Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 8. Juni 2010

Inhalt
 

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Individualrechtsschutz unter den verschiedenen UN-Mechanismen - Teil 5

 Norman Weiß:

Einführung in Möglichkeiten des Individualrechtsschutzes im Rahmen der UNESCO

 
Inhaltsübersicht
I. Einführung
1. Entwicklung 
2. Aktueller Mechanismus
II. Prüfung einer Beschwerde 
1. Technische Hinweise 
2. Gegenstand 
3. Schlüssigkeit 
4. Mitteilung der Zulässigkeitsentscheidung und Fortgang des Verfahrens
III. Bewertung
 
2.
I. Einführung
 

1. Entwicklung

Auch die UNESCO bietet ein Überprüfungsverfahren für Menschenrechtsverletzungen an. Seit 1976 ist diese Aufgabe ihrem Ausschuß für Konventionen und Empfehlungen (CRE) zugewiesen.

Die UNESCO kann sich dabei auf die Ziele der Organisation berufen. So heißt es in Artikel 1 Abs. 1 ihrer Charta, daß das Wirken der Organisation auf die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Völkern gerichtet sein und der Achtung der Menschenrechte in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zukommen soll.

Die UNESCO ist wie alle einer breiten Öffentlichkeit bekannten Unterorganisationen der Vereinten Nationen rasch zu einem Adressaten von individuellen Rechtsschutzbegehren geworden.1 Die meisten davon fallen in einen der vier Bereiche, für die die UNESCO zuständig ist: Erziehung, Wissenschaft, Kultur und Information.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Vorläufer des heutigen Verfahrens:

Nach einem ersten, aber nie wirksam gewordenen Ansatz zu Beginn der 50er Jahre2 wurde im Jahre 1967 ein Verfahren entwickelt, das vier Voraussetzungen aufstellte:

Die Beschwerde mußte von einem nicht anonymen Beschwerdeführer eingelegt und nicht bereits zu einem anderen Kontrollorgan erhoben worden sein. Zweitens mußte sie sich auf einen konkreten Fall beziehen und drittens eine Verletzung von Menschenrechten zum Gegenstand haben. Viertens schließlich hatte sie den Zuständigkeitsbereich der Organisation zu betreffen.3

War das der Fall, dann gelangte die Beschwerde zum CRE, der die betroffene Regierung zur Stellungnahme aufforderte und hierüber in nichtöffentlicher Sitzung beriet. Lediglich das Ergebnis wurde dem Exekutivrat mitgeteilt.4
 

2. Aktueller Mechanismus

Eine Reform dieses Mechanismus führte im Jahre 1978 zu einem konkreten Mandat des CRE.5 Er solle im Geiste der internationalen Zusammenarbeit, des Ausgleiches und der gegenseitigen Verständigung handeln und sich bewußt sein, daß die Organisation nicht die Rolle eines gerichtlichen Gremiums zu spielen habe. Das Verfahren ist demzufolge vollständig auf Ausgleich zugeschnitten. Der Exekutivrat war der Auffassung, es müsse zwischen Förderung und Schutz der Menschenrechte unterschieden werden. Die Aufgaben des CRE seien auf das Studium der Beschwerden, ihre Prüfung, Untersuchung und einen Versuch der Schlichtung unter Heranziehen ethischer Erwägungen zu beschränken. Es solle versucht werden, besondere Probleme in vertraulichen Gesprächen mit den betroffenen Mitgliedstaaten zu suchen.

Aus dieser Anlage ergibt sich zweierlei: Erstens ist das Verfahren nicht an besondere förmliche Voraussetzungen geknüpft.6 Beschwerdeberechtigt ist nicht nur das Opfer eines gerügten Verstoßes, sondern auch jede andere Person oder Gruppe mit zuverlässiger Kenntnis von diesem Verstoß. Allerdings dürfen diese Informationen nicht überwiegend aus Medienberichten stammen. Das Mandat verzichtet auch auf die sonst bei internationalen Beschwerdeverfahren rigoros gehandhabte Voraussetzung der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges. Der Beschwerdeführer muß dies lediglich versucht haben.

Zweitens ist das Verfahren vor dem CRE durch seine absolute Vertraulichkeit gekennzeichnet. Die Anhörung der Staatenvertreter findet ebenso hinter verschlossenen Türen statt, wie die Beratungen des Ausschusses. Darüber hinaus sind auch die Berichte des CRE an den Exekutivrat vertraulich und werden von diesem gleichfalls in vertraulichen Sitzungen beraten. Hierbei wird besonders darauf geachtet, den Teilnehmerkreis begrenzt zu halten, und sich um eine "dosierte Bekanntgabe der Ergebnisse"7 bemüht.

Lediglich in Fällen grober, systematischer und flagranter Menschenrechtsverletzungen haben der Exekutivrat oder die Generalkonferenz die Möglichkeit, die Öffentlichkeit herzustellen. Im Unterschied zum soeben dargestellten Verfahren, das "Fällen" ("Cases") gewidmet ist, kann CRE in diesem Zusammenhang "Situationen" ("Ques-tions") behandeln. Wenn der CRE über die Vorlage berät und beschließt, ist er jedoch an die strenge Vertraulichkeit gebunden, die es ihm untersagt, auch nur die Namen der betroffenen Staaten oder der Beschwerdeführer zu nennen. Erst die übergeordneten Organe sind dazu berechtigt - aber nicht verpflichtet - die Öffentlichkeit bei ihren Beratungen oder Beschlußfassungen herzustellen.

 

 
 3. 
II. Prüfung der Beschwerde
1.

1. Technische Hinweise

Das Verfahren wird durch einen Brief an folgende Adresse eingeleitet:
Director of the Office of International Standards and Legal Affairs of UNESCO
7, Place de Fontenoy
F - 75 352 Paris
Dieser Brief sollte in englischer oder französischer Sprache abgefaßt sein und die wesentlichen Vorwürfe darstellen. Das Sekretariat wird dem Beschwerdeführer daraufhin ein Formular zur Ergänzung zusenden. Nachdem dieses dem Sekretariat wieder vorliegt, ist das Verfahren offziell eröffnet.

Der CRE tagt zweimal jährlich (Frühjahr und Herbst) in vertraulicher Sitzung.
 

2. Gegenstand

Eine Beschwerde muß Menschenrechte betreffen, die in den Kompetenzbereich der UNESCO in den Feldern Erziehung, Wissenschaft, Kultur und Information fallen. Deshalb gehören zuerst die folgenden vier Rechte zum Untersuchungskatalog: Darüber hinaus sind vier weitere Rechte engstens mit den eben genannten verbunden, so daß auch sie vom Mandat erfaßt sind: Schließlich können zwei weitere kollektive Rechte, denen jeweils eine kulturelle Dimension eigen ist, relevant werden: In der bisherigen Praxis des CRE sind jedoch lediglich die ersten acht dieser zehn aufgezählten Rechte ausdrücklich anerkannt worden.

Die Rechte werden jeweils auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der beiden Menschenrechtspakte definiert. Demgegenüber werden die eigenen Instrumente der UNESCO, die Menschenrechten gewidmet sind - wie die Universal Copyright Convention - seltener herangezogen.

Artikel 14a der Entscheidung 104/EX von 1978 schließt darüberhinaus Beschwerden aus, die ausschließlich auf Erwägungen beruhen, welche außerhalb von Menschenrechten anzusiedeln sind. Um es der entgegnenden Regierung nicht zu einfach zu machen, die Beschwerde zurückzuweisen, ist es zu vermeiden, daß der Beschwerdeführer die Regierung politisch angreift. Vielmehr muß seine Beschwerde sich auf die Darlegung der Fakten und eine rechtliche Analyse beschränken.
 

3. Schlüssigkeit

Außerdem muß die Beschwerde schlüssig und darf nicht offensichtlich unbegründet sein. Hieran ist problematisch, daß CRE die Beschwerde nach Eingang der Stellungnahme der Regierung zurückweisen kann, wenn und weil er sich deren Einwand der Nichtschlüssigkeit bzw. Unbegründetheit anschließt. Dem Beschwerdeführer ist jedoch keine Möglichkeit der Ergänzung seines Vorbringens eingeräumt. Auch kann der Beschwerdeführer das Verfahren nicht von Neuem in Gang setzen, wenn es wegen Unschlüssigkeit oder Unbegründetheit beendet wurde. Allerdings steht es dem Beschwerdeführer offen, den gleichen Sachverhalt mit einer ergänzten Begründung erneut vorzubringen. Dieses Vorgehen wird vom CRE regelmäßig akzeptiert, der Fall wird nicht als res judicata zurückgewiesen.
 

4. Mitteilung der Zulässigkeitsentscheidung und Fortgang des Verfahrens

CRE teilt dem Beschwerdeführer und der betroffenen Regierung das Ergebnis der Zulässigkeitsentscheidung mit und tritt daraufhin in den Dialog mit der Regierung ein.

Wird auf diese Weise nicht Abhilfe geschaffen, so berichtet der CRE schließlich an den Exekutivrat und schlägt diesem gegebenenfalls Maßnahmen vor. Allerdings steht den beteiligten Organen eine breite Palette von Maßnahmen offen, die - so steht zu hoffen - nach dem Ende des Kalten Krieges aktiver genutzt werden kann.

 

 
 
III. Bewertung
2. 

Im abstrakten Vergleich mit anderen Mechanismen, die Individuen offenstehen, schneidet das Verfahren zum CRE keineswegs schlechter ab. Zum einen ist der Kreis der Beschwerdeberechtigten weit gefaßt, zum anderen ist auch die vielbeschworene Vertraulichkeit gegenüber dem Verfahren zur Menschenrechtskommission nach Resolution 15038 gelockerter. Außerdem hält das Verfahren noch einige Bestimmungen bereit, die bislang nicht oder nur selten zur Anwendung kamen. So können das Sekretariat und CRE selbst Befragungen vornehmen, es besteht die Möglichkeit, Zeugen zu hören und schließlich könnte CRE verstärkt die Öffentlichkeit suchen.

Dem CRE wurden in den Jahren 1978 bis 1991 insgesamt 402 Beschwerden vorgelegt. Davon konnten 197 erfolgreich abgeschlossen werden. Zur Erfolgsbilanz gehört, daß 121 Häftlinge entlassen wurden, 54 Opfer ihr Heimatland verlassen oder dorthin zurückkehren konnten und es 24 weiteren möglich war, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Diese Erfolgsbilanz wird von einem langjährigen Mitglied des CRE als zwar bescheiden eingeordnet, sie mache aber gleichwohl deutlich, daß Publizität keineswegs die allein wirksame Anwort auf Menschenrechtsverletzungen darstelle. Vielmehr belege die Praxis des CRE, daß eine geschickte Handhabung von Schlichtung und Publizität gleichermaßen hilfreich sein könne. Allerdings sei dabei auf die richtige Reihenfolge zu achten: es müsse mit dem Schlichtungsversuch, nicht mit dem Appell an die öffentliche Meinung begonnen werden.9
 
 


Anmerkungen:
 

1 Vgl. für die UN-Menschenrechtskommission N. Weiß, Einführung in "UN Non-Treaty Procedures" — Menschenrechtsschutzverfahren der Vereinten Nationen, die nicht auf Verträgen basieren, in: MRM, Heft 4/Oktober 1997, S. 6ff.
2 Prüfungskompetenz des Exekutivratsvorsitzenden und nachfolgend des Rates selbst gemäß UNESCO Doc. 30 EX/Decision 11 (1952).
3 UNESCO Doc. 77 EX/Decision 8.3 (1967).
4 Eine Ausnahme bildtete lediglich ein gegen Chile gerichteter Fall aus dem Jahre 1976.
5 UNESCO Doc. 104 EX/Decision 3.3 (1978).
6 Die Regelungen in Art. 14 dieser Entscheidung stellen allesamt keine Hürden im Sinne von technischen Unzulässigkeitsgründen auf, sondern sollen hauptsächlich völlig unsinnige Eingaben abwehren. Dort, wo es - wie bei der Rechtswegerschöpfung - um "härtere" Kriterien geht, zeichnet sich das Verfahren durch eine flexible Handhabung derselben aus. Vgl. im einzelnen unter II.
7 K. J. Partsch, Stille Diplomatie oder Publizität bei effektiver Förderung der Menschenrechte?, in: Eckart Klein (Hrsg.), Stille Diplomatie oder Publizität? Überlegungen zum effektiven Schutz der Menschenrechte, 1996, S. 135 (136).
8 Vgl. dazu N. Weiß (Fn. 1), S. 8 ff.
9 K.J. Partsch (Fn. 7), S. 138.
 
 
Quelle: MenschenRechtsMagazin Heft 1/98 - März 1998, S. 6-18

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