Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 8. Juni 2010

Inhalt  

 

Kinder. Rechte. Kinderrechte.

 
Unter diesem Titel wird  in loser Folge über Entwicklungen im Bereich des internationalen Rechts zum Schutze der Kinder berichtet. Als Schwerpunkte des Gebiets zeichnen sich dabei u.a. ab: Kriminalität von Kindern und Jugendlichen, Kinder und Jugendliche im bewaffneten Konflikt, Erziehung, Familienrecht, das Verhältnis von Kindern und Jugendlichen einerseits und Medien andererseits. 
(vgl. auch die weiteren Berichte in MRM Heft 4 / Oktober 1997; MRM 2/1998; MRM 2/1999, MRM 1/2000 und MRM 3/2001).
Vorliegend geht es um mögliche Neuerungen im Bereich des Individualrechtsschutzes

 Norman Weiß*:

Wäre ein Individualbeschwerdeverfahren auch im Rahmen der Kinderrechtskonvention sinnvoll?
- Zur Einklagbarkeit der Konventionsrechte und den Chancen einer Reform


  
Inhaltsübersicht

I. Ziele, Maßstäbe und Grundmuster des internationalen Menschenrechtsschutzes

II. Strukturen und allgemeine Bedeutung von Individualbeschwerdeverfahren

III. Zum Gewinn eines speziellen Individualbeschwerdeverfahrens nach der Kinderrechtskonvention

IV.Zur Einklagbarkeit der Konventionsrechte

V. Fazit

 

 
 
 
II. 

I. Ziele, Maßstäbe und Grundmuster des internationalen Menschenrechtsschutzes

 

 
1. Ziele

Ziel des internationalen Menschenrechtsschutzes ist es, Garantien zusätzlich zur nationalen Rechtsordnung zu bieten.1 Hierzu übernehmen Staaten eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Beachtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten der ihrer jeweiligen Hoheitsgewalt unterworfenen Menschen. Dadurch wird das Verhältnis zwischen Staat und Bürger nach außen geöffnet. Innerstaatlich bestehende Rechte werden sowohl materiellrechtlich als auch durch besondere Schutzverfahren ergänzt. Dies ermöglicht es – im einzelnen abhängig von der konkreten Ausgestaltung – anderen Staaten oder betroffenen Individuen, Menschenrechtsverletzungen vor internationale Kontrollgremien bringen.

In der langen Geschichte des Völkerrechts handelt es sich hierbei um ein junges Phänomen. Während der Periode des klassischen Völkerrechts stellte dieses ein zwischenstaatliches Koordinationsrecht dar, das die elementaren Regeln des Verkehrs zwischen gleichberechtigten und souveränen Staaten bestimmte.2 Von historisch bedingten Ausnahmen wie dem Heiligen Stuhl3 oder dem souveränen Malteser-Ritterorden abgesehen, waren nur Staaten als Völkerrechtssubjekte anerkannt. Konsequenterweise war der einzelne daher nicht Träger von Rechten oder Pflichten.

Als Folge davon durften sich Staaten nicht dafür interessieren, wie ein anderer Staat mit seinen eigenen Staatsangehörigen umging. Wenn ein (Aufenthalts-)Staat fremde Staatsangehörige schlecht behandelte, war der Heimatstaat nach völkerrechtlichem Fremdenrecht zu diplomatischem Schutz berechtigt,4weil er in der Person seiner Staatsangehörigen als verletzt galt. Die Behandlung eigener Staatsangehöriger dagegen war eine innere Angelegenheit jedes Staates und als solche dem sogenannten domaine réservé – dem innersten Kernbereich der Souveränität – zugeordnet, aus dem sich andere Staaten herauszuhalten hatten.5 

Erst zwei Weltkriege und die Erfahrungen des Nationalsozialismus leiteten hier einen Wandel ein. Die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verabschiedet wurde, bezieht sich ausdrücklich auf die "Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte, [welche] zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben". Im Rahmen der Vereinten Nationen, aber auch auf regionaler Ebene sind seither vielfältige Anstrengungen unternommen worden, um die Rechtsstellung des einzelnen durch völkerrechtliche Garantien gegenüber dem Staat zu verbessern.6

Seit 1948 sind völkerrechtliche Verträge in steigender Zahl dem Menschenrechtsschutz gewidmet. Sie enthalten neben der Garantie von Freiheits- und Gleichheitsrechten einerseits und von wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechten andererseits zum Teil auch sogenannte Menschenrechte der dritten Generation sowie Verfahrensbestimmungen und Überwachungsmechanismen.

Der Menschenrechtsschutz tritt ergänzend7 neben den nationalen Grundrechtsschutz. Das heißt, daß eine staatliche Maßnahme zusätzlich an den völkerrechtlichen Maßstäben überprüft werden kann. Liegen die innerstaatlichen Standards hoch, so wird sich das mitunter niedrigere Niveau des internationalen Menschenrechtsschutzes nicht auswirken. Doch auch bei einem hohen nationalen Niveau kann der zusätzliche internationale Menschenrechtsschutz zu einer Erweiterung der Freiheitssphäre führen. So sind etwa in Deutschland Dolmetscherkosten in Ordnungswidrigkeitenverfahren erst aufgrund einer Verurteilung der Bundesrepublik durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte8 vom Staat zu tragen.

Die Internationalisierung der Menschenrechte bewirkt – kurz gesagt – eine Verantwortlichkeit der Staaten gegenüber den anderen Mitgliedern der Völkerrechtsgemeinschaft für ihr Verhalten nach innen. Bereits dies vermag die Stellung des Individuums gegenüber der Staatsmacht zu stärken; auch ist es psychologisch von großer Bedeutung für die Betroffenen, die sich mit ihrem Schicksal nicht alleingelassen fühlen.9 

Die Umsetzung der Menschenrechtsidee im Völkerrecht ist nach dem Zweiten Weltkrieg vom Dualismus des Standard-Setting (Normierung, s.u. 2) und des Monitoring (Überwachung, s.u. 3) geprägt. Diese Überwachung ist auf der universellen Ebene der Vereinten Nationen einerseits und derjenigen verschiedener regionaler Menschenrechtsregime in Europa, Afrika und Amerika andererseits mit unterschiedlichen Akzentuierungen ausgestaltet.

 

2. Überblick über den Bestand völkerrechtlicher Menschenrechtsgarantien

Die Satzung der Vereinten Nationen nimmt bereits in ihrer Präambel auf die Menschenrechte Bezug und räumt ihnen einen hohen Stellenwert ein (vgl. Art. 1 Ziff. 3 und Art. 55 lit. c). Zu den Zielen der Vereinten Nationen gehört es, die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle, ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern oder zu festigen. Um dies zu verwirklichen, haben die Vereinten Nationen in den ersten Jahren ihres Bestehens ein völkerrechtliches Dokument zur Sicherung der Menschenrechte erarbeitet. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) wurde am 10. Dezember 1948 als Deklaration der Generalversammlung verabschiedet.10  

Die sich in der Folgezeit verschärfende Blockspaltung führte dazu, daß sich die Verabschiedung völkerrechtlich verbindlicher Menschenrechtsverträge nun länger hinzog. So konnten die Menschenrechtspakte (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte)11) nach äußerst langwieriger Beratung erst im Jahre 1966 verabschiedet werden; bis zu ihrem Inkrafttreten vergingen weitere zehn Jahre.

Ergänzt wird die aus den drei vorgenannten Dokumenten bestehende sogenannte "International Bill of Rights" in erster Linie durch die Genozidkonvention12 und vier weitere Menschenrechtsverträge.13 r

die sich mit bestimmten Verhaltensweisen beschäftigen (Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und Übereinkommen gegen die Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe) oder bestimmte Gruppen schützen (Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und Kinderrechtskonvention).

So ist ein recht weitgespanntes Korpus von verbindlichen Menschenrechtsgewährleistungen vorhanden, das durch weitere zahlreiche Verträge komplettiert wird.14 Zwar besteht in manchem Teilbereich sicherlich noch Ergänzungsbedarf, doch kann man insgesamt von einer Normsättigung im Bereich der materiellen Menschenrechtsgewährleistungen sprechen. Eine spürbare Ausweitung der Verpflichtungen kann inzwischen bereits durch die Rücknahme von Vorbehalten seitens der Vertragsstaaten erreicht werden. Umso wichtiger erscheint es heute, die Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen sicherzustellen und die bestehenden Überwachungsmechanismen zu verbessern

 

3. Das Grundmuster des internationalen Menschenrechtsschutzes

Das Grundmuster der sechs grundlegenden Übereinkommen auf UN-Ebene besteht darin, daß zu dem jeweiligen Menschenrechtsvertrag ein besonderes Gremium, der sogenannte Treaty body, eingerichtet worden ist. Diesem sind bestimmte Kompetenzen eingeräumt, um die Einhaltung der Verpflichtungen durch die Vertragsstaaten zu überprüfen. Drei Typen von Kontrollverfahren stehen in der bisherigen Ausgestaltung zur Verfügung: das Staatenberichtsverfahren, das Staatenbeschwerdeverfahren und das Individualbeschwerdeverfahren.

Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) sieht in Art. 28 einen Menschenrechtsausschuß vor, der achtzehn Mitglieder hat. Es handelt sich um unabhängige Experten, die gemäß Art. 28 IPbpR wegen ihres hohen sittlichen Ansehens und anerkannter Sachkenntnis auf dem Gebiet der Menschenrechte gewählt werden. Dabei wird auf eine ausgeglichene Repräsentation der Erdteile geachtet. Dieses Organ hat folgende Aufgaben:15  

Allgemein setzen die Staaten das Instrument der Staatenbeschwerde nur äußerst zurückhaltend ein und haben im Rahmen des Paktes davon bislang überhaupt noch nicht Gebrauch gemacht;17  demgegenüber ist das Staatenberichtsverfahren inzwischen etabliert und weitgehend akzeptiert.

Die Zahl der Individualbeschwerden, über die der Menschenrechtsausschuß insgesamt entschieden hat (Summe der registrierten Mitteilungen: 979, Summe der Begründetheitsentscheidungen: 358, noch anhängig: 212; Stand Juni 2001), fällt – insbesondere wenn man das Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Vergleich heranzieht – eher gering aus. Ein Grund hier für ist, daß nur 97 von 148 Staaten (Stand 26. Juni 2001) das Fakultativprotokoll unterzeichnet haben. Auch ist der Bevölkerung vieler Staaten die Möglichkeit, diesen Rechtsbehelf einzulegen, kaum bekannt.

Das Verfahren unter dem Zusatzprotokoll ist gegenüber den anderen vergleichbaren Individualbeschwerdeverfahren im Rahmen der Vereinten Nationen allerdings dasjenige, das umfangreiche Ergebnisse hervorgebracht hat. Die Beurteilung der Wirksamkeit dieser Kontrollmechanismen insgesamt sollte an Hand völkerrechtlicher Maßstäbe erfolgen; hierbei ist die Heterogenität der "Weltgemeinschaft" in Betracht zu ziehen. Zu bedenken ist ferner, daß internationale Kontrolle mit staatlicher Souveränität kollidiert, und daß die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, nicht bei allen Staaten gleich ausgeprägt ist. Politische Grundüberzeugungen, Opportunitätserwägungen und auch das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Kontrollinstanz wirken hierbei zusammen.

 

Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte etablierte ursprünglich keinen Expertenausschuß, verfügt aber seit 1986/87 ebenfalls über einen nach dem Vorbild der anderen "Treaty bodies" gebildeten Ausschuß (nachfolgend mit der englischen Abkürzung CESCR bezeichnet), der aus achtzehn unabhängigen Experten besteht.

Der CESCR ist dazu berufen, die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Pakt durch die Mitgliedstaaten überprüfen. Jedoch stellt der Sozialpakt bislang18 nur das Berichtsverfahren nach Art. 16 und 17 zur Verfügung.

Anfangs mußte der CESCR Akzeptanzprobleme bei einer Reihe von Vertragsstaaten überwinden, die es mit ihrer Berichtspflicht nicht so genau nahmen und sich auch sonst wenig kooperativ zeigten; er griff deshalb zu unorthodoxen Maßnahmen.19  

So war der CESCR der erste von den sechs Ausschüssen im vertragsrechtlichen Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen, der einen Bericht in Abwesenheit der Regierungsdelegation beriet. Mittlerweile setzt er die Beratungen über einen Staat auch dann auf die Tagesordnung, wenn dieser selbst nach mehrmaliger Abmahnung überhaupt keinen (neuen) Bericht vorgelegt hat. Da dann auf der Grundlage eines früheren Berichtes und der von den NGO vorgelegten Informationen diskutiert und Stellung genommen wird, ist das Interesse der Regierungen daran groß, wieder in den konstruktiven Dialog mit dem CESCR einzutreten. Auf diese Weise hat der Ausschuß Staaten wieder für die aktive Mitarbeit im Berichtsverfahren gewinnen können.

 

Noch vor den beiden Menschenrechtspakten ist das internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) in Kraft getreten: Bereits am 4. Januar 1969 wurde es für damals 27 Staaten verbindlich.20 Heute bindet das Abkommen 157 Staaten.21 Kontrollorgan der Konvention ist der Ausschuß für die Beseitigung der Rassendiskriminierung nach Art. 8 bis 10 CERD. Der Ausschuß ist mit der Prüfung von Staatenberichten befaßt, sowie für Staaten- und Individualbeschwerden22 (letztere ist von 29 Staaten akzeptiert) zuständig. 

Die Konvention gegen die Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe23 (CAT) wurde am 10. Dezember 1984 beschlossen. Heute sind 124 Staaten24 an die Konvention gebunden.25

Der Ausschuß gegen Folter (Committee against Torture) besteht aus zehn unabhängigen Experten (Art. 17, 18 CAT); in seine Zuständigkeit fallen ein obligatorisches Berichtsverfahren (Art. 19 CAT)26, daneben fakultativ die Individualbeschwerde (Art. 22 CAT) und die Staatenbeschwerde (Art. 21 CAT). Zum 26. Juni 2001 hatten sich 44 Staaten der Individualbeschwerde unterworfen.27

Im Falle gut dokumentierter Hinweise auf systematische Folterpraktiken kann der Ausschuß außerdem nach Art. 20 CAT ein Untersuchungsverfahren einleiten. Er kann dies von Amts wegen tun, ohne an Anträge gebunden oder auf Zustimmung angewiesen zu sein. Für die Einreise in einen zu untersuchenden Staat bedarf er jedoch dessen Erlaubnis. Dieses Verfahren kann außerdem nach Art. 28 CAT ausdrücklich bei der Ratifikation ausgeschlossen werden, wovon einige Staaten Gebrauch machten.

 

Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), am 18. Dezember 1979 von der Generalversammlung der VN verabschiedet, trat am 3. September 1981 in Kraft.28 Es gilt heute in 168 Staaten (Stand 26. Juni 2001). Das Übereinkommen etabliert den "Ausschuß zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" als unabhängiges 23-köpfiges Expertengremium. Der bedeutsamste Unterschied zu den anderen Vertragsorganen lag jedoch darin, daß bislang Individualbeschwerden zum Ausschuß nicht möglich waren. Mit dem Inkrafttreten des Zusatzprotokolls stehen ein Individualbeschwerderecht und ein Untersuchungsverfahren zur Verfügung, um die Möglichkeiten der Durchsetzung der im Frauenrechtsübereinkommen verankerten Rechte zu erweitern.29 Das Fakultativprotokoll trat am 22. Dezember 2000 in Kraft; es bindet inzwischen einundzwanzig Staaten.30

Der CEDAW-Ausschuß hat sich die Anerkennung einiger Vertragsstaaten, aber auch nicht weniger Völkerrechtler zäh erringen müssen, die das Thema Frauenrechte als "weiches" oder entwicklungspolitisches Thema31 angesehen und den Ausschuß mitunter nicht ernst genommen haben.

 

 

III. 
II. Rechtliche Grundlagen für das Verbot der Kinderarbeit
I. 


Die bestehenden Individualbeschwerdeverfahren sind in ihren Grundzügen einander angenähert; ihre gemeinsamen Strukturen sollen kurz dargestellt werden:32 Das jeweilige Übereinkommen sowie die von jedem Ausschuß ausgearbeiteten Verfahrensordnungen (VfO)33 regeln die Zulässigkeit von Individualbeschwerden zu den verschiedenen Ausschüssen; dabei präzisieren die Verfahrensregeln die vertraglichen Vorschriften und legen sie (zum Teil erweiternd) aus.

Die Individualbeschwerde zum Anti-Folter-Ausschuß orientiert sich deutlich an den Vorschriften für die Beschwerde nach dem Zivilpakt (die ihrerseits derjenigen unter dem CERD nachgebildet ist). Der Text der Konvention selbst wie auch die Verfahrensordnung übernehmen weitgehend Formulierungen des Fakultativprotokolls zum Pakt und der Verfahrensvorschriften des Menschenrechtsausschusses.

Die Vorschriften unterstreichen den nichtjudiziellen Charakter aller drei Beschwerdeverfahren bereits durch ihre Wortwahl; so firmieren die Beschwerden als Mitteilungen und nicht etwa als Individualbeschwerden34; in der Praxis handelt es sich allerdings um quasi-gerichtliche Verfahren.

Um eine Beschwerde gegen einen Vertragsstaat erheben zu können, ist es grundsätzlich erforderlich, daß dieser eine ausdrückliche Erklärung zur Anerkennung eines solchen Verfahrens abgegeben hat. Eine schriftliche Kündigung dieser Anerkennung ist jederzeit möglich.35

Stets sind (zumindest) Einzelpersonen beschwerdeberechtigt, die behaupten,36 Opfer einer Verletzung eines im jeweiligen Übereinkommen verankerten Rechts durch einen Vertragsstaat zu sein. Anonyme Beschwerden sind nicht zulässig.37 Unzulässig sind auch solche Beschwerden, die einen Mißbrauch des Beschwerderechts darstellen oder mit den Bestimmungen des jeweiligen Übereinkommens unvereinbar sind.38 Es ist erforderlich, daß der Beschwerdeführer vor Einlegung der Beschwerde die innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft hat.39 Nur solche Sachverhalte können grundsätzlich Gegenstand der Beschwerde sein, die sich nach der Anerkennung des Beschwerdeverfahrens durch den Vertragsstaat zugetragen haben.

Die Beschwerden werden dem betroffenen Staat zur Kenntnis gebracht;40 der innerhalb einer bestimmten Frist die Möglichkeit hat, schriftlich zu der Beschwerde Stellung zu nehmen oder Abhilfemaßnahmen zu treffen.41 Die Ausschüsse beraten in nichtöffentlicher Sitzung.42 Wie in einem gerichtlichen Verfahren entscheiden sie über Zulässigkeit und Begründetheit jeder Beschwerde. Das Verfahren wird durch eine rechtlich nicht verbindliche oder durchsetzbare Entscheidung, die dem betroffenen Vertragsstaat und dem Beschwerdeführer mitgeteilt wird, abgeschlossen.43 Freilich besteht eine völkerrechtliche Verpflichtung aus Treu und Glauben, die aus der Anerkennung des Beschwerdeverfahrens folgt und die Beachtung der in diesem gewonnenen Erkenntnisse zum Gegenstand hat.

Die Ausschüsse führen zunehmend sogenannte Follow-up-Verfahren ein, um die Umsetzung seitens der Staaten überwachen zu können.

In der Bundesrepublik Deutschland steht leider kein formalisiertes Verfahren bereit, um mit den Entscheidungen internationaler Menschenrechtsgremien umzugehen. Lediglich im Bereich des Strafprozesses besteht in Gestalt von § 359 Nr. 6 StPO ein gesetzlicher Wiederaufnahmegrund als Folge von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, mit denen eine Verletzung der EMRK festgestellt wurde.

Obwohl alle drei bisher bestehenden Beschwerdemechanismen insoweit ähnlich strukturiert sind, weist jedes Instrument Besonderheiten auf. Diese sind sowohl vertraglich vorgesehen, als auch durch die Vertragsorgane im Wege der Auslegung der Vertragsvorschriften entwickelt worden. Klar kommt dabei das Bestreben zum Ausdruck, in der Anwendung der älteren Mechanismen erkannte Unzulänglichkeiten bei der Erarbeitung der jüngeren Instrumente zu berücksichtigen und Verbesserungen zu erzielen. Dementsprechend wurde auch bei der Ausarbeitung des Fakultativprotokolls zu CEDAW versucht, einige der bekannten Defizite zu vermeiden. Von Anfang an sollten verschiedene neuere, in der Praxis der anderen Vertragsorgane entwickelte Möglichkeiten in den neuen Mechanismus aufgenommen werden.44  

Nun zu den Zielen der Individualbeschwerde:

Die oben erwähnte Öffnung des staatlichen Souveränitätspanzers durch solche Überwachungsmechanismen bedeutet zunächst, daß das Wissen um die Möglichkeit von Beschwerden durch die Bevölkerung und die Kontrolle durch ein internationales Gremium bereits eine "erzieherische Wirkung" entfalten kann.

Es heißt aber auch, daß es im Ernstfall zu dieser internationalen Kontrolle kommen kann; deren Wirkungen sollen kurz umrissen werden:

Erstens bringt das Verfahren an sich den Staat in eine Rechtfertigungssituation, die ihm auch die Chance bietet, sich auf seine Verpflichtungen zu besinnen. Zweitens wird das Verfahren – obzwar nicht öffentlich geführt – am Ende, vor allem im Falle, daß eine Menschenrechtsverletzung festgestellt wird, doch Publizitätswirkung entfalten. Der Staat hat sich einer einzelfallbezogenen Überprüfung seiner Menschenrechtslage unterziehen müssen, und die Weltöffentlichkeit kann Notiz davon nehmen.45

Das Verfahren schließt im einzelnen Fall mit einer Feststellung, die eine Verletzung der Pflichten aus dem Übereinkommen entweder verneint oder bejaht. Diese "Ansicht" genannte Entscheidung entfaltet keine Urteilswirkung, stellt keinen vollstreckbaren Titel dar.

Gleichwohl ist sie nicht rechtlich unbedeutend. Man kann argumentieren, daß Staaten, die die Prüfungskompetenz eines Vertragsgremiums anerkannt haben, völkerrechtlich verpflichtet sind, dessen Entscheidungen auch zu beachten.

Diese Entscheidung stellt gegebenenfalls eine Völkerrechtswidrigkeit fest. Nach allgemeinem völkerrechtlichen Deliktsrecht ist der Staat zur restitutio in integrum verpflichtet.46 Also sind Gerichtsurteile aufzuheben, Häftlinge zu entlassen, Rehabilitierungen auszusprechen, Verwaltungspraktiken für die Zukunft zu ändern oder es ist Schadenersatz zu leisten.

Zweifelsohne ist die tatsächliche Befolgung der Entscheidungen im Individualbeschwerdeverfahren verbesserungsbedürftig. Hierfür sind viele Faktoren verantwortlich. Doch wäre die Schlußfolgerung falsch, deswegen sei ein Fakultativprotokoll zur KRK überflüssig. Vielmehr eröffnet es Chancen, den Schutz der Menschenrechte von Kindern zu verbessern.

 

 

 
IV. 
III. Zum Gewinn eines speziellen Individualbeschwerdeverfahrens nach der Kinderrechtskonvention
 II.

 
1. Die derzeitige Situation

Mit dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes47 wurden die individuellen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte speziell von Minderjährigen in einem internationalen Übereinkommen verankert.

Minderjährig im Sinne des Übereinkommens ist gemäß Art. 1 KRK jeder Mensch, "der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt".

Das Prinzip des Kindeswohls prägt das gesamte Abkommen und findet seinen ausdrücklichen Niederschlag in Art. 3 KRK, wonach bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, deren Wohl vorrangig zu berücksichtigen ist.

Der Vertragstext umfaßt die traditionellen, allgemeinen menschenrechtlichen Garantien ebenso wie besondere, die spezielle Situation von Kindern als schwächste Glieder der Gesellschaft beachtenden Rechte und Freiheiten. Neben dem Recht auf Leben (Art. 6 KRK), dem Diskriminierungsverbot (Art. 2 KRK), dem Verbot der Folter und anderer grausamer Behandlung (Art. 37 KRK) sind ferner zu erwähnen: das Recht auf einen Namen, eine Staatsangehörigkeit und auf Kenntnis der Abstammung (Art. 7, 8 KRK) oder das Recht auf Kontakt zu beiden Elternteilen (Art. 10 KRK).

Hinzu treten Bestimmungen zum Schutz vor Gefahren, denen insbesondere Kinder ausgesetzt sind, wie physische und seelische Mißhandlung, sexueller Mißbrauch und wirtschaftliche Ausbeutung (Art. 19, 32, 34-37 KRK).

Die Förderung der Entwicklung von Kindern steht beispielsweise im Mittelpunkt der Bestimmungen über Bildung (Art. 28, 29 KRK), Freizeit und kulturelle Aktivitäten (Art. 31 KRK). Auch sollen Kinder gleichfalls ein Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 13, 17 KRK), auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 14 KRK) ausüben können. Besondere Berücksichtigung findet auch die Situation von Kindern, die Minderheiten angehören (Art. 30 KRK), Flüchtlingen (Art. 22 KRK), geistig und körperlich behinderten Minderjährigen (Art. 23, 25 KRK) sowie Kindern, die von bewaffneten Konflikten betroffen werden (Art. 38 KRK).

Der KRK, die bereits ein Jahr nach ihrer Unterzeichnung in Kraft treten konnte, sind bis zum heutigen Tage 192 Staaten beigetreten.48 Kein anderes menschenrechtliches Abkommen hat bisher in so kurzer Zeit eine derart breite Unterstützung und Anerkennung erfahren. Freilich entspricht die tatsächliche Lage in vielen Vertragsstaaten den übernommenen Verpflichtungen auf diesem Feld noch weniger als in anderen Bereichen.

Als Überwachungsgremium fungiert der Ausschuß für die Rechte des Kindes, der in öffentlichen Sitzungen die von den Staaten vorgelegten periodischen Berichte zur Umsetzung der Konvention in das innerstaatliche Recht behandelt. Er kann diese nach Bedarf ergänzen lassen und abschließend Vorschläge und Empfehlungen unterbreiten. Hierbei steht es ihm offen, Sonderorganisationen der VN, UNICEF und andere "zuständige Stellen" zur Mitarbeit, etwa in Form von Stellungnahmen einzuladen (Art. 45).

 

2. Änderungen durch ein Fakultativprotokoll

Wie sonst nur (noch) der Sozialpakt etabliert die KRK bislang lediglich das Berichtssystem als Form der internationalen Kontrolle. Die Möglichkeit der Staaten- oder Individualbeschwerde über die Verletzung von Konventionsrechten ist in der Kinderrechtskonvention nicht vorgesehen; hieran kann die Auflegung eines Fakultativprotokolls zumindest für den Bereich der Individualbeschwerde etwas ändern.

Natürlich können Kinder, die behaupten, Opfer einer Menschenrechtsverletzung zu sein, bereits heute – vertreten durch ihre Eltern oder gegebenenfalls durch eine Nichtregierungsorganisation – Individualbeschwerden nach dem Zivilpakt, der Anti-Folter-Konvention, dem Rassendiskriminierungsübereinkommen und – soweit es sich um Mädchen handelt – auch nach dem Frauenrechtsübereinkommen einlegen. Damit können sämtliche im Zivilpakt gewährleisteten politischen und bürgerlichen Rechte, das Folter- und das Diskriminierungsverbot und die Rechte nach CEDAW auch von Kindern im Wege des Individualbeschwerdeverfahrens geltend gemacht werden.

Wird jedoch ein Individualbeschwerdeverfahren durch ein Fakultativprotokoll zur KRK eröffnet, so besteht ein wesentlicher Gewinn darin, daß sich dann ein Expertengremium mit ihr befaßt, das kinderspezifische Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen besser kennt. Die Erfahrungen mit CEDAW haben gezeigt, daß der Spezialausschuß hier mehr Sensibilität mitbringt und die Belange der gefährdeten Gruppe nachhaltiger wahrzunehmen bemüht ist, als etwa der Menschenrechtsausschuß, der natürlich in vielen Fragen ebenfalls zuständig sein kann, aber meistens eine allgemeinere Perspektive einnimmt. Auch die nicht von Juristen dominierte Zusammensetzung des Ausschusses erlaubt einen oftmals angemesseneren Zugang zum einzelnen Fall, kann aber auch die technische Handhabung des Verfahrens erschweren.

Das Beschwerderecht nach der KRK wertet die geschützte Gruppe der Kinder weiter auf; drückt es doch die Anerkennung der Existenz spezifischer Menschenrechtsverletzungen gegenüber Kindern aus.

Auch die Stellung des Ausschusses nach der KRK würde gestärkt. Dieser erhielte Gelegenheit, sich neben der wichtigen Arbeit im Staatenberichtsverfahren auch zu Einzelfällen zu äußern. Dies bringt die Ausschüsse stärker ins Bewußtsein der Öffentlichkeit. Es ergänzt auch in signifikanter Weise ihre Interpretationstätigkeit, da der lebendige Einzelfall die wesentlichen Fragen bei der Verwirklichung der Menschenrechte von Kindern viel plastischer hervortreten läßt als die abstrakte Befassung mit Staatenberichten.

Ein weiterer Effekt des Individualbeschwerdeverfahrens kann darin bestehen, daß die Staaten sich bemühen, die innerstaatlichen Kontrollmöglichkeiten stärker auszubauen, und die Chancen der Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz sich daher insgesamt erhöhen.

 

3. Probleme im Zusammenhang mit einer Individualbeschwerde für Kinder

Nicht unerwähnt bleiben soll, daß eine Individualbeschwerde im Rahmen der Kinderrechtskonvention auch Probleme birgt. Generell ist an den möglichen Schaden zu denken, der daraus erwachsen kann, daß auch innerfamiliäre Spannungen zum Gegenstand einer quasi-gerichtlichen Untersuchung werden. Die Schwierigkeiten, die wir aus dem innerstaatlichen Bereich im Zusammenhang mit Vorwürfen von sexuellem Mißbrauch kennen, könnten sich hier wiederholen. Das darf natürlich kein Grund sein, Fehlverhalten zu vertuschen und Verantwortlichkeiten nicht wahrzunehmen; allerdings ist eine hohe Sensibilität für die besondere Problemlage erforderlich.

In diesem wie in vielen anderen Bereichen geht es zudem um Fragen der Drittwirkung von Rechten. Die gegen den Staat gerichtete Individualbeschwerde erfordert dessen Verantwortung. Diese manifestiert sich häufig im Verstoß gegen eine sogenannte Schutzpflicht.49 Die Schutzpflicht erfordert, daß der Staat tätig wird, um zwischen verschiedenen privaten Freiheitssphären einen Ausgleich zu finden. Inwieweit er dann zugunsten des einen Rechts in das andere eingreifen darf, läßt sich nicht abstrakt bestimmen.50

 

 
 

IV. Wie ist es um die Einklagbarkeit der Konventionsrechte bestellt?

III. 


Da die Konvention neben politischen Rechten auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte enthält, stellt sich die Frage, ob alle in der Konvention gewährleisteten Rechte für eine Kontrolle im Individualbeschwerdeverfahren geeignet sind.

Die klassischen Abwehrrechte, die Beschränkungen der gewährleisteten Rechte nur unter bestimmten Voraussetzungen zulassen, sind voll justiziabel. Hierbei handelt es sich um Freiheitsrechte und Verfahrensrechte, die einerseits an die entsprechenden Gewährleistungen des Zivilpakts angelehnt sind und andererseits eine kindspezifische Ausprägung erfahren haben.51 Zu den Vorschriften gehören vor allem: Art. 2 Abs. 1 (Diskriminierungsverbot), Art. 6 (Recht auf Leben), Art. 7 Abs. 1 (Registereintragung, Name von Geburt an und Erwerb einer Staatsangehörigkeit), Art. 8 (Achtung der Identität), Art. 13 (Freiheit der Meinungsäußerung), Art. 14 (Gedanken- Gewissens- und Religionsfreiheit), Art. 15 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit), Art. 16 (Schutz der Privatsphäre), Art. 30 (Minderheitenrechte), Art. 32 (Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung und Kinderarbeit), Art. 35 (Verbot des Kinderhandels), Art. 37 (Verbot von Folter, Todesstrafe und willkürlichen Verhaftungen; getrennter Strafvollzug für Kinder und Jugendliche, Art. 40 (Habeas-Corpus-Rechte).

Man sieht, daß dieser Bestand keineswegs zu unterschätzen ist. Bereits diese Garantien machen ein Individualbeschwerdeverfahren zu einem sinnvollen Instrument.

Der Normbestand der KRK geht jedoch über diese Freiheits- und Verfahrensrechte hinaus. Die Konvention hat eine Reihe von Bestimmungen mehr oder weniger unverändert aus dem Sozialpakt übernommen. Hinzu kommen Artikel, die die Förderung von Kindern durch staatliche Leistungen anstreben. Schließlich enthält die Konvention Regelungen, mit denen Kinder vor Gefahren und Selbstgefährdungen geschützt werden sollen.

Nach der traditionellen Auffassung handelt es sich hier in den meisten Fällen nicht um Individualrechte und scheidet eine rechtliche Überprüfbarkeit deshalb aus.52 Allerdings hat sich sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene in den vergangenen Jahrzehnten durchaus eine Rechtsprechung zu sozialen Grund- und Menschenrechten entwickelt. Erinnert sei nur an die Numerus-Clausus-Urteile des Bundesverfassungsgerichts53

Zu den Hauptargumenten gegen die Justiziabilität zählt die textliche Unbestimmtheit der entsprechenden Gewährleistungen. Nun eröffnen die Bemühens-Formulierungen54 (beispielsweise in Art. 18 – Sicherstellung der Verantwortung beider Elternteile für die Erziehung) den Vertragsstaaten naturgemäß einen weiten Einschätzungsspielraum. Dieser wird durch die generelle Norm des Art. 4 Satz 2 noch unterstrichen.

Es ist hier aber auch in die Hand des Ausschusses gelegt, vermittels seiner Tätigkeit Kriterien zu entwickeln, an denen solches Bemühen gemessen werden kann. Dabei kann eine Orientierung an der Arbeit des CESCR sehr hilfreich sein. Dieser hat inzwischen zu den Kerngehalten vieler Paktrechte detailliert und dezidiert Stellung genommen55; hierauf kann der Ausschuß nach der KRK sehr gut aufbauen.

Soweit es sich um Teilhaberechte handelt, kommt immer die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Vertragsstaaten ins Spiel. Allerdings kann aus der offenen Formulierung solcher Rechte nicht auf ihre Bedeutungslosigkeit und Unverbindlichkeit geschlossen werden. Die Staaten sind Verpflichtungen eingegangen, denen – gemäß Art. 2 "nach und nach" – auch Umsetzungsschritte folgen müssen.56 Dies hat für den Sozialpakt auch der CESCR betont; der "progressive Ansatz" bedeute gerade keine Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.57

Nicht zuletzt wohnt auch den anscheinend so weich formulierten Teilhaberechten ein identifizierbarer und nachprüfbarer Kern inne.58 Diesen herauszuarbeiten ist eine Aufgabe für Wissenschaft und Praxis59. Dem Ausschuß nach der KRK kommt hierbei eine besonders wichtige Funktion zu.

Abzuraten ist davon, nur bestimmte Rechte der Konvention für das Individualbeschwerdeverfahren zuzulassen. Auch die Bemühungen um ein Fakultativprotokoll zum Sozialpakt zielen auf eine umfassende Kontrollkompetenz des CESCR ab.

 

 
IV.

V. Fazit

 

Der Menschenrechtsschutz ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem wichtigen Faktor der internationalen Zusammenarbeit geworden. Seine Einbindung vor allem in die Vereinten Nationen, deren Arbeit auf diesem Gebiet durch regionale Menschenrechtssysteme in Afrika, Amerika und Europa ergänzt wird, hat dazu geführt, daß die Menschenrechte – vor allem ihre Mißachtung – aus dem inneren Kernbereich der Souveränität herausgelöst wurden.

Durch die Setzung völkerrechtlich verbindlicher Standards und ihre – unterschiedlich ausgestaltete – internationale Kontrolle ist es in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu einer grundlegenden Umgestaltung des Völkerrechts und damit der zwischenstaatlichen Beziehungen gekommen.

Die Eröffnung einer direkten Beschwerdemöglichkeit für das Individuum war zuvor kaum vorstellbar, keineswegs aber ließ sie sich durchsetzen. Mit der Ausweitung dieser Möglichkeit auch auf die Rechte der Kinder soll, die immer wieder proklamierte Gleichwertigkeit aller Menschenrechte (Stichworte: Interdependenz und Unteilbarkeit) glaubhaft verwirklicht werden. Eine an existierende Modelle zum Schutz bürgerlicher und politischer Rechte angelehnte Kontrolle führt nicht zuletzt zu einer Aufwertung von Teilhaberechten.

In erster Linie aber wird die geschützte Gruppe selbst in ihrer Bedeutung aufgewertet; die Individualität und Rechtspersönlichkeit von Kindern wird gestärkt. Ungeachtet bestimmter Defizite der Kontrolle durch ein solches Vertragsorgan ist der Schutz ihrer Rechte im Einzelfall ein wichtiger Zugewinn für den internationalen Menschenrechtsschutz.

 

 



  Anmerkungen:
 
* Der Beitrag beruht auf Teilen eines Vortrages, der am 5. April 2001 auf einer Konferenz zum Thema "Kinderrechte stärken" in Berlin gehalten wurde.
1 Ekkehard Strauß / Norman Weiß, Die Bedeutung des internationalen Menschenrechtsschutzes für den nationalen Grundrechtsschutz, in: MenschenRechtsMagazin, Heft 1/Oktober 1996, S. 5ff.
2 Otto Kimminich / Stephan Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 7. Aufl. 2000, S. 40ff.
3 Kritisch neuestens: Jelka Meyr-Singer, Unheilige Allianz oder segensreiche Partnerschaft - der Heilige Stuhl und die Vereinten Nationen, in: Vereinte Nationen 6/2000, S. 193ff.
4 Dazu allg.: Georg Ress / Torsten Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996.
5 S. Eckart Klein, Menschenrechte - Stille Revolution des Völkerrechts und Auswirkungen auf die innerstaatliche Rechtsanwendung, 1997, S. 23.
6 Ausf. Norman Weiß, Die Entwicklung der Menschenrechtsidee, heutige Ausformung der Menschenrechte und Fragen ihrer universellen Geltung, in: J. Hasse / E. Müller / P. Schneider (Hrsg.), Menschenrechte, 2001 (i.Vorb.).
7 Problematisch ist es allerdings, wenn der internationale Menschenrechtsschutz die erste Möglichkeit einer unabhängigen Prüfung darstellt, weil es an einer funktionierenden innerstaatlichen Gerichtsbarkeit fehlt.
8 EGMR, Öztürk ./. Deutschland, Urteil vom 21. Februar 1984, Ser. A Bd. 73.
9 Erinnert sei an die diesbezügliche Wirkung der KSZE-Vereinbarungen für die Bürgerrechtsbewegungen in den Ländern des seinerzeitigen Ostblocks.
10 Vgl. Ekkehard Strauß, Die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte — Grundlage ihrer aktuellen Bedeutung, in: MenschenRechtsMagazin, Themenheft: 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Dezember 1997, S. 13ff.
11 Näher: Eckart Klein, Menschenrechtskonventionen, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, in: H. Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, 2000, S. 354ff.; ders., Menschenrechtskonventionen, Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, ebenda, S. 358ff.
12 Dazu: Edward Lawson, Encyclopedia of Human Rights, 2. Aufl. 1996, Genocide, S. 624ff.
13 Überblicksartig zu diesen s. Norman Weiß (Fn. 6), Gliederungspunkt 2.1.; ausführlicher und m.w.Nw. die Beiträge von Martina Haedrich, Volker Betz und Hanna Beate Schöpp-Schilling in: H. Volger (Hrsg.), Lexikon der Vereinten Nationen, 2000, S. 360ff.
14 Erinnert sei nur an die Genfer Flüchtlingskonvention, die verschiedenen ILO-Übereinkommen oder die Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen.
15 Vgl.: Eckart Klein, Die Arbeit des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen: Ziele - Erfolge - Grenzen, in: Ulrich Fastenrath / Eckart Klein / Bernd Schulte, Internationale Durchsetzung der Menschenrechte: Zielvorstellungen - Erfolge - Hindernisse, 1997, S. 22ff.
16 GV Res. 2200 A (XXI) vom 16. Dezember 1966; BGBl. 1992 II S. 1247.
17 Daß Staaten ihre "Watch dog"-Funktion nur unzureichend wahrnehmen, mag unterschiedliche Gründe haben. Es besteht wohl häufig die Befürchtung, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit selbst mit einem Verfahren überzogen zu werden. Andererseits kann ein besonderes Interesse an dem Fall wie auch die "Outlaw"-Position des anderen Staates die Bereitschaft für das Engagement steigern. Für die Situation unter der Europäischen Menschenrechtskonvention vgl. dazu: Eckart Klein, Menschenrechtsschutz in Europa, in: MenschenRechtsMagazin, Themenheft 50 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention, 2000, S. 8ff. (13f.).
18 Der CESCR hat sich während der neunziger Jahre kontinuierlich mit der Einführung eines Individualbeschwerdeverfahrens befaßt und im Jahr 1997 einen Entwurf für ein entsprechendes Fakultativprotokoll vorgelegt; UN Doc. E/CN.4/1997/105, Annex "Status of the international Covenants on Human Rights - Draft Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights".
19

Bruno Simma, The implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: Franz Matscher (Hrsg.), Die Durchsetzung wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte, 1991, S. 75ff. (82ff.).

20 In der Bundesrepublik Deutschland seit dem 15. Juni 1969; BGBl. 1969 II S. 962.
21 Stand: 26. Juni 2001.
22 Zu den Ergebnissen vgl. Norman Weiß, Auswertung der Tätigkeit des Ausschusses zur Beseitigung jeder Form von Rassismus (CERD) der Vereinten Nationen, in: MenschenRechtsMagazin 1998, S. 98ff., ders., Die Bekämpfung des Rassismus in Deutschland vor dem Hintergrund der Arbeit des Ausschusses für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD), in: Frank Hoffmeister u.a., Globale Problemlösungen in der Bewährungsprobe – Bilanz der Arbeit der Vereinten Nationen vor dem Milleniumsgipfel 2000 (Potsdamer UNO-Konferenzen, Bd. 1), 2001, S. 27ff. (30ff.).
23 Deutscher Text: BGBl. 1990 II 246ff.; Original: UN-Doc. A/Res. 39/46.
24 Stand: 26. Juni 2001
25 Allgemein zum Folterverbot vgl. Norman Weiß, Schutz vor Folter: Rechtliche Grundlagen und Durchsetzungsmechanismen, in: N. Weiß / D. Engel / G. d’Amato, Menschenrechte - Vorträge zu ausgewählten Fragen, 1997, S. 57 - 87.
26 Der erste Bericht der Bundesrepublik Deutschland wurde den Vereinten Nationen im März 1992 zugeleitet.
27 Zu den Ergebnissen vgl. Norman Weiß, Auswertung der Rechtsprechung des Ausschusses gegen die Folter (CAT), in: MenschenRechtsMagazin, Heft 3 Juni 1997, S. 15-22; ders., Auswertung der Rechtsprechung des Ausschusses gegen die Folter (CAT) 1996/1997, in: MenschenRechtsMagazin 1998, S. 56-62.
28 GV Res. 34/180; UNTS Bd. 1249, S. 13. Für die Bundesrepublik Deutschland trat das Abkommen am 9. August 1985 in Kraft (BGBl. 1985 II 648), die Deutsche Demokratische Republik hatte es dagegen schon am 3. Juli 1980 ratifiziert. Allgemein zum Abkommen siehe: Norman Weiß, Schutz von Frauenrechten im Rahmen der Vereinten Nationen, in: Perspektive 21, Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik, Heft 12, September 2000, S. 58-67.
29 Dazu ausführlich Anna Golze, Die Individualbeschwerde nach dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), in: J. Hasse / E. Müller / P. Schneider (Hrsg.), Menschenrechte, 2001, i.E.
30 Stand 26. Juni 2001. Die Bundesrepublik Deutschland hat das Protokoll am 10. Dezember 1999 unterzeichnet. Auf der Sitzung des Frauenrechtsausschusses im Januar/Februar 2000 erklärte die deutsche Delegation, daß die Ratifizierung sowohl des Fakultativprotokolls als auch der Ergänzung des Art. 20 Abs. 1 CEDAW (Erweiterung der Sitzungsdauer des Frauenrechtsausschusses) seitens der Bundesrepublik vorbereitet wird. Im April 2001 wurde die Denkschrift der Bundesregierung zwischen den Ministerien abgestimmt.
31 Daher das Engagement der Frauenrechtsbewegung für das Ziel "Women's rights are human rights", das schließlich in die Schlußerklärung der Weltkonferenz über Menschenrechte 1993 in Wien aufgenommen wurde.
32 In Anlehnung an Anna Golze (Fn. 29).
33 Die Verfahrensordnungen sind abgedruckt in: Bruno Simma/Ulrich Fastenrath (Hrsg.), Menschenrechte - Ihr internationaler Schutz, München, 41998
34 Vgl. Art. 1 FP CCPR; Art. 14 Abs. 1 CERD; Art. 22 Abs. 1 CAT.
35 Gemäß Art. 12 Abs. 1 FP CCPR; Art. 14 Abs. 3 CERD; Art. 22 Abs. 8 CAT. Zu aktuellen Konsequenzen dieser Möglichkeit für den CCPR s. mit Blick auf Trinidad und Tobago: Friederike Brinkmeier, Bericht über die Arbeit des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen im Jahre 1999-Teil II, in: MenschenRechtsMagazin 2000, S. 75ff. (78ff.).
36 So Art. 1 FP CCPR; "vorgeben" nach Art. 14 Abs. 1 CERD; "geltend machen" nach Art. 22 Abs. 1 CAT.
37 Art. 3 FP CCPR; Art. 14 Abs. 6 lit. a CERD; Art. 22 Abs. 2 CAT.
38 Art. 3 FP CCPR; Art. 91 lit. c und d VfO CERD; Art. 22 Abs. 2 CAT.
39 Art. 2 und Art. 5 lit. b FP CCPR; Art. 14 Abs. 7 lit. a CERD; Art. 22 Abs. 5 lit. b CAT.
40 Art. 4 Abs. 1 FP CCPR; Art. 14 Abs. 6 lit. a CERD; Art. 22 Abs. 3 CAT; bei CERD wird die Identität des Beschwerdeführenden nur mit dessen ausdrücklicher Zustimmung an den betreffenden Staat weitergegeben.
41 Gemäß Art. 4 Abs. 2 FP und Art. 22 Abs. 3 CAT sechs Monate; nach Art. 14 Abs. 6 lit. b CERD drei Monate.
42 Art. 5 Abs. 3 FP CCPR; Art. 88 VfO CERD; Art. 22 Abs. 6 CAT.
43 "Auffassungen" gem. Art. 5 Abs. 4 FP CCPR und Art. 22 Abs. 7 CAT; "Vorschläge und Empfehlungen" gem. Art. 14 Abs. 7 lit. b CERD.
44 Dazu: Aloisia Wörgetter, Politische Bemerkungen zum neuen Beschwerderecht für Frauen
im Rahmen der VN-Frauenrechtskonvention, in: Eckart Klein (Hrsg.), 20 Jahre Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), Studien zu Grund- und Menschenrechten Heft 5, 2000, S. 53ff.
45 Hier liegt auch ein wichtiges Betätigungsfeld für die Presse und die Nichtregierungsorganisationen, die die intergouvernementale UN-Öffentlichkeit auf die Zivilgesellschaften ihrer Länder erweitern sollten.
46 Vgl. dazu Eckart Klein, Individuelle Wiedergutmachungsansprüche nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte - Die Praxis des Menschenrechtsausschusses, in: MRM, Themenheft 50 Jahre AEMR, 1997, S. 67ff. (68f.).
47 Vom 20. November 1989 (BGBl 1992 II 121, 990), in Kraft seit dem 20 September 1990, für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 5. April 1992
48 Stand 28. März 2001. Die jeweils aktuellen Daten zu allen vorgenannten Verträgen finden sich unter: http://www.unhchr.ch/html/intlinst.htm.
49 Dazu: Katja Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzungen durch Private, 1999, S. 84ff.
50 Vgl. Eckart Klein, The Duty to Protect and to Ensure Human Rights Under the International Covenant on Civil and Political Rights, in: ders. (ed.), The Duty to Protect and to Ensure Human Rights, 2000, S. 295ff. (314f.).
51 Vgl. Gabriele Dorsch, Die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, 1994, S. 127ff.
52 Vgl. – für die parallel geführte Diskussion unter dem Grundgesetz – nur: Georg Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, 1971, S. 17f.; Christian Starck, Die Grundrechte des Grundgesetzes, in: JuS 1981, S. 237ff (241), jeweils m.w.Nw.
53 BVerfG E 33, 30; 343, 291.
54 Vgl. dazu Philip Alston, Out of the Abyss: The Challenges Confronting the New U.N. Committee on Economic, Social and Cultural Rights, in Human Rights Quarterly 1987, 332ff. ( 351ff.).
55 General Comments adopted by the CESCR, versammelt in: UN-Doc./HRI/GEN/1/Rev. 4. vom 7. Februar 2000, S. 3-80.
56 Ausführlich Kitty Arambulo, Strengthening the Supervision of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, Theoretical and Procedural Aspects, 1999, S. 53ff, 99ff.
57 CESCR, General Comment Nr. 3 (1990), in: UN-Doc./HRI/GEN/1/Rev. 4. vom 7. Februar 2000, S. 9ff. Beachte aber auch die anderslautende Formulierung in Art. 2 CEDAW: "unverzüglich".
58 Näheres bei: Arambulo (Fn. 56), S. 130ff.
59 Alston (Fn. 54), S. 352f.
 
Quelle: MenschenRechtsMagazin Heft 3 / 2001

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