Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 8. Juni 2010

Inhalt

Norman Weiß:

Das neue Sorbengesetz des Freistaats Sachsen - Minderheitenschutz as usual?

 
Inhaltsübersicht
I. Einführung
1. Die Sorben
2. Problemfelder im Zusammenleben von Minderheiten und Mehrheit
II. Inhalt des Gesetzes
III. Würdigung
  
 
II.
I. Einführung
 

 
Das Gesetz über die Rechte der Sorben im Freistaat Sachsen (Sächsisches Sorbengesetz - SächsSorbG) vom 31. März 19991 ist die aktuellste Neuregelung auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes in der Bundesrepublik Deutschland. Es stellt eine Neuregelung dieser Materie dar, die zwischenzeitlich eingetretene Entwicklungen des bürgerrechtlichen Minderheitenschutzes berücksichtigt. Das SächsSorbG löst das Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung vom 23. März 1948 mitsamt seiner 1. Durchführungsbestimmung vom 11. Januar 1951 und § 3 des Vorläufigen Verwaltungsverfahrensgesetzes des Freistaates Sachsen vom 21. Januar 1991 sowie weitere Verfahrensbestimmungen im sächsischen Landesrecht ab.

1. Die Sorben2

Sorben leben in Sachsen und Brandenburg. Es handelt sich um einen slawischen Stamm, der zu Beginn des 7. Jahrhunderts im Gebiet zwischen Elbe/Saale und/oder Queis siedelte. Die Sorben wurden im Jahre 631 n. Chr. das erste Mal urkundlich erwähnt. Im Laufe der Jahrhunderte erfolgte die Einwanderung fränkischer, flämischer, thüringischer und sächsischer Bauern in das fragliche Gebiet. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts bildete die sorbische Bevölkerung über 90 % der Bewohner zwischen Saale und Bober/Queis. Die herrschende Schicht rekrutierte sich jedoch ausschließlich aus deutschen Eroberern. Die unterworfenen Sorben mußten bereits damals Einschränkungen hinnehmen. So wurde in den Jahren zwischen 1293 und 1327 die sorbische Sprache in mehreren Städten, wie z.B. Bernburg/ Saale, Altenburg, Zwickau und Leipzig verboten. Trotz der Unterdrückungssituation haben sich literarische Zeugnisse aus dem 16. Jahrhundert erhalten. Die Sprache entwickelte die Ausprägungen Niedersorbisch und Obersorbisch. Hinzu kommen weitere Sprachdialekte. Damit geht eine regionale Differenzierung einher. Niedersorbisch wird in der Niederlausitz gesprochen, einer Region im Südosten des heutigen Bundeslandes Brandenburg. Obersorbisch ist die Sprache der Oberlausitz, die im heutigen Bundesland Sachsen liegt.

Die Sorben sind in ihrem Herkommen stark religiös geprägt, überwiegend sind sie evangelisch, in der Oberlausitz gibt es eine festgefügte katholische Diaspora. Deshalb trugen religiöse und liturgische Texte wesentlich zur Entwicklung der Schriftsprache bei. Das grandiose Zeugnis hierfür ist die erste Übersetzung des Neuen Testaments durch Michal Frencel im Jahr 1706 ins Obersorbische und durch Bogomil Fabricius ins Niedersorbische (1709).

Das seit dieser Zeit immer wieder artikulierte sorbische Bewußtsein, das auch zu Organisationen führte, rief repressive Reaktionen des deutschen Staates durch die Jahrhunderte hinweg hervor. Erinnert sei an das generelle Verbot der sorbischen Sprache in den Schulen der preußischen Oberlausitz im Jahre 1875. Nach massiven Einschränkungen sorbischen Lebens in der NS-Zeit kam es - gerade während der ersten Jahrzehnte - in der DDR zu einer vermehrten institutionellen Förderung des Sorbentums. Seit Wiederherstellung der deutschen Einheit hat der Schutz der sorbischen Minderheit neue Aktualität gewonnen.

2. Problemfelder im Zusammenleben von Minderheiten und Mehrheit

a. Assimilationsdruck / Integrationsbestrebungen

Einerseits versuchen Mehrheiten, sich durchzusetzen und Andersartigkeiten auszumerzen. Es entsteht das gruppenspezifische Phänomen eines Konformitätsdrucks, von dem starke Assimilierungszwänge ausgehen. Um diesen Druck abzufangen oder um ihm vorzubeugen, besteht andererseits oftmals eine besondere Integrationsbereitschaft.

Hier sei an das Beispiel der deutschen Juden erinnert, die sich aus dem Ghetto der Orthodoxie befreiten, Modernität und Liberalität lebten, sich taufen ließen, national dachten und im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz dekoriert wurden.

Hieraus resultiert häufig ein Aufgeben der minderheitenspezifischen Identität. Das Bekenntnis zur Mehrheitskultur verschafft eine Perspektive; oft wird auch das eigene Herkommen als minderwertig angesehen.

Nicht zuletzt versuchen politische Führungen, ihre eigene Stellung zu festigen, indem sie verschiedene ethnische Gruppen gegeneinander ausspielen.3

b. Modernisierung

Modernisierung bringt gesellschaftlichen Wandel mit sich. Minderheiten sind zur Wahrung ihrer Identität auf Kontinuität angewiesen. Lebensformen und sprachlicher Ausdruck halten - gerade bei Minderheiten ohne sich gleichfalls modernisierenden Heimatstaat - Vergangenes fest und treten zu Fortschritten im Leben des Mehrheitsstaates in ein Spannungsverhältnis, vollziehen diese Entwicklungen verspätet oder nur unvollkommen nach und führen so zu einer verstärkten Unattraktivität der eigenen Kultur.

Mit Blick auf das Sorbische kann festgestellt werden, daß stets zwei Sprachwelten bestanden haben: erstens der bäuerliche Lebensbereich in Hof und Familie, zweitens das Feld der Kirche und des Glaubens. Im Zuge fortschreitender Säkularisierung und zunehmender Auflösung der Lebensform Bauernhof bestehen hier starke Bedrohungen für diese Sprache. Sprache und Kultur drohen in den Bereich der Folklore abgeschoben zu werden.

c. Pflege des sprachlichen und kulturellen Erbes / Medien / Schule

Mit diesem Gesichtspunkt ist keinesfalls eine Achillesferse der Minderheiten bezeichnet. Hierin liegt, bei nachhaltiger und vorwärtsorientierter Durchführung, gerade ihre Chance.

Das sprachliche und kulturelle Erbe einer Minderheit bedarf, um seine identitätsstiftende Wirkung entfalten zu können, aktiver Förderung.4 Staatsbürgerliche Gleichbehandlung allein reicht hier oftmals nicht aus. Positive Diskriminierung oder die sogenannte "Affirmative action" wollen die Startbedingungen für Minderheiten verbessern.

Alle diese Bemühungen können nur in den Minderheiten Rückhalt selbst finden. Hier, in den Familien und gesellschaftlichen Vereinigungen, wie Kirchen oder Vereinen, muß der Grundstein für die Minderheitenidentität gelegt werden. Dies kann aber nur dann Früchte tragen, wenn darüber hinaus Rahmenbedingungen herrschen, in denen das Festhalten an der eigenen Sprache und Kultur nicht nur nicht neutral akzeptiert, sondern vielmehr unterstützt wird.5

Hier sind mehrere Bereiche staatlicher Förderung denkbar: Schule, Medien, Amtsverkehr.

Hier soll zunächst die Schule betrachtet werden. Es wäre möglich, Privatschulen zuzulassen und finanziell zu unterstützen. Das Land Brandenburg aber ist Träger des Sorbischen Gymnasiums in Cottbus. Hier wird Sorbisch als zweite Fremdsprache nach dem Englischen angeboten. Der Anteil echter Muttersprachler wird mit unter zwei Prozent angegeben, etwa ein Drittel verfüge über Vorkenntnisse. Die Schule ist bemüht, nicht nur in der Sorbisch-Stunde die Sprache zu vermitteln, sondern auch das Unterrichtsgespräch in anderen Fächern auf Sorbisch zu führen.

Für die Medien gilt, daß es vor allem Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, sich um die Pflege des Sorbischen zu kümmern. Dies fügt sich in den umfassenden Programmauftrag des (Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg) ORB, der sich auf Information, Kultur und Bildung erstreckt. Ziel speziell des sorbischen Programmes ist es, durch Aufklärung zu Information und Toleranz bei den deutschen Hörern beizutragen und andererseits das Selbstbewußtsein der Sorben zu stärken. Außerdem ist ein Sorbe im Rundfunkrat vertreten. Insgesamt läßt sich sagen, daß sorbisches Fernsehen und sorbischer Hörfunk von Sorben für Sorben und Deutsche gleichermaßen gemacht werde.

Natürlich hängt die Breitenwirkung stark von den Sprachkenntnissen ab und ist - absolut betrachtet - dementsprechend gering. Heute strahlen der ORB und der MDR (Mitteldeutscher Rundfunk; Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen) zusammen 26 Stunden Programm pro Woche aus. Während die Einschaltquote für die dritten Programme im Bundesdurchschnitt bei 2,5 bis 4 Prozent liegt, erreicht das Sorbische Fenster Einschaltquoten von bis zu 15 Prozent.

Ein Blick auf die Gesamtsituation des sorbischen Zeitungswesens ergibt folgendes Bild: Sieben sorbische Zeitungen erreichen insgesamt eine Auflage von rund zehntausend Stück. Der DOMOWINA-Verlag bringt pro Jahr zwischen 30 und 40 Buch- oder sonstige Editionen (wie Audiokassetten, Postkarten, Kalender) heraus. Man schätzt, daß allein die Zeitungen über ihre Abonnenten und Weitergabe in Familien und Freundeskreis rund 40 000 Leser erreichen.

Der Nowy Casnik - eine dieser Publikationen - erscheint seit 1848, wurde 1933 verboten und trat 1946/48 wieder ins Zeitungsleben; seine Auflage betrug in der Weimarer Republik rund zweitausend, in der DDR bis zu achtzehnhundert Stück und liegt heute bei zwölfhundert Exemplaren.

Den sorbischen Zeitungen kommt über die Information und der Wachhaltung der Traditionspflege hinaus besonders die wichtige Funktion der Sprachbildung zu.

Der Casnik ist keine Übersetzung der deutschen Lokalzeitung. Vielmehr konzentriert er sich einmal auf das innersorbische Leben, aber auch auf die nationale und internationale Minderheitenpolitik. Darüber hinaus werden Ereignisse mit sorbischem Auslandsbezug dargestellt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem kulturellen Leben im Siedlungsgebiet; jedoch werden auch ökologische Fragen (Horno),6 Fragen im Zusammenhang mit dem Spreewald oder mit dem bäuerlichen Leben in den Dörfern behandelt.


III. 
II. Inhalt des Gesetzes 
I. 
 
Die Präambel des Sorbengesetzes würdigt zunächst den Willen des sorbischen Volkes, in seiner angestammten Heimat, der Nieder- und Oberlausitz, seine sprachliche und kulturelle Identität auch in Zukunft zu behalten. In einem weiteren Schritt weist das Gesetz auf die besondere Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaates Sachsen für Schutz und Bewahrung der sorbischen Sprache, Kultur und Überlieferung hin, die darin begründet liegt, daß die Sorben außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland keinen Mutterstaat haben, der sich ihnen verpflichtet fühlt.

Sodann gibt die Präambel dem Bewußtsein Ausdruck, daß der Schutz, die Pflege und die Entwicklung der sorbischen Werte sowie "die Erhaltung und Stärkung des sorbisch-deutschen Charakters der Lausitz" im Interesse des Freistaates Sachsen liegen. Die Präambel unterstreicht, daß das Recht auf nationale und ethnische Identität und die Gewährung aller Volksgruppen- und Minderheitenrechte Teil der universellen Menschenrechte und Freiheitsrechte sind. Die Absätze fünf und sechs der Präambel nehmen auf die internationalen Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung nationaler Minderheiten und Volksgruppen, die die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert hat, sowie auf verfassungsrechtliche Vorgaben von Grundgesetz und Einigungsvertrag und der sächsischen Verfassung Bezug.

Das sächsische Sorbengesetz hat siebzehn Paragraphen, die sich mit den verschiedenen Aspekten des sorbischen Lebens, insbesondere mit Fragen der sorbischen Sprache, aber auch mit der Mitwirkung von Sorben bei politischen Aktivitäten beschäftigen.

§ 1 regelt, daß zum sorbischen Volk gehört, wer sich zu ihm bekennt. Dieses Bekenntnis ist der Regelung zufolge frei und darf weder bestritten noch nachgeprüft werden.

§ 2 beschäftigt sich mit dem Recht auf sorbische Identität. Sein Absatz 1 stellt zunächst klar, daß die im Freistaat Sachsen lebenden Bürger sorbischer Volkszugehörigkeit gleichberechtigter Teil des sächsischen Staatsvolkes sind. Absatz 2 formuliert den Grundgedanken des sächsischen Sorbengesetzes, nämlich daß das sorbische Volk und jeder Sorbe das Recht haben, ihre ethnische, kulturelle und sprachliche Identität frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiter zu entwickeln. Sie haben zu diesem Zweck nach Absatz 3 das Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege ihrer angestammten Heimat und Identität. Dementsprechend sind der Freistaat Sachsen, die Landkreise, Gemeindeverbände und Gemeinden im sorbischen Siedlungsgebiet dazu gehalten, Bedingungen, die es dem Bürger sorbischer Volkszugehörigkeit ermöglichen, ihre Sprache und Tradition sowie ihr kulturelles Erbe als wesentliche Bestandteile ihrer Identität zu bewahren und weiter zu entwickeln, zu gewährleisten und zu fördern.

§ 3 umreißt das sorbische Entwicklungsgebiet, das im Sinne dieses Gesetzes aus der kreisfreien Stadt Hoyerswerda sowie diejenigen Gemeinden und Gemeindeteilen der Landkreise Kamenz, Bautzen und des Niederschlesischen Oberlausitzkreises besteht, in denen die überwiegende Mehrheit der im Freistaat Sachsen lebenden Bürger sorbischer Volkszugehörigkeit ihrer angestammte Heimat hat und in denen eine sorbische, sprachliche oder kulturelle Tradition bis in die Gegenwart hinein nachweisbar ist. Im einzelnen umfaßt das sorbische Siedlungsgebiet diejenigen Gemeinde und Gemeindeteile, die in der Anlage zum SächsSorbG festgelegt sind.

Mit dem sorbischen Siedlungsgebiet wird der geographische Anwendungsbereich für gebietsbezogene Maßnahmen zum Schutze und der Förderung der sorbischen Identität bestimmt. Nach Absatz 4 schließlich sind der besondere Charakter des sorbischen Siedlungsgebietes und die Interessen der Sorben bei der Gestaltung der Landes- und Kommunalplanung zu berücksichtigen.

§ 4 erlaubt es, Farben und Wappen der Sorben im sorbischen Siedlungsgebiet gleichberechtigt neben den Landesfarben und dem Landeswappen zu verwenden. Die sorbischen Farben sind Blau/ Rot/Weiß. Auch die sorbische Hymne kann im sorbischen Siedlungsgebiet gleich-berechtigt verwendet werden.

Nach § 5 können die Interessen der Bürger sorbischer Volkszugehörigkeit auf Landes-, Regional- und Kommunalebene von einem Dachverband der sorbischen Verbände und Vereine wahrgenommen werden.

§ 6 beschäftigt sich mit der politischen Mitwirkung und dem Rat für sorbische Angelegenheiten. Gemäß Absatz 1 Satz 1 wählt der sächsische Landtag mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen jeweils für die Dauer einer Wahlperiode einen sogenannten Rat für sorbische Angelegenheiten. Dieser besteht aus fünf Mitgliedern. Für die Wahl steht den sorbischen Verbänden und Vereinen sowie den Gemeinden des sorbischen Siedlungsgebietes nach § 3 ein Vorschlagsrecht zu. Der sächsische Landtag und die Staatsregierung haben den Rat für sorbische Angelegenheiten immer dann zu hören, wenn Angelegenheiten die Rechte der sorbischen Bevölkerung berühren. Bei der Mitwirkung im Rat für sorbische Angelegenheiten handelt es sich um ein Ehrenamt, für das das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst eine Abfindung zahlt (Absatz 3).

Nach § 7 ist die Staatsregierung verpflichtet, dem sächsischen Landtag mindestens einmal in jeder Legislaturperiode einen Bericht zur Lage des sorbischen Volkes im Freistaat Sachsen zu erstatten.

Die folgenden Paragraphen sind dem Gebrauch der sorbischen Sprache gewidmet. § 8 unterstreicht zunächst, daß der Gebrauch der eigenen Sprache ein wesentliches Merkmal der sorbischen Identität darstellt. Der Freistaat erkennt die Sorbischen Sprachen, insbesondere das Obersorbische, als Ausdruck des geistigen und kulturellen Reichtums des Landes an. Gemäß § 8 Satz 3 und 4 ist der Gebrauch der sorbischen Sprache frei, und ihre Anwendung in Wort und Schrift im öffentlichen Leben und die Ermutigung dazu werden geschützt und gefördert.

§ 9 regelt den Amtsgebrauch des Sorbischen. Die Bürger haben im sorbischen Siedlungsgebiet das Recht, sich vor Gerichten und Behörden des Freistaates Sachsen sowie der seiner Aufsicht unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts der sorbischen Sprache zu bedienen. Wenn sie von diesem Recht Gebrauch machen, so hat dies dieselbe Wirkung, als würden sie sich der deutschen Sprache bedienen. Der Staat und seine Untergliederungen sind berechtigt, auf sorbische Eingaben auch in sorbischer Sprache zu reagieren und zu entscheiden. Kostenbelastung oder sonstige Nachteile dürfen sorbischen Bürgern durch den Gebrauch des Sorbischen vor Gerichten und Behörden nicht entstehen.

Der Freistaat Sachsen erklärt, sich dafür einsetzen zu wollen, daß der Gebrauch des Sorbischen auch im Umgang mit Bundesbehörden und Einrichtungen des Privatrechts, insbesondere des Verkehrs- und Meldewesens der Post, des Gesundheits- und Sozialwesens sowie der Kultur und Bildung, die im sorbischen Siedlungsgebiet ansässig sind, möglich ist.

Gemäß § 10 soll die Beschilderung im öffentlichen Raum durch Behörden des Freistaates Sachsen und die seiner Aufsicht unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentliches Rechts insbesondere an öffentlichen Gebäuden, Einrichtungen, Straßen, Wegen, öffentlichen Plätzen und Brücken im sorbischen Siedlungsgebiet in deutscher und sorbischer Sprache erfolgen. Der Freistaat Sachsen wird außerdem darauf hinwirken, daß auch andere Gebäude von öffentlicher Bedeutung im sorbischen Siedlungsgebiet in deutscher und sorbischer Sprache beschriftet werden.

Um den Gebrauch des Sorbischen auch tatsächlich sicherzustellen, wird in § 11 formuliert, daß bei den Behörden des Freistaates Sachsen und den Behörden der seiner Aufsicht unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts im sorbischen Siedlungsgebiet möglichst ein der sorbischen Sprache mächtiger Mitarbeiter als Ansprechpartner zur Verfügung stehen soll. Zu den wirkt der Freistaat Sachsen darauf hin, daß im sorbischen Siedlungsgebiet die Belange der Sorben sowie der Erwerb sorbischer Sprachkenntnisse in dem Angebot für die Aus- und Weiterbildung der Bediensteten der öffentlichen Verwaltung angemessen Berücksichtigung finden.

§ 12 befaßt sich mit der Wissenschaft und erklärt, daß der Freistaat Sachsen die wissenschaftliche Forschungen auf dem Gebiet der sorbischen Sprache, Geschichte und Kultur fördert. Zu diesem Zweck unterhält er eine universitäre Forschungs- und Lehreinrichtung für Sorabistik an der Universität Leipzig.

Nach § 13 schützt und fördert der Freistaat Sachsen auch die Kultur und das künstlerische Schaffen der Sorben. Landkreise und Gemeinden im sorbischen Siedlungsgebiet müssen die sorbische Kultur angemessen in ihre Kulturarbeit einbeziehen. Hierzu fördern sie sorbische Kunst, Sitten und Gebräuche sowie ein von Tradition, Toleranz und gegenseitige Achtung geprägtes Zusammenleben ihrer Bürger.

Nach § 14 ist der Freistaat Sachsen bemüht, daß die sorbische Sprache und Kultur insbesondere durch sorbischsprachige Sendungen und Beiträge in den Medien angemessen berücksichtigt werden. Da ein Teil des gesamtdeutschen sorbischen Siedlungsgebietes im angrenzenden Land Brandenburg liegt, fördert der Freistaat Sachsen nach § 15 die Zusammengehörigkeit und unterstützt die länderübergreifenden Interessen der Sorben in der Nieder- und Oberlausitz. Zu diesem Zweck arbeitet er nach § 15 Absatz 1 Satz 2 mit dem Land Brandenburg zusammen. Auch die sorbischen Verbände und Institutionen werden in die grenzüberschreitende Zusammenarbeit einbezogen. Das Gesetz wurde gemäß § 16 in deutscher und obersorbischer Sprache verkündigt.

 
 

 
III. Würdigung
II. 
 
Das SächsSorbG knüpft an die jahrzehntelange Tradition des Schutzes der sorbischen Minderheit in Sachsen an. Es ist gereinigt von der Gesinnungsorientierung der Nachkriegsregelungen, die "antifaschi-stisch-demokratische Sorben zur Verwaltung" heranzog (§ 4 des Gesetzes von 1948).

Wie sein nördlicher Nachbar mit dem "Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben (Wenden) im Land Brandenburg" (Sorben/Wenden-Gesetz; SWG) vom 7. Juli 1994 gibt der Freistaat dem Minderheitenschutz durch das SächsSorbG eine zeitgemäße Ausrichtung.

Der Rat für sorbische Angelegenheiten gemäß § 6 SächsSorbG ist dem in Brandenburg bereits im Jahre 1994 eingerichteten Rat für sorbische (wendische) Angelegenheiten (§ 5 SWG) nachempfunden.

Hinsichtlich der Sprachgebrauchs vor Behörden und Gerichten ist ein Unterschied gegenüber der bisherigen Regelung auszumachen: Nach § 3 VorlVerwVerfG (1993) durfte sich Sorben im gesamten Freistaat Sachsen ihrer Sprache bedienen; nunmehr steht ihnen dieses Recht nur noch im sorbischen Siedlungsgebiet zu. Dies stellt aber keinen Rückschritt dar, da § 3 VorlVerw-VerfG (1993) im Widerspruch zu dem Sorbengesetz von 1948 und seiner Durchführungsbestimmung von 1951 stand. Auch nach der bisherigen Rechtslage waren nämlich nur im sorbischen Siedlungsgebiet Ansprechpartner bei Behörden und Gerichten vorgesehen. Insofern kann die Regelung als Anpassung an die tatsächlichen Gegebenheiten angesehen werden. Mit § 9 SächsSorbG ist der Freistaat Sachsen demnach wieder zum reinen Territorialprinzip bei der Amtsprachenregelung7 zurückgekehrt.

Anders als das brandenburgische SWG enthält sein sächsisches Pendant keinen eigenen Schulartikel. Dies erscheint auch entbehrlich, da das Schulgesetz von 1991 nebst mehreren Verordnungen dazu den Sorbischunterricht und andere Fragen des sorbischen Schulwesens detailliert regelt. Der besondere Förderauftrag für zweisprachige Kindertagesstätten nach § 10 Abs. 5 SWG findet im Freistaat keine Entsprechung; dessen Gesetz für Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen vom 3. Juli 1991 lediglich den Auftrag der Kindertagesstätten betont, die sorbische Sprache und Kultur zu vermitteln und zu pflegen, und die Möglichkeit vorsieht, auf Wunsch der Eltern sorbischsprachige und zweisprachige Gruppen zu bilden.

 

Mit dem SächsSorbG wird insgesamt weiterhin ein Standard gewährleistet, der oberhalb der internationalen Verpflichtungen zum Minderheitenschutz liegt, wie ihn die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise nach der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen vom 25. Juni 1992.8 oder dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten vom 10. November 19949 zu beachten hat.
 



  Anmerkungen:
 
1 SächsGVBl Nr. 7/1999 vom 30. April 1999, S. 161ff.
2 Informationen zur älteren und neueren Geschichte finden sich bei: R. Urban, Die sorbische Volksgruppe in der Lausitz 1949 bis 1977. Ein dokumentarischer Bericht, 1980; L. Elle, Sprachenpolitik in der Lausitz. Eine Dokumentation 1949 bis 1989 (Schriften des Sorbischen Instituts, Bd. 11), 1992.
3 Näher: N. Ropers, Die Bearbeitung von Mehrheiten-Minderheiten-Konflikten in der Zivilgesellschaft, in: H.-J. Heintze (Hrsg.), Moderner Minderheitenschutz. Rechtliche oder politische Absicherung? (Eine Welt, Bd. 8), 1998, S. 83-113.
4 E. Klein, Menschenwürde und Sprache, in: K.E. Grözinger (Hrsg.), Sprache und Identität im Judentum, 1998, S. 59-74 (67ff.).
5 Dazu und zum folgenden vgl.: L. Elle, Sorbische Kultur und ihre Rezipienten. Ergebnisse einer ethnosozialen Befragung (Schriften des Sorbischen Instituts, Bd. 1), 1992.
6 Zum Problem des Braunkohleabbaus im brandenburgischen Ort Horno s. die Urteile des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg, Urteil vom 1. Juni 1995, LVerfG E 3, 157ff und Urteil vom 18. Juni 1998, in: EuGRZ 1998, S. 698ff.
7 Anders das ungarische Minderheitengesetz (Gesetz Nr. LXXVII vom 7. Juli 1993), das den Sprachgebrauch personenbezogen regelt.
8 EuGRZ 1993, S, 154ff.
9 EuGRZ 1995, 268ff.
 
Quelle: MenschenRechtsMagazin Heft 3 / 1999

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