Missverständnisse bei Lesson Study

Es kann durchaus von Vorteil sein, wenn die Mitglieder des Lesson-Study-Teams den Fachbereich teilen, da insbesondere bei einer fachspezifischen Leitfrage das geteilte fach- und fachdidaktische Wissen die Zusammenarbeit erleichtert. Allerdings ist es keinesfalls notwendig, dass alle Teammitglieder dieselben Fächer und Jahrgänge unterrichten, zumal viele Leitfragen auch fächerübergreifend relevant sind. Außerdem können wertvolle Synergien entstehen, wenn Perspektiven aus verschiedenen Fachbereichen, Klassenstufen und sogar Berufsgruppen in den Lesson-Study-Prozess einfließen.

Lesson Study ist eine Methode der Unterrichtsentwicklung, allerdings steht dabei nicht die Entwicklung einer bestmöglichen Stunde im Mittelpunkt. Vielmehr geht es darum, den eigenen Unterricht zu erforschen und Neues zu lernen – indem Sie gemeinsam untersuchen, wie die Schülerinnen und Schüler lernen und wie Ihr Unterrichtskonzept zu diesem Lernen beiträgt (Lewis et al. 2019; Lee & Tan 2020). Eine Stunde darf dabei auch anders verlaufen als geplant oder gewünscht. Es steht Ihnen frei, das Stundenkonzept in einem weiteren Lesson-Study-Prozess zu überarbeiten und zu verbessern. Dabei kann es vorkommen, dass Sie eigene Annahmen zu effektivem Unterricht hinterfragen, Sie neue pädagogische Strategien ausprobieren und erproben, neue Lehrpläne umsetzen oder Bestehendes weiterentwickeln. Wenn dabei eine Stunde entsteht, die Sie später wiederverwenden möchten, umso besser.

Wenn die Klasse auf die geplante Stunde anders reagiert als erwartet, erscheint das oft wie ein Scheitern. Vielleicht musste die unterrichtende Lehrperson von der ursprünglichen Planung abweichen; vielleicht kommt das Unterrichtskonzept in der Klasse nicht gut an. Hier kann im Lesson-Study-Team Frustration entstehen. Doch gerade, wenn eine Unterrichtsstunde nicht so verläuft wie geplant, kann dies hilfreiche Erkenntnisse liefern. In der Auswertungssitzung können gemeinsam Erklärungen gesucht werden. Beispielsweise kann hinterfragt werden, ob das Vorwissen der Klasse richtig eingeschätzt wurde oder ob die Klasse die nötigen Lernstrategien besaß, um die Aufgaben zu bearbeiten (Lewis et al. 2019). In unseren Projektschulen waren die Lehrkräfte einige Male sehr überrascht, dass gerade die „gescheiterten“ Stunden zu den spannendsten Reflexionen mit großen Aha-Effekten für das Team führten.

Idealerweise ist Lesson Study kein kurzfristiges Ereignis, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Nach dem Durchführen und Auswerten einer Forschungsstunde können die Erkenntnisse genutzt werden, um die Leitfrage in einem anschließenden Prozess weiter zu untersuchen, zu erweitern oder daran anzuknüpfen. Ziel ist es, immer wieder Zyklen zu durchlaufen und Lesson Study als Instrument der Unterrichtsentwicklung und der eigenen Fortbildung in den alltäglichen Arbeits- und Planungsprozess zu integrieren.

Kooperation kann durchaus einfach sein, aber diese Leichtigkeit kommt nicht von selbst und muss eingeübt werden. Damit professionelle Kooperation, wie sie in Lesson Study stattfindet, gelingt, müssen bestimmte Bedingungen gegeben sein. Hilfreich ist es beispielsweise, wenn Sie schon positive Erfahrungen mit Kooperation mitbringen können und sich grundsätzlich gegenseitig vertrauen. Das gegenseitige Kennenlernen und der Aufbau von Vertrauen brauchen Zeit. Wichtig ist es außerdem, sich zunächst auf bestimmte Umgangsregeln und Abmachungen für die Zusammenarbeit zu einigen. Das erscheint vielleicht zunächst trivial, sollte aber nicht ausgelassen werden, gerade wenn Sie in einem neuen Team zusammenarbeiten. Darüber hinaus sind bestimmte Rahmenbedingungen notwendig, damit Kooperation auch gelebt werden kann. Dazu gehören genügend Zeit, Räume und die Unterstützung durch die Schulleitung (The Lesson Study Group at Mills College 2018; Grosche et al. 2020).