Gespiegelte Fassung der elektronischen Zeitschrift auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam, Stand: 8. Juni 2010

Inhalt
 

Ekkehard Strauß / Norman Weiß:

Internationaler Menschenrechtsschutz - Ergänzung zum nationalen Grundrechtsschutz

Während die Bedeutung und Aufgabe des nationalen Grundrechtsschutzes nach siebenundvierzig Jahren Grundgesetz und fünfundvierzigjähriger Spruchtätigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht nur Juristen, sondern zumindest der Tendenz nach auch der deutschen Öffentlichkeit bekannt sind, ist es um die entsprechende Einschätzung des internationalen Menschenrechtsschutzes schlechter bestellt. Das MenschenRechtsMagazin will zu einer Verbesserung dieses Befundes beitragen.

Zu diesem Zweck wird eine Folge von Beiträgen die verschiedenen Möglichkeiten vorstellen, welche die Menschenrechtssysteme der Vereinten Nationen und der europäischen Regionalorganisationen für den Individualrechtsschutz bieten. Diese werden durch Analysen der Rechtsprechung internationaler Kontrollinstanzen ergänzt. Hinzutreten sollen grundlegende Einführungen in die geschichtliche Entwicklung der Menschenrechte, ihren philosophisch-politischen Hintergrund sowie in den Schutzbereich einzelner Freiheitsrechte.
 

Im folgenden führen wir in die Grundlagen und Aufgaben des internationalen Menschenrechtsschutzes ein:

Ziel des internationalen Menschenrechtsschutzes ist es, Garantien zusätzlich zur nationalen Rechtsordnung zu bieten. Dies geschieht, indem den Staaten eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Beachtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten der ihrer jeweiligen Hoheitsgewalt unterworfenen Menschen auferlegt wird. Deren Bedeutung liegt darin, daß auf diese Weise das Verhältnis zwischen Staat und Bürger nach außen geöffnet wird. Die innerstaatlich bestehenden Rechte werden materiellrechtlich und durch besondere Schutzverfahren ergänzt. So können - im einzelnen abhängig von der konkreten Ausgestaltung - andere Staaten oder betroffene Individuen selbst Menschenrechtsverletzungen vor internationale Kontrollgremien bringen. Die Ausgestaltung der materiellen Garantien erfolgt überwiegend mit Hilfe von Durchsetzungsmechanismen, die von speziellen Gremien überwacht werden.

Bei dem eben Gesagten handelt es sich um ein noch junges Phänomen des Völkerrechts. Während der Periode des klassischen Völkerrechts handelte es sich um ein zwischenstaatliches Koordinationsrecht, das die elementaren Regeln des Verkehrs zwischen gleichberechtigten und souveränen Staaten bestimmte. Als Völkerrechtssubjekte waren - von historisch bedingten Ausnahmen wie dem Heiligen Stuhl oder dem souveränen Malteser-Ritterorden abgesehen - nur Staaten anerkannt. Konsequenterweise war der einzelne daher nicht Träger von Rechten oder Pflichten.

Das bedeutete, daß Staaten sich nicht dafür interessieren durften, wie ein anderer Staat mit seinen eigenen Staatsangehörigen umging. Behandelte ein Aufenthaltsstaat fremde Staatsangehörige schlecht, so berechtigte das völkerrechtliche Fremdenrecht den Heimatstaat zu diplomatischem Schutz, weil er in der Person seiner Staatsangehörigen als verletzt galt. Unter diplomatischem Schutz versteht man die Befugnis eines Staates, zugunsten eigener Staatsangehöriger auf einen fremden Staat in vielfältiger Weise einzuwirken, wenn der andere Staat diese schädigt. Die Behandlung eigener Staatsangehöriger dagegen war eine innere Angelegenheit jedes Staates und als solche dem sogenannten domaine réservé zugeordnet, aus dem sich andere Staaten herauszuhalten hatten.

Es bedurfte zweier Weltkriege und der Erfahrungen des Nationalsozialismus, um hier einen Wandel einzuleiten. In der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verabschiedet wurde, bezieht man sich ausdrücklich auf die "Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte, [welche] zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben". Seither sind im Rahmen der Vereinten Nationen, aber auch auf regionaler Ebene vielfältige Anstrengungen unternommen worden, um die Rechtsstellung des einzelnen durch völkerrechtliche Garantien gegenüber dem Staat zu verbessern.
 

Rechtliche Grundlagen des internationalen Menschenrechtsschutzes sind Völkergewohnheitsrecht und völkerrechtliche Verträge:

Völkergewohnheitsrecht entsteht, wenn eine allgemeine Übung als Recht anerkannt wird. Sein Vorteil ist, daß es, soweit es entstanden ist, grundsätzlich alle Völkerrechtssubjekte bindet. Mit Blick auf den Menschenrechtsschutz von Nachteil ist, daß nur wenige fundamentale Rechte als Völkergewohnheitsrecht anerkannt sind: Verbot von Genozid, Folter, Sklaverei, Rassendiskriminierung und Rechtsverweigerung (déni de justice). Außerdem garantiert das Völkergewohnheitsrecht in den angesprochenen Bereichen nur einen Mindeststandard. Als Folge einer Verletzung von Völkergewohnheitsrecht sind alle Staaten berechtigt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Jederzeit zulässige Mittel sind - auch öffentliche - Proteste gegen die Menschenrechtsverletzung, sicher auch wirtschaftliche Sanktionen. Ein militärisches Eingreifen zur Ahndung von Menschenrechtsverletzungen wird dagegen von der überwiegenden Meinung abgelehnt.

Völkerrechtliche Verträge sind seit 1948 in steigender Zahl dem Menschenrechtsschutz gewidmet. Sie enthalten neben der Garantie von Freiheits- und Gleicheitsrechten auch Verfahrensbestimmungen und Überwachungsmechanismen. Nähere Erläuterungen hierzu finden sich nachfolgend in dem Beitrag zum Individualrechtsschutz nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte.
 

Die völkerrechtlichen Grundlagen bedürfen der innerstaatlichen Anwendung, um die nationalen Rechtsgarantien zu ergänzen:

Das Völkerrecht regelt nur die rechtliche Wirkung zwischen den Staaten. Für die Art der Umsetzung in das nationale Recht enthält das Völkerrecht keine allgemeinen Regeln. Die Wahl der Mittel zur Erfüllung der Rechtspflichten bestimmt sich nach den Vorschriften des nationalen Verfassungsrechts über das Verhältnis von Völkerrecht und nationalem Recht.

Das Grundgesetz differenziert nach der Rechtsquelle, wie völkerrechtliche Bestimmungen im nationalen Recht umzusetzen sind, und welchen Rang sie innerhalb der Normenhierarchie einnehmen.

Gemäß Art. 25 Satz 1 GG sind das gesamte weltweite und partikulare Völkergewohnheitsrecht Bestandteil des Bundesrechts. Art. 25 Satz 2 GG bestimmt den Vorrang dieser Normen vor den späteren Bundes- oder Landesgesetzen. Ihre hierarchische Stellung befindet sich damit zwischen Verfassungs- und einfachem Bundesrecht.

Die Umsetzung von Verträgen in nationales Recht regeln Art. 59 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 3 GG. Erforderlich ist für die innerstaatliche Anwendbarkeit ein Gesetz im materiellen Sinne. Verträge, die über ein Zustimmungsgesetz in Kraft getreten sind, haben den Rang eines einfachen Bundesgesetzes.

Der deutsche Rechtsanwender ist über Art. 20 Abs. 3 GG an die transformierten Vorschriften des Völkerrechts gebunden. Aus der Vorschrift folgt auch die Pflicht, sich mit Inhalt und Auslegung dieser Vorschriften vertraut zu machen. Dafür notwendige aktuelle Informationen ergeben sich u.a. aus der Tätigkeit des UN-Menschenrechtsausschusses, dessen Tätigkeit im Jahr 1995 in einem Beitrag in diesem Heft zusammengefaßt wird.
 

Der Menschenrechtsschutz tritt so ergänzend neben den nationalen Grundrechtsschutz:

Liegen die innerstaatlichen Standards hoch, so wird sich das mitunter niedrigere Niveau des internationalen Menschenrechtsschutzes nicht auswirken. Doch auch bei einem hohen nationalen Niveau kann der zusätzliche internationale Menschenrechtsschutz zu einer Erweiterung führen. So sind etwa in Deutschland Dolmetscherkosten in Ordnungswidrigkeitenverfahren erst aufgrund einer Verurteilung der Bundesrepublik durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom Staat zu tragen.
 
 
Quelle: MenschenRechtsMagazin Heft 1 - Oktober 1996, S. 5-7

Inhalt