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Paninari

Die italienische Jugendkultur der Paninari trat zunächst in den 1980er-Jahren in Erscheinung. Die Paninari stammen aus den wohlhabenden Gesellschaftsschichten im hedonistischen Mailand (damals auch das „Milano da bere“, das „Mailand zum Trinken“ genannt) und zeichneten sich durch teure Markenkleidung und ein auffallend gepflegtes Aussehen aus. Treffpunkt der Paninari waren die Paninotecas, eine Art italienische Schnellrestaurants, die amerikanische Hamburger („panozzo“) angeboten haben. Die Paninari hörten und tanzten zu englischsprachigen Hits von Gruppen wie Duran Duran, den Pet Shop Boys und Wham!. Die Geschlechtsrollen waren klar und traditionell verteilt: Der Mann verführt die Frau(en) und stellt seine Männlichkeit dadurch in der Gruppe unter Beweis. Die Frau wird als Beute betrachtet – Intelligenz oder Handlungsfähigkeit spielen daher keine Rolle, erwartet wird vielmehr ein gutes modisches Aussehen.

Die erste Generation der Paninari, durch Apolitizität und Kritiklosigkeit der jungen Generationen geprägt, formierte sich einerseits im Anschluss an die sogenannten bleiernen Jahren (anni di piombo), in denen die Krise der in den 1960er Jahren an ihren Zielen gescheiterten Gegenkulturen zu Gewalt worden war. Andererseits begann in den 1980er-Jahren die Wirtschaft zu florieren. Diese Jahre waren eine Zeit des Wohlstands, in der Silvio Berlusconi zuerst als Bauunternehmer, dann als Medienunternehmer, zum Mythos wirtschaftlichen Erfolgs und Reichtums wurde. Zwischen 1980 und 1984 führte er die ersten drei Kanäle des Privatfernsehens ein, die sich italienweit verbreiteten. Das Privatfernsehen favorisierte populistische Sendeformate und Werbespots, die einen prägenden Einfluss auf die Jugendlichen hatten. Das manifestierte sich auch in der Sprache der Paninari, beispielsweise anhand von Elementen des lombardischen Dialekts („pirla“ für dumm), Ausdrücken des Wirtschaftsbooms in Mailand („bell'hardware“ für eine schöne Frau), Macho-Metaphern („Gallo“ Hahn im Korb, ein erfolgreicher Mann), von Begriffen der gymnasialen Lebenswelt („Sapiens“ die Elterngeneration) und Pseudoanglizismen („Situescion“, die Lage). Auch die Unterhaltungen der Paninari konzentrierten sich inhaltlich auf scherzhafte Beschreibungen von Alltagerlebnissen und Schilderungen des persönlichen Konsums. Darüber hinaus wurden zahlreiche Elemente aus TV-Inhalten, von Kleidungsstilen über Werbeslogans bis hin zu Verhaltensweisen übernommen. Beispielsweise das Reinigungsmittel „Meister Proper“ – in Italien „Mastrolindo“, was in der Jugendsprache glatzköpfig bedeutet, oder die „Avirex“-Jacke, die Tom Cruise im Blockbuster Top Gun trug; daraus leitet sich das Adjektiv „ramboso“ ab, „stark sein wie Rambo“. Aus der populären Unterhaltungssendung Drive In, in der der Komiker Enzo Braschi als Karikatur eines Paninaro auftritt, übernahmen die Paninari seine übertriebene Sprache: „troppo giusto“, „sehr gut“, wird erstmals von den Paninare erfunden, dann von Braschi als komisches Füllwort übernommen und wiederum von den Paninari benutzt, indem sie die Haltung des Komikers nachahmen.

Vor allem die Kleidung wurde den Konsumversprechen der Werbung entsprechend zum Statussymbol der Paninari, insbesondere italienische und französische Designerstücke von Armani, Valentino oder Chanel. Die Popularität der Marken El Charro, Naj Oleari, Americanino oder Best Company war so eng mit den Paninari verbunden, dass diese Marken nach dem Untergang dieser Subkultur teilweise verschwanden.

Insgesamt betrachtet sind die Paninari eine Subkultur, die nach einer Erweiterung des meist mit Gesellschaftskritik verbundenen Begriffs verlangen. Denn man kann sie nicht mit den politisierten Gegenkulturen der 1960er Jahre vergleichen. Die Paninari sind unpolitisch, konsumorientiert und pflegen einen hedonistischen Lebensstil. Für eine solche Begriffserweiterung bietet sich das Konzept von Dick Hebdige an. Er versteht Subkultur als eine Gruppierung von Menschen, die sich von allen anderen bewusst differenzieren und sich selbst neu definieren. Diese Abgrenzung ist bei Hebdige, der sich fast ausschließlich mit Subkulturen der Arbeiterklasse befasste, mit Klassenbewusstsein verbunden. Das Phänomen der Abgrenzung trifft jedoch auf Subkulturen aller Bevölkerungsschichten zu. Die Paninari gehören, wie die Chetos in Argentinien, zur Bourgeoisie und heben wie diese ihre soziale Zugehörigkeit hervor,  um sich von den anderen Subkulturen abzusetzen. Dazu nutzten die Paniari die Merkmale und Werte der Konsumkultur. Aus  der Traumwelt der Werbebotschaften schufen sich einen eigenen Lebensraum und Lebensstil, durch den sie ihr Misstrauen gegenüber den gesellschaftskritischen  Subkulturen zum Ausdruck brachten.

Weiteres

Quellen:

  • Aldo Grasso, "Storia della televisione italiana. Nuova edizione aggiornata", Milano: Garzanti, 2004
  • Giorgio Galli, Il partito armato - Gli "anni di piombo" in Italia, 1968-1986, Milano: Rizzoli, 1986.
  • Lina Sotis, Cose da sapere, Milano: Mondadori, 1986.
  • Sobrero, Alberto A., “Tra un panino e una parola”, Italiano & Oltre 2 (1987), 189.
  • Rossi, Davide Guida al paninaro D.O.C. Lo stile, il linguaggio, l'attrezzatura, il cucco. Milano, Edifumetto, 1987.
  • Coveri, Lorenzo  "Iao paninaro", Italiano & Oltre 3 (1988) 107-111
  • Nicola Rao, La fiamma e la celtica, Milano, Sperling & Kupfer, 2006.
Autorin Mara Persello
Zeitraum Dezember 2013