Abgeschlossenes Projekt
(Jüdische) Leben erzählen: Biographische Werkstattberichte
Ringvorlesung, Wintersemester 2021/22
- Plakat zur Veranstaltung (mit Programm) (JPG 1,03MB)
Zum Thema
Seit geraumer Zeit ist in den historisch arbeitenden Geisteswissenschaften von einem „biographical turn“ die Rede. Auch in den Jüdischen Studien nimmt die Relevanz der biographischen Forschungspraxis kontinuierlich zu. Von diesem Befund ausgehend bietet die interdisziplinäre Ringvorlesung „(Jüdische) Leben erzählen: Biographische Werkstattberichte“ Einblicke in die historiographischen und literarischen Aspekte der Arbeit an jüdischen Lebensgeschichten.
Jüdische Lebensläufe verkörpern häufig Subjektpositionen, deren biographische Erschließung Forscher:innen vor erhebliche Herausforderungen stellt. Diese gründen in Phänomenen wie Exil, Diaspora, Transkulturalität, Mehrsprachigkeit und Intersektionalität, die der jüdischen Geschichte scheinbar inhärent sind und aus denen potenziell diskontinuierliche bzw. fragmentierte Erfahrungswelten resultieren. Das Ergebnis sind oft ausgesprochen komplexe Quellenkonstellationen, die biographische Untersuchungen einerseits erschweren, sich aber andererseits für die Methodologie der Biographie als besonders aufschlussreich erweisen können. Im Rahmen retrospektiver Reflexion über die Entstehungsprozesse ihrer lebensgeschichtlichen Studien schildern die Referent:innen an konkreten Beispielen solche Herausforderungen und den möglichen Umgang mit ihnen. Dabei berühren sie eine Reihe allgemeiner methodologischer Fragen und forschungspraktischer Probleme biographischen Schreibens, etwa: die Wahl von Protagonist:innen biographischer Narrative; die Anwesenheit der Biograph:innen in ihren Darstellungen fremder Leben und ihre eventuelle Identifikation mit den eigenen „Objekten“; den Umgang mit Wissenslücken bzw. der Wissensfülle; literarische Aspekte biographischer Arbeit sowie deren ethische Dimensionen; die Darstellbarkeit der Zusammenhänge zwischen dem zu biographierenden Leben und der je spezifischen Form der Kreativität, die in diesem Leben wirksam wurde. Entlang dieser und weiterer fallspezifischer Aspekte lebensgeschichtlichen Schreibens werden in der Ringvorlesung die Bedingungen der Möglichkeit diskutiert, medial vermittelte Spuren vergangener Leben in schriftliche Erzählungen zu transformieren, um damit methodologische Erträge für die biographische Forschungspraxis inner- und außerhalb des Faches „Jüdische Studien“ zu gewinnen.
Termine
26.10. 2021 Grażyna Jurewicz (Potsdam/Berlin): Prolog
02.11. 2021 Beatrix Borchard (Hamburg/Berlin): Storytelling oder Lücken markieren? Nachdenken über den Umgang mit biographischem Quellenmaterial
09.11. 2021 Ernst Piper (Potsdam): Zwischen Intersektionalität und Internationalismus. Annäherung an Rosa Luxemburg
16.11. 2021 Reiner Stach (Berlin): Kafkas Lebenswelt. Eine Recherche
30.11. 2021 Verena Dohrn (Hannover): Familienbiographie als literarisches Verfahren. Die Saga der Ölunternehmer Kahan aus Baku
07.12. 2021 Dominique Bourel (Paris/Kassel): Moses Mendelssohn und Martin Buber: Biographie ohne Autobiographie?
14.12. 2021 Stefanie Mahrer (Bern/Basel): Salman Schocken. Topographien eines Lebens
11.01. 2022 Katharina Prager (Wien): „Ich kann es nur chassidisch begreifen…“ – Jüdischsein in den Leben von Berthold und Salka Viertel
18.01. 2022 Claudia Willms (Frankfurt am Main): Geschichtsschreibung von unten? Franz Oppenheimer und die kulturanthropologische Biographieforschung
25.01. 2022 Efrat Gal-Ed (Düsseldorf/Augsburg): Niemandssprache. Itzik Manger – ein europäischer Dichter. Zum biographischen Textverfahren
01.02. 2022 Jacques Picard (Basel/Zürich): Die Uhr, die noch tickt.Von Subjekten und Objekten in der Biographieforschung
08.02. 2022 Christina Pareigis (Hamburg): Shamanistic Voyages. Rückblick auf die Entstehung einer intellektuellen Biographie über Susan Taubes
15.02. 2022 Philipp Lenhard (München): Die Tücken des Archivs: Zur Biographie Friedrich Pollocks
22.02. 2022 Stephan Braese (Aachen): Hildesheimer „biographieren“: Werkstatt – Expedition – Labor
01.03. 2022 Alfred Gall (Mainz): „Ich gehöre nirgendwo hin, denn ich bin anderswoher“: Konstellationen von Biographie und Science-Fiction bei Stanisław Lem