Vorbereitung des Auslandsaufenthaltes
Ein kleines Vorwort zu diesem Erfahrungsbericht: die Semester im Ausland waren ein Abenteuer, an dem ich sowohl fachlich als auch persönlich gewachsen bin. Daher möchte ich jedem Studenten – ganz besonders im Fach Rechtswissenschaften, das wie kein zweites einen weiten gedanklichen Horizont verlangt – das Lernen in einem anderen Land empfehlen. Nanterre ist dabei vielleicht nicht der komfortabelste Ort, hat aber durchaus seinen Charme. Warum ich das so sehe und für wen es die richtige Wahl ist, möchte ich in diesem Bericht zeigen.
Schon vor Antritt der Hinreise ergaben sich einige Hürden, die trotz der wirklich hilfsbereiten Potsdamer Verwaltung erst kaum schaffbar erschienen. Da das Studentenwohnheim der Universität Paris X meist komplett ausgebucht ist, mussten wir uns selbst Wohnungen organisieren. Die ersten Versuche waren ziemlich deprimierend, da französische Vermieter sich oft nicht zurückmeldeten. An dieser Stelle rate ich dennoch dringend von professionellen Anbietern ab; diese vermieten oft überteuerte und baufällige Wohnungen an die Ausländer. Im Endeffekt wurden wir aber alle fündig. In meinem Fall war auch sehr viel Glück im Spiel: meine Eltern machten einen Kurzurlaub in Paris, so dass ich dort Zimmer besichtigen konnte. Dadurch lernte ich eine sehr nette Rentnerin kennen, die ihre Stadtwohnung bald an ihren Sohn weitergeben wollte und mir bis dahin ein Zimmer darin überließ. Wenn man die Möglichkeit hat, den Mitbewohner vorher kennenzulernen, ist das Mieten eines Zimmers wirklich eine fantastische Lösung: wir hatten beide Interesse daran, die Wohnung intakt zu halten. Gleichzeitig konnten wir uns gelegentlich unterhalten. Ganz unbewusst verbesserten sich so meine Sprache und meine (vorher starke) Schüchternheit verschwand, während sie jemanden zum Reden und Hüten der Wohnung hatte.
Zur Universität: sehr gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, wirkt die Universität Nanterre auf deutsche Studenten erst groß und unübersichtlich. Da aber überall Pläne aushängen, findet man sich schnell zurecht. Genial ist vor allem das Sportzentrum in der Mitte des Campus; dort kann man für wenig Geld ein Jahresticket für das Schwimmbad und die Sportkurse kaufen. Das überbrückt auch mal lange Wartezeiten zwischen den Kursen, denn der Stundenplan ist nicht unbedingt studentenfreundlich (teilweise Kurse morgens um 8 Uhr und abends bis 20 Uhr am gleichen Tag!).
Die Vorlesungen und AGs haben mir persönlich viel Spaß gemacht. Viele Professoren hatten geradezu Entertainer-Qualitäten und die schulstundenartigen AGs förderten tatsächlich das Mitdenken, weil man durch Hausaufgaben und Co. tiefer in die Materie eindringen musste. Erstmals habe ich verschiedenste vorgegebene Quellen wie Kommentare, Urteile u.v.M. in meine Überlegungen mit einbeziehen müssen, was super auf die spätere Berufspraxis vorbereitet. Zudem kamen speziell für uns Professoren aus Deutschland und Indien angereist, die uns jeweils noch mehr interkulturelle Erfahrungen und Arbeitsweisen beibrachten.
Gedämpft wurde dieser positive Eindruck leider von der Auseinandersetzung mit der französischen Verwaltung. Diese war nach der Potsdamer Ordnung ein echter Schock: oft waren Ansprechpartner nicht im Haus oder es wollte niemand zuständig sein. Zu den AGs wurden wir erst gar nicht, dann falsch eingeteilt (obwohl man nach zweimaligem unentschuldigten Fehlen 0 Punkte bekommen sollte!). Prüfungstage, -zeiten und -räume wurden immer wieder verändert, sogar der Anteil eines Tests an der Gesamtnote wurde einmal nachträglich erhöht. Zudem wurden wir gewarnt, dass auf den Notenurkunden (der Licence) oft falsche Ergebnisse stehen, was wir dann melden müssen. Auch sind die Vorlesungssäle stickig und schlecht geheizt, die Toiletten und AG-Räume teilweise heruntergekommen.
Betreffend der Universität komme ich zu dem Fazit, dass man in Nanterre durchaus zurechtkommen kann. Allerdings muss man zwangsläufig eine gewisse Flexibilität und Nervenstärke entwickeln, oder so einiges mit Humor nehmen. Nur so hält man die unzuverlässige Verwaltung aus. Hilfreich ist dabei, dass die Franzosen von der Mentalität her sehr höflich und hilfsbereit sind. Schon am Flughafen half man mir wie selbstverständlich mit den Koffern und die AG-Leiter gaben hilfreiche Rückmeldungen zu den Hausaufgaben. Das hat mir enorm geholfen, meinen juristischen Schreibstil und das -tempo effizienter zu machen.
Zur Stadt: ehrlicherweise war ich vorher kein Großstadt-Fan. Viele Viertel im Norden (Saint-Denis…) sollte man wegen der Kriminalität meiden. Die Touristenattraktionen zu Ferienzeiten oder bei gutem Wetter auch. Trotzdem hat mich die Stadt von sich überzeugt: dank des weiten Verkehrsnetzes kommt man überall schnell hin, so dass zum Ausgleich für die stressige Uniwoche und die grauen Straßen jeden Samstag kleine Ausflüge möglich waren. Neben dem Louvre mit seiner tollen Kunstausstellung habe ich wunderschöne kleine Altstadtgassen in Asnières-sur-Seine entdeckt, war bei der Fête du Cheval in Vaucresson, bin durch die Gärten von Versailles und bei Vincennes flaniert… Auch wenn das Leben um die Uni zu kreisen scheint ist es umso wichtiger, Kultur und Leute kennenzulernen. Erst Recht, weil alle genannten Angebote und noch vieles mehr für Studenten kostenlos sind.
Studienfach: Rechtswissenschaft
Aufenthaltsdauer: 09/2019 - 06/2020
Gastuniversität: Université Paris Nanterre
Gastland: Frankreich
Rückblick
Alles in allem kann ich sagen: hätte ich diese Erfahrung nicht gemacht, würde ich sie wieder machen wollen. Verlängert (z.B. für einen Master) hätte ich persönlich den Aufenthalt in Nanterre aber nicht. Besonders das Hin- und Her der Verwaltung kann einem vor lauter Nervosität schon mal die Prüfungen schwerer machen als nötig. Paris hat als Stadt Einiges zu bieten, man muss aber flexibel sein und hohe Lebenshaltungskosten einplanen. Andere Pariser Universitäten als Nanterre kenne ich nicht, kann diese spezielle aber nur sehr eingeschränkt empfehlen. Potsdam dagegen erhält hier noch einmal ein dickes Lob für die Unterstützung bei Fragen und Problemen.