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„Löschen Sie alle digitalen Texte …“ Das Hin und Her mit dem Unirahmenvertrag

Von UP2date Redaktion

 

 

Bisheriger Status - gegensätzliche Interessen

Das Urheberrechtsgesetz schreibt vor, dass Werke anderer nur verwendet werden dürfen, wenn eine Nutzungsanfrage an die UrheberInnen des Werkes oder die Rechteinhabenden gestellt wird. Da Unterricht und Forschung an Hochschulen so jedoch nicht funktionieren würden, gibt es die sogenannte „Wissenschaftsschranke“ (§52a UrhG). Sie erlaubt es „kleine Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs sowie einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften zur Veranschaulichung im Unterricht an […] Hochschulen […]“ und „für einen bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen für deren eigene wissenschaftliche Forschung“ zugänglich zu machen. Soweit so bekannt. Für die Nutzung ist zudem „eine angemessene Vergütung“ zu zahlen, die bislang durch einen Gesamtvertrag zwischen verschiedenen Verwertungsgesellschaften und den Bundesländern in Form von Pauschalzahlungen geregelt wurde. Der §52a UrhG - eigentlich als eine Übergangslösung gedacht - wurde in der Vergangenheit in seiner Gültigkeit immer wieder verlängert und letztlich verstetigt. Auf der einen Seite steht das Interesse, praktikable und für das digitale Zeitalter angemessene Rahmenbedingungen für die Hochschullehre und einen möglichst ungehinderten Zugang zu Wissen zu schaffen, auf der anderen Seite steht das Interesse an den digitalen Verwertungsmöglichkeiten, welche die Verlage durch die bisherige Umsetzung des §52a gefährdet sehen.

Rechtsstreit und ernüchterndes Pilotprojekt

Nicht selten landen gescheiterte Versuche des Interessenausgleichs vor Gericht, wie der Rechtsstreit zwischen der Klage erhebenden Verwertungsgesellschaft WORT (VG WORT) und den Bundesländern um die Neuverhandlung eines Gesamtvertrages zeigt. Die VG WORT zielte einerseits auf die Konkretisierung verschiedener Maßgaben, was bspw. „kleine Teile eines Werkes“ oder „Werke geringen Umfangs“ genau bedeutet, andererseits - und weit wichtiger - ging es ihr um die Änderung des Vergütungsverfahrens. Weg von der Pauschalzahlung, hin zur seitengenauen Einzelabrechnung.  Dieser Rechtsstreit ging bis an das oberste deutsche Gericht. Im März 2013 verwies der Bundesgerichtshof das Verfahren unter teils bestätigenden, teils korrigierenden Spezifikationen an die Vorinstanz (OLG München) zurück. Der BGH war der Ansicht, dass die bisherige pauschale Abrechnung nicht sachgerecht sei und die Einführung und Umsetzung der Einzelmeldung bzw. -abrechnung für die Hochschulen ein zumutbarer Aufwand wäre.

Die Einzelmeldung, wonach Werk, Seitenzahl und Nutzerzahl angegeben werden müssen, wurde im Wintersemester 2014/15 in einem Pilotprojekt an der Universität Osnabrück mit einem ernüchterndem Ergebnis durchgeführt. Trotz umfänglicher Informations- und Unterstützungsangebote der Universität fühlte sich nach Projektende nicht einmal die Hälfte der Lehrenden sicher im Meldeprocedere, das über eine Eingabemaske auf der Lehr-Lernplattform erfolgte. Viel gravierender noch: unter Berücksichtigung jährlicher Steigerungsraten wurden durch den zusätzlichen Aufwand 25 Prozent weniger Lehrmaterialien zur Verfügung gestellt. Stattdessen wurde auf  Literaturlisten oder Kopiervorlagen zurückgegriffen. Erwartungsgemäß gaben über 60% der Studierenden an, einen hohen Mehraufwand und auch höhere Kosten durch die Selbstbeschaffung von Literatur zu haben. 

Unirahmenvertrag und Widerstand

Anfang 2016 sollte die Einzelmeldung in Kraft treten, jedoch wurde die bisherige Pauschalabrechnung nochmals um ein Jahr verlängert, auch um das technische Verfahren zu vereinfachen. VG WORT und die KMK handelten einen neuen Rahmenvertrag aus, demzufolge ab dem 1.1.2017 die Einzelmeldung und -abrechnung vorzunehmen sei. Tritt eine Hochschule diesem Vertrag nicht bei, dürften keine Texte mehr digital verbreitet werden oder es müsste für jeden einzelnen Textauszug eine gesonderte Vereinbarung mit den Rechteinhabern, also Autor(innen) und Verlagen geschlossen werden. Ausgenommen davon wären Werke mit abgelaufenem Urheberrechtsschutz, Open Access-Werke, Werke unter freien Lizenzen oder bereits durch die Hochschulbibliotheken lizenzierte Werke.) Mehr noch: alle online stehenden Texte müssten zumindest verborgen werden. Im worst case dürften forschende und publizierende Hochschullehrende dann nicht einmal mehr Auszüge der eigenen Werke den Studierenden bereitstellen, da die Rechte meist an Verlage abgetreten werden.

Es dauerte nicht lange, bis sich Widerstand an den Hochschulen regte. Studierende gingen vor allem im Netz auf die Barrikaden und Anfang November 2016 kündigten bereits mehrere Landesrektorenkonferenzen an, dem Vertrag nicht beizutreten, Brandenburg folgte am 18.11.  Nicht nur der bereits in der Pilotstudie augenfällig gewordene Aufwand für Lehrende und die Nachteile für Studierende spielen hier eine Rolle. Auch die Schaffung notwendiger technischer und organisatorischer Voraussetzungen wie die Implementierung der Meldemaske in Lehr-Lernplattformen oder die Entwicklung hochschulinterner Abrechnungssysteme bedeuten zusätzliche Aufwände. Auch von Seiten des Aktionsbündnisses „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ - einem Netzwerk aus VertreterInnen von Hochschulen, Wissenschaftsorganisationen, Fachgesellschaften, Bibliotheken sowie RechtsexpertInnen und Einzelpersonen - hagelte es Kritik am Vertrag. Das Bündnis empfahl sogar, alte digitale Semesterapparate nicht zu löschen und die aktuellen Textsammlungen bis zum Ende des laufenden Semesters bestehen zu lassen, da für diese bereits pauschale Vergütung erfolgte. Kurzum: KMK und VG WORT hatten offensichtlich einen Vertrag verhandelt, der an der Realität von Lehre und Forschung an Hochschulen im digitalen Zeitalter und den Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigeht.

Auf dem Weg zu einer Lösung?

Dass es Nachverhandlungen geben musste, wurde angesichts des Widerstandes von immer mehr Bundesländern sowie Hochschulen zwar recht bald klar, dennoch folgte insbesondere für die Verantwortlichen an Hochschulen einige Tage hektischer Betriebsamkeit. Vorschläge zum weiteren Umgang mit digitalen Texten in der Lehre mussten formuliert und Lehrende über die aktuelle Lage informiert werden. Es brauchte ein paar Wochen, bis es am 9.12. hieß, eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus VertreterInnen von VG WORT, der Kultusministerkonferenz sowie der Hochschulrektorenkonferenz solle mit der Entwicklung einer „einvernehmlichen Lösung für die Handhabung des Urheberrechts im Kontext von Lehre“ betraut werden und die weitere Nutzung von digitalen Texten ab dem 1.1.2017 sichern. 

Erst einen Tag vor Heilig Abend bestätigten die Vertragsparteien offiziell, dass die jetzige pauschale Abrechnung bis zum 30. September 2017 fortgeführt wird und bis dahin die Arbeitsgruppe „eine bundesweit einheitliche Lösung für die Abgeltung urheberrechtlicher Ansprüche für Nutzungen nach § 52a UrhG an die VG WORT unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20. März 2013 (I ZR 84/11)“ erarbeiten sollte. Ob es eine Lösung oder - wie seinerzeit mehrmals bei der Gültigkeit des §52a UrhG - es eine nochmalige Verlängerung geben wird, bleibt abzuwarten.

Dass angesichts der zunehmenden Nutzung und Weitergabe digitaler Texte aus Sicht der VG WORT eine andere Form der Vergütung, ggf. die Erhöhung der Pauschalen notwendig ist, mag nachvollziehbar sein. Fest steht, die Hochschulen, die Lehrenden und Studierenden brauchen eine Lösung, die praktikabel ist und den Anforderungen an eine zeitgemäße Hochschullehre gerecht wird.