Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 8. Juni 2010

Inhalt

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Individualrechtsschutz unter den verschiedenen UN-Mechanismen - Teil 1 -


Norman Weiß:

Einführung in den Individualrechtsschutz nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte

Inhaltsübersicht
1. Entstehungsgeschichte und Zielsetzung des Paktes
2. Kontrollmechanismen
3. Das Individualbeschwerdeverfahren nach dem ersten Zusatzprotokoll 
        a) Überblick 
        b) Voraussetzungen 
        c) Verfahrensablauf 
        d) Verfahrensbeendigung
4. Prüfungsschema
5. English summary
 
 
2.

1. Entstehungsgeschichte und Zielsetzung des Paktes

 
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Menschenrechtsschutz - eingedenk der Schrecken des Krieges und der Erfahrungen mit dem Terror des Nationalsozialismus1 - zu einem wichtigen Tagesordnungspunkt der internationalen Politik und infolgedessen zu einem expandierenden Gebiet des Völkerrechts geworden. Die bis dahin unvorstellbare Mißachtung der Menschenwürde und des Individuums lösten die Menschenrechte aus dem domaine réservé der einzelnen Staaten heraus und machten sie zu einem vorrangigen Anliegen der Weltgemeinschaft.

Die Gründung der Vereinten Nationen 1945 in San Franzisko, die sich in der Präambel und in Art. 1 Ziffer 3 und Art. 55 lit. c der Satzung auf die Achtung und Förderung der Menschenrechte verpflichteten, markiert diesen Neuanfang im Völkerrecht. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 erfolgte die erste Ausformulierung eines Kataloges von Menschenrechten und Grundfreiheiten auf universeller Ebene. Allerdings ist diese Deklaration der Generalversammlung kein rechtsverbindlicher Vertrag.2

Deswegen bemühten sich die Vereinten Nationen in der Folgezeit um ein völkerrechtlich verbindliches Instrument zum Schutz der Menschenrechte. Der Entstehungsprozeß für diesen Vertrag wurde jedoch vom sich kontinuierlich verschärfenden Systemgegensatz zwischen Ost und West behindert und in die Länge gezogen. Vereinfacht gesagt, wollten die westlichen Staaten eine Konvention klassischer liberaler Abwehrrechte unter Ausklammerung sozialer Rechte konzipieren, auf die man sich innerstaatlich direkt berufen können und für deren völkerrechtliche Kontrolle ein internationales Gericht, ergänzt um einen Hochkommissar für Menschenrechte,3 zuständig sein sollte. Demgegenüber betonte die Gruppe der sozialistischen Staaten die Gleichwertigkeit und gegenseitige Bedingtheit aller Menschenrechte. Deshalb traten sie für einen einheitlichen - auch Menschenrechte der zweiten Generation enthaltenden - Pakt ein, dessen Umsetzung den einzelnen Staaten vorbehalten sein sollte. Eine internationale gerichtliche Kontrolle lehnten sie als Eingriff in die Souveränität ab. Nachdem die Generalversammlung im Jahr 1950 zunächst zur Ausarbeitung eines einheitlichen Konventionsentwurfs geraten hatte,4 setzte sich die westliche Staatengruppe im darauffolgenden Jahr knapp mit der Forderung nach zwei Pakten mit unterschiedlichen Kontrollmechanismen durch.5 Die Human Rights Commission legte die Entwürfe für die beiden Pakte 1954 vor.6 In den darauffolgenden Jahren wurden diese von dem Third Committee der Generalversammlung überarbeitet. Dabei lag das Schwergewicht auf der Umgestaltung der Überwachungsmechanismen, denen ihre heutige Gestalt gegeben wurde.

Am 19. Dezember 1966 wurde der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte7 (im folgenden: Pakt) von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und zur Unterzeichnung aufgelegt. Knapp zehn Jahre später trat der Pakt in Kraft. Er galt zum 1. Juni 1996 in einhundertvierunddreißig Staaten.

In siebenundzwanzig Artikeln formuliert der Pakt überwiegend liberale Freiheitsrechte, ergänzt um das Recht der Völker auf Selbstbestimmung (Art. 1) sowie um die besondere Verpflichtung der Staaten, gegen Kriegspropaganda und das Eintreten für Rassenhaß vorzugehen (Art. 20). Der Pakt ist so aufgebaut, daß sich die Vertragstaaten gegenseitig verpflichten, die Rechte des Paktes zu achten, sie innerstaatlich zu garantieren und mit wirksamen Rechtsschutzinstrumenten zu versehen (Art. 2).

Das zweite Zusatzprotokoll vom 15. Dezember 19898 hat die Abschaffung der Todesstrafe zum Ziel und erweitert den Schutz des Paktes auf diesem Gebiet.
 

 
3.

2. Kontrollmechanismen

 
Der Pakt sieht in Art. 28 einen Menschenrechtsausschuß vor, der achtzehn Mitglieder hat. Dabei handelt es sich um unabhängige Experten, die gemäß Art. 28 des Paktes wegen ihres hohen sittlichen Ansehens und anerkannter Sachkenntnis auf dem Gebiet der Menschenrechte gewählt werden. Es wird auf eine ausgeglichene Repräsentation der Erdteile geachtet. Dieses Organ hat folgende Aufgaben:
Während die Staaten das Instrument der Staatenbeschwerde allgemein nur äußerst zurückhaltend einsetzen und im Rahmen des Paktes davon bislang überhaupt noch nicht Gebrauch gemacht haben, ist das Staatenberichtsverfahren inzwischen etabliert und im wesentlichen akzeptiert. Die Zahl der Individualbeschwerden, über die der Menschenrechtsausschuß insgesamt entschieden hat (Summe der registrierten Mitteilungen: 636, Summe der abschließenden Entscheidungen: 208, unzulässig: 213, zurückgenommen: 108, anhängig: 107; Stand 3. Oktober 1995), fällt im Vergleich insbesondere zum Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention eher gering aus. Dies liegt einerseits daran, daß nur neunundachtzig Staaten10 das Fakultativprotokoll unterzeichnet haben. Auch ist der Bevölkerung vieler Staaten die Möglichkeit, diesen Rechtsbehelf einzulegen, kaum bekannt. Allerdings ist das Verfahren unter der Zusatzprotokoll gegenüber den anderen vergleichbaren Individualbeschwerdeverfahren im Rahmen der Vereinten Nationen11 gut etabliert.
 
 
4.

3. Das Individualbeschwerdeverfahren nach dem ersten Zusatzprotokoll12

 

a) Überblick

Obgleich es für das Verfahren keine Form- oder Spracherfordernisse gibt und auch anwaltliche Vertretung nicht vorgeschrieben ist, empfiehlt es sich, die Beschwerde so detailliert und umfassend dokumentiert wie möglich abzufassen (siehe das Muster auf S. 18ff.). Die Verwendung der offiziellen Amtssprachen der UNO - Deutsch gehört nicht dazu - beschleunigt den Verfahrensablauf.

Die in den Art. 1, 2, 3 und 5 ZP aufgestellten Voraussetzungen lassen sich zwar nach dem deutschen Juristen bekannten prozessualen Kategorien ordnen. Dies ist jedoch eher von akademischem Interesse, weil der Menschenrechtsausschuß zumindest in der Vergangenheit eine pragmatische Herangehensweise zeigte.
 

b) Voraussetzungen

Es sind die folgenden Voraussetzungen zu beachten:

Die Mitteilung darf nicht anonym eingelegt werden (Art. 3 ZP).

Mitteilungen können nur von Einzelpersonen eingereicht werden (Art. 2 ZP). Nach der Rechtsprechung des Menschenrechtsausschusses können weder Personengruppen (wie nationale Minderheiten) noch Zusammenschlüsse (wie Gewerkschaften oder juristische Personen) eine Mitteilung anbringen.13

Regelmäßig muß das Opfer selbst den Menschenrechtsausschuß anrufen. Hiervon sind Ausnahmen zulässig (Verfahrensregel [VfR] 90 1 b), wenn das Opfer dazu nicht in der Lage ist, weil es beispielsweise verschleppt oder getötet wurde. Diese Verhinderung muß substantiiert dargetan werden, ferner muß der Beschwerdeführer in einer engen persönlichen Beziehung zum Opfer stehen (Familienangehörige). Es gibt keine Popularbeschwerde.

Der Beschwerdeführer kann andere (Rechtsanwalt, Nicht-Regierungsorganisation) mit seiner Vertretung im Prozeß beauftragen. Der Beschwerdeführer muß der Jurisdiktion eines der Vertragstaaten des Zusatzprotokolles - die zugleich Vertragstaaten des Paktes sind - unterliegen (Art. 1 Satz 1 ZP). Die Beschwerde ist gegen diesen Staat zu richten.

Er muß geltend machen, in einem durch den Pakt geschützten Recht verletzt zu sein. Da der Pakt beispielsweise nicht das Eigentum garantiert, wäre eine gegen eine Enteignung gerichtete Mitteilung ratione materiae abzuweisen.

Die Verletzung muß den Beschwerdeführer nicht nur selbst, sondern auch gegenwärtig betreffen. Unter Umständen gefährdet aber bereits eine Rechtslage, die dem Staat jederzeit weitgehende Eingriffe in die Rechtsstellung des einzelnen erlaubt, dessen Rechte so, daß es einer Verletzung gleichkommt. Die angegriffene Maßnahme muß den Beschwerdeführer außerdem unmittelbar verletzen. Der Menschenrechtsausschuß befindet nicht abstrakt über die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit dem Pakt.14

Die Beschwerde darf gemäß Art. 5 Abs. 2a des Zusatzprotokolls nicht bereits Gegenstand eines anderen internationalen Streitregelungsverfahrens sein. Aus deutscher Sicht bedeutet dies insbesondere, daß der Fall nicht vor die Straßburger Organe der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten15 gebracht worden sein darf.

Außerdem muß der Beschwerdeführer alle zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft haben (Art. 5 Abs. 2b ZP). Für Deutschland ist daher nach der Erschöpfung des ordentlichen, Verwaltungs-, Finanz-, Sozial- oder Arbeitsrechtswegs noch die Befassung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich. Nach der Rechtsprechung des Menschenrechtsausschusses müssen diese Rechtsbehelfe nicht nur vorhanden sein, sondern auch angemessene Aussicht auf Erfolg bieten.

Schließlich muß sich die Beschwerde auf Vorkommnisse beziehen, die nach dem Inkrafttreten des Zusatzprotokolls für den Vertragstaat geschehen sind. Dabei ist zu beachten, daß nach einem Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland zum Zusatzprotokoll auch solche Vorkommnisse ratione temporis ausgeschlossen sein sollen, die zwar vor Inkrafttreten geschehen sind, deren Folgen sich aber erst danach abzeichnen oder eintreten. Die Erhebung der Beschwerde ist nicht befristet.

c) weiteres Verfahren

Nach dem Eingang der Mitteilung und der eventuell vom Menschenrechtsausschuß angeregten Ergänzung des Vorbringens entscheidet der Ausschuß über die Zulässigkeit. Es ist möglich, daß eine aus maximal fünf Ausschußmitgliedern bestehende sogenannte Arbeitsgruppe Beschwerden für zulässig erklärt; abweisende Entscheidungen trifft das Plenum (VfR 89 1).

Der Menschenrechtsausschuß kann Mitteilungen mit gleichgelagertem Inhalt zusammenfassen (VfR 88 2). Wenn der Menschenrechtsausschuß die Mitteilung für zulässig erklärt hat, wird der Vertragstaat aufgefordert, binnen sechs Monaten zu dem Vorbringen des Beschwerdeführers Stellung zu nehmen.

In dem schriftlichen Verfahren werden den Parteien die gegenseitigen Äußerungen mit Möglichkeit zur Stellungnahme mitgeteilt.

Äußert sich der Vertragstaat nicht zu dem Vorbringen des Beschwerdeführers, so kann der Menschenrechtsausschuß dieses bei Schlüssigkeit zur Grundlage seiner Entscheidung machen.16

Der Menschenrechtsausschuß kann vorläufige Maßnahmen ergreifen, wenn dies angebracht erscheint, um irreparablen Schaden vom Beschwerdeführer abzuwenden. Er informiert in solchen Fällen den Vertragstaat von seiner Ansicht, daß der Beschwerdeführer bis zum Abschluß des Verfahrens beispielsweise nicht auszuliefern oder die Todesstrafe nicht zu vollstrecken17 ist.
 
 

d) Verfahrensbeendigung

Wenn der Vertragstaat als Reaktion auf die ihm mitgeteilte Beschwerde Abhilfemaßnahmen ergreift, die die Beeinträchtigung des Beschwerdeführers beseitigen, so entscheidet der Menschenrechtsausschuß, das Verfahren nicht weiter fortzuführen.18

In den übrigen Fällen entscheidet der Menschenrechtsausschuß auf der Grundlage des schriftlichen Vorbringens der Parteien, ob der Beschwerdeführer in seinen Rechten aus dem Pakt verletzt ist. Der Ausschuß kann auch die Begründetheitsprüfung einer Arbeitsgruppe übertragen (VfR 94 1 2).

Die als "View" bezeichnete Entscheidung wird dem betroffenen Staat und dem Beschwerdeführer zugeleitet (VfR 94 2). Ihre Veröffentlichung erfolgt im Jahresbericht des Gremiums an die Generalversammlung. Die Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses sind weder rechtlich bindend noch vollstreckbar, und es gibt auch keine weitere Instanz, welche die Durchführung oder Befolgung seitens der Staaten kontrolliert. Allerdings führt der Ausschuß selbst ein sogenanntes "Follow-up"-Verfahren durch, das die Befolgung der "Views" überwacht. Den Staaten wird in der Entscheidung eine Frist gesetzt, innerhalb derer sie den Ausschuß über die Umsetzung des "Views" informieren sollen.

Im Jahre 1990 wurde die Institution eines Sonderberichterstatters für das "Follow-up"-Verfahren geschaffen.19 Dieser informiert den Ausschuß über Briefe, in denen Beschwerdeführer sich über ausbleibende Abhilfe und Wiedergutmachung beklagen. Weiterhin nimmt der Sonderberichterstatter Kontakt zu den betroffenen Staaten auf, um sie zur Befolgung der "Views" zu bewegen. Außerdem nutzt er die regelmäßigen Pressekonferenzen des Ausschußvorsitzenden, um das Verhalten besonders zögerlicher Staaten publik zu machen.
 

 
5.

4. Prüfungsschema für eine Mitteilung an den Menschenrechtsausschuß

   
 
 

5. English summary

 
This text offers a survey on the ICCPR's drafting process and its material contents. The author shortly presents the monitoring instruments and describes the Human Rights Committee. The text focusses on the individual's communication under the Optional Protocol in order to make the German lawyer more familiar with this kind of judicial relief.
 


Anmerkungen:
 

1 Vgl. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Präambel, Absatz 2: "Whereas disregard and contempt for human rights have resulted in barbarous acts which have outraged the conscience of mankind ...".
2 Heute besteht aber Übereinstimmung darin, daß einzelne Rechte - wie das Verbot von Folter oder Sklaverei - als zwingendes Völkergewohnheitsrecht wirksam sind.
3 Speziell zu den Bemühungen um die Schaffung dieser Institution R.S. Clark, A United Nations High Commissioner for Human Rights, 1972; neuerdings hierzu E. Klein (ed.), The Institution of a Commissioner for Human Rights and Minorities and the Prevention of Human Rights Violations, 1995, 17ff, 55ff.
4 GA Res. 421 (V).
5 GA Res. 543 (VI).
6 Zur Arbeit der Menschenrechtskommission vgl. Jean-Bernard Marie, La commission des droits de l'homme de l'O.N.U., 1973, 151ff.
7 GV Res. 2200 A(XXI); UN-Treaty Series, vol. 999, 171ff.; BGBl. 1973 II S. 1534; in Kraft seit dem 23. März 1976, BGBl. 1973 II S. 1534.
8 GV Res 40/128; BGBl. 1992 II S. 391.
9 GV Res 2200 A (XXI) vom 16. Dezember 1966; In Kraft seit dem 23. März 1976, für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 31. Dezember 1992 (BGBl. 1992 II S. 1247).
10 Stand: 1. Juli 1996.
11 Nach Art. 14 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) bzw. nach Art. 22 der Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT).
12 Für Deutschland seit dem 25. November 1993 in Kraft.
13 J.T. ./. Kanada, Nr. 104/1981 § 8a; Lubicon Lake Band ./. Kanada, Nr. 167/1984 § 32.1.
14 Shirin Aumeeruddy-Cziffra u.a. ./. Mauritius, Nr. 35/1978 § 9.2.
15 Dazu in einem der folgenden Hefte.
16 Beispiel: Moriana Hernández Valentini de Bazzano ./. Uruguay, Nr. 5/1977 § 9.
17 Beispiel: C.J. ./. Jamaica, Nr. 252/1987, § 6.
18 Beispiel: Waksman ./. Uruguay (Nr. 31/1978).
19 UN-Doc. A/45/40, II 205f. Janós Fodor (H) wurde 1993 von Andreas Mavrommatis (CY) abgelöst.
 
Quelle: MenschenRechtsMagazin Heft 1 - Oktober 1996, S. 7-11

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