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2. Überblick über die materiellen Inhalte der Konvention 3. Organe der Konvention 4. Entscheidungen |
2. Verfahren vor der Kommission I (Zulässigkeit) 3. Vorläufige Maßnahmen 4. Verfahren vor der Kommission II (Meritorisches Verfahren) 5. Verfahren vor dem Gerichtshof (Begründetheit) 6. Entscheidung des Ministerkomitees 7. Kontrollverfahren 8. Entscheidungswirkung |
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II. | |
Um diese Ziele zu erreichen, sieht die Satzung des Europarates3 eine umfassende, alle wesentlichen Politikbereiche abdeckende Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten vor. Nachdem insbesondere die wirtschaftlichen Beziehungen der westeuropäischen Staaten in der Folgezeit in den Europäischen Gemeinschaften - Europäische Atomgemeinschaft (EAG),4 Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)5 und Europäische (Wirtschafts-) Gemeinschaft (E[W]G)6 - organisiert wurden, konzentrierte sich der Europarat zunehmend auf den Schutz der Menschenrechte. Diese Aufgabe wird in der Präambel und Art. 1 der Satzung formuliert und soll der Herbeiführung einer größeren Einigkeit unter den Mitgliedstaaten dienen.
Auf der Ebene der Vereinten Nationen geriet der Prozeß, ein System des internationalen Menschenrechtsschutzes zu errichten, rasch nach Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung vom 10. Dezember 19487 ins Stocken. Deshalb beschlossen die im Europarat zusammengeschlossenen - damals allein westeuropäischen - Staaten, ein regionales System ins Leben zu rufen. Unter Berufung auf ihr „gemeinsames Erbe an geistigen Gütern, politischen Überlieferungen, Achtung der Freiheit und Vorherrschaft des Gesetzes" (Präambel der EMRK, Abs. 5) wollten sie auf dem Weg zu einer universellen und kollektiven Geltung der Menschenrechte vorangehen.
Nach wie vor bildet das - nach dem Sitz der Organisation benannte
- Straßburger System das Kernstück des europäischen Menschenrechtsschutzes.
Inzwischen haben sich aber auch andere Organisationen, wie die Organisation
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und nicht zuletzt die
Europäische Gemeinschaft dem Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
zugewandt.8
Die Konvention gewährt das Recht auf Leben (Art. 2), verbietet Folter (Art. 3), Sklaverei und Zwangsarbeit (Art. 4). Sie statuiert ein Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5), regelt den Anspruch auf rechtliches Gehör und Rechte des Angeklagten (Art. 6) sowie den Grundsatz nulla poena sine lege (Art. 7). Die Konvention ruft ferner zur Achtung der privaten Sphäre auf (Art. 8), gewährt ein Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 9), auf freie Meinungsäußerung (Art. 10), Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 11), ein Recht auf Ehe und Familie (Art. 12) und verbietet schließlich Diskriminierung im Hinblick auf die Ausübung der gewährten Rechte (Art. 14).
Das 1. Zusatzprotokoll (aus dem Jahr 1952 / in Kraft seit 1954)
gewährleistet den Schutz des Eigentums. Im 4. Zusatzprotokoll (aus dem
Jahr 1963 / in Kraft seit 1968) wird unter anderem die Freizügigkeit garantiert.
Das Verbot der Todesstrafe findet sich im 6. Zusatzprotokoll (aus dem Jahr 1983
/ in Kraft seit 1985). Das 7. Zusatzprotokoll (aus dem Jahr 1984 / in Kraft
seit 1988)9 erweitert u. a. die Garantien
im Strafverfahren und für Ausländer.
Die EMRK verfügt über zwei eigene Organe: Die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR, Art. 20ff.) und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, Art. 38ff.). Die Zahl der Mitglieder von Kommission und Gerichtshof entspricht jeweils der Zahl der Vertragsstaaten, heute gehören jedem Gremium also 40 Mitglieder an. Beide sind mit der Überwachung der materiellen Garantien betraut, ergänzende Kompetenzen werden vom Ministerkomitee des Europarates nach Maßgabe der Art. 31 und 32 wahrgenommen. Kommission und Gerichtshof bilden keine ständigen Einrichtungen, sondern tagen in Sessionen; sie treten mehrmals im Jahr für jeweils zwei Wochen zusammen. Der Kommission steht ein permanentes Sekretariat zur Seite, der Gerichtshof wird von der Kanzlei unterstützt.
Die Konvention sieht in Art. 24 ein Staatenbeschwerdeverfahren
vor und räumt dem einzelnen in Art. 25ff. die Möglichkeit ein, sich
direkt gegen behauptete Menschenrechtsverletzungen zu wehren. Der Ablauf eines
Individualbeschwerdeverfahrens nach Art. 25ff soll an dieser Stelle nur insoweit
skizziert werden, als daraus die Aufgaben der beteiligten Organe deutlich werden
(Einzelheiten s. u. III):
Bisher wird eine Beschwerde von der Europäischen Menschenrechtskommission
auf ihre Zulässigkeit hin überprüft. Etwa 10 Prozent aller Beschwerden
(rund zweitausend werden pro Jahr registriert) überwinden diese Verfahrenshürde.
Scheitert eine gütliche Einigung vor der Kommission, so leitet diese den
Fall mit einer Stellungnahme zur behaupteten Menschenrechtsverletzung an das
Ministerkomitee weiter. Dieses entscheidet, wenn der Gerichtshof nicht innerhalb
von drei Monaten durch den betroffenen Staat, die Kommission oder - gemäß
dem 9. Zusatzprotokoll - vom Beschwerdeführer angerufen wird. Die Entscheidungen
von Komitee und Gerichtshof sind gleichermaßen verbindlich.
Dem eigentlichen Urteil ist eine Zusammenfassung der Kanzlei vorangestellt, die auch Verbindungen zu älteren Fällen herstellt. Nach Informationen über die Zusammensetzung des Gerichts und den Daten der Behandlung des Falles in Straßburg referiert das Urteil den zugrundeliegenden Sachverhalt, den Verfahrensablauf vor der Kommission und deren Schlußfolgerungen. Die anschließenden rechtlichen Erwägungen nehmen zunächst auf das Vorbringen der Beteiligten Bezug und enthalten danach die Würdigung des Gerichtshofs. Am Schluß des Urteils steht der Tenor. Kennzeichnende Elemente der Entscheidung sind der Name des Beschwerdeführers (gegebenenfalls durch Anfangsbuchstaben oder ein „X" anonymisiert) und des beklagten Mitgliedstaates.11 Hinzu tritt das Datum der Entscheidungsverkündung.
Das Aktenzeichen spielt für die Zitierung eine eher untergeordnete Rolle. Gleichwohl soll sein Aufbau kurz erläutert werden. Es besteht aus vier Teilen, z.B.: 53/1994/500/582. Dabei kennzeichnen die ersten beiden Zahlen die Reihenfolge des Eingangs beim Gerichtshof im jeweiligen Jahr. Der Beispielsfall wurde dem Gerichtshof demnach als 53. Sache im Jahr 1994 zur Entscheidung vorgelegt. Die dritte Zahl steht für die Position des Falles auf der Liste aller Eingänge seit der Schaffung des Gerichtshofs und die vierte gibt dies für die entsprechende Liste der Kommission an. Die Differenz beider Zahlen rührt daher, daß der Gerichtshof Fälle zu einer gemeinsamen Entscheidung verbinden kann.
Die Urteile (bis 31. Dezember 1996 insgesamt 711) werden in der amtlichen Sammlung des Gerichtshofs, in der sogenannten Serie A, veröffentlicht.12 Ihre Serie B enthält die Verfahrensdokumente von insgesamt 105 Fällen. Die beiden Reihen erscheinen im Carl Heymanns Verlag.13 Eine von diesem Verlag begonnene deutsche Ausgabe der Serie A gelangte nicht über drei Bände hinaus. Die Europäische Grundrechte-Zeitschrift (EuGRZ) veröffentlicht seit 1974 einen Großteil der Entscheidungen in deutscher Übersetzung, teilweise aber mit leider erheblicher zeitlicher Verzögerung. Der vom Österreichischen Institut für Menschenrechte (ÖIMR) herausgegebene „NEWSLETTER" bietet in der Regel frühzeitiger eine deutschsprachige Zusammenfassung - auch von Kommissionsentscheidungen -, wobei der Schwerpunkt aber naturgemäß auf den Fällen mit österreichischer Beteiligung liegt.
Das Jahrbuch zur EMRK wird von der Direktion für Menschenrechte des Europarates herausgegeben. Es erscheint etwa zwei Jahre nach dem Berichtszeitraum und erfährt wegen seines hohen Preises eine äußerst geringe Verbreitung. Hier finden sich ausgewählte Entscheidungen der Kommission, Auszüge oder Zusammenfassungen der Urteile des Gerichtshofs sowie die Texte der „Entschließung" genannten Entscheidungen des Ministerkomitees.
Durch das 11. Zusatzprotokoll14
soll ein permanent tagender Gerichtshof für Menschenrechte errichtet werden
und gleichzeitig die Kommission wegfallen. Das Ministerkomitee soll keine eigene
Entscheidungsbefugnis mehr haben, sondern nur noch für die Überwachung
der Urteilsausführung durch die Mitgliedstaaten zuständig sein (Einzelheiten
s. u. III).
III. | |
2. | |
Die Individualbeschwerde ist dadurch charakterisiert, daß sie - darin der Verfassungsbeschwerde nach deutschem Recht vergleichbar - einen subsidiären und spezifischen Rechtsbehelf darstellt. Der Subsidiaritätsgrundsatz hat seinen Niederschlag einerseits im Gebot der Rechtswegerschöpfung (dazu unten 2b), andererseits im Beurteilungsspielraum der nationalen Entscheidungsinstanzen (dazu unten 5c) gefunden. Als spezifischer Rechtsbehelf steht die Individualbeschwerde nur für die Rüge der Verletzung der in der Konvention garantierten Rechte zur Verfügung.
Eine Individualbeschwerde nach Straßburg hat - wiederum
der deutschen Verfassungsbeschwerde vergleichbar - keine aufschiebende Wirkung.
Allerdings kann die Kommission in bestimmten Eilfällen vorläufigen
Rechtsschutz gewähren (s. u. 3).
3. | |
1. |
Die Zulässigkeit der Individualbeschwerde wird von der Europäischen
Kommission für Menschenrechte geprüft.
Nach Eingang im Sekretariat wird die Beschwerde registriert und dem zuständigen
Kommissionsmitglied zur Vorprüfung vorgelegt. Dieser Berichterstatter macht
nach § 47 VerfOKom einen Vorschlag zum weiteren Verfahren. Der Beschwerdeführer
kann aufgefordert werden, ergänzende Tatsachenauskünfte vorzulegen.
Bei offensichtlicher Unzulässigkeit nach Art. 27 kann die Beschwerde von
einem Dreierausschuß der Kommission zurückgewiesen werden, ohne sie
der belangten Regierung zur Kenntnis zu bringen (Art. 20 Abs. 3). In allen übrigen
Fällen wird die Sache regelmäßig einer der beiden Kammern der
Kommission zugewiesen. Die Kammern können Fälle wegen ihrer Bedeutung
an das Plenum verweisen, das seinerseits auch Kammerfälle an sich ziehen
kann (Art. 20 Abs. 2 und 4). Die Regierung des belangten Staates wird um eine
schriftliche Stellungnahme ersucht.
Dem Beschwerdeführer kann ab diesem Zeitpunkt Verfahrenshilfe gewährt
werden. Das Sekretariat weist den Beschwerdeführer hierauf hin. Etwa 30%
der Beschwerdeführer erhalten Verfahrenshilfe. Da das Verfahren vor den
Straßburger Instanzen kostenfrei ist, bezieht sich die Verfahrenshilfe
auf die Kosten des Beschwerdeführers oder seines Rechtsbeistandes.
Im Anschluß an diese vier allgemeinen Voraussetzungen prüft die Kommission zunächst ihre Zuständigkeit ratione personae:
Die Parteifähigkeit regelt Art. 25 Abs. 1
Satz 1. Dort ist von (natürlichen) Personen, Personenvereinigungen und
nichtstaatlichen Organisationen die Rede. Anders als der englische Text schränkt
die gleichermaßen verbindliche französische Version den Begriff der
Person auf „natürliche" Personen ein.
Aus der Regelung folgt, daß natürliche Personen als
Beschwerdeführer grundsätzlich uneingeschränkt parteifähig
sind. Insbesondere ergeben sich keine Einschränkungen aus dem Alter, der
Geschäftsfähigkeit oder - da die EMRK Menschenrechte und keine Bürgerrechte
garantiert - aus der Staatsangehörigkeit.18
Ob das ungeborene Kind parteifähig ist, wurde bislang ausdrücklich
offengelassen.19 Die Konventionsrechtsfähigkeit
und Parteifähigkeit natürlicher Personen enden mit dem Tode. Erben
können das Individualbeschwerdeverfahren unter Beibehaltung des Rubrums
grundsätzlich fortführen.20
Art. 25 Abs. 1 Satz 1 setzt für die Parteifähigkeit juristischer
Personen voraus, daß es sich um Personenvereinigungen (Dies trifft
z. B. nicht für Stiftungen zu, die keine Mitglieder haben.) oder um nichtstaatliche
Organisationen handelt. Die Kommission bejaht die Parteifähigkeit juristischer
Personen des Privatrechts als nichtstaatlicher Organisationen in ständiger
Rechtsprechung.21 Bei juristischen Personen
des öffentlichen Rechts verneint die Kommission regelmäßig den
nichtstaatlichen Charakter - unabhängig von der dem deutschen Rechtsanwender
geläufigen Differenzierung nach der Art ihres Handelns (fiskalisch oder
als Hoheitsträger).22 Nichtstaatliche
Organisationen können als Beschwerdeführer nur eigene Rechte - wie
etwa die Versammlungsfreiheit nach Art. 11 -, nicht aber die ihrer Mitglieder
geltend machen.
Die Prozeßfähigkeit wird, um den Schutzzweck der EMRK verwirklichen zu können, von der Kommission nicht nach Kriterien des nationalen Rechts bestimmt. Denn gerade in der Aberkennung der Prozeßfähigkeit könnte ja eine Menschenrechtsverletzung liegen. Daher soll die bloße Personenqualität des Beschwerdeführers genügen.23 In jedem Fall können Minderjährige oder Entmündigte als beschränkt prozeßfähige Personen die für sie einschlägigen Rechte geltend machen.24
Der Beschwerdeführer muß - im Wortlaut der EMRK (Art. 25) - Opfer der behaupteten Menschenrechtsverletzung sein. Das heißt, er muß betroffen (Adressat der angegriffenen Maßnahme) sein und eine Beschwer (Verletzung in eigenen Rechten) behaupten.
Gegenstand der Beschwerde ist ein bestimmtes Handeln, unter Umständen auch ein Unterlassen des beklagten Vertragsstaates.
Der Beschwerdegegner, also der beklagte Staat, muß die EMRK beziehungsweise das materiell einschlägige Zusatzprotokoll ratifiziert und diesbezüglich das Invidvidualbeschwerderecht (Art. 25) und die Zuständigkeit des Gerichtshofs (Art. 46) anerkannt haben. Hier wird die Reform des Individualbeschwerdeverfahrens durch das 11. Zusatzprotokoll dazu führen, daß das Recht, Beschwerde einzulegen, nicht mehr von den betroffenen Staaten durch - zumeist befristete - Erklärungen25 gewährt wird, sondern künftig in jedem Fall zwingend besteht (neuer Art. 34).
Die Kommission ist ratione loci zuständig, wenn der beklagte Staat für die angegriffene Handlung oder Unterlassung verantwortlich gemacht werden kann.
Aus dem zeitlichen Geltungsbereich der Konvention und ihrer Zusatzprotokolle ergeben sich heute für die Zulässigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteter Beschwerden regelmäßig keine Probleme, weil das Inkrafttreten bereits länger zurückliegt. Völkerrechtliche Vorschriften entfalten keine Rückwirkung, so daß materielle Garantien der EMRK erst nach Ratifizierung und Inkrafttreten für den jeweiligen Staat wirksam sind. Liegt die angegriffene Maßnahme zeitlich vorher, erfolgt die Unzulässigkeitserklärung ratione temporis.
Die Beschwerde muß sich auf ein für den beklagten
Staat verpflichtendes Menschenrecht nach der Konvention oder dem 1., 4., 6.
oder 7. Zusatzprotokoll beziehen, anderenfalls ist sie ratione materiae
unzulässig. Man kann also etwa nicht eine Verletzung des Rechts
auf Arbeit, des Rechts auf Rechtsmittelbelehrung oder auf Anrechnung der Untersuchungshaft
auf die Strafhaft geltend machen.26
Die Bundesrepublik Deutschland hat bislang das 7. Zusatzprotokoll (vor allem
den Grundsatz ne bis in idem statuierend) nicht ratifiziert. Eine hierauf gestützte
Beschwerde wäre nach dem oben gesagten abzuweisen.
Die Zulässigkeitsprüfung schließt mit den Punkten der Rechtswegerschöpfung und der Einlegungsfrist.
Gemäß Art. 26 muß der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft sein. Dies wiederholt ein völkerrechtliches Prinzip, Angelegenheiten zunächst in der Sphäre der Staaten zu erledigen. Der Grundsatz besagt, daß der Beschwerdeführer den innerstaatlichen Rechtsweg vertikal, also durch alle Instanzen auszuschöpfen hat. Dabei sind aber nur effektive Rechtsbehelfe einzulegen. Demnach ist es beispielsweise nicht erforderlich, ein Gnadengesuch einzureichen. In der Bundesrepublik Deutschland ist regelmäßig die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht der Beschwerde nach Straßburg vorzuschalten.27 Auf einer anderen Ebene liegt das aktuelle Problem, inwieweit ein überlanges Verfassungsbeschwerdeverfahren selbst die EMRK verletzt.28 Zur Erschöpfung des Rechtsweges gehört es auch, daß den nationalen Behörden und Gerichten Gelegenheit gegeben war, sich materiell mit den behaupteten Verletzungen der Konvention auseinanderzusetzen (sog. horizontale Erschöpfung).
Art. 26 statuiert ferner eine Frist von sechs
Monaten zur Einlegung der Beschwerde. Die Kommission prüft diese Voraussetzung
erst, nachdem sie die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges festgestellt
hat. Denn die Frist beginnt mit der Eröffnung oder der Zustellung der aus-gefertigten
letztinstanzlichen Entscheidung an den Beschwerdeführer. Die Frist gilt
als gewahrt, wenn der Beschwerdeführer innerhalb von sechs Monaten einen
ersten Schriftsatz an die Kommission sendet (auch per Fax). Darin sollten die
seiner Ansicht nach verletzten Konventionsrechte aufgeführt und dargelegt
werden, daß der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft sei. Ablichtungen
der angefochtenen Entscheidungen sollten beigefügt werden.
Diese bindende Entscheidung ist Voraussetzung für den Fortgang
des Verfahrens, für den verschiedene Möglichkeiten in Betracht kommen.
Es wird aber noch keine Verletzung der Konvention festgestellt.
4. | |
2. |
Jährlich gehen über hundert Anträge auf Erlaß solcher Maßnahmen ein, im Jahr 1994 wurde ihnen in fünf, 1995 schon in vierundzwanzig und 1996 in fünfundzwanzig Fällen entsprochen. Die Anträge werden per Fax an das Sekretariat der Kommission gerichtet.30 Dort wird der Fall so schnell wie möglich geprüft.
Lehnt die Kommission den Erlaß vorläufiger Maßnahmen
ab, so unterrichtet sie den Beschwerdeführer unverzüglich und fragt,
ob er die Beschwerde aufrechterhalten will. Wird dem Antrag stattgegeben, so
wird dies der Regierung und dem Beschwerdeführer umgehend per Telefon oder
Fax mitgeteilt. Die Vertragsstaaten leisten der Aufforderung der Kommission,
von ihren aufenthaltsbeenden Maßnahmen abzusehen, regelmäßig
Folge. Die Sache wird sodann mit verkürzten Äußerungsfristen
fortgeführt.
5. | |
3. |
Die Kommission erarbeitet sodann ihren Schlußbericht gemäß
Art. 31. Dieser schildert den Sachverhalt und die ausführlich begründete
Feststellung, ob der beklagte Staat nach Ansicht der Kommission die Konvention
verletzt hat. Dieser Schlußbericht wird dem beklagten Staat und dem Ministerkomitee
übermittelt. Gemäß Art. 32 Abs. 1 beginnt nun eine Frist von
drei Monaten zu laufen, während der die Sache vor den Gerichtshof gebracht
werden kann. Antragsberechtigt sind nach Art. 48 die Kommission, der Vertragsstaat,
dessen Staatsangehöriger der Beschwerdeführer ist und der beklagte
Staat (bei Staatenbeschwerden nach Art. 24 auch der klagende Staat).
Da die Bundesrepublik Deutschland das 9. Zusatzprotokoll ratifiziert hat,32
ist in gegen sie gerichteten Verfahren auch der Beschwerdeführer selbst
zur Anrufung des Gerichtshofs berechtigt.
Seinen Antrag kann der Gerichtshof jedoch in einem obligatorischen Zulassungsverfahren
- das es in den Fällen des Art. 48 nicht gibt - durch ein aus drei Richtern
und dem Richter aus dem beklagten Staat bestehendes „Screening panel" abweisen.
Verstreicht die Ausschlußfrist des Art. 38 Abs. 1, so
entscheidet das Ministerkomitee darüber, ob eine Konventionsverletzung
vorliegt (dazu u. 5.).
6. | |
4. |
Bei Verhandlungsreife des Falles beraumt der Präsident einen Termin für
die - regelmäßig - öffentliche mündliche Verhandlung an.
Der Gerichtshof verhandelt in englischer oder französischer Sprache. Der
Beschwerdeführer oder sein Rechtsbeistand kann sich in seiner Sprache äußern,
die Übersetzungskosten trägt der Europarat. Der Gerichtshof entscheidet
mit Mehrheit, es besteht für die Richter die Möglichkeit, Sondervoten
abzugeben.
Allerdings kann der beklagte Staat die in Art. 27 aufgezählten Unzulässigkeitsgründe
(v.a. die mangelnde Erschöpfung des Rechtswegs gemäß Art. 26)
erneut vorbringen, was der Gerichtshof auch dann überprüft, wenn sich
bereits die Kommis- sion mit diesem Einwand befaßt hat.
Hierbei spielt der den nationalen Stellen eingeräumte Ermessens- oder Beurteilungsspielraum („Margin of appreciation") eine wichtige Rolle. Damit wird einerseits ein Entscheidungsvorrang der nationalen Rechtsanwender gegenüber der subsidiären Kontrolle durch die Konventionsorgane ausgedrückt, andererseits aber auch auf die in manchen Bereichen der materiellen Garantien der Konvention deutlich ausgeprägten kulturellen und sozialen Unterschiede in Europa Rücksicht genommen. Der Gerichtshof versucht, bei seinen Entscheidungen, in denen er diesen Spielraum respektiert, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem wirksamen Menschenrechtsschutz und einer Gleichbehandlung der Konventionsstaaten zu erreichen.35
Der Tenor stellt Verletzungen der EMRK fest oder verneint sie.
Dabei wird jede gerügte und geprüfte Bestimmung separat behandelt.
Es kommt durchaus vor, daß die Mehrheitsverhältnisse von Artikel
zu Artikel unterschiedlich ausfallen.
Der Gerichtshof entscheidet bereits im Urteil zur Hauptsache über die Entschädigung, wenn der Antrag entscheidungsreif ist. Dies ist der Fall, wenn er hinreichend substantiiert ist beziehungsweise nicht bestritten wird. Anderenfalls ergeht eine gesonderte Entscheidung nur zu Art. 50.
Der Schaden ist wie üblich nachzuweisen. Der Ersatz erstreckt
sich auf den wirklich erlittenen Verlust (damnum emergens) und den entgangenen
Gewinn (lucrum cessans), der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten
gewesen wäre. Zwischen dem Schaden und der Konventionsverletzung muß
ein Kausalzusammenhang bestehen.
7. | |
5. |
Die nichtöffentliche Behandlung der Sache erfolgt in der Regel auf Grundlage des Abschlußberichts der Kommission. Der Beschwerdeführer kann an den Beratungen nicht teilnehmen. Die „Resolution" genannte Entscheidung über eine Konventionsverletzung bedarf nach Art. 32 der Zweidrittelmehrheit im Ministerkomitee, derzeit also siebenundzwanzig Stimmen. Nach Inkrafttreten des 10. Zusatzprotokolls wird nur noch die einfache Mehrheit erforderlich sein. Damit soll vermieden werden, daß ein Fall unentschieden bleibt, was in der Vergangenheit durchaus schon vorkam.
Regelmäßig beschließt das Ministerkomitee, den Abschlußbericht der Kommission zu veröffentlichen. So erfährt der Beschwerdeführer nun erstmals vom Ausgang seines Falles, es sei denn, der beklagte Staat hat das 9. Zusatzprotokoll ratifiziert. Dann ist nach dem neugefaßten Art. 31 Abs. 2 der Abschlußbericht der Kommission sogleich auch an den Beschwerdeführer zuzustellen.
Wenn das Ministerkomitee eine Konventionsverletzung feststellt,
ist es berechtigt, die Kommission um Vorschläge hinsichtlich der Frage
des Schaden- und Kostenersatzes zu bitten. Diese führt sodann ein Kostenverfahren
durch, welches nicht veröffentlicht wird. Seine Ergebnisse lassen aber
darauf schließen, daß es den Grundsätzen folgt, die der Gerichtshof
hierauf anwendet.36 Das Ministerkomitee
nimmt das Entscheidungsergebnis der Kommission in seine Resolution auf.
8. | |
6. |
Außerdem überwacht das Ministerkomitee gemäß
Art. 54 die Ausführung der Urteile des Gerichtshofs, in denen
dieser eine Verletzung der EMRK festgestellt hat. Dies geschieht in der Praxis,
indem das Ministerkomitee den betreffenden Staat auffordert, ihm die vorgesehenen
Abhilfemaßnahmen zu erläutern.37
Hält das Ministerkomitee diese Maßnahmen für ausreichend, erklärt
es in einer Resolution, daß der Staat seinen Pflichten aus dem Urteil
nachgekommen sei. Um sich nicht auf eine bloße Ankündigung hin seiner
einzigen Kontrollbefugnis zu begeben, behilft sich das Ministerkomitee vor allem
bei größeren Gesetzesnovellierungen mit vorläufigen Resolutionen,
in denen es sich das Recht vorbehält, nach einigen Jahren die tatsächliche
Umsetzung zu überprüfen.
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7. |
Aus dem Charakter der Konventionsverletzung als völkerrechtlichem Delikt lassen sich nach allgemeinem Völkerrecht drei Verpflichtungen der Vertragsstaaten ableiten, die sämtlich auch in der EMRK normiert sind: Erstens die Pflicht zur Beendigung der festgestellten Konventionsverletzung, zwei-tens zur Wiedergutmachung und drittens die Pflicht, Vorkehrungen gegen eine Wiederholung des völkerrechtlichen Unrechts zu treffen.
Die Beendigungspflicht40 besteht beispielsweise bei fortdauernden, konventionswidrigen Gesetzen. Hier ist zumindest die weitere Anwendung EMRK-konform zu gestalten.41 Eine mit der Konvention unvereinbare Inhaftierung ist durch sofortige Freilassung zu beenden. Aber auch die Vollstreckung von Urteilen, die auf einer konventionswidrigen materiellen Grundlage beruhen, ist zu beenden.
Bei Urteilen, die auf einem nicht konventionskonformen Verfahren beruhen, liegt in der Vollstreckung kein Dauerdelikt. Zum Teil wird argumentiert, daß eine fortgesetzte Inhaftierung nicht rechtmäßig im Sinne von Art. 5 Abs. 1 sei und deshalb beendet werden müsse.42 Dafür spricht, daß auch Art. 5 Abs. 1 von einem fairen und ordentlichen Verfahren ausgeht und es deshalb notwendig erscheint, solche Verletzungen der Verfahrensgarantien aus Art. 6 zu berücksichtigen, die für die Verurteilung kausal gewesen sind.43
Die allgemeine völkerrechtliche Wiedergutmachungspflicht
im Sinne einer restitutio in integrum wird durch Art. 50 modifiziert. Das Völkerrecht
respektiert die vom innerstaatlichen Recht gezogenen Grenzen der Wiedergutmachungspflicht.
Als Ausgleich kann der Gerichtshof eine billige Entschädigung in Geld zusprechen.
Der Gerichtshof untersucht inzwischen kaum noch, ob die nationalen Rechtsordnungen
Möglichkeiten der restitutio in integrum44
vorsehen, sondern spricht den Beschwerdeführern direkt eine billige Entschädigung
in Geld zu. Dies hat im wesentlichen drei Gründe:45
Erstens schließt die Art der meisten Konventionsverletzungen im Bereich
der Art. 5 und 6 eine restitutio aus. Zweitens will der Gerichtshof seine Entscheidung
über die Konventionsverletzung und die Entschädigung in ein und demselben
Urteil fällen, und drittens bevorzugen die Beschwerdeführer häufig
eine Entschädigung in Geld.
Interessant und gegenüber dem nationalen Recht der meisten Vertragsstaaten
eine wesentliche Neuerung ist die Zuerkennung einer Entschädigung in Geld
für immaterielle Schäden bei Grundrechtsverletzungen. Die Höhe
der Entschädigung richtet sich in hohem Maße nach Billigkeitserwägungen,
wobei die Schwere der Konventionsverletzung von entscheidender Bedeutung ist.
So sieht der Gerichtshof bei weniger gravierenden Fällen bereits in der
bloßen Feststellung der Konventionsverletzung eine ausreichende Genugtuung
als gegeben an.46
Die allgemeine Pflicht, Vorkehrungen gegen eine Wiederholung der
festgestellten Konventionsverletzung zu treffen, wird in der Praxis der Vertragsstaaten
vor allem durch drei Typen von Maßnahmen erfüllt:
Die einfachste Art der Vorkehrung liegt in der Bekanntmachung des Urteils des
Gerichtshofs. Hierdurch soll den nationalen Behörden und Gerichten ermöglicht
werden, ähnliche Situationen in Zukunft zu vermeiden.
Daneben sind Maßnahmen auf der Ebene des Verwaltungsvollzuges üblich;
den Behörden und Gerichten werden konkrete Anweisungen erteilt, um die
Rechtsprechung des Gerichtshofs zu beachten. Mitunter werden auch Verwaltungsvorschriften
geändert (vgl. Fn. 40).
Schließlich werden weitere Vorkehrungen getroffen, wie etwa im Fall Martins
Moreira ./. Portugal:47 Die Verurteilung
wegen überlanger Verfahrensdauer wurde unter anderem auch auf die unzureichende
personelle Ausstattung eines beteiligten gerichtsmedizinischen Instituts gestützt.
Die portugiesische Regierung verbesserte daraufhin die Ausstattung dieses Instituts
mit Personal und Sachmitteln.
Von besonderer Bedeutung ist neben diesen verschiedenen Arten
der praktischen Vorbeugung natürlich die Anpassung von Gesetzen an
die EMRK.48 Entgegen einer mitunter
vorgebrachten Ansicht besteht diese Verpflichtung bereits nach dem ersten Urteil
des Gerichtshofs, das eine innerstaatliche Gesetzesbestimmung für konventionswidrig
hielt.49 Der Gesetzgeber ist auch verpflichtet,
die nationale Verfassung an die Europäische Menschenrechtskonvention
anzupassen.
IV. | |
Die Reform bringt in erster Linie institutionelle Neuerungen. So wird die Kommission
abgeschafft und ein permanent tagender Gerichtshof eingerichtet werden. Die
Aufgaben des Ministerkomitees werden auf die Überwachung der Urteilsausführung
beschränkt.
Die Stellung des einzelnen wird dadurch gestärkt, daß er zukünftig
mit jeder Individualbeschwerde direkt den Gerichtshof befassen kann. Die Unterwerfung
der Mitgliedstaaten unter die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs (bisheriger Art.
46) entfällt. Damit wird der gegenwärtige De-facto-Zustand auch rechtlich
umgesetzt. Außerdem wird die bisher durch das 9. Zusatzprotokoll nur teilweise
und auch nur gegenüber einigen Mitgliedstaaten verbesserte Stellung des
Individualbeschwerdeführers als Partei insgesamt aufgewertet.
Die Organisation des Gerichtshofs wird den neuen Gegebenheiten angepaßt.
Er wird in Ausschüssen (drei Richter), Kammern (sieben Richter) und einer
Großen Kammer (siebzehn Richter) sowie im Plenum (allerdings nur in organisatorischen
Fragen) zusammentreten.
Die Ausschüsse werden eine Filterfunktion wahrnehmen und die offensichtlich
unzulässigen Beschwerden zurückweisen (neuer Art. 28). Anschließend
werden die Kammern über die Zulässigkeit und Begründetheit entscheiden
(neuer Art. 29). In schwerwiegenden Fragen der Auslegung der Konvention oder
wenn die Entscheidung von einem früheren Urteil des Gerichtshofs abweichen
sollte, kann die Kammer das Verfahren - wenn keine Partei widerspricht - an
die Große Kammer abgeben (neuer Art. 30). Diese entscheidet auch, wenn
die Kammer ein Urteil gefällt hat und eine der Parteien die Verweisung
an die Große Kammer beantragt (neuer Art. 43).
Diese letzte Konstellation ist möglich, weil die Urteile des Gerichtshofs,
sofern sie von einer Kammer stammen - und das wird meistens der Fall sein -
nicht sofort endgültig sind, sondern dies erst nach Maßgabe des neuen
Art. 44 Abs. 2 später werden.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind inhaltlich unverändert
geblieben (neuer Art. 35). Der Ablauf des Verfahrens wird sich so gestalten,
daß nach dem schriftlichen Vorverfahren eine mündliche Verhandlung
vor der Kammer erfolgen wird. Daraufhin wird die Entscheidung über die
Zulässigkeit gefällt, hernach besteht die Möglichkeit einer gütlichen
Einigung. Kommt eine solche nicht zustande, entscheidet der Gerichtshof durch
Urteil. Die Möglichkeit des Gerichtshofs, eine gerechte Entschädigung
zuzusprechen, findet sich im neuen Art. 41. Seine Urteile haben gemäß
dem neuen Art. 46 Abs. 1 bindende Kraft, und ihre Durchführung wird vom
Ministerkomitee nach dem neuen Art. 46 Abs. 2 überwacht.
V. | |
Durch das 11. Zusatzprotokoll will der Gerichtshof diesen Herausforderungen begegnen: Das Verfahren soll ausschließlich vor einem unabhängigen Gericht stattfinden, Kammerbildung und permanente Sitzungsweise sollen die Erledigungen erhöhen und den - durch die Neumitglieder zu einem überdimensionierten Spruchkörper entwickelten - Gerichtshof wieder handlungsfähiger machen.
Inhaltlich hat die Auslegung der EMRK durch den Gerichtshof
in nicht zu unterschätzender Weise Einfluß auf die nationalen Rechtsordnungen
genommen. In vielen hundert Einzelfällen wurden menschenrechtswidrige Handlungen
der Staaten wirksam geahndet. Allerdings ist auch eine Tendenz zu beobachten,
daß es in manchen Teilbereichen inzwischen um recht feine Verästelungen
des Menschenrechtsschutzes geht. So wird der Gerichtshof beileibe nicht nur
oder überwiegend mit Fällen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen
befaßt. Ein zunehmender Teil der Beschwerdeführer sucht in Straßburg
die Einzelfallgerechtigkeit, die er vor den nationalen Instanzen nicht erreichen
konnte.52
VI. | |
(Natürliche) Personen, Personenvereinigungen und nichtstaatlichen Organisationen
sind parteifähig. Dies gilt für natürliche Personen als Beschwerdeführer
grundsätzlich uneingeschränkt. Es soll die bloße Personenqualität
des Beschwerdeführers genügen. In jedem Fall können Minderjährige
oder Entmündigte als beschränkt prozeßfähige Personen die
für sie einschlägigen Rechte geltend machen.
Art. 25 Abs. 1 Satz 1 setzt für die Parteifähigkeit juristischer Personen
nach der Rechtsprechung voraus, daß es sich um nichtstaatliche Organisationen
handelt. Dies wird bei juristischen Personen des Privatrechts bejaht, bei solchen
des öffentlichen Rechts regelmäßig verneint. Nichtstaatliche
Organisationen können als Beschwerdeführer nur eigene Rechte, nicht
aber die ihrer Mitglieder geltend machen.
Prozeßfähigkeit: Der Beschwerdeführer muß Opfer der behaupteten
Menschenrechtsverletzung, also betroffen (Adressat der angegriffenen Maßnahme)
sein und eine Beschwer (Verletzung in eigenen Rechten) behaupten.
Der Beschwerdegegner, also der beklagte Staat, muß die EMRK beziehungsweise
das materiell einschlägige Zusatzprotokoll ratifiziert und diesbezüglich
das Invidvidualbeschwerderecht (Art. 25) und die Zuständigkeit des Gerichtshofs
(Art. 46) anerkannt haben.
Die Beschwerde muß sich auf ein für den beklagten Staat verpflichtendes
Menschenrecht nach der Konvention oder dem 1., 4., 6. oder 7. Zusatzprotokoll
beziehen, anderenfalls ist sie ratione materiae unzulässig. Die Bundesrepublik
Deutschland hat bislang das 7. Zusatzprotokoll (vor allem den Grundsatz ne bis
in idem statuierend) nicht ratifiziert. Eine hierauf gestützte Beschwerde
gegen Deutschland wäre abzuweisen.
Gemäß Art. 26 muß der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft sein. Der Grundsatz besagt, daß der Beschwerdeführer den innerstaatlichen Rechtsweg vertikal, also durch alle Instanzen auszuschöpfen hat. Dabei sind aber nur effektive Rechtsbehelfe einzulegen. Demnach ist es beispielsweise nicht erforderlich, ein Gnadengesuch einzureichen. In der Bundesrepublik Deutschland ist regelmäßig die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht der Beschwerde nach Straßburg vorzuschalten. Zur Erschöpfung des Rechtsweges gehört es auch, daß den nationalen Behörden und Gerichten Gelegenheit gegeben war, sich materiell mit den behaupteten Verletzungen der Konvention auseinanderzusetzen (sog. horizontale Erschöpfung).
Art. 26 statuiert ferner eine Frist von sechs Monaten zur Einlegung
der Beschwerde. Die Frist gilt als gewahrt, wenn der Beschwerdeführer innerhalb
von sechs Monaten nach der letztinstanzlichen Entscheidung einen ersten Schriftsatz
an die Kommission sendet.
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The Council of Europe's devotion to the principles of democracy, the rule of law and respect for human rights are emphasized. It is pointed out that the Convention is an international agreement by which the member States of the Council undertake to secure certain fundamental human rights. The structure of the supervisory mechanisms and the functions of the Commission, the Court and the Committee of Ministers are described.
The German lawyer will find a compact overview of the requirements and procedures regarding an individual complaint. The text explains problems like the exhaustion of local remedies, the margin of appreciation, interim measures, and compensation.
There is also a view on the protocol no. 11 that will reform the complaint procedure and the whole structure of the supervision system.
1 | BGBl. 1952 II S. 685, 953; in Kraft seit dem 3. September 1953. Am 1. Januar 1997 galt sie in 34 Staaten. |
2 | Dem heute 40 Staaten angehören; 5 weitere haben Beitrittsanträge gestellt, 3 genießen Beobachterstatus (Stand 31. Dezember 1996). |
3 | Vom 5. Mai 1949, BGBl. II 1950 S. 263. |
4 | Europäische Atomgemeinschaft vom 25. März 1957, BGBl. 1957 II S. 1014, UNTS Bd. 298 S. 11 u. 167. |
5 | Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951, BGBl. 1952 II S. 447. |
6 | Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957, BGBl. 1957 II S. 753. Seit dem Maastricht-Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992: Europäische Gemeinschaft. |
7 | Res. 217 A (III). |
8 | Vgl. hierzu N. Weiß, Menschenrechtsschutz auf der europäischen Ebene - Garantien und Verfahren, in N. Weiß / D. Engel / G. d'Amato, Menschenrechte - Vorträge zu ausgewählten Fragen, 1997, S. 9 (25ff.). |
9 | Die Bundesrepublik Deutschland hat das Zusatzprotokoll nicht unterzeichnet. |
10 | Von den derzeit insgesamt 286 Sitzen entfallen 18 auf Deutschland. |
11 | Beispiele: Öztürk ./. Deutschland; W. ./. Schweiz; X & Y./. Niederlande. |
12 | Zitierbeispiel: Deumeland ./. Deutschland, Urteil vom 29. Mai 1986, Serie A Nr. 100, § 10. |
13 | Serie B wurde im Laufe des Jahres 1996 bei Band 105 eingestellt, Serie A mit dem Erscheinen von Band Nr. 338 zu Beginn des Jahres 1997. Ab jetzt werden die Urteile unter dem Titel "Reports of Judgements and Decisions" im selben Verlag veröffentlicht; ihre Zählung beginnt jedes Jahr bei Nr. 1. |
14 | Vom 11. Mai 1994, noch nicht in Kraft. |
15 | Vgl. den Bericht von Teitgen über die Organisation einer kollektiven Garantie der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 5. September 1949, in: Conseil de l'Europe, Recueil des Travaux Préparatoires, vol. 1 (H [61]4), S. 101ff. |
16 | Vgl. M.E. Villiger, Handbuch der EMRK, 1993, S. 57 m. w. Nw. |
17 | Vgl. dazu N. Weiß, Einführung in den Individualrechtsschutz nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, MRM, Heft 1, S. 7 (8ff.). |
18 | Allerdings ist bei Art. 16 eine einschränkende Auslegung vorzunehmen, so daß Ausländer nicht vom Schutzbereich erfaßt werden, vgl. EGMR, Fall Piemont ./. Frankreich, Urteil vom 27. April 1995, Serie A Nr. 314 (deutsche Zusammenfassung in ÖIMR Newsletter, 1995/3, S. 125ff.). |
19 | Vgl. IntKomm EMRK, K. Rogge, Art. 25 Rz. 123. |
20 | EGMR, Fall Deweer ./. Belgien Urteil vom 27. Februar 1980, Serie A Nr. 35, S. 19f = EuGRZ 1980, S. 667. |
21 | EKMR, Entscheidung vom 21. März 1975, Beschwerde-Nr. 6538/74, D.R. 2, S. 90 (95). |
22 | EKMR, Entscheidung vom 7. Januar 1991, Beschwerde-Nr. 15050/89, D.R. 68, S. 209. Bei Kirchen wird auch den öffentlich-rechtlichen die Nicht-Staatlichkeit bescheinigt, es sei denn, es handelt sich um Staatskirchen (wie in England). |
23 | EKMR, Entscheidung vom 4. Oktober 1962, Beschwerde-Nr. 1527/62, YB 5 (1962), 238 [244f.]. |
24 | K. Rogge, Die Einlegung einer Menschenrechtsbeschwerde, EuGRZ 1996, 341 [344]. |
25 | Die aktuellen Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 25 und 46 EMRK datieren vom 1. Juli 1994 und sind auf fünf Jahre befristet. Lediglich Finnland, Irland, Island, die Niederlande, Rumänien, Slowenien und Schweden (die Schweiz nur die nach Art. 46) haben die entsprechenden Erklärungen bis auf Widerruf bzw. auf unbestimmte Zeit erklärt. Die Erklärungen Bulgariens, Polens, Portugals, der Slowakei, Spaniens, der Tschechischen Republik und Ungarns sind stillschweigend verlängerbar. Eine Zusammenstellung der Erklärungen auf dem Stand vom 31. Juli 1996 findet sich in EuGRZ 1996, 378. |
26 | Zu weiteren Beispielen mit Rechtsprechungsnachweisen vgl. Villiger (Fn. 16), S. 68f. |
27 | Dazu: J. Schaupp-Haag, Die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges nach Art. 26 EMRK und das deutsche Recht, 1987, 85ff. |
28 | Hierzu der Fall Süssmann ./. Deutschland, Urteil vom 16. September 1996, zitiert nach der Presseverlautbarung des Gerichtshofs: Drei Jahre, vier Monate und drei Wochen waren wegen der Vielzahl der berechtigterweise zu einer Entscheidung zusammengefaßten Fälle und der nicht zu kritisierenden vorrangigen Behandlung von gleichgelagerten Fällen - es ging in allen Fällen um Pensionsobergrenzen - aus der ehemaligen DDR nicht zu beanstanden. |
29 | Vgl. dazu: H. C. Krüger, Vorläufige Maßnahmen nach Art. 36 der Verfahrensordnung der EKMR, EuGRZ 1996, 346ff. |
30 | The Secretary, European Commission of Human Rights, Council of Europe, F - 67075 Strasbourg CEDEX, Tel.: 00 33 - 3 - 88 41 20 18, Fax: 00 33 - 3 - 88 41 27 92. |
31 | Zum Ablauf des Einigungsverfahrens siehe Villiger, (Fn. 16), S. 120 m. w. Nw. |
32 | ebenso: Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, San Marino, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern. |
33 | In schwerwiegenden Auslegungsfragen kann, bei zu erwartenden Abweichungen von früheren Entscheidungen muß die Sache an die mit neunzehn Richtern besetzte sog. Große Kammer (seit Oktober 1994) oder das Plenum abgegeben werden. |
34 | Diese Praxis belegt, daß das deutsche Verständnis vom gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 GG) in Europa nicht überall geteilt wird. |
35 | Vertiefend: R.St.J. Macdonald, The Margin of Appreciation, in: R.St.J. Macdonald et al. (eds.), The European System for the Protection of Human Rights, 1993, S. 83ff. |
36 | Villiger (Fn. 16), S. 145 m. Beispielen. |
37 | Zum Ablauf siehe auch: IntKomm EMRK, H. Golsong, Art. 54 EMRK RZ 25ff. |
38 | Zu Recht weist J. Polakiewicz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 1993, S. 8ff., darauf hin, daß zur Beurteilung der Urteilswirkungen grundsätzlich auf den völkerrechtlichen Charakter der EMRK abzustellen ist. Gleichzeitig muß aber auch ihr dynamischer Charakter berücksichtigt werden, der sie weit über diesen Ursprung hinaus erhoben hat. Die zu konstatierende fortschreitende Verflechtung mit den nationalen Grundrechtsordnungen wird sich langfristig auch auf die Urteilswirkungen auswirken. |
39 | Ausführlich dazu: J. Polakiewicz, (vorige Fn.), S. 37ff. |
40 | Zum völkerrechtlichen Dauerdelikt vgl. I. Brownlie, System of the Law of Nations: State Responsibility, Part I (1983), S. 194f. |
41 | So geschehen nach der Verurteilung im Fall Luedicke, Belkacem und Koç ./. Deutschland, Urteil vom 28. November 1978, Serie A Nr. 29. Nachdem die im GKG vorgesehene Kostentragungspflicht des Angeklagten für Dolmetscherkosten beanstandet worden war, wiesen die Landesjustizverwaltungen ihre Kostenbeamten an, in Parallelfällen keine Dolmetscherkosten in Ansatz zu bringen; das GKG wurde erst in August 1980 an die Straßburger Vorgaben angepaßt. |
42 | J. Polakiewicz (Fn. 37), S. 86ff. m. w. Nw. |
43 | Vgl. den ähnlichen Argumentationsansatz des Bundesverfassungsgerichts mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG: BVerfG E 60, 313 [318]; 73, 322 [330]. |
44 | Etwa die Aufhebung von Verwaltungsakten, die Wiederaufnahme von Gerichtsverfahren oder die Beseitigung der faktischen Folgen von hoheitlichem Handeln, das aus Rechtsgründen selbst nicht rückgängig gemacht werden kann. |
45 | Einzelheiten siehe bei J. Polakiewicz (Fn. 37), S. 101ff. |
46 | G. Dannemann, Schadensersatz bei Verletzung der EMRK, 1994, S. 365ff. m. w. Nw. |
47 | Urteil vom 26. Oktober 1988, Serie A Nr. 143. |
48 | Auch die Modifizierung völkerrechtswidriger innerstaatlicher Rechtsnormen ist nach allgemeinem Völkerrecht eine grundsätzliche Pflicht der Staaten; grundlegend StIGH, Gutachten vom 21. Februar 1925, Serie B No. 10, S. 20. Vgl. heute vor allem die Praxis des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen, bspw. Reid-Case (20. Juli 1990), Communication No. 250/1987 (= UN Doc. CCPR/C/39/D/ 250/1987), § 13. |
49 | Zur Diskussion siehe J. Polakiewicz (Fn. 37), S. 158f. m. w. Nw. Vgl. auch die zögerliche Haltung der Bundesrepublik Deutschland, aus der Verurteilung im Öztürk-Fall (Urteil vom 21. Februar 1984, Serie A Nr. 73 [=EuGRZ 1985, 62ff.]) gesetzgeberische Konsequenzen zu ziehen. Dazu siehe N. Weiß (Fn. 8), S. 18. |
50 | Vgl. dazu: A. Drzemczewski / J. Meyer-Ladewig, Grundzüge des neuen EMRK-Kontrollmechanismus, EuGRZ 1994, S. 317ff sowie den im gleichen Heft abgedruckten Erläuternden Bericht zum 11. Zusatzprotokoll. |
51 | Hierzu ist die Ratifizierung durch alle 34 Konventionsstaaten erforderlich. Dies könnte Ende 1997 erreicht werden, da nur noch 5 ausstehen (Stand: 15. Januar 1997). |
52 | Bspw. im Fall Karlheinz Schmidt ./. Deutschland, Urteil vom 118. Juli 1994, Serie A, Nr. 291, betreffend die Erhebung von Ausgleichsabgaben für Männer (und nicht auch für Frauen), die nicht zum Dienst in der freiwilligen Feuerwehr herangezogen werden. |
Quelle: MenschenRechtsMagazin Heft 2 - Februar 1997, S. 14-30 |