Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 8. Juni 2010

Inhalt
 
Kinder. Rechte. Kinderrechte.
 
Unter diesem Titel soll in loser Folge über Entwicklungen im Bereich des internationalen Rechts zum Schutze der Kinder berichtet werden. Als Schwerpunkte des Gebiets zeichnen sich dabei u.a. ab: Kriminalität von Kindern und Jugendlichen, Kinder und Jugendliche im bewaffneten Konflikt, Erziehung, Familienrecht, das Verhältnis von Kindern und Jugendlichen einerseits und Medien andererseits.

(vgl. auch die weiteren Berichte in MRM 2/1998; MRM 2/1999; MRM 1/2000, MRM 2/2001 und MRM 3/2001).

 Norman Weiß:

Kinder- und Jugendkriminalität

In diesem ersten Bericht wird über den Problemkreis Kinder- und Jugendkriminalität gehandelt. Damit soll versucht werden, neue Argumentationsansätze in die aktuelle Diskussion über die allgemeine Verbrechensbekämpfung ("Erfolgsmodell New York"1) und die spezielle Behandlung von Heranwachsenden2 einzubringen.
 
 
Inhaltsübersicht
I. Vereinte Nationen
II. Rechtsbeistand im nationalen Vergleich
III. Strafjustiz gegenüber Kindern
IV. Erstbericht der Bundesrepublik Deutschland zur Kinderrechtskonvention
 
 
 
2.
I. Vereinte Nationen
 
 
Zu den Aktivitäten der Vereinten Nationen auf diesem Gebiet gehören die "Richtlinien der Vereinten Nationen zur Prävention von Jugendkriminalität" (Richtlinien von Riad vom 14. Dezember 1990; A/RES/45/112) sowie die "Regeln zum Schutz jugendlicher Häftlinge" (A/RES/45/113), die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am gleichen Tag verabschiedet wurden.

Verbrechensprävention und Haftbedingungen bilden seit 1955 ein Anliegen der Vereinten Nationen,3 das stets auch mit Blick auf Jugendliche4 behandelt wurde. Alle fünf Jahre findet ein "Kongreß über Prävention und die Behandlung von Straffälligen" statt, auf dem verschiedene Aspekte der Behandlung Strafgefangener erörtert werden.5 Ein wesentliches Anliegen der Vereinten Nationen ist es in diesem Zusammenhang, die Umsetzung und Anwendung der "Mindestgrundsätze für die Behandlung von Strafgefangenen" (Fn. 3) voranzutreiben.6 Inzwischen flankieren weitere Erklärungen diese Mindestgrundsätze.7

Die oben genannten Richtlinien sind sehr umfassend, gehen weit über eine rein juristische Betrachtungsweise hinaus, behandeln zahlreiche Bereiche der sozialen Entwicklung von Jugendlichen und gehen auch auf die in diesen Phasen wichtigen und wesentlichen Impulsgeber (Eltern, Schule, Medien) ein.

Ziel der Richtlinien ist es, nicht kurzfristig Symptome zu bekämpfen, sondern langfristig die Ursachen solcher Kriminalität zu beseitigen. Der Katalog der enthaltenen Vorschläge umfaßt generelle Hinweise - Verbesserung des sozialen Klimas, Rücksichtnahme auf Belange von Kindern und Jugendlichen - ebenso wie konkrete Vorgaben. So sollen etwa die Medien Jugendlichen einen umfassenden Informationszugang gewährleisten und über deren positiven Beitrag zur Gesellschaft berichten (Art. 40, 41).

Die Richtlinien regen die Verabschiedung von Gesetzen an, die die Rechte der Zielgruppe fördern und schützen sollen (Art. 52). Die Einrichtung besonderer mit der Interessenwahrnehmung von Kindern und Jugendlichen betrauter, unabhängiger Institutionen (beispielsweise Ombudsmann) wird angeregt.

Insgesamt spiegeln diese Vorschläge die Auffassung wider, daß Prävention strukturelle Veränderungen bestehender Gesellschaftsformen - die für das Entstehen von Kriminalität verantwortlich seien - erfordert. Dabei haben die Richtlinien stets auch den besondere Aufmerksamkeit erfordernden Einzelfall (Risikogruppe/Art. 24, Auffällige/Art. 30, Straßenkinder/Art. 38) im Blick.

Als weiteres Grundanliegen der Richtlinien ist ihr Eintreten für die Vollwertigkeit der Kinder und Jugendlichen und ihre dementsprechende umfassende Anerkennung durch die und Teilhabe an der Gesellschaft zu nennen.

Ein wichtiges Ziel der Richtlinie ist es, auf die national zuständigen Gesetzgeber einzuwirken. Dies soll zunächst aus der Perspektive der Richtlinien selbst, sodann aus der der Staaten betrachtet werden.

Im Zusammenhang mit den wichtigsten Menschenrechtsdokumenten der Vereinten Nationen einerseits und spezifisch auf Jugendliche ausgerichteten Instrumenten andererseits entwerfen die Richtlinien ein breitangelegtes Panorama von Maßnahmen, mit denen Staat und Gesellschaft gegen die Ursachen von Kinder- und Jugendkriminalität vorgehen sollen.

Die Richtlinien betonen einen wichtigen Aspekt des Themas Kriminalität. Sie greifen über den traditionellen Ansatz - Strafverfolgung und -vollstreckung - hinaus und stellen die Prävention von Kinder- und Jugendkriminalität in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. In Verbindung mit der im gleichen Jahr in Kraft getretenen Kinderrechtskonvention,8 deren umfassende und generellere Gehalte durch den spezielleren Blickwinkel der Richtlinien neu akzentuiert wird, wird versucht, eine Befolgungspflicht der Staaten zu entwickeln.

Die Institution eines Ombudsmannes (Art. 57) soll das Verhalten der Staaten im Sinne der Richtlinie lenken und kontrollieren.

Die Staaten sind - um die Perspektive zu wechseln - an die als Resolution der Generalversammlung ergangene Richtlinie ("Soft Law") nicht gebunden. Ob sie als Konkretisierung der Kinderrechtskonvention Verbindlichkeit erlangen kann, ist äußerst fraglich. Die Erfahrung lehrt, daß Staaten bei unverbindlichen Resolutionen weiterreichende Erklärungen abgeben als sie später rechtliche Verpflichtungen zu übernehmen bereit sind (Beispiele: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - Pakte; Folterdeklaration - Folterkonvention). Außerdem ist eine nachherige Änderung von Verpflichtungen nur im Rahmen von Art. 39 ff. der Wiener Vertragsrechtskonvention möglich.
 

 
3.
II. Rechtsbeistand im nationalen Vergleich
1. 
 
Am ausgewählten Beispiel des Rechtsbeistandes in Gerichtsverfahren9 soll untersucht werden, welche Modelle verschiedener Staaten hier zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vorsehen.

Aus Neuseeland wird berichtet, daß ein hoher Teil von Jugendkriminalität durch außergerichtliche Behandlung (Diversion) beendet werde; die Quote liege bei 90 %. Die neuseeländischen Gesetze sehen eine zwingende Vertretung des Jugendlichen durch einen Rechtsanwalt vor, hierauf kann vom Jugendlichen nicht verzichtet werden. Die Rechtsanwälte werden durch spezielle Kurse auf ihre besondere Tätigkeit vorbereitet. Insgesamt wird aus Neuseeland berichtet, daß man mit dieser Art der gerichtlichen Vertretung positive Erfahrungen gemacht habe, insbesondere wirke sie den Gefühlen des Ausgeliefertseins bei den Kindern und Jugendlichen entgegen.

Für Israel ist festzuhalten, daß es keinen gesetzlichen Anspruch auf einen Rechtsanwalt gibt. Ein mit Kinder- und Jugendkriminalität befaßter israelischer Richter vertrat die Ansicht, daß er rechtsanwaltliche Vertretung für entbehrlich halte, sie sogar als eher schädlich beurteile. Anwaltliche Vertretung sei entbehrlich, weil der Schutz der Rechte von Kindern und Jugendlichen durch den Richter und auch den Ankläger hinreichend gewährleistet sei; außerdem nähmen die Eltern an den Verfahren teil. Dieses Modell ermögliche es, daß ein direkter Draht zwischen dem Jugendlichen und dem Richter entstehe, der es dem Richter ermögliche, eine positive Wandlung beim Jugendlichen - hin zur Gesetzestreue - zu bewirken. Demgegenüber könne sich das Einschalten eines Anwaltes eher schädlich auswirken, weil dieser die Nähebeziehung zwischen Richter und Angeklagtem störe, aus prozeßtaktischen Erwägungen vorgehe und nicht primär das Interesse des Jugendlichen im Blick habe. Bei gleicher Gelegenheit äußerte ein Anwalt dagegen ein hohes Bedürfnis auch im israelischen System nach anwaltlicher Vertretung von Kindern und Jugendlichen in Strafprozessen. Auf keinen Fall sei es so, daß sie der Prozeßerledigung in irgendeiner Weise schade.

Mit Blick auf die USA liegt seit Anfang 1996 eine nationale Studie der American Bar Association10 vor, die vier Erkenntnisse zusammenfaßt:

(1) Obwohl die gegenüber Jugendlichen verhängten Strafen in den letzten Jahren härter geworden sind, nimmt ein signifikanter Anteil jugendlicher Angeklagter keine rechtliche Vertretung in Anspruch. Häufig seien Eltern nicht bereit, die entstehenden Kosten zu übernehmen. Der Verzicht beruhe nach der Studie nicht auf einer bewußten und überlegten Entscheidung, wie sie die Gesetze erforderten.

(2) Die Arbeitsbelastung der Jugendanwälte sei hoch, Ausstattung, Ausbildung, Ansehen und Bezahlung gering. Eine verstärkte und bessere Zusammenarbeit u.a. mit Sozialarbeitern wird gefordert.

(3) Nicht alle der befragten Anwälte sind berechtigt, Rechtsmittel einzulegen. Mehrheitlich wird in Jugendstrafsachen tatsächlich auch kein Rechtsmittel eingelegt.

(4) Die in diesem Bereich tätigen Anwälte haben kaum Mittel für Aus- und Weiterbildung zur Verfügung, es gibt kein hinreichendes Kursangebot, die meisten Kanzleien verfügen über keinerlei Spezialliteratur oder höchstens ein entsprechendes Handbuch.
 

 
 4.
III. Strafjustiz gegenüber Kindern
2. 
 
Covell und Howe präsentieren eine Studie über die Strafjustiz gegenüber Kindern und Jugendlichen in Kanada.11 Diese hat das Ziel, festzustellen, ob Kanada die Vorgaben der Artikel 37 und 40 der Konvention über die Rechte des Kindes12 erfüllt.
 
Artikel 37: 

Die Vertragsstaaten stellen sicher,  

a) daß kein Kind der Folter oder einer anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen wird. Für Straftaten, die von Personen vor Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs begangen worden sind, darf weder die Todesstrafe noch lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit vorzeitiger Entlassung verhängt werden;  

b) daß keinem Kind die Freiheit rechtswidrig oder willkürlich entzogen wird. Festnahme, Freiheitsentziehung oder Freiheitsstrafe darf bei einem Kind im Einklang mit dem Gesetz nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden;  

c) daß jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, menschlich und mit Achtung vor dem Menschen innewohnenden Würde und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Personen seines Alters behandelt wird. Insbesondere ist jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, von Erwachsenen zu trennen, sofern nicht ein anderes Vorgehen als dem Wohl des Kindes dienlich erachtet wird; jedes Kind hat das Recht, mit seiner Familie durch Briefwechsel und Besuche in Verbindung zu bleiben, sofern nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen;  

d) daß jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, das Recht auf umgehenden Zugang zu einem rechtskundigen oder anderen geeigneten Beistand und das Recht hat, die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Behörde anzufechten, sowie das Recht auf alsbaldige Entscheidung in einem solchen Verfahren. 

Artikel 40: 

(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht jedes Kindes an, das der Verletzung der Strafgesetze verdächtigt, beschuldigt oder überführt wird, in einer Weise behandelt zu werden, die das Gefühl des Kindes für die eigene Würde und den eigenen Wert fördert, seine Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten anderer stärkt und das Alter des Kindes sowie die Notwendigkeit berücksichtigt, seine soziale Wiedereingliederung sowie die Übernahme einer konstruktiven Rolle in der Gesellschaft durch das Kind zu fördern.  

(2) Zu diesem Zweck stellen die Vertragsstaaten unter Berücksichtigung der einschlägigen Bestimmungen internationaler Übereinkünfte insbesondere sicher,  

    a) daß kein Kind wegen Handlungen oder Unterlassungen, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem Recht oder Völkerrecht nicht verboten waren, der Verletzung der Strafgesetze verdächtigt, beschuldigt oder überführt wird;  

    b) daß jedes Kind, das einer Verletzung der Strafgesetze verdächtigt oder beschuldigt wird, Anspruch auf folgende Mindestgarantien hat:  

      i) bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld als unschuldig zu gelten,  

      ii) unverzüglich und unmittelbar über die gegen das Kind erhobenen Beschuldigungen unterrichtet zu werden, gegebenenfalls durch seine Eltern oder seinen Vormund, und einem rechtskundigen oder anderen geeigneten Beistand zur Vorbereitung und Wahrnehmung seiner Verteidigung zu erhalten,  

      iii) seine Sache unverzüglich durch eine zuständige Behörde oder ein zuständiges Gericht, die unabhängig und unparteiisch sind, in einem fairen Verfahren entsprechend dem Gesetz entscheiden zu lassen, und zwar in Anwesenheit eines rechtskundigen oder anderen geeigneten Beistands sowie - sofern dies nicht insbesondere in Anbetracht des Alters oder der Lage des Kindes als seinem Wohl widersprechend angesehen wird - in Anwesenheit seiner Eltern oder seines Vormunds,  

      iv) nicht gezwungen zu werden, als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, sowie die Belastungszeugen zu befragen zu lassen und das Erscheinen und die Vernehmung der Entlastungszeugen unter gleichen Bedingungen zu erwirken,  

      v) wenn es einer Verletzung der Strafgesetze überführt ist, diese Entscheidung und alle als Folge davon verhängten Maßnahmen durch eine zuständige übergeordnete Behörde oder ein zuständiges höheres Gericht, die unabhängig und unparteiisch sind, entsprechend dem Gesetz nachprüfen zu lassen,  

      vi) die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn das Kind die Verhandlungssprache nicht versteht oder spricht,  

      vii) sein Privatleben in allen Verfahrensabschnitten voll geachtet zu sehen. 

(3) Die Vertragsstaaten bemühen sich, den Erlaß von Gesetzen sowie die Schaffung von Verfahren, Behörden und Einrichtungen zu fördern, die besonders für Kinder, die einer Verletzung der Strafgesetze verdächtigt, beschuldigt oder überführt werden, gelten oder zuständig sind; insbesondere   a) legen sie ein Mindestalter fest, das ein Kind erreicht haben muß, um als strafmündig angesehen zu werden,  

b) treffen sie, soweit dies angemessen und wünschenswert ist, Maßnahmen, um den Fall ohne ein gerichtliches Verfahren zu regeln, wobei jedoch die Menschenrechte und die Rechtsgarantien uneingeschränkt beachtet werden müssen. 

(4) Um sicherzustellen, daß Kinder in einer Weise behandelt werden, die ihrem Wohl dienlich ist und ihren Umständen sowie der Straftat entspricht, muß eine Vielzahl von Vorkehrungen zur Verfügung stehen, wie Anordnungen über Betreuung, Anleitung und Aufsicht, wie Beratung, Entlassung auf Bewährung, Aufnahme in eine Pflegefamilie, Bildungs- und Berufsbildungsprogramme und andere Alternativen zur Heimerziehung.
 
Die Studie entstand vor dem Hintergrund, daß in Kanada Kinder und Jugendliche immer häufiger zu Haftstrafen verurteilt werden und die Urteile immer härter ausfallen.13 Demgegenüber fordere die Öffentlichkeit ein noch härteres Durchgreifen. Trotz im wesentlichen gleichbleibender Kriminalität von Kindern und Jugendlichen herrsche eine Panikstimmung in Kanada, geschnürt durch plakative Berichterstattung in den Medien. Diese führe dazu, daß die Öffentlichkeit stets nur die Opfer kennenlerne und nichts über die Persönlichkeit und Vorgeschichte des Täters wisse. Die Öffentlichkeit fordere außerdem, Kinder und Jugendliche wie Erwachsene zu behandeln.

Das seit 1984 in Kraft befindliche "Gesetz über Jugendliche Kriminelle" (Young Offender Act, YOA) habe eine Neuorientierung14 des auf Kinder und Jugendliche bezogenen Kriminalrechts gebracht. Während es früher in einer paternalistischen Manier darum gegangen sei, Gestrauchelte auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, verfolge der YOA einen neuen Ansatz. Jetzt stünden die Rechte der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt: Auf einem gerechten und geregelten Prozeß und auf Mitwirkung. Der YOA nehme für zwölfjährige und ältere Kinder und Jugendliche eine strafrechtliche Verantwortlichkeit an, sehe aber eine spezielle altersgerechte Behandlung während des Verfahrens und der Strafvollstreckung vor. Insoweit nimmt die Studie eine Konformität des kanadischen Rechts mit der Kinderrechtskonvention an.

Gleichzeitig würden Kinder und Jugendliche aber gemeinsam mit Erwachsenen in Erwachsenenhaftanstalten untergebracht (Kanada hat einen entsprechenden Vorbehalt zur Kinderrechtskonvention) und die zuständigen Provinzen hätten stark variierende Praktiken.

Reformen des YOA in den Jahren 1992 und 1995 - also nach Inkrafttreten der Kinderrechtskonvention - hätten die Behandlung von Kindern und Jugendlichen15 an die der Erwachsenen weiter angeglichen.

Die Studie möchte auch herausfinden, ob die von übergroßen Mehrheiten in der Bevölkerung geäußerten Meinungen zu Kriminalität von Kindern und Jugendlichen - zu nachsichtige Strafen, Forderung nach mehr und höheren Verurteilungen, Behandlung wie Erwachsene - durch eine ausführliche Information verändert und die "Puni-tive attitude" vermindert werden können.

Die Befragung untersuchte demzufolge die Kenntnis der Teilnehmer über den YOA und ihrer Einstellung zu vier verschiedenen, schweren Verbrechen. Ein Teil der Gruppe erhielt dabei zusätzlich vier bis fünf Sätze mit Informationen über den persönlichen Hintergrund des Täters.

Die Autoren beschreiben ihr Ergebnis folgendermaßen:

Grundsätzlich sei eine harsche Haltung gegenüber jugendlichen Kriminellen festzustellen. Hierauf wirke sich der relativ hohe Kenntnisstand über den YOA nicht aus. Die meisten Befragten stünden diesem Gesetz zudem kritisch gegenüber.

Während es zwischen Männern und Frauen keine signifikanten Unterschiede in der Haltung gegenüber jugendlichen Tätern gebe, werde deutlich, daß Heranwachsende selbst weniger harsch urteilten als Erwachsene. Durch alle Gruppen hindurch sinke jedoch die Forderung nach strafrechtlicher Verwahrung zu Gunsten einer sozialen und medizinischen Behandlung, wenn die knappen Informationen über den persönlichen Hintergrund des Täters geliefert wurden.

Die Autoren meinen, die Öffentlichkeit könne durch Information Empathie mit den Tätern entwickeln und daraufhin weniger nach dem (Erwachsenen-) Strafrecht rufen.
 

 
 
IV. Erstbericht der Bundesrepublik Deutschland zur Kinderrechtskonvention
3. 
 
Der Erstbericht der Bundesrepublik Deutschland zur Kinderrechtskonvention16 gemäß Art. 44 lag dem Ausschuß für Kinderrechte während seiner 10. Session (30.10. - 17.11.1995) zur Beratung vor. Funktion des Erstberichtes ist es, dem Ausschuß umfassend darzulegen, wie die Konvention umgesetzt wird. Dabei ist auch auf Maßnahmen einzugehen, welche das innerstaatliche Recht und seine Anwendung mit den Bestimmungen der Konvention in Einklang bringen sollen. Ferner ist zu erläutern, inwieweit der Genuß der in der Konvention garantierten Rechte fortgeschritten ist. Außerdem ist auf die Problembereiche und Schwierigkeiten hinzuweisen, die eine vollständige Befolgung der Konvention verhindern. Schließlich sind die Schwerpunkte der Umsetzung und spezifische Ziele für die Zukunft darzulegen.

Der Ausschuß würdigte das internationale Engagement Deutschlands zugunsten der Kinder, beispielsweise hinsichtlich des Verbotes von Kinderarbeit und des Verbots des Handels mit Antipersonen(land)minen.

Die Diskussion drehte sich auch um die weitreichenden deutschen Vorbehalte zu Art. 40 II b (ii),17 der Ausschuß sah hierin eine Beschränkung des Zugangs zu Gericht und auf rechtlichen Beistand.

Der Ausschuß würdigte die Aufnahme einer großen Zahl von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen (vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien). Er mahnte aber, daß gleichzeitig den speziellen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen innerhalb dieser Gruppen durch die deutsche Rechtspraxis zu wenig Rechnung getragen werde.

Unter den Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Rechte von Kindern einsetzen, ist auf die "National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonven-tion in Deutschland" hinzuweisen, der (Stand Mai 1996) 63 Verbände angehören. Dieser Zusammenschluß hat auch eine eigene Stellungnahme zum Erstbericht der Bundesrepublik Deutschland abgegeben. Zu ihren Anliegen zählt unter anderem, daß Kinder bei staatlichen Umsetzungsmaßnahmen zur KRK als Subjekte begriffen werden und die Vorgaben der Konvention zu einem prägenden Maßstab staatlichen Handelns werden.18



  Anmerkungen:
 
1 vgl. nur Michael Schwelien, Das Wunder von New York, in: Die Zeit, Nr. 14 vom 28. März 1997, S. 7
2 "Keine Erziehung ohne Strafe", Interview mit dem sächsischen Justizminister Steffen Heitmann, in: Focus, Nr. 14 vom 31. März 1997, S. 54 f.; zur Diskussion über mögliche Strafarten siehe Joachim Niebeling, Vermögensstrafe - eine neue Sanktion auch des Jugendstrafrechts?, in: NStZ 1997, 63ff.
3 vgl. die Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners, die auf dem "Ersten Kongreß über Prävention und die Behandlung von Straffälligen" im Jahre 1955 erarbeitet und vom Wirtschafts- und Sozialrat mit Res. 663 CI (XXIV) vom 31. Juli 1957 angenommen wurden; deutscher Text bei Christian Tomuschat (Hrsg.), Menschenrechte. Eine Sammlung internationaler Dokumente zum Menschenrechtsschutz, 1992, 266-285
4 etwa in Art. 8 d (getrennte Unterbringung) und Art. 85 Abs. 2 (besondere Anstalten für junge Untersuchungsgefangene) der Mindestgrundsätze
5 Der siebente Kongreß entwarf die "United Nations Standard Minimun Rules for the Administration of Juvenile Justice", die sogenannten "Beijing Rules", die sehr grundsätzlich Fragen der Strafmündigkeit, der Jugendgerichtsorganisation und der Haft behandeln. Die Generalversammlung verabschiedete die "Beijing Rules" als Res. 40/33 am 29. November 1985.
6 Vgl. ECOSOC Res. 1984/47 vom 25. Mai 1984, als deren Konsequenz ein Berichtsverfahren etabliert wurde, mit dem die Staaten ihre Fortschritte bei der Umsetzung der Mindestgrundsätze dokumentieren.
7 Grundsatzkatalog für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen, GV Res. 43/173 vom 9. Dezember 1988 und Grundprinzipien für die Behandlung von Gefangenen, GV Res. 45/111 vom 14. Dezember 1990, deutscher Text jeweils bei Christian Tomuschat (Fn. 3), S. 285-287, S. 287-297.
8 vom 20. November 1989, BGBl. 1992 II S. 121
9 vgl. den Bericht über die International Conference on the Representation of Juvenile Offenders, Tel Aviv, 27 - 28 March 1995, in: IJCR 4 (1996), 89-92
10 dazu: Sharon Detrick, Inadequate legal representation of juvenile offenders in the United States, in IJCR 4 (1996), 311-313
11 Katherine Covell / R. Brian Howe, Public attitudes and juvenile justice in Canada, IJCR 4 (1996), 345 - 355
12 Fn. 7
13 vgl. die Tabellen zur Verurteilung nach Jugendstrafrecht bei jungen Männern und Frauen in Deutschland von 1990-1993 bei: Hans Göppinger, Kriminologie, 5. Aufl. 1997, S. 669
14 für Reformansätze in Deutschland vgl. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seine Neuregelung, 2. Kölner Symposium, 1992, insbes. S. 12 ff.
15 zu den Bedingungen des Jugendstrafvollzugs in Deutschland s. Hans Göppinger, (Fn. 13), S. 705 ff.; sowie Günther Kaiser / Hans-Jürgen Kerner / Heinz Schön, Strafvollzug, 4. Aufl. 1992, § 9 Rz. 85ff. (S. 332 ff.)
16 UN.-Dok. CRC/C/11/Add. 5 vom 16. September 1994
17 Art. 40 zählt zu den Vorschriften, die die meisten Vorbehalte auf sich vereinen. Die Bundesrepublik befindet sich hier in Gesellschaft von einigen europäischen Staaten wie Belgien, Dänemark, Frankreich und den Niederlanden, aber auch Tunesiens und der Republik Korea.
18 vgl. Agenda der National Coalition, in: Forum Jugendhilfe, 2/1996, S. 13f.
 
Quelle: MenschenRechtsMagazin Heft 4 - Oktober 1997, S. 25-31

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