Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 8. Juni 2010

Inhalt
 

Norman Weiß:

"Our common humanity"-  Die asiatische Menschenrechtscharta 

 
Inhaltsübersicht
 
2.

1. Ausgangslage

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Dieses Dokument will dem Manko abhelfen, daß Asien die bisher einzige Weltregion ohne regionales Menschenrechtsinstrument und dazugehöriges Überwachungssystem ist. Die Autoren hatten erkannt, daß sie nicht länger auf die Regierungen und Staaten warten können, sondern daß es notwendig sei, aus der Zivilgesellschaft heraus Zeichen zu setzen. Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftler und Öffentlichkeit waren an der Vorbereitung des Dokuments beteiligt. Nach über dreijährigen Beratungen, zu den unter anderem regionale Vorkonferenzen gehörten, wurde die Charta am 17. Mai 1998 in Südkorea ohne die Beteiligung von Regierungen angenommen.

Das Dokument ist abgedruckt in: 16 NQHR (1998), 539-552.

 

 
3.

2. Struktur

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Es handelt sich um ein an die Bevölkerung gerichtetes Instrument, das beabsichtigt, über die Menschenrechte zu informieren. Deshalb weist es keine typischen Rechtsformulierungen auf. Das Dokument stellt auch keine bloße Wiederholung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und anderer internationaler Menschenrechtsinstrumente dar. Es nimmt auf diese und ihren Inhalt ausdrücklich Bezug. Wichtig erschien den Verfassern darüber hinaus aber die deutliche Bestätigung der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte. Gleichzeitig wird die Diskussion um Menschenrechte in den konkreten sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bezugsrahmen Asiens gestellt.

In der Präambel und einem ersten, "Hintergrund zur Charta" genannnten Artikel wird auf die Unterdrückung vieler asiatischer Völker durch die einstigen Kolonialherren, die teilweise heute durch die nationalen Regime noch fortgesetzt werde, hingewiesen. Gleichzeitig zeichne sich ein Wandel hin zu mehr Demokratie ab, den es menschenrechtlich zu flankieren gelte, wozu die Charta beitragen wolle.

Außerdem müsse der bereits eingetretene wirtschaftliche Wandel, dessen Dynamik es auf den Demokratisierungsprozeß zu erstrecken gelte, rechtsstaatlich eingehegt werden. Auch sei den Wildwüchsen eines ungezügelten Kapitalismus zu begegnen. Schließlich komme es darauf an, die Gesamtbevölkerung gleichermaßen vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren zu lassen. Die behutsam eingeleitete demokratische Transformation müsse insbesondere dazu führen, der Macht der Exekutive wirksame Schranken zu setzen und Auswüchse wie Korruption und Nepotismus zu beschränken.

Die Charta formuliert sodann grundlegende Prinzipien, die für eine Akzeptanz und für den Genuß der Menschenrechte unabdingbar sind:

Im Zusammenhang mit dem Bekenntnis zur Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte unterstreicht die Charta in Artikel III die Unerläßlichkeit wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, daß Menschenrechte kein Abstraktum seien, sondern Grundlagen für zielgerichtetes Handeln und Politik darstellten. Deshalb müßte eine Konkretisierung innerhalb des asiatischen Kontextes erfolgen. Dies wird allerdings nicht so verstanden, daß die kulturellen Besonderheiten Asiens notwendigerweise zu Beschränkungen der Rechte führen müßten. Vielmehr geht es darum, auf bestimmte Opferbelange gezielt Rücksicht zu nehmen.

Mit Blick auf die Verantwortung für den Schutz der Menschenrechte führt die Charta aus, daß Souveränität kein naturgegebenes Recht der Staaten darstelle, vor dessen Hintergrund Menschenrechte verletzt werden können. Es könne sich vielmehr nur derjenige Staat auf Souveränität berufen, der die Rechte seiner Bürger in vollem Umfange schütze. Dem müsse jedoch auf der anderen Seite die ungeteilte und unzweideutige Bereitschaft der Staatengemeinschaft gegenüberstehen, sich unterschiedslos für die Menschenrechte einzusetzen und gegen Menschenrechtsverletzungen in allen Staaten gleichermaßen vorzugehen. Die Letztverantwortung für den Schutz der Menschenrechte verbleibe allerdings beim jeweiligen Staat selbst. Daher komme es in erster Linie darauf an, innen für offene politische, demokratische Strukturen zu sorgen. Die Charta weist darauf hin, daß die wirtschaftliche Globalisierung die Handlungsmöglichkeiten der Staaten zum Schutz der Menschenrechte mehr und mehr beschränke. Daher sei es wichtig, auch multinational agierende Unternehmen an Standards zu binden und sie für Menschenrechtsverletzungen haftbar zu machen.

Der nachfolgende Abschnitt beschreibt die einzelnen Aspekte verschiedener Rechte und beschäftigt sich mit dem Schutz der Rechte bestimmter verletzlicher Gruppen. So geht es um das Recht auf Leben (Artikel VII), das Recht auf Frieden (Artikel VIII), das Recht auf Demokratie (Artikel IX), das Recht auf kulturelle Identität und Gewissensfreiheit (Artikel X) und das Recht auf Entwicklung und soziale Gerechtigkeit (Artikel XI). Die Rechte verletzlicher Gruppen werden zunächst in Artikel XII allgemein umschrieben und dann mit Blick auf Frauen (Artikel XIII) und Kinder (Artikel XIV), Behinderte (Artikel XV), Arbeitnehmer (Artikel XVI), Studenten (Artikel XVII), sowie Strafgefangene und politische Häftlinge (Artikel XVIII) im Detail formuliert.

 
 

3. Das Recht auf Leben

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Das Recht auf Leben ist als grundlegendes Recht den anderen zutreffenderweise vorangestellt und wird in einer sehr umfassenden und breiten Weise erläutert.

Der erste Absatz betont die Bedeutung des Rechts auf Leben, aus dem sich andere Rechte und Grundfreiheiten ableiten. Die Charta schützt das Leben in einem sehr umfassenden Sinne. Hierzu zählen die verschiedensten Aspekte der Existenz wie Wohnung, Erziehung und gesunde Umwelt, ohne die das Recht auf Leben nicht wahrhaft und effektiv ausgeübt oder genossen werden könne.

Die Charta leitet aus dem Recht auf Leben auch eine Verpflichtung des Staates ab, gegen Kindersterblichkeit, Unterernährung und Epidemien vorzugehen, und durch gesicherte Lebensgrundlagen und eine wirksame Gesundheitsvor– und –fürsorge für eine Steigerung der Lebenserwartung einzutreten.

Absatz 2 stellt fest, daß in vielen Teilen Asiens "Kriege, ethnische Konflikte, kulturelle und religiöse Unterdrückung, Korruption, Umweltverschmutzung, Verschwindenlassen, staatlicher oder privater Terrorismus, Gewalt gegen Frauen und andere Akte massenhafter Gewalt weiterhin eine Geißel für die Menschheit darstellen und zum Verlust vieler tausend unschuldiger Menschenleben führen".

Daraus wird in Absatz 3 die Verpflichtung der Staaten abgeleitet, Kriegspropaganda und Aufstachelung zum (Rassen-)Haß zu unterlassen und zu verbieten. Nach Absatz 3 muß der Staat Fälle von Folter, Verschwindenlassen, Vergewaltigung, etc. gründlich untersuchen und die Schuldigen zur Verantwortung ziehen.

Absatz 5 verbietet willkürliche Tötungen jeder Art. Die Staaten sollen ein wirksames Kriminalstrafrecht schaffen, aber auch Übergriffe der eigenen Sicherheitskräfte unterbinden.

Absatz 6 schließlich fordert die Abschaffung der Todesstrafe; wo sie rechtlich zulässig ist, sollen die internationalen üblichen Kautelen für die Verhängung und Vollstreckung gelten. Die Problematik minderjähriger Delinquenten wird nicht erörtert.

 

 

Quelle: MenschenRechtsMagazin Heft 1 / 2000

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