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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Wriezen

Foto: Anke Geißler
Gedenkstätte am Standort der ehemaligen Synagoge in Wriezen

Die erste Erwähnung eines jüdischen Einwohners in Wriezen stammt aus dem Jahr 1677. Moses Levin kam vom Niederrhein und erhielt vom Großen Kurfürsten einen „Schutzbrief auf Writzen“. Er starb jedoch bald darauf und sein Sohn durfte nicht in Wriezen bleiben. Die Aufenthaltserlaubnisse („Schutzbriefe“) wurden überhaupt nur sehr restriktiv erteilt. Während des ganzen 18. Jahrhunderts durften sich nur sechs Familienväter in Wriezen niederlassen. Ihre Namen waren (Jahr des Schutzbriefs in Klammern): Manasse Arndt (1707), Levin Liebmann (1720), Abraham Jacob (1725), Wulff Benjamin (1745), Aron Elias (1747) und Samuel Levin (1763).

Im Schutzbrief war ausdrücklich vorgeschrieben, dass sich sein Besitzer nur durch „Handel und Wandel“ ernähren durfte. Die Wriezener Juden übten im 18. Jahrhundert ihre Handelstätigkeit wohl hauptsächlich als Hausierer in den umliegenden Dörfern aus. Ihre wirtschaftliche Lage wird wiederholt als „schlecht bemittelt“ bezeichnet. So schreibt der Magistrat im Jahr 1765: „es ist ein würcklicher Irrtum, wenn man glaubt, daß die Juden allhier Vermögen haben. Sie sind wohl an keinem Ort ärmer als hier, weil Bürger großentheils in schlechte Umstände und folglich das Gewerbe der Juden nur schlecht."

Der einzige Wriezener Jude, der im 18. Jahrhundert nicht als Kaufmann tätig war, war Zadeck Hirsch. Er war als Arbeiter in einer Stahl- und Eisenwarenfabrik in Neustadt-Eberswalde beschäftigt und hatte die Idee zur Gründung einer Fabrikation von Schnallen und Haken. Zur Finanzierung gewann er eine vermögende jüdische Familie aus Berlin und so wurde im Jahr 1772 in Wriezen die erste Fabrik eröffnet. Als erster Geschäftsführer fungierte der Berliner Gerson Jacob, der sich später Bleichröder nannte. Der wirtschaftliche Erfolg der Fabrik entsprach nicht den Erwartungen, und so zogen sich die Berliner Finanziers zurück. Die zurückgebliebenen Arbeiter betrieben mit staatlicher Genehmigung und unter Leitung von Zadeck Hirsch und später seinem Sohn David Zadeck Hirsch die Produktion weiter. Im Jahr 1812 musste der Betrieb jedoch endgültig eingestellt werden.

Eine einschneidende Veränderung für die Situation der Juden brachten die preußischen Reformgesetze, als deren letztes 1812 das „Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden“ erlassen wurde. Obwohl die vollständige rechtliche Gleichstellung noch 60 Jahre auf sich warten ließ, war die Situation jetzt doch besser als im 18. Jahrhundert. Die wichtigsten Neuerungen waren die Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit und die Einführung beständiger Familiennamen. Viele im Jahr 1812 in Wriezen anwesenden Juden nahmen neue Namen an: z.B. Michael Salomon hieß nun Michael Lissauer und Zore Israel nannte sich Sara Israel.

(Michael Salomon, Kauffmann Aron, Levi Josel und Moses Isaac hatten in bereits ansässige Wriezener Familien eingeheiratet, Vogel Moses und Mendel Friedland waren Beschäftigte der Gemeinde)

An die frühen Wriezener jüdischen Familien Liebmann, Wulff/ Wolffenstein, Levin und Lissauer sowie Hirsch/Hirschfeld erinnern auf dem Friedhof noch viele Grabsteine.

Die neu gewonnene Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit führte dazu, dass sich ab den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Wriezener jüdische Gemeinschaft rasch vergrößerte. Besonders aus dem Großherzogtum Posen gab es etliche Zuzüge. Sie sind verbunden u.a. mit den Familien von Joseph Baer Lindenstaedt, Sandel Hirsch Eulenburg, Samuel Isenburg und Hirsch Isaac. Sie lebten alle bis zu ihrem Tod in Wriezen und wurden auch hier begraben. Es folgten die Familien Joseph Aron, Levin Aron, Salomon Borren und Moritz Loewe.

Die Gemeinde, die bisher nur den Charakter einer nachbarschaftlichen Betergemeinschaft hatte, nahm nun eine organisierte Form mit Vorstand und Kassenführung an. Die wirtschaftliche Situation der Mitglieder blieb jedoch weiterhin klamm und verbesserte sich erst gegen Ende des Jahrhunderts.
Im Jahr 1819 wurde eine kleine Synagoge gebaut; an den dazu aufgenommenen Krediten wurde noch 1863 abgezahlt. Das Gebäude war aber inzwischen abrissreif und deshalb musste im Jahr 1886 eine neue Synagoge errichtet werden. Diese wurde in der Pogromnacht am 9. November 1938 niedergebrannt und ihre Ruine bei der Enttrümmerung der schwer kriegszerstörten Stadt Ende der vierziger Jahre beseitigt.

In der zweiten Hälfte des 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert gab es durch diverse Weg- und Zuzüge gravierende Änderungen in der Zusammensetzung der Gemeindemitgliedschaft.
Während der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, besonders nach dem Pogrom von 1938 sind viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde nach Berlin gezogen, weil sie in der Anonymität der Großstadt zunächst sicherer waren. Nur wenigen Wriezener Juden gelang die Flucht ins Ausland. Mindestens 56 Menschen sind ermordet worden. Ihre Namen sind in der Datenbank der Gedenkstätte Jad-wa-Schem in Jerusalem festgehalten und können dort eingesehen werden (www.yadvashem.org).

Brigitte Heidenhain

 

Literatur:

Brigitte Heidenhain, Juden in Wriezen – Ihr Leben in der Stadt von 1677 bis 1940 und ihre Friedhof, Potsdam 2007.

Rudolf Schmidt, Wriezen – Geschichte der Stadt in Einzeldarstellungen, Bad Freienwalde 1931.