen Beschwerden wurden durch Todeszellenkandidaten gegen Jamaika eingelegt.15 Die Beschwerdeführer hatten jeweils acht und fünf Jahre in der Todeszelle verbracht.

Der Ausschuß stellte in Übereinstimmung mit seiner gefestigten Rechtsprechung noch einmal klar, daß die Todesstrafe und auch der lange Aufenthalt in der Todeszelle nicht per se gegen den Pakt verstößt. In seiner Begründung wiederholt der Ausschuß seine Auffassung, daß der bloße Zeitablauf keine grausame Behandlung begründen könne, sondern zusätzliche Voraussetzungen im Einzelfall hinzutreten müssen.16 . Wenn nämlich bereits die lange Zeitdauer als grausame Behandlung nach dem Pakt beurteilt würde, könnten die Vertragsstaaten dazu motiviert werden, schnell zu exekutieren. Diese Folge ist aber mit dem Ziel des Paktes nicht vereinbar, die Todesstrafe einzuschränken (Art. 6 Abs. 2 Pakt).

In beiden Fällen stellte der langjährige Aufenthalt in einer Todeszelle unter Berücksichtigung der menschenunwürdigen Bedingungen, die die Beschwerdeführer in Einzelfall präzise und unwidersprochen vorgetragen hatten, eine Verletzung von Art. 7 Pakt dar.

Viele Ausschußmitglieder bedauern jedoch, daß bisher eine präzise Formulierung der relevanten Voraussetzungen unterblieben ist.17  


Verfahrensrechte (Art. 9 Pakt)

In dem Fall Carlos Dias gegen Angola bestätigte der Ausschuß seine bisherige Rechtsprechung zum Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Pakt). Er betonte, daß der Anspruch des einzelnen auch außerhalb des Zusammenhanges mit strafrechtlichem Freiheitsentzug Anwendung findet. Eine andere Auslegung würde Staaten eine Beschränkung der persönlichen Freiheit und Sicherheit von nicht-inhaftierten Personen ermöglichen, was nach dem Pakt nicht gewollt ist.

Der Beschwerde liegt ein politischer Mord zugrunde, den der Beschwerdeführer aufzuklären versuchte. Als die angolanische Polizei und Justiz untätig blieb, er selbst immer stärkeren Repressionen und Drohungen ausgesetzt war, flüchtete er nach Brasilien. Aufgrund fortgesetzter Drohungen ist ihm die Rückkehr in sein Land verwehrt18

Im Zusammenhang mit Auslegung und Anwendung von Art. 9 Abs. 3 Pakt bestätigte der Ausschuß seine Rechtssprechung, daß eine Zeitdauer von 4 Tagen nach der Verhaftung bis zur ersten richterlichen Vorführung paktwidrig ist. Insoweit muss ein Staat zumindest Angaben zu den Umständen machen, die eine solche Verzögerung rechtfertigen können.19  

Nach Art. 9 Abs. 5 zieht die Verletzung von Art. 9 einen Anspruch auf Entschädigung nach sich. Der Ausschuß enthielt sich im Fall Freemantle in seinen Feststellungen jedoch eines entsprechenden Ausspruches, was von einem Ausschußmitglied in einer Individual Opinion gerügt wurde.20 .


Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 19 Abs. 2, 3 Pakt)

Der Ausschuß verurteilte ferner die Beschlagnahmung einer Broschüre, in der die "bolschewistische" Regierung in Weißrußland kritisiert wurde. Die Regierung verwies in ihrer Stellungnahme pauschal darauf, daß die nach dem Pressegesetz erforderlichen Formalitäten wie Index- und Registrierungsnummern bei den zuständigen Behörden nicht eingeholt worden seien. Das Blatt hatte eine Auflage von 200 Exemplaren und wurde von auch von dem Beschwerdeführer als Mitglied der Opposition herausgegeben. Nach Auffassung des Ausschusses kann jedoch durch eine rein formelle Bezugnahme auf Gesetzesrecht nicht die Bestimmtheit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer Beschränkung der Informationsfreiheit und Beschlagnahme im Einzelfall dargelegt werden21 


Diskriminierungsverbot (Art. 26 Pakt)

In einem interessanten Fall gegen Namibia stellte der Ausschuß eine verbotene Diskriminierung aufgrund der Sprache fest. Behördenangehörige wurden in einer internen Weisung angewiesen, in allen öffentlichen Bereichen, sei es in der Verwaltung, Justiz oder im Erziehungswesen, im schriftlichen oder mündlichen Behördenverkehr keine andere Sprache als Englisch zu benutzen, selbst wenn sie persönlich dazu in der Lage sind. Auf Eingaben in Afrikaans war danach überhaupt nicht einzugehen. Mit dieser Maßnahme soll diese Sprache gezielt aus dem Alltag zurückgedrängt werden, um Englisch als offizielle Landessprache zu stärken. Afrikaans sprechenden Bürgern wird es damit faktisch unmöglich gemacht, mit staatlichen Stellen in ihrer Muttersprache zu kommunizieren. Diese beabsichtigte und gezielte Ungleichbehandlung von Afrikaans, nicht aber anderer Sprachen, ist mit Art. 26 Pakt unvereinbar. Einige Ausschußmitglieder sahen hierin auch eine Verletzung des Rechts auf Informationsfreiheit (Art. 19 Abs. 2 Pakt).22  

Die Entscheidung ist nur mit knapper Mehrheit ergangen. Insgesamt sieben Ausschußmitglieder waren in ihren Sondervoten aus sehr unterschiedlichen Gründen der Auffassung, daß keine verbotene Diskriminierung vorliege.23  

Keine verbotene rassische Diskriminierung stellte der Ausschuß in seiner Entscheidung in einem gegen Neuseeland gerichteten Fall fest.24

Gegenstand der Beschwerde war ein neuseeländisches Gesetz aus dem Jahre 1982, das einer Gruppe von ca. 100.000 Westsamoanern, die zwischen 1924 und 1949 in Westsamoa geboren waren und keine enge und effektive Beziehung zum neuseeländischen Staat besaßen, die neuseeländische Staatsangehörigkeit aberkannt hatte. Mit dieser Maßnahme sollte eine Anomalie des neuseeländischen Staatsbürgerschaftsrechts beseitigt werden, wonach diese Personengruppe unbeabsichtigt – und bis zu einem höchstrichterlichen Urteil aus dem Jahre 1982 auch unbemerkt – die neuseeländische Staatsbürgerschaft erworben hatte.

Die Beschwerdeführer westsamoanischer Staatsangehörigkeit hielten das Gesetz von 1982 für offensichtlich rassenfeindlich, da es sich ausschließlich und gezielt gegen Samoaner richte. Sie argumentierten, daß dies rassendiskriminierend im Sinne von Art. 26 Pakt sei und einen offenkundigen Verstoß gegen eine entsprechende völkerrechtliche Norm des ius cogens darstelle.

Der Ausschuß stellte fest, daß das angefochtene Gesetz ausschließlich für nicht in Neuseeland ansässige Westsamoaner Geltung beanspruche.

Unstreitig waren auch die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Inkrafttreten des Gesetzes weder in Neuseeland wohnhaft, noch besaßen sie irgendwelche Verbindungen zu dem Staat: Sie hatten sich nie um einen neuseeländischen Paß bemüht oder Interesse an der Ausübung neuseeländischer Staatsbürgerrechte bekundet. Daher sah der Ausschuß keinerlei Grundlage für die Annahme, daß die Geltung des in Frage stehenden Gesetzes für die Beschwerdeführer eine willkürliche Ungleichbehandlung aufgrund der Rasse darstelle.25  

Zwei weitere Fälle, beide gegen Frankreich gerichtet, betrafen die unterschiedliche Länge des zivilen Ersatzdienstes von 24 Monaten und die Dauer des Wehrdienstes von 12 Monaten.26 Die Mehrheit des Ausschusses sah darin eine unzulässige Diskriminierung und eine Verletzung des Art. 26, weil der Vortrag des Staates zur Rechtfertigung der Maßnahme zu pauschal war: Als wesentliches Argument für die unterschiedliche Behandlung von Wehr- und Zivildienstleistenden habe dieser allein angeführt, daß dies der einzige Weg sei, um die Aufrichtigkeit eines Wehrdienstverweigerers zu prüfen.

Nach Auffassung der Mehrheit der Ausschußmitglieder ist ein solches Argument nicht geeignet, das nach Art. 26 Pakt erforderliche Rechtfertigungskriterium zu erfüllen, daß eine unterschiedliche Behandlung immer auf vernünftigen und objektiven Kriterien beruhen muß.

Drei Ausschußmitglieder stellten demgegenüber in ihrem Sondervotum fest, daß der Vertragsstaat nach seinem Vortrag sehr wohl verschiedene Unterscheidungskriterien in die Unterscheidung einbezogen habe. So sei vorgetragen worden, daß Wehrdienstverweigerer eine weit größere Auswahl an Stellen hätten und sich somit bestimmte Betätigungsfelder aussuchen könnten. Sie erhielten in der Regel auch eine weit höhere Entlohnung, als diejenigen die sich für den Wehrdienst entschieden. Dieses Vorbringen des Staates sei als ausreichend zu bewerten. Es seien ferner auch vernünftige und objektive Kriterien zu erkennen.27


Mißachtung von einstweiligen Anordnungen (Regel 86 VerfO, Art. 39 Abs. 2 Pakt)

Der Ausschuß hatte in einer weiteren Beschwerde eines zur Todesstrafe verurteilten Philippinos zu entscheiden. Das Todesurteil war jedoch vor Abschluß des Individualbeschwerdeverfahrens und entgegen der vom Ausschuß erlassenen einstweiligen Anordnung nach Art. 86 VerfO vollstreckt worden.28  

Erstmals nahm der Ausschuß in einer Entscheidung ausdrücklich zur Frage Stellung, was es rechtlich bedeutet, wenn ein Staat die Tätigkeit des Ausschusses dadurch unterläuft, ja in der letzten Konsequenz verhindert, daß er nicht mehr rückgängig zu machende Maßnahmen ergreift, wie die Hinrichtung des Beschwerdeführers.

Der Ausschuß stellte klar, daß sich die Staaten durch Ratifizierung des Paktes und des Zusatzprotokolles verpflichtet haben, seine Kompetenz bona fide zu respektieren. Diese Pflicht schließt die Beachtung seiner einstweiliger Anordnungen nach Regel 86 der Verfahrensordnung ein, weil deren Erlaß auf der Autorisierung im Pakt selbst beruht (Art. 39 Abs. 2 Pakt).

Daher stellt die Mißachtung der einstweiligen Anordnung durch die Philippinen einen schweren Verstoß gegen das Fakultativprotokoll dar.29  

 

 

 

3. Allgemeine Bemerkungen

Allgemeine Bemerkungen, als General Comments bezeichnet, sind insbesondere Kommentierungen zu einzelnen Gewährleistungen und wenden sich an die Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit (Art. 40 Abs. 4).30 Sie werden auf der Grundlage des dem Ausschuß vorliegenden Materials (Staatenberichte, Individualbeschwerden, Informationen von Nichtregierungsorganisationen) verfaßt.

Im Jahre 2000 konnte die Arbeit am General Comment Nr. 28 zur Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Pakt) beendet werden. Dieser ersetzt den General Comment Nr. 4 von 1981.31  

Fast fertiggestellt werden konnten die Arbeiten am General Comment zum Staatsnotstand (Art. 4 Pakt), welcher den General Comment Nr. 5 aus dem Jahre 198132 zneufassen wird

 

 

4. Verbesserung des Staatenberichtsverfahrens


Der Ausschuß diskutiere in der Frühjahrstagung erneut über eine Optimierung des Prüfungsverfahrens für Staatenberichte. Anlaß dafür war der kurzfristige Rückzug der Staaten Afghanistan und Venezuela. Sie erklärten kurz vor – beziehungsweise bereits während – der 68. Tagung des Ausschusses, daß sie an den Diskussionen ihrer Staatenberichte nicht teilnehmen zu können. 

So nutzte der Ausschuß die gewonnene Zeit zur Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die unter Vorsitz von E. Klein seit März 2000 verschiedene Gedanken zu einem Follow-up bei Staatenberichten, zu verspäteten Staatenberichten und dem Reaktionsmöglichkeiten auf den plötzlichen Rückzug einer Vertragspartei entwickelte.

Bereits in der 70. Sitzung wurden diese Änderungen beschlossen und die Verfahrensordnung und die Richtlinien zur Erstellung der Staatenberichte abgeändert.33

Die Neuerungen etablieren zum ersten Mal ein Follow-up im Hinblick auf die Concluding Observations zu den Staatenberichten. Die Staaten werden aufgefordert, innerhalb von zwölf Monaten zu bestimmten, dem Ausschuß besonders wichtig erscheinenden Punkten vorab zu berichten. Fällt der Bericht positiv aus, so wird das für den nächsten periodischen Bericht festgelegte Datum nach hinten verschoben.34  

Ferner wurde eine Lösung für verspätete Staatenberichte gefunden. Nach der neu eingefügten Regel 69 A VerfO kann der Ausschuß nun auch ohne die Einreichung eines Staatenberichts eine Überprüfung der Paktrechte im Land durchführen. Vorraussetzung dafür ist, daß der säumige Staat bereits vergeblich zur Berichtserstattung aufgefordert wurde und über die entsprechende Absicht des Ausschusses informiert wird. Dies geschieht über den Generalsekretär der Vereinten Nationen. Die Prüfung selbst findet in nicht öffentlicher Sitzung statt und geschieht auf der Grundlage derjenigen Informationen, die dem Ausschuß zur Verfügung stehen und ihm geeignet erscheinen.35 Sie schließt mit vorläufigen Concluding Observations ab. So soll in Zukunft verhindert werden, daß Staatenberichte mit bis zu vierundzwanzig Jahren Verspätung vorgelegt werden36 

Auf kurzfristige Absagen einer Staatenberichtsprüfung kann der Ausschuß in Zukunft mit einer Prüfung des Berichts am festgesetzten Termin und ohne Staatenvertreter reagieren. Diese Überprüfung schließt ebenfalls mit vorläufigen Concluding Observations ab, die den Staaten übermittelt werden und in denen das Datum für eine Wiederholung der Prüfung oder aber der Termin für den neuen periodischen Bericht festgelegt wird37 

Mit den "provisional concluding observations" hat der Ausschuß einen völlig neuen Typ Ausschußdokument geschaffen. Allerdings werden entsprechende Dokumente aufgrund ihres vorläufigen Charakters nicht in den nach Art. 45 Pakt zu erstellenden Jahresberichten veröffentlicht.38 

 


Anmerkungen:
 

1 Vom 19. Dezember 1966, BGBl. 1973 II S. 1534, im folgenden als Pakt bezeichnet.
2 Vom 19. Dezember 1966, BGBl. 1992 II S. 1246, im folgenden als FP bezeichnet.
3 Siehe Art. 1 FP, das Fakultativprotokoll findet dieses auf 97 Vertragsstaaten von insgesamt 148 Vertragsstaaten des Paktes Anwendung (Stand Juni 2001).
4 Die Statistik des Menschenrechtsausschusses (Stand Juni 2001) liest sich wie folgt: Bislang wurden insgesamt 979 Beschwerden registriert. Der Ausschuß hat in 358 Fällen Begründetheitsentscheidungen gefällt. 292 Beschwerden waren nicht zulässig und 137 wurden gestrichen. 48 Beschwerden wurden für zulässig erklärt und sind noch auf die Begründetheit zu untersuchen, 164 Beschwerden sind noch ganz zu untersuchen.
5 Gemäß Art. 3 und 4 Abs. 1 des FP.
6 Gemäß Art. 5 Abs. 4 des FP.
7 Zum Follow-up-Verfahren siehe die in der 70. Session abgeänderten allgemeinen Richtlinien zur Nachprüfung, Rules of Procedure, UN-Doc. CCPR/C/3/Rev.6 (2000) vom 24. April 2001.
8 Y ./. Australien, Nr. 772/1997, CCPR/C/ 69/D/772/1997 vom 27. Juli 2000. Alle im folgenden zitierten Dokumente des Ausschusses können auch auf der Homepage des UN-Hochkommissars für Menschenrechte auf der sogenannten Treaty Bodies Database unter www.unhchr.ch abgerufen werden.
9 Wuyts ./. Niederlande, Nr. 785/1997, UN-Doc. CCPR/C/69/785/1997 vom 24. Juni 2000.
10 Koutny ./. Tschechische Republik, Nr. 807/1998, UN-Doc. CCPR/C/68/D/807/ 1998 vom 20. März 2000.
11 Rogl ./. Deutschland, Nr. 808/1998, UN-Doc. CCPR/C/70/D/808/1998 vom 17. November 2000; vgl. dazu Dokumentation und Anmerkung von F. Brinkmeier in: MRM 1/2001, S. 39 ff.
12 Coronel u.a. ./. Kolumbien, Nr. 778/1997, UN-Doc. CCPR/C/70/D778/1997 vom 13. Oktober 2000.
13 Thompson ./. St. Vincent und die Grenadinen, Nr. 806/1998, UN-Doc. CCPR/C/ 70/D/806/1998 vom 18. Oktober 2000. Vgl. zur Todesstrafe ausführlich M. Nowak, CCPR-Commentary 1993, Art. 6, Rn. 18 ff.; N. Weiß, Die Todesstrafe aus völkerrechtlicher Sicht, in: Boulanger/Heyes/Hanfling (Hrsg.), Zur Aktualität der Todesstrafe, 1997, S. 69 ff.; ferner E. Strauß, in: MRM 1998, S. 51 ff. und U. Eppe, in: MRM 1999, S. 43 ff.
14 Osborne ./. Jamaika, Nr. 759/1997, UN-Doc. CC PR/C/68/D/759/1997 vom 15. März 2000.
15 Freemantle ./. Jamaika, Nr. 625/1995, UN-Doc. CCPR/C/68/D/625/1995 vom 24. März 2000; Robinson ./. Jamaika, Nr. 731/1996, UN-Doc. CCPR/C/68/C/731/ 1996 vom 29. März 2000.
16 Dazu grundsätzlich die Ausführungen des Ausschusses in dem Fall Errol Johnson ./. Jamaika, Nr. 588/1994, CCPR/C/56/C/ 588/1994, Ziff. 8.2 ff.
17 Vgl. Ausschußmitglied L. Henkin in: Robinson ./. Jamaika, Nr. 731/1996, UN-Doc. CCPR/C/68/C/731/1996 vom 29. März 2000.
18 Carlos Dias ./. Angola, Nr. 711/1996, UN-Doc. CCPR/C/68/D/711/1996 vom 20. März 2000.
19 Freemantle ./. Jamaika, Nr. 625/1995, UN-Doc. CCPR/C/68/D/625/1995 vom 24. März 2000.
20 Vgl. Ausschußmitglied E. Klein in: Freemantle ./. Jamaika, a.a.O., S. 11.
21 Laptsevich ./. Weißrußland, Nr. 780/1997, UN-Doc. CCPR/C/68/D/780/1997 vom 20. März 2000.
22 Diergaardt u.a. ./. Namibia, Nr. 760/1997, CCPR/C/69/D/760/1997 vom 25. Juli 2000, S. 8.
23 Vgl. Diergaardt u.a. ./. Namibia, a.a.O. und im einzelnen die Meinungen der Ausschußmitglieder Amor (S. 9 f.), Ando (S. 10 f.), Bhagwati, Colville, Yalden (S. 11 ff.); Evatt, Klein, Kretzmer, Quiroga (S. 14 f.) und Lallah, (S. 16 f.).
24 Toala u.a. ./. Neuseeland, Nr. 675/1995, CCPR/C/70/D/675/1995 vom 22. November 2000.
25 Toala u.a. ./. Neuseeland, §§ 11.5, 11.6.
26 Maille ./. Frankreich, Nr. 689/1996, CCPR/C/69/D/689/1995 vom 10. Juli 2000; Vernier und Nicolas ./. Frankreich, Nr. 690/1996 und 691/1996, CCPR/C/69/ D/690/1996&691/1996 vom 1. August 2000.
27 S. die Ausschußmitglieder Ando, Klein, Kretzmer, Zhahika in: Vernier und Nicolas ./. Frankreich, a.a.O., S. 12 .
28 Art. 86 der VerfO ermächtigt den Ausschuß, dem Staat gegenüber einstweilige Verfügungen anzuordnen, die erforderlich sind, um einen irreparablen Schaden vom Beschwerdeführer abzuwenden.
29 Padilla u.a. ./. Philippinen, Nr. 869/1999, UN-Doc. CCPR/C/70/D/869/1999 vom 19. Oktober 2000.
30 Im einzelnen in deutscher Übersetzung abgedruckt in: W. Kälin / G. Malinverni / M. Nowak, Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, 2. Aufl. 1997. Dazu neuestens: E. Klein, General Comments – Zu einem eher unbekannten Instrument des Menschenrechtsausschusses, in: FS für Dietrich Rauschning, 2001, S. 301ff.
31 UN-Doc. A/55/40, Annex VI-B, S. 133ff.; vgl. auch CCPR/C212/Rev.1/Add.10 vom 29. März 2000. Abgedruckt im englischen Wortlaut in: E. Klein (Hrsg.), 20 Jahre Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), SGM Heft 5, 2000, S. 80 ff.
32 CCPR/C/21 vom 19. August 1981, S. 4 – 5.
33 Vgl. Rules of Procedure (VerfO), UN-Doc. CCPR/C/3/Rev. 6 vom 24. April 2001 und die Consolidated guidelines for State reports under the International Covenant on Civil and Political Rights, UN-Doc. CCPR/C/66/GUI/Rev. 2 vom 26. Februar 2001. Die neue Prozedur wurde bereits in der 71. Session angewendet.
34 Vgl. Regel 70 Abs. 4 und Regel 70 A VerfO, UN-Doc. CCPR/C/3/Rev. 6
35 Vgl. Regel 69 A VerfO, UN-Doc. CCPR/C/3/Rev. 6.
36 Der zweite Staatenbericht Syriens konnte erst 24 Jahre nach der Einreichung des Erstberichtes in der 71. Session des Ausschusses, also im März 2001, diskutiert werden. Ferner sind insgesamt 43 Staaten mit ihren Berichtspflichten länger als fünf Jahre in Verzug, vgl. dazu die Aufstellung im Jahresbericht des Ausschusses, UN-Doc. A/55/40, Vol. I, S. 18 ff.
37 Regel 68 Abs. 2 lit. a) VerfO, UN-Doc. CCPR/C/3/Rev. 6.; Regel G. 6.1 und G. 6.2 Consolidated reporting guidelines UN-Doc. CCPR/ C/66/GUI/ Rev.2.
38 CRegel 68 Abs. 3 VerfO, UN-Doc. CCPR/ C/3/Rev. 6.

Quelle: MenschenRechtsMagazin 2 / 2001

Inhalt | nach oben