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Kontrollverlust und Unvorhersehbarkeit – Prof. Dr. Barbara Krahé über die psychosozialen Folgen der Corona-Pandemie

Zur Corona-Pandemie – Beiträge aus der Universität Potsdam

Rückzug in die eigenen vier Wände in Zeiten des Corona-Virus. | Foto: Pixabay/StockSnap
Foto : Pixabay/StockSnap
Rückzug in die eigenen vier Wände in Zeiten des Corona-Virus.
Das Corona-Virus bedroht nicht nur die physische Gesundheit der Menschen, sondern stellt sie vor die große Herausforderung, persönliche Kontakte zu meiden und ihre persönliche Lebensplanung zumindest vorübergehend zurückzustellen. Warum ihnen das so schwer fällt, was der Rückzug in die eigenen vier Wände für viele Menschen bedeutet und wie sie die soziale Isolation bewältigen können, erklärt Barbara Krahé, Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Potsdam und Expertin für Aggressionsforschung.

Frau Krahé, wir erleben im Moment in Europa eine absolute Ausnahmesituation: Wir sollen uns weitestgehend zu Hause isolieren und den persönlichen Kontakt zu unseren Mitmenschen meiden. Warum fällt uns das – angesichts der Diskussion über Ausgangssperren – offenbar so schwer?

Vor allem zwei Gründe sind hier zu nennen: Zum einen hängt für Menschen als soziale Wesen das psychische Wohlbefinden ganz entscheidend davon ab, ihr Bedürfnis nach Nähe, Austausch und Unterstützung befriedigen zu können. Das ist momentan nur noch sehr eingeschränkt und reduziert auf medial vermittelte Kontakte möglich. Der zweite Grund ist, dass Menschen sehr empfindlich auf Einschränkungen ihrer persönlichen Entscheidungsfreiheit reagieren, und zwar damit, dass sie die Optionen, die ihnen nicht mehr zur Verfügung stehen, stark aufwerten. Das, was wir nicht (mehr) haben können und machen dürfen, erscheint uns besonders erstrebenswert, und wir setzen alles daran, die Entscheidungsfreiheit wiederherzustellen. Im vorliegenden Fall kann das zumindest zum Teil erklären, weshalb sich so viele Menschen nicht an die Kontaktauflagen halten.

Wie verändert sich für Paare, Familien oder Wohngemeinschaften das Zusammenleben, wenn sie quasi tagein, tagaus auf engem Raum zusammenleben?

Diese Situation birgt sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Die Chancen liegen darin, dass auf einmal viel mehr Zeit zur Verfügung steht, die man gemeinsam verbringen kann. Angesichts des durchgetakteten Alltagslebens vieler Menschen eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten, ohne Zeitdruck Gespräche zu führen, mit den Kindern zu spielen oder häusliche Arbeiten zu erledigen, die man sich schon lange vorgenommen hatte. Andererseits ist diese Zeit aber nicht frei gewählt oder „geschenkt“, sondern aufgezwungen, was die Situation stressreich macht und das Potenzial für Konflikte erhöht. Zudem ist seit Langem bekannt, dass soziale Enge, definiert über einen subjektiv erlebten Mangel an Möglichkeiten, sich räumlich von anderen zu distanzieren, aggressives Verhalten begünstigt. Um mit dieser Situation einigermaßen zurecht zu kommen, sollten Menschen sich diese Zusammenhänge bewusst machen und versuchen, den Grund für ihre negativen Emotionen im Blick zu halten, um sie besser kontrollieren zu können.

Welche Folgen hat die soziale und räumliche Isolation für das Individuum?

Zunächst ist festzuhalten, dass die soziale Isolation in Zeiten der medialen Vernetzung weitaus weniger stark ausgeprägt ist, als es in früheren Zeiten der Fall war. Es ist problemlos möglich, mithilfe medialer Vermittlung soziale Kontakte weiterhin zu pflegen, am Leben anderer teilzuhaben und über das eigene Leben zu berichten. Auch Unterhaltungsmöglichkeiten, die über die Medien ins Haus kommen, sind beinahe grenzenlos. Dennoch ist das natürlich kein Ersatz für reale soziale Begegnungen, vor allem dann nicht, wenn die Situation länger anhält, und viele, vor allem ältere, Menschen haben zu diesen Möglichkeiten keinen Zugang. Das kann zu Einsamkeitsgefühlen führen, die das psychische Wohlbefinden stark beeinträchtigen. Wichtig ist, dass Einsamkeit nicht durch die Zahl der tatsächlichen sozialen Kontakte definiert wird, sondern durch die Diskrepanz zwischen den gewünschten und den vorhandenen sozialen Kontakten. Diese Diskrepanz ist für viele Menschen in der aktuellen Situation besonders groß.

Wie lange halten die Menschen das durch?

Das Problem ist hier nicht so sehr die Zeitspanne an sich, in der wir unter diesen Einschränkungen und Bedrohungen leben müssen, sondern die Unvorhersehbarkeit ihres Endes. Unser psychisches Wohlbefinden hängt entscheidend davon ab, ein Gefühl der Vorhersehbarkeit und Kontrolle über die Ereignisse in unserem Leben zu haben. Kontrollverlust, insbesondere das Gefühl, dass negative Konsequenzen völlig unabhängig von unseren Bemühungen auftreten, sie zu vermeiden, führt zu Hilflosigkeit. Diese Hilflosigkeit schlägt sich in negativen Gefühlen wie Trauer und Verzweiflung nieder und in einer geringen Motivation und Anstrengung, die Dinge zum Besseren zu beeinflussen. Menschen fühlen sich Entwicklungen ausgeliefert, die sie nicht verhindern können und von denen sie nicht wissen, wie lange sie sie aushalten müssen. Das können sie schlecht verkraften.

Haben Sie Tipps, wie die Zeit zu Hause mit den Mitbewohnerinnen und -bewohnern gestaltet werden kann, so dass negative Auswirkungen womöglich abgeschwächt werden könnten? Was halten Sie zum Beispiel von der intensiven Nutzung (sozialer) Medien?

Wie schon gesagt, können soziale Medien die negativen Lebensbedingungen in dieser Krise ganz wesentlich abfedern, und hier stehen wir eindeutig besser da als zum Beispiel die Menschen vor 100 Jahren zur Zeit der „Spanischen Grippe“. Kontakte über Telefon oder soziale Medien können aber den unmittelbaren sozialen Kontakt natürlich nicht ersetzen. Alle sollten sich überlegen, wer aus ihrem Familien-, Freundes- oder Nachbarschaftskreis besonders einsamkeitsgefährdet sein könnte und diesen Personen signalisieren, dass man an sie denkt und sie praktisch unterstützen möchte. Wir sehen ja bereits an vielen Stellen Beispiele für solche Formen der Unterstützung.

Die einen sind womöglich unbesorgt, weil sie damit rechnen, bei einer Erkrankung mit Erkältungssymptomen davon zu kommen. Doch wie geht es Menschen, die aufgrund von Alter oder Krankheit besonders gefährdet sind? Was bedeutet die Angst vor der Krankheit für diese Menschen?

Für diese Menschen ist die Situation natürlich in besonderem Maße bedrohlich, weil sie sowohl von der Krankheit selbst massiv gefährdet sind als auch aufgrund ihrer Lebenssituation weniger Möglichkeiten haben, die sozialen Rahmenbedingungen erträglich zu halten, vor allem, wenn sie alleinstehend sind. Wie Menschen mit dieser doppelten Bedrohung umgehen, hängt auch von der Persönlichkeit ab und lässt sich nicht pauschal beantworten. Klar ist, dass wir alle den Menschen in dieser Gruppe das Gefühl vermitteln müssen, dass wir ihr besonderes Risiko verstanden haben und uns solidarisch verhalten wollen, um sie zu schützen.

Im Moment weiß niemand, wie lange uns das Virus in Europa und auf der Welt beschäftigen wird. Von Monaten oder sogar Jahren ist derzeit die Rede. Wie verkraften Menschen diese enorme Unsicherheit in Bezug auf ihre persönliche Lebensplanung?

Für uns alle ist es schwierig, aber wir haben keine Wahl, denn das Leben kann ja nicht einfach auf Pause gestellt werden. Es hilft, dass diese Krise jeden betrifft, anders als es bei vielen anderen negativen Lebensereignissen der Fall ist, und man sie deshalb auf äußere Umstände zurückführen kann, die man nicht selbst zu verantworten hat. Die Auswirkungen auf die eigene Lebensplanung sind massiv, vor allem für diejenigen, die mit der Möglichkeit rechnen müssen, am Ende der Krise in ihrer Existenz ruiniert zu sein, wichtige Prüfungen nicht abgelegt zu haben oder lange vorbereitete Pläne nicht realisieren zu können. Das bedeutet, schon jetzt geht es nicht nur darum, die aktuelle Unsicherheit und Einschränkung zu bewältigen, sondern mit den Befürchtungen darüber umzugehen, wie es nach dem Ende der Pandemie mit dem Leben weitergeht.

 

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